Normen
B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
ABGB §1352
EMRK 1. ZP Art1
StGG Art5
VfGG §7 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2019:G207.2018
Spruch:
Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller,
"[d]ie gesetzliche Bestimmung des §1352 ABGB, JSG 946/1811: 'Wer sich für eine Person verbürgt, die sich vermöge ihrer persönlichen Eigenschaften nicht verbinden kann, ist, obschon ihm diese Eigenschaft unbekannt war, gleich einem ungeteilten Mitschuldner verpflichtet' (§896 ABGB) gemäß Artikel 140 Abs3 B‑VG iVm §64 Abs1 VfGG als verfassungswidrig aufzuheben".
II. Rechtslage
Der angefochtene §1352 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie, JGS 946/1811, lautet wörtlich:
"Wer sich für eine Person verbürgt, die sich vermöge ihrer persönlichen Eigenschaft nicht verbinden kann, ist, obschon ihm diese Eigenschaft unbekannt war, gleich einem ungetheilten Mitschuldner verpflichtet (§. 896)."
III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem zivilgerichtlichen Verfahren, das den Anlass für den vorliegenden Parteiantrag bildet, liegen mehrere Verträge zugrunde, die im Zusammenhang mit einem von dem Antragsteller im verfassungsgerichtlichen Verfahren entwickelten Sanierungskonzept zur Umschuldung eines Ehepaares abgeschlossen wurden:
1.1. So sollte insbesondere ein im Eigentum der Ehegattin stehender Rohdachboden an die ***** ***************** GmbH (nunmehr ********** ** *********** GmbH, in der Folge: "GmbH") übertragen und nach dem Ausbau verwertet werden. Der Antragsteller war zu diesem Zeitpunkt Geschäftsführer der GmbH.
1.2. Am 29. Juni 2012 unterzeichneten die Ehegattin als Verkäuferin und die GmbH als Käuferin einen Kaufvertrag über den Dachboden. Die Ehegattin nahm bei der Raiffeisenbank Region Waldviertel Mitte eGen. einen Kredit auf.
Darüber hinaus wurde zwischen derselben Bank als Kreditgeberin und der GmbH als Kreditnehmerin ein Kontokorrentkreditvertrag abgeschlossen. Der Antragsteller sowie die beiden Eheleute übernahmen jeweils die Haftung als Bürge und Zahler. Zur Besicherung unterzeichneten die GmbH als Akzeptantin, die Eheleute und der Antragsteller als Bürgen für die Akzeptantin einen Blankowechsel, welcher der Bank übergeben wurde.
2. Mit rechtskräftigem Urteil vom 19. September 2016 erklärte das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien den Kaufvertrag zwischen der Ehegattin und der GmbH wegen Geschäftsunfähigkeit der Ehegattin im Zeitpunkt der Unterzeichnung des Kaufvertrages für ungültig.
3. Nachdem die GmbH einer Aufforderung der Bank zur Rückzahlung fälliger Beträge aus dem Kontokorrentkreditvertrag nicht nachgekommen war, vervollständigte die Bank den ihr übergebenen Blankowechsel und beantragte beim Handelsgericht Wien mit Wechselmandatsklage die Erlassung eines Wechselzahlungsauftrages gegenüber der GmbH, dem Antragsteller und dem Ehegatten. Am 10. November 2016 erließ das Handelsgericht Wien den Wechselzahlungsauftrag antragsgemäß, wogegen die Beklagten fristgerecht näher begründete Einwendungen erhoben.
4. Mit Urteil vom 1. Februar 2018 hielt das Handelsgericht Wien den Wechselzahlungsauftrag vom 10. November 2016 aufrecht, stellte fest, dass die vom Antragsteller eingewendete Gegenforderung bis zur Höhe der Klagsforderung nicht zu Recht bestehe und verpflichtete den Antragsteller zur Bezahlung der Wechselforderung und der Prozesskosten zur ungeteilten Hand mit dem Ehegatten und der GmbH. Begründend führte das Handelsgericht Wien unter anderem aus, dass die Unwirksamkeit des Kaufvertrages wegen Geschäftsunfähigkeit der Verkäuferin keine Auswirkungen auf die Haftung des Antragstellers habe. Nach §1352 ABGB werde der Grundsatz der Akzessorietät der Bürgschaft bei Verbürgung zu Gunsten von Personen, die sich vermöge ihrer persönlichen Eigenschaften nicht verbinden könnten, durchbrochen.
5. Gegen dieses Urteil erhob der Antragsteller Berufung und stellte aus Anlass dieses Rechtsmittels unter einem den vorliegenden auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Gesetzesprüfungsantrag. Darin legt der Antragsteller seine Bedenken wie folgt dar:
5.1. Folge man den Ausführungen des Erstgerichtes, so führe die Geschäftsunfähigkeit der Ehegattin zwar zur Aufhebung des Kaufvertrages, der Grundlage für den Bürgschaftsvertrag sei, nicht jedoch zur Unwirksamkeit der Bürgschaft. Dies sei nicht überzeugend. Bei richtiger Auslegung des §1352 ABGB sei davon auszugehen, dass alle Verträge aufzuheben seien. Das Prinzip der Akzessorietät könne hier nicht greifen, zumal die Haftung als Bürge und Zahler nur zwischen der GmbH und dem Antragsteller bestehe. Nach dem Wortlaut sei §1352 ABGB nur auf Fälle anzuwenden, in denen der Hauptschuldner geschäftsunfähig sei, was auf die Ehegattin zutreffe, nicht aber die GmbH.
5.2. Die Bestimmung des §1352 ABGB, insbesondere die Wendung "obschon ihm diese Eigenschaft unbekannt war", sei "hoch problematisch" und werde in der Lehre kritisiert. Die Bestimmung greife – bei Bejahung der Anwendbarkeit auf den vorliegenden Fall – gravierend in das Eigentumsrecht des Bürgen ein, zumal dieser trotz unverschuldeter Unkenntnis von der Geschäftsunfähigkeit zahlungspflichtig werde. Im schlimmsten Fall stehe ihm nicht einmal ein Regressanspruch zu. Dies führe zu einer ungerechtfertigten Verschiebung des Nachteiles zu Lasten des Bürgen und zu Gunsten des Gläubigers.
5.3. Aus den Feststellungen könne abgeleitet werden, dass ein Treuhandverhältnis vorgelegen sei. So sei festgestellt worden, dass die GmbH einen pauschalen Gewinn in Höhe von € 150.000,– haben und ein darüber hinausgehender Gewinn der Ehegattin zufließen solle. Dies deute in Richtung einer Treuhandschaft. Das zeige auch die Vereinbarung, dass die Ehegattin entscheiden könne, welches Bauunternehmen beauftragt werde.
5.4. Bliebe §1352 ABGB in Geltung, so führe dies zu einer massiven Beeinträchtigung nicht nur der persönlichen, sondern auch der Vermögensverhältnisse des Bürgen. Kein Bürge würde, wenn ihm die Eigenschaft der Geschäftsunfähigkeit bekannt sei, eine solche Bürgschaft eingehen. Aus diesen Gründen scheine die Bestimmung des §1352 ABGB "reparaturwürdig", allenfalls solle sie zur Gänze außer Kraft treten.
5.5. Die Bestimmung verstoße auch gegen Art7 B‑VG: Wenn eine Person über die persönlichen Eigenschaften eines Vertragspartners Bescheid wisse, sei der Dispositionsbereich jedenfalls gegeben, zumal man stets das wirtschaftliche Risiko abschätzen könne. §1352 ABGB verstoße insofern gegen den Gleichheitsgrundsatz: Es werde derjenige, der von der Geschäftsunfähigkeit bzw beschränkten Geschäftsfähigkeit nicht gewusst habe, wesentlich nachteiliger behandelt als jemand, der davon Kenntnis gehabt habe. An gleiche Sachverhalte müssten aber gleiche Rechtsfolgen geknüpft werden.
5.6. Sollte die Regelung gleichheitskonform sein, so werde durch die von der Rechtsprechung bewirkte Auslegung eine Gleichheitswidrigkeit herbeigeführt. Wenn eine Gesetzesbestimmung eine derart gleichheitswidrige Auslegung zulasse, sei sie als zu unkonkret und damit verfassungswidrig aufzuheben. Die Interessenlage zwischen Gläubiger, Schuldner und Bürgen bedürfe einer Klarstellung, zumal bei der vorgenommenen Auslegung eine ungerechtfertigte Verschiebung des Nachteiles zu Lasten des Bürgen erfolge, was nicht verfassungskonform sei. Vor diesem Hintergrund sei davon auszugehen, dass §1352 ABGB nicht verfassungskonform oder nicht verfassungskonform ausgelegt worden sei.
5.7. Es liege auch ein Verstoß gegen Art2 und Art3 StGG sowie eine Verletzung von Art14 EMRK iVm Art1 1. ZPEMRK vor. Die vom Gericht vorgenommene Auslegung sei verfassungswidrig und diskriminiere den Antragsteller, weil vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich behandelt würden. Es liege ein massiver Eingriff in das Recht auf Eigentum vor. Ebenfalls liege ein Verstoß gegen das 12. ZPEMRK vor.
5.8. Darüber hinaus liege auch ein Verstoß gegen §7 ABGB vor, wonach nach Ausschöpfung der Auslegungsmethoden auf die natürlichen Rechtsgrundsätze bzw "Richterrecht" zurückzugreifen sei. Es habe keine gesetzliche Grundlage bestanden, den vorliegenden Fall zu Lasten des Antragstellers zu entscheiden. Könne ein Fall nicht einmal mit Richterrecht gelöst werden, sei davon auszugehen, dass die gesetzliche Grundlage verfassungswidrig sei, weil sie zu wenig konkretisiert sei. Richtigerweise seien ungleiche Sachverhalte ungleich zu behandeln, was dazu führe, dass §1352 ABGB nicht zu Lasten des Antragstellers hätte ausgelegt werden dürfen. Dies hätte dazu führen müssen, dass nicht nur der Kaufvertrag, sondern auch der Bürgschaftsvertrag als nichtig einzustufen seien. Das vom Erstgericht angenommene Ergebnis entspreche nicht der Intention des von den Parteien vereinbarten Sanierungskonzeptes.
6. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie die Zulässigkeit des Antrages bestreitet und den erhobenen Bedenken wie folgt entgegentritt:
6.1. Der Antrag ist aus Sicht der Bundesregierung aus den folgenden Gründen unzulässig:
6.1.1. Zunächst mangle es am Erfordernis der Präjudizialität. Gegenstand des Anlassverfahrens sei der zur Besicherung des Kontokorrentkredites zwischen der Bank und der GmbH ausgestellte Wechsel. Weder an diesem Wechsel noch an dem dadurch besicherten Kreditverhältnis sei eine geschäftsunfähige oder beschränkt geschäftsfähige Person als Hauptschuldner beteiligt gewesen. Die geschäftsunfähige Ehegattin habe in diesem Vertragsverhältnis lediglich die Stellung einer Bürgin, sei allerdings im Anlassverfahren als solche nicht belangt worden. Zudem sei der Kaufvertrag nicht Gegenstand des Anlassverfahrens. Der Kaufvertrag dürfte zwar den wirtschaftlichen Hintergrund für den Kontokorrentkreditvertrag gebildet haben, es bestünden jedoch keine Anhaltspunkte für eine rechtliche Verknüpfung (im Sinne einer wechselseitigen Bedingtheit) der verschiedenen im Rahmen des Sanierungskonzeptes abgeschlossenen Verträge.
§1352 ABGB regle die Stellung des Bürgen für den Fall, dass der Hauptschuldner geschäftsunfähig sei. Eine Anwendung dieser Bestimmung im Anlassverfahren sei denkunmöglich, weil diese Konstellation hier nicht vorliege. Hauptschuldnerin des Kontokorrentkreditvertrages sei nämlich die GmbH und nicht die geschäftsunfähige Ehegattin.
§1352 ABGB bilde somit keine Rechtsgrundlage des Urteilsspruches im Anlassverfahren. Das Handelsgericht Wien habe sich lediglich auf Grund der Einwendungen der Beklagten gegen den Wechselzahlungsauftrag mit der Frage auseinanderzusetzen gehabt, welche Bedeutung die Aufhebung des Kaufvertrages für die Haftung der GmbH als Kreditnehmerin und des Antragstellers sowie des Ehegattens als Kreditbürgen des Kontokorrentkreditvertrags habe. Diese Rechtsfrage sei – ungeachtet des Ergebnisses – nicht anders zu lösen, wenn §1352 ABGB nicht Teil der Rechtsordnung wäre. Die Bestimmung könne nur herangezogen werden, wenn der Hauptschuldner geschäftsunfähig sei, was aber im Anlassverfahren gerade nicht der Fall gewesen sei.
Dass das Gericht in der Begründung dennoch auf §1352 ABGB und die sich daraus ergebende Durchbrechung der Akzessorietät einer Bürgschaft Bezug nehme, bedeute nicht, dass diese Bestimmung als Rechtsgrundlage für die Entscheidung herangezogen worden sei. Dieser Teil der Begründung sei vielmehr vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Beklagten im Verfahren zahlreiche Einwendungen aus dem Grundgeschäft – dem Kontokorrentkreditvertrag – erhoben hätten. Das Gericht habe jedoch sämtliche aus dem Grundgeschäft erhobene Einwände verworfen. Auf Grundlage des festgestellten Sachverhaltes bestünden keine Anhaltspunkte, dass §1352 ABGB angewendet worden sei. Der Antrag sei daher mangels Präjudizialität der angefochtenen Bestimmung unzulässig.
6.1.2. Auch das Anfechtungsbegehren sei unzulässig. Es sei nicht klar erkennbar, ob der Antragsteller die Aufhebung des §1352 ABGB zur Gänze, also einschließlich der Paragraphenbezeichnung "§1352." am Beginn und des Klammerausdrucks "(§. 896)." am Ende der Bestimmung, oder nur im Umfang des im Antrag unter Anführungszeichen und kursiv gesetzten Textes begehre. Ergänzend sei zu bemerken, dass sowohl der im Antrag unter Anführungszeichen und kursiv gesetzte Text als auch der Klammerausdruck vom Wortlaut des §1352 ABGB abweiche ("ungeteilt" statt "ungetheilt"; "(§896 ABGB)" statt "(§. 896).").
6.1.3. Auch liege kein zulässiger Prüfungsgegenstand vor. Der Antragsteller bringe wiederholt vor, dass §1352 ABGB im Anlassfall vom Gericht verfassungswidrig ausgelegt worden sei. Mit diesem Bedenken mache der Antragsteller lediglich Vollzugsmängel, nicht aber die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung geltend. Die Überprüfung der Anwendung gesetzlicher Bestimmungen durch die Gerichte falle jedoch nicht in die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes.
6.2. Zur anwendbaren Rechtslage führt die Bundesregierung aus, dass es sich bei der Bürgschaft um ein Rechtsinstrument des Privatrechtes handle, das der Absicherung von Forderungen diene.
6.2.1. Ein Bürgschaftsvertrag sei ein Vertrag zwischen dem Gläubiger und einer vom Schuldner verschiedenen Person (dem Bürgen), in dem sich der Bürge zur Befriedigung des Gläubigers für den Fall verpflichte, dass der Schuldner seine Verbindlichkeit nicht erfülle. Der Schuldner bleibe jedoch Hauptschuldner und der Bürge komme nur als Nachschuldner hinzu (§1346 Abs1 ABGB). Damit werde im Wesentlichen das Ausfallsrisiko für die Einbringlichkeit der Forderung vom Gläubiger auf den Bürgen überwälzt.
6.2.2. Umfang und Wirkungen der Bürgschaft seien in den §§1346 ff. ABGB gesetzlich geregelt. Für einen gültigen Bürgschaftsvertrag bedürfe es einer schriftlichen Verpflichtungserklärung des Bürgen (§1346 Abs2 ABGB). Gemäß §1355 ABGB könne der Bürge in der Regel erst dann belangt werden, wenn der Hauptschuldner eine vom Gläubiger eingemahnte Verbindlichkeit nicht erfüllt habe. Wer sich hingegen als Bürge und Zahler verpflichte, hafte gemäß §1357 ABGB als ungeteilter Mitschuldner für die ganze Schuld und es obliege dem freien Willen ("der Willkühr") des Gläubigers, ob er zuerst den Hauptschuldner, den Bürgen oder beide zugleich belange. §1358 ABGB ordne an, dass derjenige, der im Rahmen einer Bürgschaft eine fremde Schuld bezahle, in die Rechte des Gläubigers eintrete und von dem Schuldner den Ersatz der bezahlten Schuld fordern könne.
6.2.3. Da die Bürgschaft die Einbringlichkeit der Hauptforderung sichern solle, sei sie grundsätzlich akzessorisch, also von der Existenz dieser Forderung abhängig. Verbindlichkeiten, welche nie zu Recht bestanden hätten oder schon aufgehoben seien, könnten weder übernommen noch bekräftigt werden (§1351 ABGB).
6.2.4. Der angefochtene §1352 ABGB enthalte eine Ausnahme von der Akzessorietät der Bürgschaft und lege fest, dass jemand, der sich für eine Person verbürge, die sich vermöge ihrer persönlichen Eigenschaft nicht verbinden könne, obschon ihm diese Eigenschaft unbekannt gewesen sei, gleich einem ungeteilten Mitschuldner (§896 ABGB) verpflichtet sei. §1352 ABGB gelte bei Geschäftsunfähigkeit bzw nur beschränkter Geschäftsfähigkeit des Hauptschuldners. Der Bürge hafte somit auch dann im Ausmaß des gesamten Betrages und ohne Regressrecht nach §1358 ABGB, wenn die Hauptschuld mangels Geschäftsfähigkeit des Hauptschuldners nicht wirksam zu Stande komme, unabhängig davon, ob ihm dieser Umstand bekannt gewesen sei oder nicht. Infolge des Ausfalles des geschäftsunfähigen (oder beschränkt geschäftsfähigen) Hauptschuldners habe er im Ergebnis die Stellung eines Alleinschuldners. Auch in diesem Fall werde somit das Risiko des Gläubigers, der den Hauptschuldner nicht belangen könne, vom Bürgen getragen.
6.3. In der Sache ist die Bundesregierung der Ansicht, dass die behauptete Verfassungswidrigkeit des §1352 ABGB nicht vorliegt:
6.3.1. Der Antragsteller mache gegen die in §1352 ABGB vorgesehene Durchbrechung der Akzessorietät bei der Bürgschaft zu Gunsten einer geschäftsunfähigen Person Sachlichkeitsbedenken geltend. Dabei übergehe er jedoch, dass der Zweck der Bürgschaft gerade darin liege, dass der Bürge anstelle des Gläubigers das Risiko der Uneinbringlichkeit der Forderung trage. Auch außerhalb des Anwendungsbereiches des §1352 ABGB laufe der Bürge Gefahr, die Verpflichtung ohne Rückersatzmöglichkeit erfüllen zu müssen: Im Fall der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners müsse der Bürge an den Gläubiger leisten. Sein theoretisch bestehender Regressanspruch werde aber wegen der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners faktisch ins Leere gehen, sodass der Bürge die Zahlungslast trage, während der Gläubiger voll befriedigt werde. Diese Risikoverteilung entspreche dem Wesen der Bürgschaft.
6.3.2. Mit §1352 ABGB werde diese der Bürgschaft immanente Risikoverteilung lediglich auf einen Sonderfall ausgedehnt. Auch dann, wenn der Hauptschuldner selbst nicht verpflichtungsfähig sei, solle der daraus resultierende Nachteil nicht beim Gläubiger, sondern beim Bürgen liegen. Eine solche Regelung liege jedenfalls im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Die Bürgschaft sei ein gesetzlich geregeltes Instrument des Privatrechtsverkehres, das von den Vertragsparteien im Rahmen der Privatautonomie in Anspruch genommen werden könne. Mit dem wirksamen Abschluss des Bürgschaftsvertrages übernehme der Bürge gegenüber dem Gläubiger im gesetzlich und vertraglich festgelegten Ausmaß die Haftung für bestimmte Risiken aus der Sphäre des Schuldners.
6.3.3. In diesem Zusammenhang sei es nicht unsachlich, wenn gemäß §1352 ABGB einem Gläubiger, der sich durch einen Bürgschaftsvertrag absichere, diese Absicherung auch im Fall der Geschäftsunfähigkeit des Hauptschuldners zugute komme. Ebenso wenig sei es unsachlich, wenn der Bürge, der vertragsgemäß die Einbringlichkeit der Forderung abzusichern habe, auch für andere mit dem Vertrag in Verbindung stehende Mängel in der Sphäre des Schuldners – nämlich die fehlende Geschäftsfähigkeit – einstehen müsse.
6.3.4. Der Antragsteller erachte es insbesondere als problematisch, dass der Bürge unabhängig davon einstehen müsse, ob ihm die Geschäftsunfähigkeit des Hauptschuldners bekannt gewesen sei. Dem sei entgegenzuhalten, dass sich auch bei einer erst im Nachhinein bekannt gewordenen Geschäftsunfähigkeit des Hauptschuldners an der für die Bürgschaft typischen Risikoverteilung zu Lasten des Bürgen nichts ändern solle. Dieses Risiko sei – ebenso wie die Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners – eine jener Verpflichtungen, die der Bürge mit dem Bürgschaftsvertrag übernehme.
6.3.5. Der Bürge sei auch in Fällen, in denen dem Gläubiger, nicht aber dem Bürgen die Geschäftsunfähigkeit bekannt sei, durchaus nicht schutzlos: Der Gesetzeswortlaut des §1352 ABGB erfasse zwar auch den Fall, dass die Geschäftsunfähigkeit dem Bürgen nicht bekannt gewesen sei, der Gläubiger aber Kenntnis davon gehabt habe. Allerdings werde in solchen Fällen regelmäßig eine zur Schadenersatzpflicht führende Verletzung von Aufklärungspflichten gegenüber dem Bürgen vorliegen oder sogar eine Täuschungsanfechtung zu prüfen sein. In derartigen Extremfällen, die allerdings aus der Judikatur nicht bekannt seien, wäre der Bürgschaftsvertrag daher wohl anfechtbar.
6.3.6. Der Antragsteller behaupte auch einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, weil Personen, die vom Mangel an Geschäftsfähigkeit keine Kenntnis hätten, gegenüber solchen, die davon gewusst hätten, benachteiligt würden. Dieses Vorbringen sei nicht nachvollziehbar, zumal §1352 ABGB auf beide Fälle gleichermaßen Anwendung finde (arg. "obschon ihm diese Eigenschaft unbekannt war"). Mit dem Vorbringen, dass kein Bürge, wenn ihm die Eigenschaft der Geschäftsunfähigkeit bekannt sei, eine solche Bürgschaft eingehen würde, lege der Antragsteller keine rechtliche Ungleichbehandlung dar, sondern zeige lediglich auf, dass der potentielle Bürge auf Basis eines anderen Kenntnisstandes wohl eine andere Willensentscheidung getroffen hätte. Die behaupteten Verstöße gegen das Sachlichkeitsgebot und den Gleichheitsgrundsatz lägen daher nicht vor.
6.3.7. Mit dem Bedenken, dass §1352 ABGB zu unkonkret sei und eine gleichheitswidrige Auslegung ermögliche, mache der Antragsteller implizit Bedenken im Hinblick auf das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot (Art18 B‑VG) geltend. Der Anwendungsbereich des §1352 ABGB und die in dieser Bestimmung angeordneten Rechtswirkungen ergäben sich jedoch klar aus dem Wortlaut der Bestimmung. Das Bedenken, dass dadurch eine gleichheitswidrige Auslegung ermöglicht werde, treffe aus den bereits dargelegten Gründen nicht zu.
6.3.8. Der Antragsteller stütze seine Bedenken im Hinblick auf das Sachlichkeitsgebot und den Gleichheitsgrundsatz auch auf Art3 StGG. Inwiefern §1352 ABGB gegen Art3 StGG, der den gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern garantiere, verstoßen könne, sei nicht nachvollziehbar und werde auch nicht dargelegt.
6.3.9. Unter Bezugnahme auf §7 ABGB mache der Antragsteller weitere Bedenken hinsichtlich der Auslegung des §1352 ABGB geltend. §7 ABGB sei eine einfachgesetzliche Bestimmung, die Grundsätze für die Auslegung von Gesetzen vorsehe. Mit seinen auf diese Bestimmung gestützten Bedenken mache der Antragsteller keine Verfassungswidrigkeit des §1352 ABGB geltend, sodass darauf nicht einzugehen sei. Soweit er auch in diesem Zusammenhang implizit einen Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot des Art18 B‑VG wegen unzureichender Konkretisierung behaupte, sei auf die obigen Ausführungen zu verweisen.
6.3.10. Der Antragsteller behaupte darüber hinaus, in Verletzung des Diskriminierungsverbotes iVm dem Eigentumsgrundrecht (Art14 EMRK iVm Art1 [1.] ZPEMRK) als Bürge und Zahler aus den in Art14 EMRK genannten verpönten Differenzierungsgründen diskriminiert worden zu sein. Diese Verletzungsbehauptung werde im Antrag nicht weiter begründet. Der Antragsteller führe nicht einmal aus, auf welchen verpönten Differenzierungsgrund er sich beziehe. Folglich erübrige sich ein Eingehen auf dieses Bedenken, zumal keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot erkennbar seien. Des Weiteren behaupte der Antragsteller einen Verstoß gegen das "fair balance"‑Prinzip des Eigentumsgrundrechtes nach Art1 1. ZPEMRK. Auch dieses Bedenken werde nicht näher begründet, sodass darauf nicht einzugehen sei. Schließlich behaupte der Antragsteller eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes gemäß dem 12. ZPEMRK. Dieses habe Österreich bis dato nicht ratifiziert, weswegen es als Prüfungsmaßstab im Gesetzesprüfungsverfahren nicht in Betracht komme.
7. Die Raiffeisenbank Region Waldviertel Mitte eGen. hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie die Zurück- bzw Abweisung des Antrages beantragt.
IV. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit
1.1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.
1.2. Der vorliegende Antrag wurde aus Anlass der Berufung gegen das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 1. Februar 2018, Z 64 Cg 25/16b-43, gestellt. Mit diesem Urteil wurde die Rechtssache in erster Instanz durch ein ordentliches Gericht entschieden (Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG).
1.3. Als Beklagter ist der Antragsteller Partei des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht, womit er zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG berechtigt ist.
1.4. Dem Erfordernis der Einbringung aus Anlass eines Rechtsmittels hat der Antragsteller jedenfalls dadurch Rechnung getragen, dass er den vorliegenden Antrag und das Rechtsmittel am selben Tag erhoben und eingebracht hat (vgl VfSlg 20.074/2016).
Im Übrigen geht der Verfassungsgerichtshof auf Grund einer entsprechenden Mitteilung des Handelsgerichtes Wien davon aus, dass das erhobene Rechtsmittel rechtzeitig und zulässig ist.
1.5. Ein auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützter Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG setzt daher voraus, dass die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl VfSlg 20.010/2015, 20.029/2015).
1.5.1. Die Bundesregierung vertritt in ihrer Äußerung die Ansicht, dass es dem Antrag an der Prozessvoraussetzung der Präjudizialität mangle. §1352 ABGB könne nur herangezogen werden, wenn der Hauptschuldner geschäftsunfähig sei, was aber im Anlassverfahren nicht der Fall gewesen sei. Hauptschuldner des Kontokorrentvertrages, für den der Antragsteller gebürgt habe, sei die GmbH gewesen. §1352 ABGB bilde daher keine Rechtsgrundlage des Urteilsspruches. Die Rechtsfrage sei nicht anders zu lösen, wenn die Bestimmung nicht Teil der Rechtsordnung wäre.
1.5.2. Das Erstgericht hat den angefochtenen §1352 ABGB ausdrücklich zur Begründung dafür herangezogen, dass die Bürgschaftsverpflichtung des Antragstellers weiterhin aufrecht ist. In der Entscheidungsbegründung führt das Gericht aus, dass die Unwirksamkeit des Kaufvertrages wegen Geschäftsunfähigkeit der Verkäuferin keine Auswirkungen auf die Haftung des Antragstellers als Bürge habe. Gemäß §1352 ABGB werde der Grundsatz der Akzessorietät der Bürgschaft bei Verbürgung zu Gunsten von Personen, die sich vermöge ihrer persönlichen Eigenschaften nicht verbinden könnten, durchbrochen.
1.5.3. Der Bundesregierung ist zwar beizupflichten, dass §1352 ABGB in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich nur auf Sachverhalte anzuwenden ist, in denen der Hauptschuldner einer durch Bürgschaft besicherten Forderung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht ausreichend geschäftsfähig gewesen ist. Dies ist im vorliegenden Sachverhalt nicht der Fall, weil die Schuldnerin der besicherten Forderung die GmbH ist. Zutreffend ist ebenfalls, dass der Verfassungsgerichtshof in der Vergangenheit ausgesprochen hat, dass es einer Bestimmung an der Präjudizialität mangelt, wenn diese vom Zivilgericht "geradezu denkunmöglich" angewendet worden ist (vgl VfGH 23.2.2017, G369/2016; 14.6.2017, G26/2017).
1.5.4. Ein solcher Fall einer geradezu denkunmöglichen Auslegung des einfachen Gesetzes liegt im vorliegenden Verfahren jedoch nicht vor: Das Erstgericht hat §1352 ABGB – aus methodischer Sicht offenkundig im Sinne eines Analogieschlusses (vgl dazu Kodek, §7 ABGB, in: Rummel/Lukas [Hrsg.], ABGB4, 2015, Rz 36 ff.) – zur Begründung seiner Entscheidung herangezogen: Wenn die Bürgschaft bereits dann wirksam ist, wenn der Hauptschuldner der besicherten Forderung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses geschäftsunfähig ist, muss dies auch in einem Fall gelten, in dem ein mit der besicherten Forderung lediglich wirtschaftlich verbundener Vertrag, nämlich der Kaufvertrag zwischen der Ehegattin und der GmbH, wegen Geschäftsunfähigkeit der Schuldnerin unwirksam ist.
1.5.5. Der Verfassungsgerichtshof hat im vorliegenden Verfahren nicht zu beurteilen, ob diese vom Erstgericht vorgenommene Anwendung des §1352 ABGB zwingend ist oder ob dasselbe Ergebnis auch auf anderem Weg begründet werden könnte.
1.5.6. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kann sich die Präjudizialität einer Bestimmung auch aus der analogen Anwendung einer Bestimmung ergeben (vgl VfSlg 15.787/2000; VfGH 23.2.2017, G369/2016). Vor diesem Hintergrund geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass das Erstgericht §1352 ABGB ausdrücklich (und auch nicht geradezu denkunmöglich) angewendet hat. Die angefochtene Bestimmung ist somit präjudiziell.
1.6. Auch die weiteren Bedenken der Bundesregierung hinsichtlich der Zulässigkeit des Antrages treffen nicht zu: Aus dem Antrag ergibt sich eindeutig, dass der Antragsteller die Aufhebung des gesamten in Geltung stehenden §1352 ABGB begehrt, weswegen die geringfügige Fehlbezeichnung weder zu Zweifeln am Inhalt des Antrages noch zu einer Mehrdeutigkeit führt (vgl etwa VfGH 12.3.2019, G124/2018 ua). Die Bundesregierung weist darüber hinaus zwar zutreffend darauf hin, dass der Antragsteller auch bloße Vollzugsmängel in seinem Antrag rügt. Demgegenüber enthält dieser auch ein Vorbringen zur Verfassungswidrigkeit des §1352 ABGB, sodass auch insoweit keine Zweifel an der Zulässigkeit des Antrages bestehen.
1.7. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag als zulässig.
2. In der Sache
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
Der Antrag ist nicht begründet.
2.2. Der Antragsteller wendet sich der Sache nach zunächst gegen die in §1352 ABGB angeordnete Ausnahme vom Akzessorietätsprinzip der Bürgschaft. Diese verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art7 B‑VG. Diese Bestimmung sei "hoch problematisch". Sie verschiebe den wirtschaftlichen Nachteil einzig und allein zu Lasten des Bürgen. Die Unwirksamkeit einer besicherten Forderung müsse auch im Falle der Geschäftsunfähigkeit bzw beschränkten Geschäftsfähigkeit des Hauptschuldners zur Unwirksamkeit der Bürgschaftsverpflichtung führen.
2.3. Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber (siehe etwa VfSlg 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl zB VfSlg 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (siehe etwa VfSlg 16.176/2001, 16.504/2002).
2.4. Der Antragsteller zeigt zutreffend auf, dass in §1352 ABGB eine Ausnahme vom Akzessorietätsprinzip der Bürgschaft geregelt ist.
2.4.1. Die Bürgschaft setzt grundsätzlich die wirksame Begründung und den Fortbestand der besicherten Forderung voraus (§1351 ABGB). Sie hat dementsprechend nicht den Zweck, den Gläubiger für den Fall der Unwirksamkeit der besicherten Forderung abzusichern, sondern soll (lediglich) die Einbringlichkeit einer bestehenden Hauptforderung sichern. Hat die zu sichernde Forderung nie bestanden oder ist sie nachträglich weggefallen, besteht – dem Akzessorietätsprinzip entsprechend – auch keine Haftung des Bürgen.
2.4.2. §1352 ABGB ordnet eine Ausnahme von diesem Grundsatz der Akzessorietät an (vgl etwa Gamerith, §1352 ABGB, in: Rummel [Hrsg.], ABGB3, 2002, Rz 1). Nach dieser Bestimmung haftet derjenige, der sich für eine Person verbürgt, die sich wegen ihrer persönlichen Eigenschaft nicht verbinden kann, also geschäftsunfähig oder lediglich beschränkt geschäftsfähig ist, wie ein Mitschuldner gemäß §896 ABGB. Dies gilt nach dem Wortlaut der Bestimmung selbst in dem Fall, dass dem Bürgen die persönliche Eigenschaft des Hauptschuldners, also die Geschäftsunfähigkeit oder die lediglich beschränkte Geschäftsfähigkeit, unbekannt gewesen ist (dazu unten Punkt 2.6.).
2.4.3. Der Antragsteller zeigt zutreffend auf, dass das Gesetz den Bürgen, der sich für die Schuld eines Geschäftsunfähigen oder beschränkt Geschäftsfähigen verbürgt, schlechter stellt als einen Bürgen, der sich für eine Forderung verbürgt, die aus anderen Gründen, etwa wegen Dissenses oder einer Anfechtung wegen Irrtumes, unwirksam ist. Nur im ersten Fall besteht gemäß §1352 ABGB eine aufrechte Verbindlichkeit aus der Bürgschaft, während den Bürgen in den zweiten Fallkonstellationen nach dem Grundsatz der Akzessorietät der Bürgschaft (§1351 ABGB) keine Haftung trifft.
2.5. Der Verfassungsgerichtshof teilt die verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragstellers gegen die angefochtene Bestimmung nicht:
2.5.1. Die Bestimmung bewirkt einerseits, dass (potentiell) Geschäftsunfähigen bzw beschränkt Geschäftsfähigen der Zugang zu Vertragsabschlüssen – auf Grund der Möglichkeit des Gläubigers zur Besicherung durch einen Bürgen – erleichtert wird: Sähe das Gesetz keine entsprechende Ausnahme vom Grundsatz der Akzessorietät der Bürgschaft vor, wären Personen, hinsichtlich derer Zweifel an der (vollen) Geschäftsfähigkeit bestehen, faktisch vielfach von Vertragsabschlüssen ausgeschlossen, weil potentielle Gläubiger diese auf Grund der drohenden Unwirksamkeit der Bürgschaft ablehnen könnten. §1352 ABGB kann solchen Personen somit die Teilnahme am rechtsgeschäftlichen Verkehr erleichtern. Schon im Hinblick darauf geht der Verfassungsgerichtshof davon aus, dass §1352 ABGB sachlich gerechtfertigt ist.
2.5.2. Darüber hinaus gewährleistet §1352 ABGB Rechtssicherheit und damit Planbarkeit für (potentielle) Gläubiger geschäftsunfähiger bzw beschränkt geschäftsfähiger Personen. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass Verträge mit einem nicht ausreichend Geschäftsfähigen – von Ausnahmen (vgl etwa §865 Abs2 ABGB sowie die nachträgliche Genehmigung des Vertrages durch den Vertreter) abgesehen – grundsätzlich unwirksam sind und bereicherungsrechtlich rückabgewickelt werden müssen. Das Gesetz sieht bei der Rückforderung von Zahlungen an Geschäftsunfähige bestimmte Schranken vor: So kann nach §1424 zweiter Satz ABGB eine ungerechtfertigte Zahlung an einen Geschäftsunfähigen nur insoweit zurückgefordert werden, als das Bezahlte noch tatsächlich vorhanden oder zum Nutzen des Empfängers verwendet worden ist (vgl dazu etwa Stabentheiner, §1424 ABGB, in: Kletečka/Schauer [Hrsg.], ABGB-ON1.04, 2018, Rz 8 ff.).
Wenn die Rechtsordnung zum Schutz des Geschäftsunfähigen bzw beschränkt Geschäftsfähigen eine Regelung vorsieht, welche die bereicherungsrechtliche Rückforderung beschränkt bzw erschwert, so ist es nicht unsachlich, wenn dem Gläubiger – gleichsam als Ausgleich – die Möglichkeit eingeräumt wird, das wirtschaftliche Risiko eines solchen – potentiell riskanten – Rechtsgeschäftes durch Bürgschaft abzusichern. Auch dieser Gesichtspunkt unterstreicht die sachliche Rechtfertigung der in §1352 ABGB geregelten Ausnahme vom Grundsatz der Akzessorietät.
2.5.3. Der Antragsteller weist schließlich darauf hin, dass der Gesetzgeber das alleinige wirtschaftliche Risiko eines Vertragsabschlusses mit einem (potentiell) Geschäftsunfähigen bzw beschränkt Geschäftsfähigen dem Bürgen zuweist, der eine Haftung für diese Forderung übernimmt. Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass eine Haftung des Bürgen auch in der vorliegenden Sonderkonstellation dem Wesen der Bürgschaft entspricht.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass keine Verpflichtung besteht, eine Haftung als Bürge einzugehen. Der Bürge wird vor den damit verbundenen Risiken sogar durch das Schriftformgebot des §1346 Abs2 ABGB gewarnt. Geht er – auf Grund seiner privatautonomen Entscheidung – dennoch eine Bürgschaft ein, ist es nicht unsachlich, wenn er auch das damit verbundene wirtschaftliche Risiko zu tragen hat.
2.5.4. Dazu kommt, dass der Bürge – in einer Durchschnittsbetrachtung – die persönlichen Verhältnisse des Schuldners vielfach besser beurteilen kann als der Gläubiger, zumal eine Bürgschaft auf Grund ihres regelmäßig beträchtlichen Risikos nur bei Vorliegen eines besonderen – persönlichen oder wirtschaftlichen – Naheverhältnisses eingegangen werden wird. Auch diese typische Interessenlage rechtfertigt es, das wirtschaftliche Risiko der Besicherung einer Forderung eines Geschäftsunfähigen bzw beschränkt Geschäftsfähigen dem Bürgen zuzuweisen. Der Bürge ist angehalten, entsprechende Nachforschungen über eine allfällige Geschäftsunfähigkeit des Schuldners anzustellen (so bereits Zeiller, Commentar über das allgemeine bürgerliche Gesetzbuch für die gesammten Deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie IV, 1813, 17 f.).
2.5.5. Im Ergebnis ist somit die in §1352 ABGB angeordnete Ausnahme vom Akzessorietätsprinzip sachlich gerechtfertigt und aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
2.6. Der Antragsteller äußert vor dem Hintergrund des Art7 B‑VG darüber hinaus auch Bedenken dahin, dass §1352 ABGB den Bürgen unterschiedslos auch dann haften lässt, wenn dieser von der Geschäftsunfähigkeit des Hauptschuldners keine Kenntnis hatte. Diese Regelung sei "hoch problematisch" und werde auch in der zivilrechtlichen Lehre kritisiert.
Der Verfassungsgerichtshof teilt die Bedenken des Antragsstellers auch in dieser Hinsicht nicht:
2.6.1. Dass ein Bürge, der die Geschäftsunfähigkeit des Schuldners kannte und sich dennoch – privatautonom – für eine Bürgschaft entscheidet, für die eingegangene Schuld einstehen muss, begegnet keinen gleichheitsrechtlichen Bedenken. Ebenso wenig ist es zu beanstanden, wenn ein Bürge haften soll, der die Geschäftsunfähigkeit bzw beschränkte Geschäftsfähigkeit des Schuldners auf Grund seiner eigenen Nachlässigkeit nicht kannte (vgl Zeiller, aaO).
2.6.2. Im zivilrechtlichen Schrifttum wird jene Fallkonstellation problematisiert, in welcher der Bürge unverschuldet keine Kenntnis von der Geschäftsunfähigkeit des Schuldners hatte (vgl etwa Koziol, Über den Anwendungsbereich des Bürgschaftsrechts, JBl 1964, 306 [307]). Dabei wird insbesondere jener Sachverhalt hervorgehoben, bei dem zwar der Gläubiger, nicht jedoch der Bürge Kenntnis von der Geschäftsunfähigkeit des Schuldners hatte (Gamerith, §1352 ABGB, in: Rummel [Hrsg.], ABGB3, 2002, Rz 4). Dem ist jedoch entgegen gehalten worden, dass der Bürge durch die allgemeinen privatrechtlichen Rechtsbehelfe ausreichend geschützt ist (Gamerith, aaO): So kann dem Bürgen in der zuletzt genannten Konstellation gegenüber dem Gläubiger ein schadenersatzrechtlicher Anspruch wegen Verletzung (vor-)vertraglicher Aufklärungspflichten (culpa in contrahendo) zustehen. Darüber hinaus kann der Bürgschaftsvertrag auf Grund von List (§870 ABGB) oder Irrtumes (§871 ABGB) anfechtbar sein.
Für jene Konstellation, in der sowohl der Bürge als auch der Gläubiger unverschuldet keine Kenntnis von der Geschäftsunfähigkeit des Schuldners hatten, weist der Gesetzgeber in §1352 ABGB das alleinige Risiko dem Bürgen zu.
Die Zuweisung des wirtschaftlichen Risikos an den Bürgen liegt – auch hinsichtlich der zuletzt erörterten Fallkonstellation – innerhalb des dem Gesetzgeber zustehenden rechtspolitischen Gestaltungsrahmens. Dabei ist zu berücksichtigen, dass dieses Ergebnis der grundsätzlichen, gesetzlichen Risikozuweisung bei der Bürgschaft entspricht: Entscheidet sich der Bürge privatautonom für das Eingehen einer Haftung, muss er auch damit rechnen, dass diese Haftung tatsächlich schlagend wird (vgl Zeiller, aaO). Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Bürge auch in diesem Fall nicht schutzlos ist: So kann ihm ein Regressanspruch gegen den Geschäftsunfähigen zustehen (vgl Faber, §1352 ABGB, in: Schwimann/Kodek [Hrsg.], ABGB4, 2016, Rz 2). Ob dieser Anspruch tatsächlich realisiert werden kann, betrifft das der Bürgschaft generell immanente Ausfallrisiko, das grundsätzlich der Bürge zu tragen hat.
2.7. Mit dem Vorbringen betreffend eine fehlerhafte Auslegung des §1352 ABGB durch das Erstgericht wendet sich der Antragsteller der Sache nach nur gegen die Vorgangsweise des Gerichtes bei Anwendung des Gesetzes, macht also lediglich Vollzugsmängel geltend. Solche Bedenken sind unzulässig, weil der Verfassungsgerichtshof nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG allein über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen, nicht aber über allfällige Vollzugsfehler befindet. Die Entscheidung eines Gerichtes ist nicht Prüfungsgegenstand in Verfahren nach Art140 B‑VG (vgl VfGH 2.7.2015, G145/2015; 26.2.2016, G179/2015 ua).
2.8. Im Hinblick auf die geltend gemachte Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentumes gemäß Art1 1. ZPEMRK und die in diesem Zusammenhang gebotene Prüfung, ob die angefochtene Bestimmung im öffentlichen Interesse liegt (vgl VfSlg 11.402/1987, 12.227/1989) und nicht unverhältnismäßig ist (VfSlg 13.587/1993, 13.659/1993 und 13.964/1994), ist auf die zum Gleichheitsgrundsatz dargelegten Erwägungen zu verweisen. Die angefochtene Regelung verstößt somit auch nicht gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentumes.
2.9. Auch die weiteren vom Antragsteller vorgebrachten Bedenken treffen nicht zu bzw ist auf diese mangels einer Begründung im Parteiantrag nicht weiter einzugehen:
Inwiefern §1352 ABGB gegen Art3 StGG, der den gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern garantiert, verstoßen soll, wird im Antrag nicht näher begründet. Die vom Antragsteller lediglich implizit geäußerten Bestimmtheitsbedenken (Art18 B‑VG) sind für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar, zumal sich die Rechtsfolgen des §1352 ABGB bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung ergeben. Der Antragsteller führt darüber hinaus nicht aus, gegen welches verpönte Differenzierungskriterium des Art14 EMRK die angefochtene Regelung verstoßen sollte. Eine solche verfassungswidrige Differenzierung durch §1352 ABGB ist – wie oben dargetan – für den Verfassungsgerichtshof auch nicht ersichtlich. §7 ABGB ist als einfachgesetzliche Bestimmung nicht Prüfungsmaßstab in Verfahren nach Art140 B‑VG. Der vom Antragsteller gerügte Verstoß gegen das 12. ZPEMRK geht ebenfalls ins Leere, weil die Republik Österreich dieses Zusatzprotokoll bislang nicht ratifiziert hat.
V. Ergebnis
1. Die ob der Verfassungsmäßigkeit des §1352 ABGB erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken treffen nicht zu. Der Antrag ist daher abzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Kosten sind nicht zuzusprechen, weil es im Falle eines Antrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG Sache des zuständigen ordentlichen Gerichtes ist, über allfällige Kostenersatzansprüche nach den für sein Verfahren geltenden Vorschriften zu erkennen (zB VfSlg 20.102/2016, 20.112/2016).
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