VfGH A4/2017

VfGHA4/201721.9.2017

Stattgabe einer auf Ersatz der Prozesskosten eingeschränkten Klage auf Ausfolgung von Schlüsseln nach Aufhebung einer Betriebsschließung nach dem Wr WettenG

Normen

B-VG Art137 / sonstige Klagen
VfGG §41
ZPO §41, §235 Abs4
Wr WettenG §23
RechtsanwaltstarifG §12

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2017:A4.2017

 

Spruch:

I. Das Land Wien ist schuldig, der klagenden Partei zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.477,73 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

II. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Klage und Vorverfahren

1. Mit ihrer auf Art137 B‑VG gestützten Klage vom 22. März 2017 gegen die Stadt Wien, Magistratsabteilung 36, begehrt die einschreitende Gesellschaft die Erlassung des folgenden Urteils:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die bei ihr hinterlegten Schlüssel zur Öffnung des Geschäftslokales Apostelgasse 36, 1030 Wien, herauszugeben und die Versiegelung am Geschäftslokal Apostelgasse 36, 1030 Wien, zu entfernen.

 

Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der klagenden Partei deren Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen."

2. Begründend führt die klagende Partei hiezu aus, die Magistratsabteilung 36 des Magistrates der Stadt Wien habe nach einer Kontrolle am 11. November 2016 die Betriebsschließung hinsichtlich des Geschäftslokales Apostelgasse 36, 1030 Wien, verfügt. Im Zuge dieser Betriebsschließung seien die Schlösser ausgetauscht und amtlich versiegelt worden. Nachdem das Verwaltungsgericht Wien einer dagegen erhobenen Maßnahmenbeschwerde stattgegeben und die unverzügliche Aufhebung der Betriebsschließung angeordnet habe, sei die beklagte Partei zur Herausgabe der Schlüssel bzw. zur Leistung eines näher bezeichneten Aufwandersatzes aufgefordert worden. Dieser Aufforderung habe die beklagte Partei jedoch nicht entsprochen, zumal der Ausgang des Beschwerdeverfahrens gegen den Betriebsschließungsbescheid abgewartet werde. Das damit angesprochene Beschwerdeverfahren sei – entgegen der Auffassung der beklagten Partei – für den vorliegenden Fall aber nicht von Relevanz.

3. Mit Schriftsatz vom 20. April 2017 erstattete die beklagte Partei eine Gegenschrift, in der sie zunächst ihre Passivlegitimation bestreitet. In der Klage sei nämlich die "Stadt Wien, Magistratsabteilung 36" angeführt, sohin die Stadt Wien als Gemeinde, wogegen der Magistrat der Stadt Wien in diesem Fall in Vollziehung eines Landesgesetzes für das Land Wien aufgetreten sei. Darüber hinaus verweist die beklagte Partei auf die Anhängigkeit mehrerer Rechtsmittelverfahren, die abgewartet werden sollten, ehe der Forderung der klagenden Partei entsprochen werde; darunter ein Revisionsverfahren gegen die als rechtswidrig erachtete Entscheidung über die Maßnahmenbeschwerde durch das Verwaltungsgericht Wien.

4. Mit Schriftsatz vom 25. Juli 2017 gab die klagende Partei – unter Vorlage einer Niederschrift der Magistratsabteilung 36 vom 5. Juli 2017 – bekannt, dass die beklagte Partei als Reaktion auf ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes die Schlüssel zum Geschäftslokal Apostelgasse 36, 1030 Wien, an die klagende Partei übergeben habe. Vor diesem Hintergrund werde das Klagebegehren auf die Kosten eingeschränkt.

II. Rechtslage

1. §41 des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 ("VfGG"), BGBl 85/1953, idF BGBl I 33/2013, lautet:

"§41. Dem unterliegenden Teil kann auf Antrag der Ersatz der Prozesskosten auferlegt werden. Der Ersatz von Kosten kann auf Antrag auch der klagenden Partei auferlegt werden, wenn sie die von ihr eingebrachte Klage vor Beginn der öffentlichen mündlichen Verhandlung zurückzieht und der beklagten Partei bereits Kosten erwachsen sind."

2. §41 des Gesetzes vom 1. August 1895, über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung – ZPO), RGBl. 113/1895, idF StGBl. 95/1919, lautet:

"§. 41.

 

(1) Die in dem Rechtsstreite vollständig unterliegende Partei hat ihrem Gegner, sowie dem diesem beigetretenen Nebenintervenienten alle durch die Processführung verursachten, zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsvertheidigung nothwendigen Kosten zu ersetzen. Welche Kosten als nothwendig anzusehen sind, hat das Gericht bei Feststellung des Kostenbetrages ohne Zulassung eines Beweisverfahrens nach seinem von sorgfältiger Würdigung aller Umstände geleiteten Ermessen zu bestimmen.

 

(2) Soweit das Maß der Entlohnung des Rechtsanwalts oder sonst die Höhe der Kosten durch Tarife geregelt ist, hat die Feststellung des Kostenbetrages nach diesen Tarifen zu geschehen.

 

(3) Die Vorschriften des ersten Absatzes gelten insbesondere auch hinsichtlich der Kosten, welche durch die Zuziehung eines nicht am Sitze des Processgerichtes oder des ersuchten Richters wohnenden Rechtsanwalts entstanden sind. Die Kosten, welche dadurch verursacht wurden, dass für die nämliche Partei mehrere Rechtsanwälte beigezogen wurden, sind jedenfalls nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten der Beiziehung eines Rechtsanwalts nicht übersteigen, oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste."

III. Erwägungen

Die Klage ist zulässig und begründet.

1. Gemäß Art137 B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche gegen den Bund, ein Land, eine Gemeinde oder einen Gemeindeverband, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.

2. Ein solcher Anspruch wird mit der vorliegenden Klage geltend gemacht. Dass es sich in diesem Fall, in welchem vom Land Wien die Aufhebung der Betriebsschließung bzw. die Herausgabe der Schlüssel für das Geschäftslokal begehrt wird, um einen vermögensrechtlichen Anspruch handelt, ist augenscheinlich. Dieser Anspruch ist im öffentlichen Recht begründet und weder durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen noch im ordentlichen Rechtsweg auszutragen. Die Pflicht zur Aufhebung der mit der Betriebsschließung in Zusammenhang stehenden Maßnahmen tritt unmittelbar kraft Gesetzes ein.

3. Wenn die beklagte Partei darauf verweist, dass sich die Klage gegen die Stadt Wien als Gemeinde richtet, der Magistrat der Stadt Wien aber in diesem Fall in Vollziehung eines Landesgesetzes für das Land Wien aufgetreten sei, ist dieses Vorbringen nicht geeignet, die Passivlegitimation der beklagten Partei in Zweifel zu ziehen. Wird nämlich die Stadt Wien als Gemeinde hinsichtlich einer im öffentlichen Recht wurzelnden Forderung vor dem Verfassungsgerichtshof in Anspruch genommen, trifft die Klage die einheitliche Gebietskörperschaft Wien (vgl. VfSlg 10.933/1986, 15.839/2000; vgl. auch VfSlg 12.313/1990 zu einer Klagsführung gegen den "Magistrat der Stadt Wien").

4. Auf Grund des Vorbringens der Parteien und der vorgelegten Unterlagen geht der Verfassungsgerichtshof von folgendem maßgeblichen Sachverhalt aus:

4.1. Die beklagte Partei verfügte im Rahmen einer Kontrolle am 11. November 2016 gemäß §23 Abs3 Wiener Wettengesetz die Betriebsschließung hinsichtlich des Geschäftslokales Apostelgasse 36, 1030 Wien, welches von der klagenden Partei betrieben wird. Zur Sicherung dieser Maßnahme tauschte die beklagte Partei die Schlösser der Türen zum Geschäftslokal aus, hinterlegte die neuen Schlüssel bei der Behörde und versah die Türen mit einer amtlichen Versiegelung. Über die Betriebsschließung erließ die beklagte Partei gemäß §23 Abs5 Wiener Wettengesetz einen mit 30. November 2016 datierten Bescheid.

4.2. Mit Erkenntnis vom 2. Februar 2017 (fälschlicherweise mit "3.3.2017" datiert) gab das Verwaltungsgericht Wien einer von der klagenden Partei erhobenen Maßnahmenbeschwerde Folge und hob die noch aufrechten Maßnahmen – "Austausch der Türschlösser, Verwahrung der Schlüssel bei der Behörde, Versiegelung der Türen" – auf. Begründend führte das Verwaltungsgericht Wien hiezu aus, dass die Behörde binnen drei Tagen einen Bescheid über die Betriebsschließung erlassen hätte müssen. Da dies nicht erfolgt sei, gelte die Betriebsschließung ex lege als aufgehoben.

4.3. Mit Schreiben vom 2. Februar 2017 ersuchte die klagende Partei den Magistrat der Stadt Wien, "unverzüglich […] bekanntzugeben, wo bzw. bei wem die Schlüsse[l] der […] gewechselten Schlösser für das Geschäftslokal Apostelgasse 36 abgeholt werden können".

4.4. In Reaktion auf diese Aufforderung gab der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 36, bekannt, dieser Aufforderung nicht entsprechen zu können, zumal "das Beschwerdeverfahren den Bescheid über die Betriebsschließung betreffend derzeit noch anhängig ist".

4.5. Mit der auf Art137 B‑VG gestützten Klage vom 22. März 2017 (eingelangt beim Verfassungsgerichtshof am selben Tag) begehrte die klagende Partei, die Stadt Wien, Magistratsabteilung 36, zur Aufhebung der Betriebsschließung und zur Ausfolgung der Schüssel zu verurteilen. Diese Klage wurde der beklagten Partei am 10. April 2017 zugestellt.

4.6. Mit Erkenntnis vom 9. Juni 2017 behob der Verwaltungsgerichtshof auf Grund einer Revision der beklagten Partei das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 2. Februar 2017. Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof hiezu zusammengefasst aus, der Bescheid über die Betriebsschließung vom 30. November 2016 sei der klagenden Partei nicht zugestellt und damit nicht erlassen worden. Insofern habe das Verwaltungsgericht Wien richtigerweise gefolgert, dass die Betriebsschließung nach Ablauf der Frist zur Erlassung eines Bescheides als aufgehoben gegolten habe. Auf Grund dieser ex lege Wirkung, die auch alle mit der Betriebsschließung in Zusammenhang stehenden Maßnahmen erfasse, erweise sich die Aufhebung der Maßnahmen durch das Verwaltungsgericht Wien allerdings als rechtswidrig.

4.7. Am 5. Juli 2017 hob der Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 36, die Betriebsschließung auf, entfernte die amtlichen Siegel und übergab der klagenden Partei die Schlüssel zum Geschäftslokal.

4.8. Mit Schriftsatz vom 25. Juli 2017 schränkte die klagende Partei das Klagebegehren auf den Ersatz der Verfahrenskosten ein.

5. Auf Grund der Einschränkung des Klagebehrens durch die klagende Partei hat der Verfassungsgerichtshof im vorliegenden Fall nur mehr über die Kosten des Rechtsstreits abzusprechen, welche seitens der klagenden Partei mit € 2.457,12 für die Klage und € 751,50 für einen weiteren Schriftsatz bestimmt werden. Für die Kosten der Klagseinbringung bewertete die klagende Partei den Streitgegenstand gemäß §10 Z1a RATG analog mit der 12-fachen Monatsmiete für das Geschäftslokal Apostelgasse 36, sohin insgesamt € 42.600,–. Darauf basierend bemaß die klagende Partei ihre Kosten gemäß TP 3C (€ 1.229,–), zuzüglich des Einheitssatzes iHv 50 Prozent (€ 614,50), eines ERV-Zuschlages (€ 4,10), Umsatzsteuer iHv 20 Prozent (€ 369,52) sowie der Pauschalgebühr (€ 240,–). Die für den weiteren Schriftsatz, mit welchem die Klagseinschränkung infolge der Erfüllung durch die beklagte Partei bekannt gegeben wurde, verzeichneten Kosten setzen sich aus den Kosten des Revisionsrekurses gemäß TP 2 (€ 416,10), zuzüglich des Einheitssatzes iHv 50 Prozent (€ 208,05), eines ERV-Zuschlages (€ 2,10) sowie Umsatzsteuer iHv 20 Prozent (€ 125,25) zusammen.

6. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis VfSlg 7182/1973 aus einer Zusammenschau mehrerer die Prozesskosten regelnden Bestimmungen den Grundsatz abgeleitet, dass in einem streitigen Verfahren über Parteienansprüche die unterliegende Partei der obsiegenden Partei die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu ersetzen hat. Dieser Grundsatz ist nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes auch Inhalt des §41 VfGG, wonach im Verfahren nach Art137 B‑VG dem unterliegenden Teil der Ersatz der Prozesskosten auferlegt werden kann (VfSlg 9507/1982). Zur Beurteilung des Kostenersatzanspruches wendet der Verfassungsgerichtshof nach §35 VfGG – sinngemäß – auch die Bestimmungen der Zivilprozessordnung an (vgl. VfSlg 4399/1963, 17.533/2005).

7. Das – eingeschränkte – Klagebegehren ist gerechtfertigt: Der Rechtsgrund, auf welchen der Magistrat der Stadt Wien die Betriebsschließung bzw. die Abnahme der Schlüssel stützte, besteht seit dem Außerkrafttreten der vorläufigen Anordnung über die Betriebsschließung nicht mehr. Indes befanden sich die Schlüssel zum Zeitpunkt der Einbringung der Klage nach wie vor in der Gewahrsame des Magistrates der Stadt Wien. Vor diesem Hintergrund hätte die klagende Partei mit ihrem Begehren obsiegt, wenn die beklagte Partei diesem nach Einbringung der Klage nicht entsprochen hätte. Die klagende Partei hat der Entsprechung ihres Begehrens durch die Einschränkung des Klagebegehrens auf Kosten gemäß §235 Abs4 ZPO Rechnung getragen. Da die Klage begründet erhoben wurde, ist auch die Kostenersatzforderung der klagenden Partei gerechtfertigt (vgl. auch VfGH 21.2.2013, A6/12; VfSlg 10.533/1985, 10.938/1986).

IV. Ergebnis

1. Die klagende Partei hat die Klage zu Recht erhoben und das Klagebegehren nach Aufhebung der Betriebsschließung und Ausfolgung der Schlüssel rechtzeitig eingeschränkt. Dem Begehren auf Ersatz der Prozesskosten ist daher stattzugeben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §41 iVm §35 Abs1 VfGG und §41 Abs2 ZPO:

Die der klagenden Partei zustehenden Kosten sind nach dem Rechtsanwaltstarifgesetz auszumessen. Für die Abfassung der Klage steht der klagenden Partei bei einer – von der beklagten Partei nicht bemängelten – Bewertung des Streitgegenstands von € 42.600,– der Betrag der TP 3C von € 2.212,– zu. Die Klagseinschränkung ist als kurzer Schriftsatz iSd TP 1 zu qualifizieren (zB VfSlg 15.839/2000), wofür der klagenden Partei bei der in analoger Anwendung des §12 RATG vorzunehmenden Bewertung des Streitgegenstands von € 1.450,– ein Betrag von € 25,73 zusteht. In den zugesprochenen Kosten sind 50 % Einheitssatz für die Klage (für den zunächst höheren Streitwert) und 60 % Einheitssatz für die Klagseinschränkung (für den nunmehr niedrigeren Streitwert), ferner Umsatzsteuer in Höhe von € 368,70 bzw. € 4,29 und der Ersatz der Eingabengebühr (€ 240,–) enthalten.

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