Normen
B-VG Art15a
B-VG Art137 / sonstige Klagen
Grundversorgungsvereinbarung Art10
F-VG 1948 §2
VfGG §7 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2018:A1.2017
Spruch:
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Kosten werden nicht zugesprochen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Klage und Vorverfahren
1. Gestützt auf Art137 B‑VG begehrt der Kläger (Fonds Soziales Wien), den Bund schuldig zu erkennen, ihm den Betrag von € 211.172,96 sowie 4 % Zinsen aus € 39.702,10 seit 28. Oktober 2013 und 4 % Zinsen aus € 176.380,54 seit 29. Jänner 2015 sowie den Ersatz der Prozesskosten zuhanden ihres Rechtsvertreters binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
2. Der Klage liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
2.1. Der Bund und die Länder haben im Jahr 2004 eine Vereinbarung gemäß Art15a B‑VG über gemeinsame Maßnahmen zur vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde (Asylwerber, Asylberechtigte, Vertriebene und andere aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht abschiebbare Menschen) in Österreich (Grundversorgungsvereinbarung, BGBl I 80/2004, im Folgenden: GVV) getroffen. Die Gesamtkosten, die durch die Durchführung der Maßnahmen der Versorgungsvereinbarung entstehen, werden gemäß Art10 Abs1 GVV zwischen Bund und Ländern im Verhältnis sechs zu vier aufgeteilt.
2.2. Der Kläger ist ein nach dem Wiener Landesstiftungs- und Fondsgesetz errichteter gemeinnütziger Fonds mit eigener Rechtspersönlichkeit, der mit der Umsetzung der Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Wien mit Beschluss des Wiener Gemeinderates betraut wurde (siehe Beschluss des Wr. Gemeinderates vom 19. Mai 2004, Sitzungsprotokoll 17. GP, 43. Sitzung, 6). Der Kläger erbrachte Aufwendungen für Grundversorgungsleistungen an hilfs- und schutzbedürftige Fremde. Nach Art2 Abs1 Z2 GVV kommen unter anderem auch Fremden ohne Aufenthaltsrecht Grundversorgungsleistungen zu, über deren Asylantrag rechtskräftig negativ abgesprochen wurde und die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind. Die beklagte Partei verweigert den anteiligen Ersatz der Grundversorgungskosten für Fremde, die an ihrer Ausreise nicht freiwillig mitwirkten. Bei den sogenannten "Nichtmitwirkungsfällen" liege nach Auffassung der beklagten Partei nämlich keine Schutzbedürftigkeit iSd Art2 Abs1 Z2 und Z4 GVV vor. Der Kläger ließ im klagsgegenständlichen Zeitraum (3. Quartal 2012 bis 4. Quartal 2013) auch jenen "Nichtmitwirkungsfällen" weiterhin Leistungen zukommen.
2.3. Um den Anspruch auf Erstattung der anteilsmäßigen Zahlungsverpflichtung gegenüber der beklagten Partei geltend zu machen, brachte der Kläger eine Klage beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien ein. Dieses wies mit Beschluss vom 13. Dezember 2016 die Klage wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück. Gegen diesen Beschluss erhob der Kläger Rekurs an das Oberlandesgericht Wien. Mit Beschluss vom 24. Jänner 2017 gab das Oberlandesgericht Wien dem Rekurs keine Folge und führte im Wesentlichen aus, dass es sich bei Streitigkeiten aus einer Vereinbarung nach Art15a B‑VG nicht um bürgerlich-rechtliche Rechtssachen handle.
3. Mit Klage gemäß Art137 B‑VG werden die vom Kläger vorgestreckten Aufwendungen für Grundversorgungsleistungen aus dem Jahr 2012 (3. und 4. Quartal) und dem Jahr 2013 eingeklagt.
Seine Klagslegitimation vor dem Verfassungsgerichtshof begründet der klagende Fonds, gestützt auf die Begründung des Beschlusses des Landesgerichtes Wien, folgendermaßen:
"Das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien hat die Klage des Fonds Soziales Wien gegen die Republik Österreich auf Zahlung von EUR 211.172,96 s.A. mit Beschluss vom 13.12.2016, GZ: 9 Cg 59/16m, wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen. Aus diesem Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen ergibt sich Folgendes: Der Fonds Soziales Wien ist in funktioneller Hinsicht für das Land Wien bei der Erfüllung seiner Verpflichtungen aus der Art15a B‑VG Vereinbarung über gemeinsame Maßnahmen zur vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde tätig, weshalb er dieser Gebietskörperschaft für die diesbezüglich erbrachten Leistungen zuzurechnen ist. Der Fonds Soziales Wien ist ein nach dem Wiener Landes-Stiftungs- und Fondsgesetz errichteter gemeinnütziger Fonds mit eigener Rechtspersönlichkeit. Für den Fonds sind als Organe das Kuratorium, das Präsidium sowie die Geschäftsführung tätig. Die Mitglieder des Kuratoriums werden allesamt von der Stadt Wien auf Vorschlag der bzw des (jeweils nach der Geschäftsgruppeneinteilung zuständigen amtsführenden) Stadträtin bzw Stadtrates durch Beschluss des Stadtsenates entsendet. Das Präsidium setzt sich wiederum ausschließlich aus Mitgliedern des Kuratoriums zusammen. Das Geschäftsführungsorgan des Klägers wird vom Präsidium bestellt. Darüber hinaus unterliegt der Fonds Soziales Wien (außer der durch Gesetz geregelten Kontrolle) der Kontrolle durch Organe der Stadt Wien und durch sie beauftragte Dritte. In Zusammenschau dieser Organisationsstruktur sowie der vorhandenen Kontrollmechanismen liegt trotz eigener Rechtspersönlichkeit eine gänzliche Abhängigkeit des Fonds von der Gebietskörperschaft Wien sowohl in inhaltlicher als auch in finanzieller Hinsicht vor, weshalb der Fonds Soziales Wien auch unter diesem Gesichtspunkt dem Land Wien jedenfalls zuzurechnen ist. Unter dem Aspekt der Zurechnung des Fonds Soziales Wien zum entsprechenden Gebietskörper kann daher für den Klagsanspruch nichts anderes gelten, als wenn diese Gebietskörperschaft den Anspruch selbst geltend machen würde. Folglich ist für die Beurteilung, ob es sich bei diesem Anspruch um einen privatrechtlichen handelt, welcher die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte nach §1 JN begründen würde, die rechtliche Qualifikation des Anspruches unter dem Blickwinkel der direkten Geltendmachung durch das Land Wien vorzunehmen. Da der Kläger der Gebietskörperschaft Wien zuzurechnen ist, welche die zugrundeliegende Vereinbarung nach Art15a B‑VG abgeschlossen hat, folgt, dass der vermögensrechtliche Anspruch unmittelbar auf der Grundversorgungsvereinbarung, sohin direkt auf einer staatsrechtlichen Vereinbarung gemäß Art15a B‑VG, gründet, nämlich auf Art10 Abs1 iVm Art10 Abs3 GVV, aus denen sich die Kostenteilung und -abrechnung ableiten. In seinem Erkenntnis K I‑17/97 vom 3.10.1997 (VfSlg 14.945/1997) hat der Verfassungsgerichtshof entschieden, dass die aus der Anwendung einer staatsrechtlichen Vereinbarung nach Art15a B‑VG erwachsenden Streitigkeiten allein auf Grund der Form der zugrundeliegenden Vereinbarung keine bürgerlichen Rechtssachen mehr sind. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg 3354/1958 für Ersatzansprüche nach §1042 ABGB ausgesprochen hat, enthalte diese Vorschrift über den Aufwandsersatz einen allgemeinen Rechtsgrundsatz, der im gesamten Bereich der Rechtsordnung Geltung besitzt; sie bewirkt daher nicht unbedingt, dass ein solcher Anspruch zu einem zivilrechtlichen werde (VfSlg 19354/2011).
Diese Erwägungen des Beschlusses des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien zugrunde legend, ist sohin kein ordentliches Gericht nach §1 JN berufen, da es sich beim gegenständlichen Anspruch nicht um eine bürgerliche Rechtssache handelt. Der klagsgegenständliche Anspruch erwächst aus einem Staatsvertrag gemäß Art15a Abs1 B‑VG. Es handelt sich somit um keinen privatrechtlichen, sondern um einen öffentlich-rechtlichen Anspruch (VfSlg 15.309)."
4. Die beklagte Partei hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie den Sachverhalt und die Höhe des Klagebegehrens außer Streit stellt, das Bestehen der Forderung des Klägers aber dem Grunde nach bestreitet und die kostenpflichtige Abweisung der Klage mit folgender, auf das Wesentliche zusammengefassten Begründung beantragt:
Der Bund bekenne sich grundsätzlich zur Versorgung von Fremden gemäß Art2 Abs1 Z2 und Z4 GVV, dies jedoch nur, wenn Fremde aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar seien. Sogenannte "Nichtmitwirkungsfälle", denen die klagende Partei weiterhin Leistungen zukommen habe lassen, seien allerdings nicht von der GVV umfasst, weil eine Schutzbedürftigkeit Fremder iSd Art2 Abs1 Z2 und Z4 GVV nur bei Mitwirkung am fremdenpolizeilichen Verfahren vorliege. Es sei unzutreffend, dass es Wille der Vertragspartner gewesen sei, alle Fremden bis zur tatsächlichen Außerlandesbringung in der Grundversorgung zu belassen. Vielmehr sei nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit und somit Schutzbedürftigkeit erst dann gegeben, wenn die einer Abschiebung entgegenstehenden Gründe von den Fremden nicht selbst beseitigt werden könnten (vgl VwGH 12.1.2000, 99/21/0261; 8.7.2004, 2004/21/0148; 27.2.2007, 2006/21/0375). Auch treffe Fremde gemäß (der zum Zeitpunkt des Abschlusses der Grundversorgungsvereinbarung geltenden) §§56 f. und 75 Fremdengesetz 1997 eine Verpflichtung zur Ausreise und nach dem FPG 2005 eine Mitwirkungspflicht am Ausreiseverfahren. Zudem lege ein Erlass des Bundesministeriums für Inneres vom 28. März 2011 fest, dass im Falle der Nichtmitwirkung keine Zielgruppenzugehörigkeit zur Grundversorgungsvereinbarung vorliege. Da "Nichtmitwirkungsfälle" aus den oben genannten Gründen nicht Zielgruppe der GVV seien, müssten sie den ausschließlich länderspezifischen Zuständigkeiten, insbesondere dem Armenwesen, zugerechnet werden, weshalb dem Land gemäß §2 F-VG die diesbezügliche Kostentragung obliege. Daher habe der Bund die diesbezüglichen Zahlungen verweigert.
5. Der Kläger brachte eine Replik ein, in der er der Gegenschrift der beklagten Partei entgegentritt.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
"Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art15a B‑VG über gemeinsame Maßnahmen zur vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde (Asylwerber, Asylberechtigte, Vertriebene und andere aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht abschiebbare Menschen) in Österreich (Grundversorgungsvereinbarung - Art15a B‑VG)
Der Bund, vertreten durch die Bundesregierung, und die Länder Burgenland, Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg und Wien, jeweils vertreten durch den Landeshauptmann, - im folgenden Vertragspartner genannt - kommen überein, gemäß Artikel 15a B‑VG die nachstehende Vereinbarung zu schließen:
Zielsetzung
Art1 (1) Ziel der Vereinbarung ist die bundesweite Vereinheitlichung der Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde, die im Bundesgebiet sind, im Rahmen der bestehenden verfassungsrechtlichen Kompetenzbereiche. Die Grundversorgung soll bundesweit einheitlich sein, partnerschaftlich durchgeführt werden, eine regionale Überbelastung vermeiden und Rechtssicherheit für die betroffenen Fremden schaffen.
(2) Bei der Erreichung des Ziels gemäß Abs1 ist auf die europarechtlichen Normen, insbesondere auf die Richtlinie 2003/9/EG des Rates zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylwerbern in den Mitgliedstaaten und die Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, Bedacht zu nehmen.
(3) Die Vertragspartner errichten ein Betreuungsinformationssystem. Datenschutzrechtliche Auftraggeber des Betreuungsinformationssystems sind die jeweils zuständigen Organe der Vertragspartner. Das Betreuungsinformationssystem wird als Informationsverbundsystem (§§4 Z13, 50 DSG 2000) geführt.
(4) Die durch diese Vereinbarung begünstigten Fremden werden im Sinne einer jährlichen Gesamtbetrachtung unter Bedachtnahme auf das Verhältnis der Wohnbevölkerung in den Bundesländern betreut. Wohnbevölkerung im Sinne dieser Vereinbarung ist die für den jeweiligen Finanzausgleich ermittelte Gesamtbevölkerung Österreichs und die Bevölkerungszahl des jeweiligen Bundeslandes (zuletzt: Volkszählung 2001).
(5) Diese Vereinbarung begründet keinen Rechtsanspruch für Fremde gemäß Artikel 2.
Begriffsbestimmungen/Zielgruppe
Art2 (1) Zielgruppe dieser Vereinbarung sind – unbeschadet der Bestimmungen des Bundesbetreuungsgesetzes, BGBl I Nr 101/2003 – hilfs- und schutzbedürftige Fremde, die unterstützungswürdig sind. Hilfsbedürftig ist, wer den Lebensbedarf für sich und die mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden unterhaltsberechtigten Angehörigen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen kann und ihn auch nicht oder nicht ausreichend von anderen Personen oder Einrichtungen erhält. Schutzbedürftig sind
1. Fremde, die einen Asylantrag gestellt haben (Asylwerber), über den noch nicht rechtskräftig abgesprochen ist,
2. Fremde ohne Aufenthaltsrecht, über deren Asylantrag rechtskräftig negativ abgesprochen wurde, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind,
3. Fremde mit Aufenthaltsrecht gemäß §8 iVm §15 AsylG, §10 Abs4 FrG oder einer Verordnung gemäß §29 FrG,
4. Fremde ohne Aufenthaltsrecht, die aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht abschiebbar sind,
5. Fremde, die aufgrund der §§4, 4a, 5, 5a und 6 der Asylgesetznovelle 2003, BGBl I Nr 101/2003, nach einer – wenn auch nicht rechtskräftigen – Entscheidung der Asylbehörde entweder in Schubhaft genommen werden können oder auf die die Bestimmungen des §66 FrG anzuwenden sind oder deren vorübergehende Grundversorgung bis zur Effektuierung der Außerlandesbringung nach der Entscheidung der Asylbehörde von den Ländern sichergestellt ist und
6. Fremde, denen ab 1. Mai 2004 Asyl in Österreich gewährt wird (Asylberechtigte), während der ersten vier Monate nach Asylgewährung.
(2) Die Unterstützung für Fremde, die angehalten werden, ruht für die Dauer der Anhaltung.
(3) Die Unterstützung endet jedenfalls mit dem Verlassen des Bundesgebietes, soweit Österreich nicht durch internationale Normen zur Rückübernahme verpflichtet ist.
(4) Die Unterstützungswürdigkeit des Fremden kann unter Berücksichtigung von Art1 Abs2 eingeschränkt werden oder verloren gehen, wenn er wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung verurteilt worden ist, die einen Ausschlussgrund gemäß §13 AsylG darstellen kann.
Art3-5 […]
Grundversorgung
Art6 (1) Die Grundversorgung umfasst:
1. Unterbringung in geeigneten Unterkünften unter Achtung der Menschenwürde und unter Beachtung der Familieneinheit,
2. Versorgung mit angemessener Verpflegung,
3. Gewährung eines monatlichen Taschengeldes für Personen in organisierten Unterkünften und für unbegleitete minderjährige Fremde, ausgenommen bei individueller Unterbringung gemäß Art9 Z2,
4. Durchführung einer medizinischen Untersuchung im Bedarfsfall bei der Erstaufnahme nach den Vorgaben der gesundheitsbehördlichen Aufsicht,
5. Sicherung der Krankenversorgung im Sinne des ASVG durch Bezahlung der Krankenversicherungsbeiträge,
6. Gewährung allenfalls darüber hinausgehender notwendiger, durch die Krankenversicherung nicht abgedeckter Leistungen nach Einzelfallprüfung,
7. Maßnahmen für pflegebedürftige Personen,
8. Information, Beratung und soziale Betreuung der Fremden durch geeignetes Personal unter Einbeziehung von Dolmetschern zu deren Orientierung in Österreich und zur freiwilligen Rückkehr,
9. Übernahme von Transportkosten bei Überstellungen und behördlichen Ladungen,
10. Übernahme der für den Schulbesuch erforderlichen Fahrtkosten und Bereitstellung des Schulbedarfs für Schüler,
11. Maßnahmen zur Strukturierung des Tagesablaufes im Bedarfsfall,
12. Gewährung von Sach- oder Geldleistungen zur Erlangung der notwendigen Bekleidung,
13. Kostenübernahme eines ortsüblichen Begräbnisses oder eines Rückführungsbetrages in derselben Höhe und
14. Gewährung von Rückkehrberatung, von Reisekosten sowie einer einmaligen Überbrückungshilfe bei freiwilliger Rückkehr in das Herkunftsland in besonderen Fällen.
(2) Die Grundversorgung kann, wenn damit die Bedürfnisse des Fremden ausreichend befriedigt werden, auch in Teilleistungen gewährt werden.
(3) Fremden, die die Aufrechterhaltung der Ordnung in einer Unterkunft durch ihr Verhalten fortgesetzt und nachhaltig gefährden, kann die Grundversorgung gemäß Abs1 unter Berücksichtigung von Art1 Abs2 eingeschränkt oder eingestellt werden. Das gleiche gilt im Anwendungsfall des §38a SPG.
(4) Durch die Einschränkung oder Einstellung der Leistungen darf die medizinische Notversorgung des Fremden nicht gefährdet werden.
(5) Fremde gemäß Art2 Abs1 können mit ihrem Einverständnis zu Hilfstätigkeiten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Unterbringung und Betreuung stehen, herangezogen werden.
Art7-9 […]
Kosten
Art10 (1) Die Gesamtkosten die in Durchführung der Maßnahmen dieser Vereinbarung entstehen, werden zwischen Bund und Ländern im Verhältnis sechs zu vier aufgeteilt, ausgenommen die Kosten gemäß Art11 Abs4 erster Satz. Die Verrechnung erfolgt aufgrund der tatsächlich geleisteten Beträge, maximal jedoch bis zum Erreichen der in Art9 normierten Kostenhöchstsätze.
(2) Die auf die einzelnen Länder gemäß Abs1 entfallenden Kosten werden zwischen den Ländern nach der Wohnbevölkerung (Art1 Abs4) ausgeglichen.
(3) Die Vertragspartner legen entstehende Kosten aus und verrechnen vierteljährlich bis zum Ablauf des darauf folgenden Quartals nach den Abs1 und 2.
(4) Der Bund kann, über Ersuchen auch nur eines Landes, erwachsende Kosten bevorschussen. Die Verrechnung erfolgt gemäß Abs3.
(5) Die Vertragspartner stellen sich gegenseitig alle für die Kostenabrechnung relevanten Daten über Verlangen zur Verfügung.
(6) Nähere Durchführungsbestimmungen für die Abrechnung legen die Vertragspartner im Einvernehmen fest.
Art11 […]
Kostenverschiebungen durch legistische Maßnahmen, Abwicklung der Schülerfreifahrt
Art12 (1) Werden durch künftige Gesetze oder Verordnungen des Bundes trotz gegebenem Finanzierungsschlüssel von 60 : 40 faktische finanzielle Kostenverschiebungen zu Lasten der Länder mit speziellem Bezug auf den Regelungsbereich der vorliegenden Art15a B‑VG Vereinbarung verursacht, so hat der Bund hiefür den Ländern vollen Kostenersatz zu leisten. Rechtsvorschriften, die zur Umsetzung des Rechtes der Europäischen Union zwingend erforderlich sind, sind von der Kostenersatzpflicht ausgenommen.
(2) Werden durch künftige Gesetze oder Verordnungen eines Landes trotz gegebenem Finanzierungsschlüssel von 60 : 40 faktische finanzielle Kostenverschiebungen zu Lasten des Bundes mit speziellem Bezug auf den Regelungsbereich der vorliegenden Art15a B‑VG Vereinbarung verursacht, so hat das jeweilige Land dem Bund hiefür vollen Kostenersatz zu leisten. Rechtsvorschriften, die zur Umsetzung des Rechtes der Europäischen Union zwingend erforderlich sind, sind von der Kostenersatzpflicht ausgenommen.
(3) Erzielen sämtliche Vertragspartner eine Einigung über die Kostentragung, entfällt die Kostentragungspflicht gemäß Abs1 und 2.
(4) Der Bund übernimmt vorläufig die zentrale Abwicklung der Schülerfreifahrten. Die Kosten der Schülerfreifahrt unterliegen dem Kostenteilungsschlüssel gemäß Art10 Abs1 der genannten Vereinbarung.
Art13-16 […]"
III. Erwägungen
1. Gemäß Art137 B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche unter anderem gegen den Bund, wenn sie weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.
2. Der Kläger stützt seinen Anspruch auf die Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art15a B‑VG über gemeinsame Maßnahmen zur vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde (Asylwerber, Asylberechtigte, Vertriebene und andere aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht abschiebbare Menschen) in Österreich, BGBl I 80/2004. Nach Art10 Abs1 dieser Vereinbarung werden die Gesamtkosten der von der Vereinbarung erfassten Maßnahmen der Grundversorgung zwischen Bund und Ländern grundsätzlich im Verhältnis von 6 : 4 aufgeteilt.
Das Oberlandesgericht Wien hat mit Beschluss vom 24. Jänner 2017, Z 15 R 3/17x, die auf denselben Anspruch gerichtete Klage des Klägers mit der Begründung zurückgewiesen, Ansprüche aus einer solchen Vereinbarung seien dem öffentlichen Recht zuzurechnen und daher nicht im ordentlichen Rechtsweg, sondern im Verfahren gemäß Art137 B‑VG auszutragen. Soweit der Kläger seinen Anspruch auf §1042 ABGB stützt, verweist das Oberlandesgericht im Ergebnis zutreffend auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach ein derartiger Anspruch in seiner Rechtsnatur dem zugrunde liegenden Anspruch folgt (vgl VfSlg 14.945/1997).
3. Voraussetzung für die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes im vorliegenden Verfahren ist, dass überhaupt eine öffentlich-rechtliche Grundlage für den geltend gemachten Anspruch in Betracht kommt. Andernfalls wäre die Klage zurückzuweisen (vgl VfSlg 19.354/2011); es kann sich dann bei dem erhobenen vermögensrechtlichen Anspruch höchstens um einen gegen eine Gebietskörperschaft als Träger von Privatrechten erhobenen Anspruch handeln, worüber die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben (vgl VfSlg 19.668/2012).
4. Gemäß §2 F-VG trägt jede Gebietskörperschaft den Aufwand, der sich aus der Besorgung ihrer Aufgaben ergibt, sofern die zuständige Gesetzgebung nichts anderes bestimmt. Die Kosten für die Betreuung von Asylwerbern und sonstigen Fremden, die von der Grundversorgungsvereinbarung erfasst werden, wären sonst gemäß Art10 Abs1 Z3 B‑VG bzw Art12 Abs1 Z1 B‑VG von Bund oder Ländern jeweils allein zu tragen. Insofern enthält Art10 GVV eine abweichende Kostentragungsregel iSd §2 F-VG.
Da diese abweichende Kostentragungsregel nicht in einem Gesetz des zuständigen Gesetzgebers, sondern in einer Art15a-B‑VG-Vereinbarung festgelegt ist, stellt sich die Frage, ob eine solche Vereinbarung überhaupt unmittelbar als Grundlage eines solchen – finanzausgleichsrechtlichen – Kostenersatzanspruches in Betracht kommt.
5. Der Verfassungsgerichtshof hat diese Frage in seiner Judikatur noch nicht geklärt.
5.1. Die Staatspraxis kennt seit jeher zahlreiche solcher abweichender Kostentragungsregelungen in unterschiedlichen Rechtsformen, und zwar sowohl des öffentlichen als auch des privaten Rechts. Die ältere Lehre hat dies für unproblematisch gehalten (vgl Thienel, Art15a B‑VG, in: Korinek/Holoubek et al. (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 3. Lfg., 2000, Rz 35 f.); die jüngere Lehre, beginnend mit Lödl (Verfassungsrechtliche Grundlagen der Bundestransfers an Länder und Gemeinden, ÖHW 1988, 36 [54]) hält hingegen – aus §2 F‑VG folgend – eine (besondere) gesetzliche Grundlage für derartige Kostentragungsregelungen für erforderlich.
Strittig blieb in der Literatur dabei, inwieweit Vereinbarungen gemäß Art15a B‑VG abweichende Kostentragungsregelungen mit unmittelbarer Wirkung vorsehen können: Während Ruppe (§2 F-VG, in: Korinek/Holoubek et al. (Hrsg.), Österreichisches Bundesverfassungsrecht, 12. Lfg., 2016, Rz 34) dies für zulässig hält, meint Thienel (aaO, Rz 37 f.), aus der expliziten Schaffung einer Ermächtigung zu von §2 F-VG abweichenden Kostenregelungen in Art2 Abs1 Z2 Bundesverfassungsgesetz über Ermächtigungen des Österreichischen Gemeindebundes und des Österreichischen Städtebundes (im Folgenden: BVG Gemeindebund) ergebe sich im Umkehrschluss, dass abweichende Kostenregelungen in Vereinbarungen gemäß Art15a B‑VG, die sich also nicht auf das genannte BVG stützen, einer Transformation durch Gesetzgebungsakte der zuständigen Gesetzgeber bedürften.
5.2. Zunächst steht außer Frage, dass Art15a-B‑VG-Vereinbarungen keine Rechte und Pflichten Dritter begründen können, sondern dazu der Transformation bedürfen (vgl VfSlg 9581/1982, 9886/1983, 13.780/1994, 14.146/1995). Sie binden vielmehr die Vertragspartner (also Bund bzw Länder) untereinander (vgl dazu näher Thienel, aaO, Rz 99 f.), was bedeutet, dass die Organe der jeweils beteiligten Gebietskörperschaften durch die Vereinbarung gebunden werden (vgl Art15a Abs1 B‑VG: Vereinbarungen, die "auch die Organe der Bundesgesetzgebung binden sollen", bedürfen der Genehmigung durch den Nationalrat).
5.3. Art138a B‑VG nimmt ausdrücklich vermögensrechtliche Ansprüche von der in diesem Artikel vorgesehenen Feststellungskompetenz des Verfassungsgerichtshofes betreffend Vereinbarungen gemäß Art15a B‑VG aus; vermögensrechtliche Ansprüche sind gemäß Art137 B‑VG geltend zu machen. Dies setzt voraus, dass Vereinbarungen gemäß Art15a B‑VG vermögensrechtliche Ansprüche begründen können.
5.4. Es ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes auch zulässig, dass Angelegenheiten der Privatwirtschaftsverwaltung im Wege von Vereinbarungen gemäß Art15a B‑VG geregelt werden (vgl VfSlg 14.945/1997). Solche Art15a-B‑VG-Vereinbarungen über Gegenstände der Privatwirtschaftsverwaltung verpflichten letztlich unmittelbar Organe der beteiligten Gebietskörperschaft, sich zu ihrer Erfüllung entsprechender privatrechtlicher Mittel zu bedienen, und sie führen auf diese Weise im Regelfall zu finanziellen Belastungen zumindest einer der beteiligten Gebietskörperschaften. Daraus resultieren vermögensrechtliche Ansprüche, die Gegenstand der Vereinbarung gemäß Art15a B‑VG sind und die gemäß Art137 B‑VG mit Klage vor dem Verfassungsgerichtshof geltend gemacht werden können.
5.5. Öffentlichen Zwecken dienende Privatwirtschaftsverwaltung stellt nun definitionsgemäß auch die Erfüllung einer Aufgabe iSd §2 F-VG dar, deren Aufwand grundsätzlich jene Gebietskörperschaft zu tragen verpflichtet ist, die die Aufgabe nach der Rechtsordnung zu erfüllen hat. Jegliche Vereinbarung nach Art15a B‑VG über die Begründung vermögensrechtlicher Ansprüche zwischen Gebietskörperschaften im Zusammenhang mit der Erfüllung solcher Aufgaben stellt damit in der Regel notwendigerweise auch eine besondere Kostentragungsregel iSd §2 F-VG dar. Vor diesem Hintergrund ist nicht anzunehmen, dass der Verfassungsgesetzgeber, der ausdrücklich davon ausgeht, dass Art15a-B‑VG‑Vereinbarungen unmittelbar vermögensrechtliche Ansprüche begründen können, gerade den Regelfall derartiger vermögensrechtlicher Ansprüche, nämlich die Kostenübernahme oder sonstige ‑übertragung iSd §2 F‑VG, vom unmittelbaren Anwendungsbereich solcher Art15a-B‑VG-Vereinbarungen ausnehmen wollte. Dabei darf nicht übersehen werden, dass das Instrument der Art15a-B‑VG-Vereinbarung gerade eine Koordination in Bereichen ermöglichen sollte, in denen Hoheits- und Privatwirtschaftsverwaltung der beteiligten Gebietskörperschaften eng miteinander verzahnt sind (vgl VfSlg 14.945/1997, S 214). Insofern überträgt Art2 Abs1 Z2 BVG Gemeindebund, auf den sich Thienel zur Begründung der Gegenmeinung bezieht, ausdrücklich einen für Art15a-B‑VG-Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern (oder Ländern untereinander) geltenden Grundsatz auch auf diese besondere Vereinbarung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden.
5.6. Soweit die Literatur (vgl Zabukovec, Finanzausgleich durch Verträge, RWG 2010, 180 [182]; Buchsteiner, Die Verpflichtung der Gebietskörperschaften zur Tragung ihres Aufwandes, 1998, 116-118) meint, die vom Verfassungsgerichtshof für die Notwendigkeit der speziellen Transformation von Gliedstaatsverträgen angeführten Rechtsschutzgründe sprächen für die Notwendigkeit, derartige Kostentragungsregelungen in Art15a-B‑VG-Vereinbarungen durch besondere gesetzliche Akte umzusetzen, überzeugt dies den Verfassungsgerichtshof nicht: Auch in Verfahren gemäß Art137 B‑VG kann der Verfassungsgerichtshof Rechtsschutz insoweit gewähren, als er die Gültigkeit und in diesem Rahmen auch die Verfassungsmäßigkeit der Art15a-B‑VG-Vereinbarung zu prüfen hat, die Grundlage des gemäß Art137 B‑VG geltend gemachten Anspruches ist.
6. Zusammengefasst bedeutet dies, dass in Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern gemäß Art15a B‑VG auch Regelungen über die Kostentragung iSd §2 F‑VG getroffen werden können, die unmittelbar zwischen den Vertragspartnern anwendbar sind und dementsprechend Rechte und Pflichten begründen. Derartige Ansprüche sind gemäß Art137 B‑VG vor dem Verfassungsgerichtshof durchsetzbar. Die Klage ist daher zulässig.
7. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies allerdings Folgendes: Berechtigt und verpflichtet werden können aus einer Vereinbarung gemäß Art15a B‑VG, die nicht durch Rechtsnormen mit Außenwirkung, insbesondere Gesetze, transformiert wurde, grundsätzlich nur die Vertragspartner; Dritte können aus derartigen Vereinbarungen keine Rechte ableiten. Da im vorliegenden Fall der Fonds Soziales Wien (der zwar eigene Rechtspersönlichkeit besitzt) als Kläger auftritt, steht ihm der geltend gemachte (finanzausgleichsrechtliche) Anspruch nicht zu. Ein solcher finanzausgleichsrechtlicher Anspruch kann auch nicht in einer der Stadt Wien zurechenbaren Weise vom Fonds Soziales Wien geltend gemacht werden. Vielmehr sind die vom Fonds getätigten Ausgaben zur Erfüllung der von der Grundversorgungsvereinbarung erfassten Aufgaben dem Land zuzurechnen und können von diesem als Partner der zugrundeliegenden Art15a Vereinbarung gemäß Art137 B‑VG geltend gemacht werden.
IV. Ergebnis
1. Die Klage ist daher abzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Der obsiegenden beklagten Partei sind Kosten nicht zuzusprechen, weil es nach Lage des vorliegenden Falles zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig war, die Finanzprokuratur mit der Vertretung des Bundes zu betrauen (zB VfSlg 19.284/2011 mwN); sonstige ersatzfähige Kosten sind nicht angefallen.
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