VfGH V77/2019

VfGHV77/201921.9.2020

Gesetzwidrigkeit der Verordnung eines Vorarlberger Bürgermeisters betreffend ein Fahrverbot auf der "Alten Landstraße" mangels Durchführung eines Ermittlungsverfahrens vor Verordnungserlassung

Normen

B-VG Art 18 Abs2
B-VG Art139 Abs1 Z6
B-VG Art148i
B-VG Art 148f
Vlbg Landesverfassung Art60 Abs2
StVO §43, §44 Abs1
FahrverbotsV des Bürgermeisters der Gemeinde Alberschwende vom 24.02.1976
VfGG §7 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2020:V77.2019

 

Spruch:

I. Die Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Alberschwende vom 24. Februar 1976, verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 27. Februar bis 29. Juli 1976, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Vorarlberger Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Vorarlberger Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z6 B‑VG iVm Art148i B‑VG sowie Art60 Abs2 Vorarlberger Landesverfassung gestützten Antrag begehrt der Landesvolksanwalt von Vorarlberg, die Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Alberschwende vom 24. Februar 1976, mit der für die Straße 4865/3 ("Alte Landstraße") von der Abzweigung der L 205 bis zur alten Lingenauer Brücke ein Fahrverbot, ausgenommen Anrainer, erlassen wurde, als gesetzwidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1. Die Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Alberschwende vom 24. Februar 1976, verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 27. Februar bis 29. Juli 1976, lautet:

"Verordnung

Gemäß §43 Abs1 Straßenverkehrsordnung 1960 in der Fassung der 5. StVO.-Novelle wird für die Straße Gp. 4865/3 (alte Landstraße) von der Abzweigung der Bundesstraße 205 bis zur alten Lingenauer Brücke ein Fahrverbot, ausgenommen Anrainer, erlassen."

2. §43 des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO 1960), BGBl 159/1960 idF BGBl I 77/2019, lautet – auszugsweise – wie folgt:

"§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.

 

(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung

 

a) […]

 

b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,

1. dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen,

2. den Straßenbenützern ein bestimmtes Verhalten vorzuschreiben, insbesondere bestimmte Gruppen von der Benützung einer Straße oder eines Straßenteiles auszuschließen oder sie auf besonders bezeichnete Straßenteile zu verweisen;

 

c) – d) […]

 

(1a) – (11) […]"

 

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Im Jahr 1976 wurde vom Bürgermeister der Gemeinde Alberschwende ein Fahrverbot für die Straße 4865/3 ("Alte Landstraße") von der Abzweigung der Landesstraße 205 bis zur alten Lingenauer Brücke erlassen. Anrainer sind vom Geltungsbereich dieser Verordnung ausgenommen. Im Rahmen der Verordnungserlassung wurden zwei Schranken errichtet, um das verordnete Fahrverbot sichtbar zu machen.

Im Jahr 2018 erfolgte eine Missstandsprüfung hinsichtlich der "Alten Landstraße" durch den Landesvolksanwalt von Vorarlberg. Die damalige Beschwerdeführerin bewohnt das Grundstück "Alter Bahnhof 248" in der Gemeinde Lingenau und betreibt auf diesem ein Unternehmen. Im Rahmen des Unternehmens der Beschwerdeführerin sind regelmäßige Zu- und Abfahrten von Gästen erforderlich. Der Beschwerdeführerin und den Gästen ihres Unternehmens wird die Benützung der "Alten Landstraße" von Seiten der Gemeinde Alberschwende jedoch mit der Begründung verwehrt, dass sie nicht vom Anrainerbegriff erfasst und daher nicht vom verordneten Fahrverbot ausgenommen seien. Die Gemeinde Alberschwende bot der Beschwerdeführerin an, sie könne sich in sehr dringenden Fällen oder aus Anlass von Veranstaltungen, die sie im Rahmen ihres Unternehmens durchführe, an die Gemeinde Alberschwende beziehungsweise an berechtigte Anrainer wenden, um einen Schlüssel für die Schranken zu erlangen oder um die Öffnung der Schranken zu erbitten.

Der Landesvolksanwalt von Vorarlberg forderte die Gemeinde Alberschwende im Zuge des Missstandsprüfungsverfahrens mehrfach auf, den auf das in Rede stehende Fahrverbot Bezug habenden Verordnungsakt zu übermitteln. Die Gemeinde Alberschwende legte jedoch lediglich die Verordnung mit einer kurzen Stellungnahme vor.

2. Der Landesvolksanwalt von Vorarlberg legt seine Bedenken wie folgt dar:

Im Hinblick auf die Mitwirkungspflicht der Gemeinde im Prüfungsverfahren (§4 Abs2 Gesetz über den Landesvolksanwalt) sei mangels Vorlage des Bezug habenden Verordnungsaktes davon auszugehen, dass keine entsprechenden Unterlagen existierten. Nach Ansicht des antragstellenden Landesvolksanwaltes sei daraus zu schließen, dass vor Erlassung der angefochtenen Verordnung kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren zur Prüfung der Erforderlichkeit im Sinne des §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 stattgefunden habe.

Die angefochtene Verordnung widerspreche ferner dem Gleichheitsgrundsatz, weil die Interessen der vor dem Landesvolksanwalt von Vorarlberg beschwerdeführenden Partei nicht im selben Maß Berücksichtigung gefunden hätten wie jene der vom Fahrverbot ausgenommenen Anrainer.

3. Die verordnungserlassende Behörde hat eine Äußerung erstattet, in der sie zunächst Folgendes zum Sachverhalt ausführt:

"Nachdem im Jahr 1969 die 'Lingenauer Hochbrücke' errichtet wurde, wurde die 'Alte Landstraße', die Alberschwende/Müselbach mit Lingenau verband, weitgehend obsolet. Ab diesem Zeitpunkt wurde die Straße nur noch von den unmittelbaren Anrainern der angrenzenden Grundstücke und von den Pächtern der dortigen Jagd benützt.

Anlassfall für den gegenständlichen Antrag des Landesvolksanwalts von Vorarlberg war eine Beschwerde der [Beschwerdeführerin], die den Alten Bahnhof 248 in Lingenau, welcher unmittelbar an der Bregenzer Ache liegt, bewohnt und dort mit ihrem Ehegatten das Unternehmen […] GmbH betreibt. Wie im Antrag vorgebracht wird, befindet sich das Wohnobjekt der Beschwerdeführerin und das Unternehmen auf Gemeindegebiet von Lingenau. Der Alte Bahnhof 248 in Lingenau ist von der Landesstraße (L 205) über die 'Alte Landstraße', soweit diese über das Gemeindegebiet von Lingenau führt, erreichbar. Dies ist seit eh und je der Fall. Dementsprechend haben auch weder die Beschwerdeführerin, noch Gäste und Nutzer des Unternehmens […] GmbH eine andere Straßenverbindung zum öffentlichen Wegenetz beansprucht, als die eben [b]eschriebene über das Gemeindegebiet von Lingenau.

Lediglich[…] als es im Jahr 2018 zu einer baustellenbedingten Sperre der 'Alten Landstraße' auf dem Gemeindegebiet von Lingenau kam, wurde ausnahmsweise die Möglichkeit geschaffen, dass die Beschwerdeführerin und vereinzelt auch Gäste des Unternehmens […] GmbH zunächst vom Alten Bahnhof 248 in Li[n]genau aus flussabwärts zur alten Brücke der 'Alten Landstraße' hin fuhren, die Brücke überquerten und von dort nun auf Gemeindegebiet von Alberschwende die 'Alte Landstraße' ausnahmsweise benutzten, um eben zur L 205 (Lingenauerstraße) zu gelangen. Bevor [die Beschwerdeführerin] und das Unternehmen […] GmbH im Alten Bahnhof Lingenau ansässig waren, wurde die 'Alte Landstraße' auf dem Gemeindegebiet von Alberschwende lediglich von den eingangs beschrieben Personen (Eigentümer bzw Pächter der anliegenden landwirtschaftlichen Grundstücke zum Zwecke der Bewirtschaftung ihrer Grundstücke und Jägerschaft zur Bewirtschaftung der dortigen Jagd) benützt.

Ca im Jahr 1985 wurde im Bereich der Einmündung der 'Alten Landstraße' in die L 205 eine Schranke errichtet, sodass fortan auch faktisch eine Benützung der 'Alten Landstraße' lediglich noch den Berechtigten möglich war, die einen Schlüssel für die Schrankenanlage erhielten.

Der Beschwerdeführerin wurde für die Dauer der oben beschriebenen Sperre der 'Alten Landstraße' auf dem Gemeindegebiet von Lingenau ein Schlüssel von einer anderen berechtigten Person zur Verfügung gestellt, woraufhin die Beschwerdeführerin jedoch trotz mehrfacher Aufforderungen nicht bereit war, den Schlüssel wieder zurückzugeben.

Die Behauptungen in der gegenständlichen Antragsschrift, wonach die Antragsgegnerin der Beschwerdeführerin für einen längeren Zeitraum einen Schlüssel zur Verfügung gestellt hätte, ist schlichtweg falsch.

Richtig ist vielmehr, dass seit Errichtung der Lingenauer Hochbrücke, sohin seit Verlegung der Straße von der Trasse der 'Alten Landstraße' auf die Lingenauer Hochbrücke der Gemeingebrauch nicht mehr vorlag, was mittels Verordnung des damaligen Bürgermeisters der Gemeinde Alberschwende festgehalten wurde. Tatsächlich ist jedoch der Gemeingebrauch seit 1969 nicht mehr existent. Spätestens 1985, als die Schranke errichtet wurde, wurde auch die faktische Benützung der Straße (mit Ausnahme von Berechtigten) endgültig untersagt, was bis zuletzt auch allseits unbeanstandet blieb.

Auch die Beschwerdeführerin hat über mehrere Jahre hinweg, auch nach ihrer eigenen Darstellung jedenfalls über mehr als 3 Jahre hinweg, nichts gegen die Verweigerung der Benützung der 'Alten Landstraße' auf dem Gemeindegebiet von Alberschwende unternommen, sodass die Gemeinde Alberschwende diesbezüglich die Freiheit in analoger Anwendung des §1488 ABGB ersessen hat, dies zumindest hinsichtlich der Benützung mit zweispurigen Fahrzeugen aller Art, mit Ausnahme der Berechtigten."

Den Bedenken des antragstellenden Landesvolksanwaltes von Vorarlberg hält die verordnungserlassende Behörde Folgendes entgegen:

Die verordnungserlassende Behörde teilt zunächst mit, dass im Gemeindeamt keine auf die angefochtene Verordnung Bezug habenden schriftlichen Unterlagen auffindbar seien. Gespräche mit "Zeitzeugen" hätten jedoch ergeben, dass für alle Beteiligten mit der Errichtung der Lingenauer Hochbrücke und der damit einhergehenden Straßenverlegung im Jahr 1969 der Gemeingebrauch an der "Alten Landstraße" obsolet geworden sei, weil die Benützung der Wegeanlage schon ab diesem Zeitpunkt nur noch ausgewählten berechtigten Personen zu explizit vorgesehenen Zwecken (landwirtschaftliche Nutzung der Grundstücke, Bewirtschaftung der Jagd) sowie Radfahrern und Fußgängern offen gestanden sei. Es habe daher keines weiteren Ermittlungsverfahrens bedurft, die Erlassung der angefochtenen Verordnung im Jahr 1976 sei ausschließlich zu Zwecken der Klarstellung erfolgt. Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass es zu diesem Thema bereits Ermittlungen im Rahmen der Verfahren, die zur Errichtung der Lingenauer Hochbrücke und zur Verlegung der "Alten Landstraße" geführt hätten, gegeben habe.

Eine Verletzung der vor dem Landesvolksanwalt von Vorarlberg beschwerdeführenden Partei in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten könne aber im Hinblick darauf, dass die Wegeanlage bereits seit dem Jahr 1969 faktisch dem Gemeingebrauch entzogen sei, selbst dann, wenn die angefochtene Verordnung nicht rechtswirksam erlassen worden wäre – was jedoch von der verordnungserlassenden Behörde ausdrücklich bestritten werde –, nicht vorliegen.

4. Die Vorarlberger Landesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der zunächst bestätigt wird, dass über das im Zuge der Verordnungserlassung durchgeführte Ermittlungsverfahren keine Unterlagen mehr vorhanden seien.

Im Folgenden führt die Vorarlberger Landesregierung unter Hinweis auf §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 aus, dass das Fahrverbot auf Grund der dadurch bewirkten Einschränkung der Benutzung der "Alten Landstraße" nach wie vor erforderlich sei, um die Erhaltungskosten der betroffenen Straße für die Gemeinde Alberschwende möglichst gering zu halten. Das Fahrverbot erscheine vor dem Hintergrund, dass mit der Eröffnung der Lingenauer Hochbrücke und der damit verbundenen geänderten Führung der Landesstraße der alte Straßenverlauf nicht mehr für den Verkehr zwischen den Gemeinden Alberschwende und Lingenau benötigt worden sei, jedenfalls auch gerechtfertigt und verhältnismäßig.

Entgegen den Ausführungen des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg bedeute das Fahrverbot auch keinen unverhältnismäßigen Nachteil für die im Verfahren vor dem Landesvolksanwalt beschwerdeführenden Partei, weil diese über eine gesicherte Zufahrt über den auf dem Gemeindegebiet von Lingenau liegenden Teil der "Alten Landstraße" verfüge.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Gemäß Art139 Abs1 Z6 B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof auf Antrag einer Einrichtung gemäß Art148i Abs2 B‑VG über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen einer Landesbehörde. Gemäß Art148i Abs2 B‑VG kann durch Landesverfassungsgesetz eine dem Art148f B‑VG entsprechende Regelung geschaffen werden, wenn die Länder für den Bereich der Landesverwaltung Einrichtungen mit gleichartigen Aufgaben wie die Volksanwaltschaft schaffen. Gemäß Art60 Abs2 Vorarlberger Landesverfassung erkennt der Verfassungsgerichtshof auf Antrag des Landesvolksanwalts über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen, die im Bereich der Verwaltung des Landes ergangen sind.

1.2. Die Legitimation des Landesvolksanwaltes von Vorarlberg zur Antragstellung ist somit gegeben. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, ist der Antrag zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

Der Antrag ist begründet.

2.2. Der Landesvolksanwalt von Vorarlberg äußert zunächst Bedenken, dass die angefochtene Verordnung mangels Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens zur Prüfung der Erforderlichkeit im Sinne des §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 gesetzwidrig sei.

2.3. §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 sieht die Erlassung dauernder oder vorübergehender Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung vor, wenn und soweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert.

2.4. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hat die Behörde vor Erlassung einer verkehrsbeschränkenden Verordnung die im Einzelnen umschriebenen Interessen an der Verkehrsbeschränkung mit dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße abzuwägen und dabei die (tatsächliche) Bedeutung des Straßenzuges zu berücksichtigen (vgl zB VfSlg 8086/1977, 9089/1981, 12.944/1991, 13.449/1993, 13.482/1993). Die sohin gebotene Interessenabwägung erfordert sowohl die nähere sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, als auch eine Untersuchung der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrserfordernisse durch ein entsprechendes Anhö-rungs- und Ermittlungsverfahren (vgl zB VfSlg 12.485/1990, 16.805/2003, 17.572/2005). Die Gefahrensituation muss sich für die betreffende Straße deutlich von der allgemeinen, für den Straßenverkehr typischen Gefahrenlage unterscheiden (vgl zB VfSlg 14.000/1994). Wie der Verfassungsgerichtshof in den Erkenntnissen VfSlg 8984/1980 und 9721/1983 ausführte und in zahlreichen nachfolgenden Erkenntnissen wiederholte (vgl VfSlg 13.371/1993, 14.051/1995, 15.643/1999, 16.016/2000, 16.805/2003, 17.572/2005), sind bei der Prüfung der Erforderlichkeit einer Verordnung nach §43 StVO 1960 die bei der bestimmten Straße oder Straßenstrecke, für die die Verordnung erlassen werden soll, anzutreffenden, für den spezifischen Inhalt der betreffenden Verordnung relevanten Umstände mit jenen Umständen zu vergleichen, die für eine nicht unbedeutende Anzahl anderer Straßen zutreffen. Der Verfassungsgerichtshof geht somit in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Behörde bei Anwendung der vom Gesetzgeber mit unbestimmten Begriffen umschriebenen Voraussetzungen für die Erlassung von Verkehrsbeschränkungen oder -verboten durch Verordnung einen Vergleich der Verkehrs- und Umweltverhältnisse anzustellen hat: Die betreffenden Verhältnisse an den Straßenstrecken, für welche beispielsweise ein Halte- und Parkverbot in Betracht gezogen wird, müssen derart beschaffen sein, dass sie gegenüber anderen Straßen die Verhängung eines Halte- und Parkverbotes gebieten.

2.5. Das Ermittlungsverfahren dient dem Zweck, eine Untersuchung der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrsverhältnisse sowie eine sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die Verkehrsbeschränkung schützen soll, zu ermöglichen, damit die Behörde auf dieser Grundlage die gemäß §43 StVO 1960 vor Verordnungserlassung gebotene Interessenabwägung zwischen den Interessen an der Verkehrsbeschränkung und dem Interesse an der ungehinderten Benützung der Straße vornehmen kann.

2.5.1. Dem Verfassungsgerichtshof ist es angesichts der Mitteilung durch die verordnungserlassende Behörde, dass kein Verordnungsakt existiere, nicht möglich festzustellen, ob die verordnungserlassende Behörde ein für die Erlassung der angefochtenen Verordnung gebotenes Ermittlungsverfahren durchgeführt hat, in dem die Erforderlichkeit der vorliegenden Verordnung festgestellt wurde.

Die verordnungserlassende Behörde erklärt in ihrer Äußerung, dass es im Rahmen der Verfahren, die zur Errichtung der Lingenauer Hochbrücke und zur Verlegung der "Alten Landstraße" geführt hätten, Ermittlungen (auch) zu der Frage des obsolet gewordenen Gemeingebrauchs an der "Alten Landstraße" gegeben hätte. Aus diesem – nicht näher ausgeführten Hinweis – lässt sich nicht schließen, dass vor Erlassung der angefochtenen Verordnung eine Untersuchung der Verkehrsbeziehungen und der Verkehrsverhältnisse sowie eine sachverhaltsmäßige Klärung der Gefahren oder Belästigungen für Bevölkerung und Umwelt, vor denen die angefochtene Verkehrsbeschränkung schützen soll, stattgefunden hätte, auf deren Grundlage die verordnungserlassende Behörde die gemäß §43 StVO 1960 vor Verordnungserlassung gebotene Interessenabwägung vornehmen hätte können.

Die Ausführungen der verordnungserlassenden Behörde im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof lassen vielmehr den Schluss zu, dass ein den Anforderungen des §43 StVO 1960 entsprechendes Ermittlungsverfahren nicht stattgefunden hat: Die verordnungserlassende Behörde legt in ihrer Äußerung lediglich dar, dass der Gemeingebrauch an der "Alten Landstraße" mit der Errichtung der Lingenauer Hochbrücke und der damit einhergehenden Straßenverlegung obsolet geworden sei, es daher keines "weiteren" Ermittlungsverfahrens bedurft habe, um den Gemeingebrauch per Verordnung auszuschließen, und dass "[d]ie Erlassung der Verordnung im Jahr 1976 ausschließlich zu Zwecken der Klarstellung" erfolgt sei.

2.5.2. Die Ausführungen der Vorarlberger Landesregierung zur Erforderlichkeit der angefochtenen Verordnung gehen im Hinblick darauf, dass das versäumte Ermittlungsverfahren nicht nach Verordnungserlassung nachgeholt werden kann (VfSlg 15.643/1999, 16.805/2003, 17.573/2005), ins Leere.

2.6. Die angefochtene Verordnung ist daher gesetzwidrig, weil die verordnungserlassende Behörde vor Erlassung der Verordnung kein Ermittlungsverfahren zur Feststellung der Erforderlichkeit im Sinne des §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 durchgeführt hat. Da die angefochtene Verordnung schon aus diesem Grund als gesetzwidrig aufzuheben ist, erübrigt sich ein Eingehen auf weitere Bedenken des antragstellenden Landesvolksanwaltes von Vorarlberg.

V. Ergebnis

1. Die Verordnung des Bürgermeisters der Gemeinde Alberschwende vom 24. Februar 1976, verlautbart durch Anschlag an der Amtstafel vom 27. Februar bis 29. Juli 1976, ist daher als gesetzwidrig aufzuheben, weil vor deren Erlassung kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren im Sinne des §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 durchgeführt wurde.

2. Die Verpflichtung der Vorarlberger Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B‑VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 litf des Vorarlberger Gesetzes über die Kundmachung von Rechtsvorschriften der Organe des Landes (Kundmachungsgesetz).

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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