VfGH G19/2018

VfGHG19/201814.6.2018

Zurückweisung eines - zulässigen - Antrags des Verwaltungsgerichts Wien auf Aufhebung des §7a Abs4 VersammlungsG betreffend das Verbot einer Versammlung am selben Ort und zur selben Zeit sowie im Schutzbereich einer rechtmäßigen (anderen) Versammlung als zu eng gefasst

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 lita
VersammlungsG §7a Abs4, §13, §14, §19

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2018:G19.2018

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG gestützten Antrag begehrt das Verwaltungsgericht Wien als antragstellendes Gericht, "§7a Abs4 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl Nr 98/1953 (WV), eingefügt durch Bundesgesetz, BGBl I Nr 63/2017, Z4" als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

Die §§7a und 19 des Versammlungsgesetzes 1953, BGBl 98/1953, idF BGBl I 63/2017, lauten wie folgt (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):

"§7a. (1) Der Schutzbereich einer rechtmäßigen Versammlung ist jener Bereich, der für deren ungestörte Abhaltung erforderlich ist.

(2) Die Behörde hat unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten, der Anzahl der erwarteten Teilnehmer sowie des zu erwartenden Verlaufes den Umfang des Schutzbereiches festzulegen. Die Festlegung eines Schutzbereiches, der 150 Meter im Umkreis um die Versammelten überschreitet, ist nicht zulässig.

(3) Die Behörde kann von einer ausdrücklichen Festlegung des Schutzbereiches absehen, wenn 50 Meter im Umkreis um die Versammelten als Schutzbereich angemessen sind. Wird von der Behörde nichts anderes festgelegt, gelten 50 Meter im Umkreis um die Versammelten als Schutzbereich.

(4) Eine Versammlung ist am selben Ort und zur selben Zeit sowie im Schutzbereich einer rechtmäßigen Versammlung verboten.

[…]

§19. Übertretungen dieses Gesetzes sind, insofern darauf das allgemeine Strafgesetz keine Anwendung findet, von der Bezirksverwaltungsbehörde, im Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, aber von der Landespolizeidirektion, mit Arrest bis zu sechs Wochen oder mit Geldstrafe bis zu 720 Euro zu ahnden."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegen folgende Sachverhalte zugrunde:

Beim Verwaltungsgericht Wien sind mehrere Beschwerden gegen Straferkenntnisse der Landespolizeidirektion Wien vom 2. September bzw. vom 12. Oktober 2017 wegen Übertretung des §7a Abs4 iVm §19 Versammlungsgesetz 1953 anhängig. In den Straferkenntnissen wird den Beschwerdeführerinnen u.a. zur Last gelegt, jeweils "am 24.06.2017, um 16:55 Uhr in Wien 7., Burggasse 69 als Teilnehmer der Versammlung zum Thema gegen 'Pro Palästina Demo', innerhalb von 50 Meter einer angemeldeten und behördlich genehmigten Versammlung mitgewirkt" zu haben, "obwohl innerhalb des Schutzbereiches von 50 Meter vom behördlich genehmigten Versammlungsort, keine anderen Versammlungen abgehalten werden dürfen."

2. Das Verwaltungsgericht Wien legt die Bedenken, die es zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof bestimmt haben, wie folgt dar (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"Nach dem Wortlaut des §7a Abs4 VersammlungsG ist eine Versammlung am selben Ort und zur selben Zeit sowie im Schutzbereich einer rechtmäßigen Versammlung verboten. Nach §7a Abs3 VersammlungsG ist jedenfalls ein Schutzbereich im Umkreis um die Versammelten entweder behördlich festzulegen oder ergibt sich ein solcher ex-lege aus dieser Bestimmung. Dies ergibt sich daraus, dass die Behörde von der ausdrücklichen Festlegung des Schutzbereiches absehen kann, wenn 50 m im Umkreis der Versammelten als Schutzbereich angemessen sind, respektive 50 m als Schutzbereich im Umkreis um die Versammelten als Schutzbereich gelten, wenn von der Behörde nichts anderes – etwa ein Schutzbereich in einem weiteren Ausmaß – festgelegt wird.

Im Lichte dessen ist davon auszugehen, dass zumindest bei jeder der Behörde gemeldeten Versammlung, ein Schutzbereich im Umkreis um die Versammelten gilt und nach §7a Abs4 VersammlungsG in diesem Bereich ein absolutes Versammlungsverbot - sohin ohne Einzelfallprüfung - vorgesehen ist.

Dieser Ansicht stehen die Gesetzesmaterialien nicht entgegen, da etwa in der Begründung des Individualantrages [gemeint wohl: Initiativantrages] zu Z4 (§7a) festgehalten wurde, dass '[j]ede angemeldete Versammlung dieser Schutzbereich umgeben soll. Innerhalb dieses Bereichs darf eine andere Versammlung nicht abgehalten werden.' […] Im Ausschussbericht […] wird dazu ausgeführt, dass Versammlungen im Schutzbereich einer rechtmäßigen Versammlung von der Behörde zu untersagen sind. Gleichsam wird festgehalten, dass '[j]ede rechtmäßige Versammlung dieser Schutzbereich umgeben soll und wortgleich heißt es dazu weiters: 'Innerhalb dieses Bereichs darf eine andere Versammlung nicht abgehalten werden'.

Anders als in den Fällen des §6 VersammlungsG […] und des §13 VersammlungsG […], die nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg 10.443/1985) einer Einzelfallprüfung im Wege der verfassungskonformen Interpretation gemäß Art11 Abs2 EMRK zugänglich sind, ist dies im Fall des §7a Abs4 VsIgG gerade nicht möglich. Nach der Textierung des §6 VersammlungsG sind Versammlungen, 'deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährden' von der Behörde zu untersagen. §13 VersammlungsG sieht vor, dass 'nach den Umständen' die Versammlung aufzulösen ist, wenn diese gegen Vorschriften des Versammlungsgesetzes verstößt. Beide Bestimmungen lassen daher im aufgezeigten Umfang eine Einzelfallprüfung zu, respektive erfordern geradezu eine solche von der Versammlungsbehörde. Demgegenüber ist der Textierung des §7a Abs4 VersammlungsG […] keine derartige Entscheidungsbefugnis der Versammlungsbehörde zu entnehmen, zumal sie jedenfalls im Schutzbereich im Umkreis um die Versammelten eine Versammlung zu untersagen hat. Demnach entfällt jede Überprüfung ob der Notwendigkeit und damit auch der Erforderlichkeit eines Versammlungsverbotes im Schutzbereich – somit ungeachtet der Umstände des Einzelfalls – zur Gänze.

Das so zu verstehende, absolute Versammlungsverbot im Schutzbereich im Umkreis um die Versammelten nach §7a Abs4 VersammlungsG widerspricht jedoch dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit nach Art12 StGG und Art11 EMRK:

[…]

Obzwar absolute Versammlungsverbote nicht per se verfassungswidrig (vgl. VfSlg 19.423/2011 zur 'Bannmeile') und auch mit Blick auf die Bestimmung des Art11 EMRK nicht gänzlich ausgeschlossen sind, müssen sie dennoch zur Erreichung eines nach Art11 Abs2 EMRK genannten Zieles zwingend notwendig sein. Danach darf die Ausübung des verfassungsgesetzlich[…] gewährleisteten Rechts [auf] Versammlungsfreiheit keinen anderen Einschränkungen unterworfen werden, als den vom Gesetz vorgesehenen, die in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen und öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.

So hat der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidung zu VfSlg 19.962/2015 m.w.H. festgehalten, dass bereits die Untersagung einer Versammlung das Recht auf Versammlungsfreiheit in besonders gravierender Weise beeinträchtigt und diese Maßnahme nur zulässig ist, wenn sie zur Erreichung der in Art11 Abs2 EMRK genannten Ziele zwingend notwendig ist, sodass die Untersagung einer Versammlung stets nur ultima ratio sein kann. Das muss umso mehr für absolute Versammlungsverbote – wie vorliegend nach §7a Abs4 VersammlungsG – gelten. Demnach wird ein strenger Maßstab anzulegen sein und bedarf ein solches absolutes Verbot einer besonderen Rechtfertigung, respektive muss auf spezifisch, eng abzusteckende Konstellationen zugeschnitten sein (vgl. etwa EGMR vom 07.02.2017, Appl. Nr 57818/09, Lashmankin u.a. gegen Russland). Versammlungsverbote in diesem Ausmaß müssen daher einen Ausnahmecharakter haben.

Wie bereits dargelegt wurde, ist nach §7a Abs4 VersammlungsG – ohne anzustellender Einzelfallprüfung – jede Versammlung in der normierten Schutzzone verboten. Daher ist es Teilnehmern und Teilnehmerinnen jeder anderen (Gegen-)versammlung grundsätzlich verboten, in diesem Bereich eine Versammlung abzuhalten. Genauso ist es den Teilnehmern und Teilnehmerinnen jeder anderen Versammlung, die nicht der behördlich bekannt gegebenen Versammlung angehören, verboten, zu den Versammlungsteilnehmern und Versa[mm]lungsteilnehmerinne[n] der angemeldeten Versammlung dazu zustoßen. Denkbar wären hier verschiedene friedliche Versammlungen gleich- oder ähnlich Gesinnter. Das Versammlungsverbot im Schutzbereich gilt daher für jede Art der Versammlung und uneingeschränkt.

Dadurch erfahren die Gegendemonstranten bzw. die Teilnehmer und Teilnehmerinnen anderer (Gegen)versammlungen einen Eingriff in ihr verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Versammlungsfreiheit nach Art11 Abs1 EMRK, das – auch nach Ansicht des EGMR – beide Gruppierungen gleichermaßen schützt. Es ist in diesem Zusammenhang zudem zu bemerken, dass ein absolutes Versammlungsverbot in einer gewissen Schutzzone rund um eine Versammlung, das Recht auf Versammlungsfreiheit nicht nur einschränken, sondern auch – abhängig von den räumlichen Gegebenheiten – gänzlich unmöglich machen kann.

Es wird nicht übersehen, dass diese staatliche Maßnahme des absoluten Versammlungsverbotes ein legitimes Ziel nach Art11 Abs2 EMRK verfolgt und geeignet erscheint, diese angestrebten Ziele zu verfolgen. Diese staatlich vorgesehene Maßnahme wird auch erforderlich sein.

Die Bedenken bestehen indes ob der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn der Maßnahme des absoluten Versammlungsverbotes im Schutzbereich nach §7a Abs4 VersammlungsG. Wie bereits unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ausgeführt wurde, bedarf es im Fall der Untersagung und Auflösung einer Versammlung immer einer umfassenden an strengen Maßstäben zu messenden Einzelfallprüfung. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes Wien muss dies gleichsam, respektive umso mehr bei einem absoluten Versammlungsverbot gelten. Absolute Verbote sind besonders rechtfertigungsbedürftig, müssen auf spezifisch, eng abgesteckte Konstellationen zugeschnitten sein und Ausnahmecharakter haben. Gerade dies ist nach der Bestimmung des §7a Abs4 VersammlungsG nicht der Fall, da das darin normierte Verbot – wie zuvor näher dargelegt wurde – generell und pauschal gilt. Weder der Regelungsinhalt noch die Textierung dieser Bestimmung lassen die Durchführung einer Einzelfallprüfung zu. Demgegenüber ist nicht zu erkennen, dass eine solche Einzelfallprüfung die zuvor genannten und angestrebten Ziele konterkarieren würde. Das Verwaltungsgericht Wien sieht keinen Grund, weshalb ein Versammlungsverbot für einen näher normierten und erforderlichen Schutzbereich nicht im Einzelfall auf die Notwendigkeit und damit auch auf die Verhältnismäßigkeit einer Überprüfung unterzogen werden soll, um so den Erfordernissen des Art11 EMRK zu genügen. Das in §7a Abs4 VersammlungsG normierte absolute Versammlungsverbot im Schutzbereich lässt indes eine derartige Abwägung zwischen Rechtsgütern nicht zu.

Ein weiteres zentrales Bedenken ob der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn besteht hinsichtlich des örtlichen Umfangs des Schutzbereichs nach §7a Abs4 VersammlungsG, weil diese Bestimmung hinsichtlich der Festlegung des Schutzbereiches disponibel (50 m bis 150 m) ausgestaltet ist. Die Festlegung des örtlichen Umfangs des Schutzbereiches setzt eine behördliche Entscheidung voraus und sieht bloß subsidiär eine ex-lege Regelung desselben vor; es erfolgt demnach keine formelle Kundmachung des Umfangs respektive Umkreises des Schutzbereichs. Dies hat für den potentiellen Täter zur Folge, dass dieser gar keine Möglichkeit hat, sich von der Rechtmäßigkeit respektive Rechtswidrigkeit seines Verhaltens – nämlich ob er den örtlichen Schutzbereich der einen Versammlung stört oder nicht – vorab informieren kann. Dies scheint dem Grundsatz 'nulla poena sine lege praevia' zu widersprechen.

Da sowohl die Definition des Schutzbereiches nach §7a Abs1 des VersammlungsG ('der Schutzbereich einer rechtmäßigen Versammlung'), als auch die Bestimmung des §7a Abs4 des VersammlungsG ('im Schutzbereich einer rechtmäßigen Versammlung') auf die Rechtmäßigkeit einer Versammlung abstellen (vgl. dazu auch AB 1610 BIgNR, XXV. GP, zu Z4 (§7a), wonach '[j]ede rechtmäßige Versammlung dieser Schutzbereich umgeben soll und '[I]nnerhalb dieses Bereichs [...] eine andere Versammlung nicht abgehalten werden [darf]'), könnte die Auffassung vertreten werden, dass nicht nur (rechtmäßig) angemeldete Versammlungen, sondern auch Spontanversammlungen den Schutz des §7a Abs4 VersammlungsG genießen. Für Gegenversammlungsteilnehmer und Gegenversammlungsteilnehmerinnen ist jedoch nicht zwingend erkennbar, ob es sich um eine angemeldete Versammlung oder eine Spontanversammlung handelt. Auch in diesem Fall wird die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Gegenversammlungsteilnehmer und Gegenversammlungsteilnehmerinnen von nicht transparenten kundgemachten Zufälligkeiten abhängig gemacht und ihnen dadurch die Möglichkeit zum rechtmäßigen alternative[n] Verhalten genommen."

3. Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie den im Antrag erhobenen Bedenken entgegentritt.

4. Eine der Parteien des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht Wien hat als beteiligte Partei eine Äußerung erstattet, in der sie sich den Bedenken des Verwaltungsgerichts Wien anschließt.

IV. Zulässigkeit

1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw. des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Die Bundesregierung zieht in ihrer Äußerung offenbar die Präjudizialität des §7a Abs4 Versammlungsgesetz 1953 zur Gänze in Zweifel. Das Verwaltungsgericht Wien ist jedoch jedenfalls denkmöglich von der Präjudizialität (auch) der Voraussetzungen "am selben Ort und zur selben Zeit" ausgegangen; ist doch der Schutzbereich einer rechtmäßigen Versammlung der gesetzlichen Ausgestaltung nach naturgemäß räumlich und zeitlich begrenzt.

2. Die Bundesregierung erachtet den Antrag ferner deshalb als unzulässig, weil die geltend gemachte Verfassungswidrigkeit durch Aufhebung allein der Wortfolge "sowie im Schutzbereich" in §7a Abs4 Versammlungsgesetz 1953 beseitigt werden könnte und der beantragte Aufhebungsumfang insofern zu weit gefasst sei.

2.1. Die Grenzen der Aufhebung einer auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfenden Gesetzesbestimmung sind, wie der Verfassungsgerichtshof sowohl für von Amts wegen als auch für auf Antrag eingeleitete Gesetzesprüfungsverfahren schon wiederholt dargelegt hat (VfSlg 13.965/1994 mwN, 16.542/2002, 16.911/2003), notwendig so zu ziehen, dass einerseits der verbleibende Gesetzesteil nicht einen völlig veränderten Inhalt bekommt und dass andererseits die mit der aufzuhebenden Gesetzesstelle untrennbar zusammenhängenden Bestimmungen auch erfasst werden.

Aus dieser Grundposition folgt, dass im Gesetzesprüfungsverfahren der Anfechtungsumfang der in Prüfung gezogenen Norm bei sonstiger Unzulässigkeit des Prüfungsantrages nicht zu eng gewählt werden darf (vgl. VfSlg 16.212/2001, 16.365/2001, 18.142/2007, 19.496/2011). Das antragstellende Gericht hat all jene Normen anzufechten, welche für die Beurteilung der allfälligen Verfassungswidrigkeit der Rechtslage eine untrennbare Einheit bilden. Es ist dann Sache des Verfassungsgerichtshofes, darüber zu befinden, auf welche Weise eine solche Verfassungswidrigkeit – sollte der Verfassungsgerichtshof die Auffassung des antragstellenden Gerichtes teilen – beseitigt werden kann (VfSlg 16.756/2002, 19.496/2011, 19.684/2012, 19.903/2014; VfGH 10.3.2015, G201/2014).

Unzulässig ist der Antrag etwa dann, wenn der im Falle der Aufhebung im begehrten Umfang verbleibende Rest einer Gesetzesstelle als sprachlich unverständlicher Torso inhaltsleer und unanwendbar wäre (VfSlg 16.279/2001, 19.413/2011; VfGH 19.6.2015, G211/2014; 7.10.2015, G444/2015; 10.10.2016, G662/2015), der Umfang der zur Aufhebung beantragten Bestimmungen so abgesteckt ist, dass die angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung gar nicht beseitigt würde (vgl. zB VfSlg 18.891/2009, 19.933/2014), oder durch die Aufhebung bloßer Teile einer Gesetzesvorschrift dieser ein völlig veränderter, dem Gesetzgeber überhaupt nicht mehr zusinnbarer Inhalt gegeben würde (VfSlg 18.839/2009, 19.841/2014, 19.972/2015; VfGH 15.10.2016, G339/2015).

Unter dem Aspekt einer nicht trennbaren Einheit in Prüfung zu ziehender Vorschriften ergibt sich ferner, dass ein Prozesshindernis auch dann vorliegt, wenn es auf Grund der Bindung an den gestellten Antrag zu einer in der Weise isolierten Aufhebung einer Bestimmung käme, dass Schwierigkeiten bezüglich der Anwendbarkeit der im Rechtsbestand verbleibenden Vorschriften entstünden, und zwar in der Weise, dass der Wegfall der angefochtenen (Teile einer) Gesetzesbestimmung den verbleibenden Rest unverständlich oder auch unanwendbar werden ließe. Letzteres liegt dann vor, wenn nicht mehr mit Bestimmtheit beurteilt werden könnte, ob ein der verbliebenen Vorschrift zu unterstellender Fall vorliegt (VfSlg 16.869/2003 mwN).

Dagegen macht eine zu weite Fassung des Antrages diesen nicht in jedem Fall unzulässig. Soweit alle vom Antrag erfassten Bestimmungen präjudiziell sind oder der Antrag mit solchen untrennbar zusammenhängende Bestimmungen erfasst, führt dies – ist der Antrag in der Sache begründet – im Fall der Aufhebung nur eines Teiles der angefochtenen Bestimmungen im Übrigen zu seiner teilweisen Abweisung (vgl. VfSlg 19.746/2013, 19.905/2014). Umfasst der Antrag auch Bestimmungen, die im Verfahren vor dem antragstellenden Gericht nicht präjudiziell sind, führt dies – wenn die angefochtenen Bestimmungen insoweit trennbar sind – im Hinblick auf diese Bestimmungen zur partiellen Zurückweisung des Antrages (siehe VfSlg 18.486/2008, 18.298/2007; soweit diese Voraussetzungen vorliegen, führen zu weit gefasste Anträge also nicht mehr – vgl. noch VfSlg 14.342/1995, 15.664/1999, 15.928/2000, 16.304/2001, 16.532/2002, 18.235/2007 – zur Zurückweisung des gesamten Antrages).

2.2. Der Antrag des Verwaltungsgerichts Wien erweist sich im Ergebnis als zu eng gefasst und ist daher zurückzuweisen; dies aus folgenden Gründen:

§7a Abs1 Versammlungsgesetz 1953 sieht einen "Schutzbereich" für rechtmäßige Versammlungen vor und erörtert diesen Begriff dahingehend, dass dies jener Bereich sei, der für die Abhaltung einer ungestörten Versammlung erforderlich ist. In §7a Abs2 leg. cit. wird der Behörde zwar ein Ermessen eingeräumt, jedoch gleichzeitig normiert, dass die Festlegung eines Schutzbereichs, "der 150 Meter im Umkreis um die Versammelten überschreitet", nicht zulässig ist. In §7a Abs3 leg. cit. wird die Behörde ermächtigt, dann von der Festlegung eines Schutzbereichs abzusehen, wenn 50 Meter im Umkreis um die Versammelten als Schutzbereich angemessen sind. Dass diese 50 Meter im Umkreis um die Versammelten vom Gesetzgeber im Regelfall als "angemessen" erachtet werden, verdeutlicht §7a Abs3 zweiter Satz leg. cit. Schließlich enthält §7a Abs4 leg. cit. ein absolutes, an jedermann gerichtetes Verbot, "am selben Ort und zur selben Zeit sowie im Schutzbereich" einer rechtmäßigen Versammlung eine (andere) Versammlung abzuhalten. Damit nimmt der Gesetzgeber erneut auf den Schutzbereich – sei es auf den behördlich festgelegten oder den gesetzlich festgelegten Schutzbereich von 50 Metern – Bezug.

Nun hat das antragstellende Verwaltungsgericht Wien das Bedenken, dass die – aus seiner Sicht aus der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes abzuleitende – verfassungsrechtlich stets gebotene Einzelfallprüfung durch das "generelle und pauschale Verbot" in §7a Abs4 leg. cit. verunmöglicht würde. Dabei übersieht das Verwaltungsgericht Wien, dass das Ausmaß und die Festlegung des Schutzbereichs einer (rechtmäßigen) Versammlung sich nicht allein aus Abs4 des §7a leg. cit. ergibt, sondern jedenfalls auch aus den Abs1 bis 3 des §7a leg. cit.

Dies wird auch dadurch deutlich, dass die vorgebrachten Bedenken nicht beseitigt wären, sollte sich der angefochtene Abs4 leg. cit. als verfassungswidrig erweisen, denn es verbliebe in §7a Abs3 leg. cit. – für den vorgesehenen Fall, dass die Behörde keine Festlegung trifft – ein gesetzlich vorgesehener Schutzbereich von 50 Metern; eine rechtmäßige Versammlung gemäß Abs1 leg. cit. kann mit Blick auf Abs3 leg. cit. innerhalb dieser 50 Meter niemals stattfinden.

Auch übersieht das Verwaltungsgericht Wien mit seinem Antrag, dass in dieser Konstellation – Auflösung der Versammlung gemäß §13 leg. cit. und der Verpflichtung des Auseinandergehens gemäß §14 Abs1 leg. cit. – bei aufrechtem Schutzbereich Gegendemonstranten ebenfalls ein strafbewehrtes (§19 leg. cit.) Verhalten setzen; dass der Gesetzgeber mit §7a leg. cit. eine Regelung treffen wollte, deren Nichtbefolgung keinerlei Konsequenzen nach sich zöge, ist ihm nicht zu unterstellen.

All dies macht deutlich, dass die einzelnen Absätze des §7a leg. cit. systematisch derart zusammenhängen, dass eine Anfechtung bloß des §7a Abs4 leg. cit. als zu eng zurückzuweisen ist. Dies gilt auch für das weitere vorgebrachte Bedenken des Verwaltungsgerichts Wien, dass das angefochtene Verbot zu unbestimmt sei.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist als unzulässig zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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