BVwG W209 2005152-1

BVwGW209 2005152-120.5.2014

ASVG §343
B-VG Art.133 Abs4
ASVG §343
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2014:W209.2005152.1.00

 

Spruch:

W209 2005152-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Vorsitzender und die fachkundigen Laienrichter Dr. Elisabeth HAGER, Mag. Franz SCHWEINBERGER, Dr. Walter ARNBERGER und Dr. Johannes DOCK als Beisitzende über die Beschwerde des Dr. XXXX, XXXX, XXXX, vertreten durch Dr. Wolfgang VINATZER, Rechtsanwalt, 1010 Wien, Rotenturmstraße 25/11, gegen den Bescheid der Paritätischen Schiedskommission für Wien vom 13.11.2013, GZ: W-PSK 4/2013, zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 343 Abs. 2 Z 5 des Allgemeinen

Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955 idgF, als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

1. Am 14.5.2019 wurde dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung die Mitteilung der Wiener Gebietskrankenkasse (im Folgenden WGKK) vom 24.4.2013, GZ: VPV/Mag.Neu, zugestellt, mit der er auf das Erlöschen seines Vertragsverhältnisses zur WGKK sowie zu den in § 2 des Gesamtvertrages angeführten Krankenversicherungsträgern per 17.10.2011 hingewiesen wurde. Als Grund für das Erlöschen wurde die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers am 17.10.2011 wegen Handels mit psychotropen Stoffen im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit angeführt. Diese Verurteilung sei unter § 343 Abs. 2 Z 5 ASVG zu subsumieren und führe daher ex lege zum Erlöschen des Vertragsverhältnisses.

2. Dagegen erhob der Beschwerdeführer zur Vermeidung jeglicher Fristversäumnis vorsorglich einen Einspruch an die Landesschiedskommissionen bei der WGKK. In weiterer Folge stellte er mit Schriftsatz vom 29.7.2013 bei der Paritätischen Schiedskommission bei der WGKK einen Antrag auf Schlichtung und Entscheidung darüber, dass der ihm mit Schreiben der WGKK vom 24.4.2013 vorgehaltene Endigungsgrund per 17.10.2011 nicht vorliege. Begründend führte der Beschwerdeführer dazu aus, dass die Rechtsauffassung der belangten Behörde, wonach seine rechtskräftige Verurteilung wegen Handels mit psychotropen Stoffen im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit jedenfalls unter den Erlöschenstatbestand des § 343 Abs. 2 Z 5 ASVG falle, unrichtig sei. Die Anwendung dieser Bestimmung setze voraus, dass die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung wegen grobem Verschulden erfolgt sei. Der Beschwerdeführer habe zwar unstrittig einem Patienten mehrere Tausend Stück Somnubene, Praxiten, Anxiolit und Rohypnol verschafft, indem er diesem Rezepte dafür ausgestellt habe, und der Patient habe diese in der Folge am Karlsplatz in Wien verkauft. Der Beschwerdeführer sei aber aufgrund seiner Erkrankung im Tatzeitraum sowohl in Bezug auf die Einsichts- als auch auf die Steuerungsfähigkeit höhergradig eingeschränkt gewesen. Dieser Umstand sei bei seiner Verurteilung zu einer bedingten Haftstrafe von acht Monaten vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien ebenso berücksichtigt worden wie in seinem Disziplinarverfahren der Ärztekammer Wien, in dem ihm zwar eine Verwarnung, im Hinblick auf seine eingeschränkte Schuldfähigkeit im Tatzeitraum aber keine Strafe ausgesprochen worden sei. Zur Bescheinigung seiner eingeschränkten Einsichts- und Steuerungsfähigkeit im Tatzeitraum legte der Beschwerdeführer das psychiatrische Gutachten des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13.9.2011 vor und beantragte seine Einvernahme.

3. Am 23.10.2013 nahm die WGKK zum Vorbringen des Beschwerdeführers Stellung. Der Beschwerdeführer sei gemäß § 31a Abs. 1, sechster Fall Suchtmittelgesetz (SMG) rechtskräftig verurteilt worden. Dabei handle es sich um eine mit Vorsatz begangene strafbare Handlung. Der Erlöschenstatbestand des § 343 Abs. 2 Z 5 ASVG erfasse jede mit Vorsatz begangene Straftat. Nur bei Fahrlässigkeitsdelikten stelle sich die Frage nach dem Vorliegen von grobem Verschulden. Schon aus diesem Grund sei der Einzelvertrag des Beschwerdeführers erloschen.

4. Am 13.11.2013 fand in den Räumen der WGKK eine öffentliche Sitzung der Landesschiedskommission und der Paritischen Schiedskommission für Wien statt, an welcher der Beschwerdeführer, sein Rechtsvertreter sowie der Vertreter der WGKK teilnahmen. Der Vertreter des Beschwerdeführers stellte die rechtskräftige Verurteilung wegen einer Vorsatztat außer Streit, betonte aber, dass der Beschwerdeführer nicht aus Habgier, sondern aus Mitgefühl, Mitleid, Hilfsbereitschaft und Naivität gehandelt habe. Das Erlöschen des Vertrages sei zu Unrecht an den Vorwurf groben Verschuldens geknüpft worden, weil nicht jede Vorsatztat grobes Verschulden nach sich ziehe. Die Annahme groben Verschuldens setze eine Auseinandersetzung mit dem Schuldbegriff des § 32 StGB voraus, wobei die Prüfung stets nach der Lage des konkreten Falles eine ganzheitliche Abwägung aller unrechtsrelevanten und schuldrelevanten Tatumstände verlange. Der Vertreter der WGKK verwies auf das bisherige Vorbringen und ergänzte, dass dem Beschwerdeführer zumindest bewusst sein habe müssen, dass infolge der Verschreibung einer die Grenzmenge übersteigenden Menge an psychotropen Stoffen die Gesundheit des Patienten gefährdet gewesen sei. Der Beschwerdeführer gab dazu befragt an, dass er nicht gewusst habe, dass sein Patient die verschriebenen Medikamente weiterverkauft habe. Auch habe er die Grenzmengen nicht genau gekannt, obwohl ihm die verschriebene Mange selbst sehr hoch vorkam. Seine Kritikfähigkeit sei jedoch infolge seiner Erkrankung eingeschränkt gewesen.

5. Am gleichen Tag erließ die Paritätische Schiedskommission für Wien den bekämpften Bescheid, mit dem der an die Paritätische Schiedskommission gerichtete Antrag, über den aufrechten Bestand des Vertragsverhältnisses durch Bescheid abzusprechen, sowie der Eventualantrag auf Feststellung, dass die mit Schreiben der WGKK vom 24.4.2013 mitgeteilte Auflösung des kurativen Einzelvertrages sowie der in § 2 Gesamtvertrag angeführten Krankenversicherungsträger unwirksam sei, abgewiesen wurde. Begründend führte die belangte Behörde dazu unter Zitierung der Literatur zu § 343 Abs. 2 Z 5 ASVG im Wesentlichen aus, dass das in dieser Bestimmung normierte grobe Verschulden jedenfalls mit Vorsatz begangene Straftaten umfasse und die vom Beschwerdeführer begangene Straftat eine solche darstelle. In weitere Folge führte sie (wohl für den Fall, dass sich diese Rechtsansicht als falsch herausstellen würde) aus, dass im Strafurteil keine Feststellung hinsichtlich des Verschuldensgrades getroffen worden sei und deshalb die Paritätische Schiedskommission eine eigenständige Beurteilung vorzunehmen habe, ob dem Beschwerdeführer ein schweres Verschulden im Sinne einer groben Fahrlässigkeit anzulasten sei. Der Versicherungsgemeinschaft sowie anderen Patienten gegenüber sei das Verhalten des Beschwerdeführers unentschuldbar gewesen. Er habe gewusst, dass es Grenzmengen gebe, dass zu hohe Verschreibungen Schäden verursachen können und dass es schon Drogentote gegeben habe. Er habe dies jedoch in Kauf genommen, weshalb sein Verhalten im Lichte einer Gesamtbetrachtung jedenfalls als schweres Verschulden im Sinne einer groben Fahrlässigkeit gewertet werden könne.

6. Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 23.12.2013 fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung und führte darin im Wesentlichen aus, dass es weder vom Gesetz noch von der Judikatur gedeckt sei, dass Vorsatztaten stets ein "grobes Verschulden" im Sinne des § 343 Abs. 2 Z 5 ASVG begründen. Eine "schwere" Schuld liege demnach nur dann vor, wenn Handlungsunwert und Gesinnungsunwert eine Unwerthöhe erreichen, die im Wege der Gesamtbewertung als auffallend und ungewöhnlich zu beurteilen sind. Im Hinblick auf die höhergradige Einschränkung des Beschwerdeführers sowohl in Bezug auf die Einsichts- als auch auf die Steuerungsfähigkeit im gesamten Tatzeitraum sei kein schweres Verschulden gegeben. Auch der Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer habe dies berücksichtigt und lediglich einen schriftlichen Verweis erteilt.

7. Mit Schreiben vom 17.1.2014 (eingelangt am 18.3.2014) legte die Paritätische Schiedskommission die nunmehr als Beschwerde zu qualifizierende Berufung dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG iVm § 437a ASVG ist die Zuständigkeit der Bundesschiedskommission (gemäß § 346 Abs. 1 ASVG) zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide der Paritätischen Schiedskommission, bei welcher das gegenständliche Verfahren mit Ablauf des 31. Dezember 2013 anhängig war, mit 1. Jänner 2014 auf das Bundesverwaltungsgericht übergegangen.

Gemäß § 347b ASVG hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch einen Senat zu erfolgen, der aus dem/der Senatsvorsitzenden und vier fachkundigen Laienrichtern/Laienrichterinnen besteht, wobei davon zwei Ärzte/Ärztinnen sind und zwei spezifische Kenntnisse auf dem Gebiet des Gesundheits- und des Sozialversicherungswesens haben müssen.

Zu Spruchpunkt A)

1. Der Entscheidung wird folgender Sachverhalt zu Grunde gelegt:

Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 17.10.2011 wegen des Vergehens des Handels mit psychotropen Stoffen in einer die Grenzmenge überschreitenden Menge nach § 31a Abs. 1, sechster Fall SMG rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten bedingt innerhalb einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.

Mildernd wurden die Unbescholtenheit, das Geständnis und die psychische Einschränkung des Beschwerdeführers, erschwerend der längere Tatzeitraum und das beinahe Erreichen der übergroßen Menge (Fünfzehnfache der Grenzmenge) gemäß § 31a Abs. 2 SMG gewertet.

2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und wird auch vom Beschwerdeführer nicht bestritten.

3. Rechtlich folgt daraus:

Gemäß § 343 Abs. 2 Z 5 ASVG erlischt das Vertragsverhältnis zwischen dem Vertragsarzt und dem Träger der Krankenversicherung im Falle einer im Zusammenhang mit der Ausübung des ärztlichen Berufes wegen groben Verschuldens strafgerichtlichen rechtskräftigen Verurteilung des Vertragsarztes.

§ 31a Abs. 1 SMG ist ein Vorsatzdelikt (§ 7 Abs. 1 StGB). Die vorsätzliche Begehung einer Straftat stellt im strafrechtlichen Sinn den höchsten Verschuldensgrad dar. Wenngleich dem Strafrecht der aus dem Zivilrecht stammende Begriff des "groben Verschuldens" fremd ist, ist darunter jedenfalls vorsätzliches Handeln (als höchste Verschuldensform) zu subsumieren (in diesem Sinne auch Kletter in Sonntag (Hrsg) ASVG 5. Auflage 2014 § 343 Rz34a).

Dass der Gesetzgeber mit der Normierung des Begriffes "grobes Verschulden" jedenfalls Vorsatzdelikte und grobe Fahrlässigkeitsdelikte iSd StGB erfassen wollte, ergibt sich auch aus der Abstufung der Erlöschenstatbestände des § 343 Abs. 2 Z 4 und 5 ASVG. Während er mit der Z 4 jede mit Vorsatz begangene Straftat, die mit einer Verurteilung zu einer mehr als einjährigen Haftstrafe geendet hat (Z 4 lit. a), und im Hinblick auf die besondere Bedeutung des Vertrauens der Versicherungsgemeinschaft in das Sachleistungssystems der Sozialversicherung - unabhängig vom Verschuldensgrad und der Höhe der Strafe - jede mit Bereicherungsabsicht begangene gerichtlich strafbare Handlung (Z 4 lit. b) erfasst, sollen gemäß der Z 5 sonstige Delikte offenbar nur dann zum Erlöschen des Vertragsverhältnisses führen, wenn diese mit der Ausübung der ärztlichen Tätigkeit in Zusammenhang stehen. Dabei ist es jedoch im Hinblick auf das hohe Risiko der Begehung einer fahrlässigen Straftat in Ausübung der ärztlichen Tätigkeit (fahrlässige Körperverletzung etc.) notwendig, die Rechtsfolge des Erlöschens des Vertragsverhältnisses nicht bereits bei jeder auch nur leicht fahrlässigen und gegenüber der Versicherungsgemeinschaft tolerierbaren Straftat, sondern nur bei grob fahrlässigem oder vorsätzlichem Handeln vorzusehen.

Damit ist klar, dass Gesetzgeber mit dem Begriff "grobes Verschulden" in § 343 Abs. 2 Z 5 ASVG jedes vorsätzliche und grob fahrlässiges Handeln - unabhängig von der im Einzelfall vorliegenden Schwere er Schuld - erfassen wollte.

Einer näheren Auseinandersetzung mit der Schwere der Schuld und der krankheitsbedingten Einschränkung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Beschwerdeführers bedarf es entgegen den Ausführungen in der Beschwerde und im bekämpften Bescheid im Hinblick auf das klar erkennbare Ziel des o.a. Erlöschenstatbestandes und der unstrittigen rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat in Ausübung der ärztlichen Tätigkeit nach Ansicht des erkennenden Senats nicht.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil eine mündliche Erörterung der Angelegenheit eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lassen hätte. Der Beschwerdeführer hatte bereits am 13.11.2013 die Möglichkeit, sein Vorbringen im Rahmen einer öffentlichen Verhandlung vorzutragen. Zudem wird der dem Erkenntnis zugrunde gelegte Sachverhalt vom Beschwerdeführer nicht bestritten. Der Sachverhalt war daher iSd § 24 Abs. 4 VwGVG entscheidungsreif und dem Entfall der Verhandlung stehen weder Art 6. Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 2010/1958, (vgl. VwGH 4.3.2008, Zl. 2005/05/0304) noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C83 vom 30.03.2010 S. 389 (vgl. VfGH 14.3.2012, U466/11, wonach die Judikatur zu Art. 6 EMRK auch zur Auslegung der Art. 47 GRC heranzuziehen ist) entgegen.

Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Soweit ersichtlich existiert zu der im gegenständlichen Fall wesentlichen Rechtsfrage, ob § 343 Abs. 2 Z 5 ASVG unabhängig von der Schwere der Schuld jedes vorsätzliche, mit einer rechtskräftigen Verurteilung endende Handeln in Ausübung der ärztlichen Tätigkeit erfasst, keine Rechtsprechung des VwGH.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

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