VfGH E1814/2016

VfGHE1814/201623.2.2017

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Übertretung einer bereits außer Kraft getretenen Verordnung über den Nationalpark Nockberge infolge grober Verkennung der Rechtslage

Normen

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Krnt Nationalpark- und BiosphärenparkG §8 Abs2, §40 Abs1
V über den Nationalpark Nockberge, LGBl 79/1986 idF LGBl 120/1991 §10
VStG §1 Abs1, §44a Z2
B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
Krnt Nationalpark- und BiosphärenparkG §8 Abs2, §40 Abs1
V über den Nationalpark Nockberge, LGBl 79/1986 idF LGBl 120/1991 §10
VStG §1 Abs1, §44a Z2

 

Spruch:

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art2 StGG und Art7 B‑VG verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Das Land Kärnten ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt und Beschwerde

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau vom 2. Februar 2016 wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, erstmalig am 26. Oktober 2009 und letztmalig am 9. Oktober 2015 in der Außenzone des Nationalparks Nockberge bauliche Maßnahmen durchgeführt zu haben, die über eine Sanierung des Gebäudes hinausgingen. Konkret habe der Beschwerdeführer ein Gebäude in seiner Länge um ca. 25 Prozent ausgebaut, das bestehende Dach abgebrochen und ein zusätzliches Geschoß errichtet, eine Gaupe eingebaut und das Erscheinungsbild des Bauwerks verändert, indem das obere Stockwerk mit einer senkrechten Holzverschalung ausgestaltet worden sei. Der Beschwerdeführer habe dadurch §40 Abs1 iVm §8 Abs2 des Kärntner Nationalpark- und Biosphärenparkgesetzes ("K-NBG") – unter Hinweis auf §10 Abs1 lita der Verordnung über den Nationalpark Nockberge, LGBl 79/1986 – verletzt. Auf Grund dieser Verwaltungsübertretung verhängte die Behörde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe in Höhe von € 900,– sowie eine näher bestimmte Ersatzfreiheitsstrafe.

2. Mit Erkenntnis vom 16. Juni 2016 wies das Landesverwaltungsgericht Kärnten die gegen das genannte Straferkenntnis erhobene Beschwerde als unbegründet ab und korrigierte Teile des Spruches. Das Landesverwaltungsgericht stellte hiezu fest, der Beschwerdeführer habe am 1. Juni 1995 als Pächter jener Grundstücke, auf denen sich das Gebäude befinde, einen Antrag zur Vornahme bestimmter Arbeiten gestellt. Die Behörde habe daraufhin mit Bescheid vom 19. Oktober 1995 die Bewilligung zur Durchführung bestimmter Sanierungsmaßnahmen unter Vorschreibung von Auflagen erteilt. Die vom Beschwerdeführer vorgenommenen Arbeiten gingen jedoch über bloße Sanierungsmaßnahmen hinaus, weshalb ein Verstoß gegen §40 Abs1 iVm §8 Abs2 K-NBG iVm §10 Abs1 lita der Verordnung über den Nationalpark Nockberge vorliege.

3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B‑VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art2 StGG, Art7 B‑VG und "Art14 EMRK", ein Verstoß gegen das "Gesetzlichkeitsprinzip: keine Strafe ohne Gesetz" gemäß Art7 EMRK bzw. "Art4 StGG", gegen den "Bestimmtheitsgrundsatz" bzw. das "Determinierungsgebot" gemäß Art18 B‑VG sowie gegen das "Klarheitsgebot" gemäß Art7 EMRK behauptet wird.

Begründend führt der Beschwerdeführer hiezu im Wesentlichen aus, die Verordnung über die Einrichtung des Nationalparks Nockberge sei am 1. Jänner 2013 außer Kraft getreten. Demnach hätte die Bestrafung ab diesem Zeitpunkt nicht mehr auf diese Grundlage gestützt werden dürfen. Aber auch davor habe keine Grundlage für die Bestrafung des Beschwerdeführers bestanden: Entgegen der Rechtsansicht des Landesverwaltungsgerichtes Kärnten habe die naturschutzbehördliche Bewilligung zumindest einen Großteil der vom Beschwerdeführer durchgeführten Sanierungsmaßnahmen abgedeckt. Schließlich widersprächen sowohl §8 Abs2 K-NBG wie auch die Verordnung über den Nationalpark Nockberge dem Determinierungsgebot.

4. Das Landesverwaltungsgericht Kärnten hat die Akten des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.

II. Rechtslage

1. Die wesentlichen Bestimmungen des Kärntner Nationalpark- und Biosphärenparkgesetzes ("K-NBG "), LGBl 55/1983, idF LGBl 85/2013, lauten:

"1. Hauptstück

Nationalparks

I. Abschnitt

§1

Voraussetzungen

Ein Gebiet, das

a) besonders eindrucksvolle und formenreiche, für Österreich charakteristische oder historisch bedeutsame Landschaftsteile umfaßt,

b) im überwiegenden Teil vom Menschen in seiner völligen oder weitgehenden Ursprünglichkeit nicht oder nicht nachhaltig beeinträchtigt wurde,

c) Ökosysteme von besonderer Eigenart, wissenschaftlicher oder landschaftsprägender Bedeutung beherbergt und

d) eine den Zielen (§2) entsprechende flächenmäßige Ausdehnung aufweist, kann von der Landesregierung durch Verordnung zum Nationalpark erklärt werden.

[…]

§8

Außenzone

(1) Gebiete eines Nationalparks, die weder Kernzonen noch Sonderschutzgebiete sind, bilden die Außenzonen.

(2) Die Landesregierung hat in den Verordnungen nach §1 für die Außenzonen jene Maßnahmen zu verbieten oder zu bewilligungspflichtigen Maßnahmen zu erklären, die eine nachhaltige Beeinträchtigung der landschaftlichen Eigenart oder Schönheit, des Erholungswertes oder des Naturhaushaltes solcher Gebiete zur Folge hätten.

[…]

§40

Strafbestimmungen

(1) Wer die §§6 Abs2, 3 und 5, 7 Abs2 und 35 sowie die auf Grund der §§7 Abs2, 8 Abs2 und 19 erlassenen Verordnungen übertritt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu Euro 3.630,-, im Falle wiederholter und schwerwiegender Übertretungen der §§6 Abs2 und 3 und 7 Abs2 bis zu Euro 7260,- zu bestrafen.

Eine Verwaltungsübertretung, die mit einer Geldstrafe bis zu Euro 3630,- bestraft werden kann, begeht auch, wer

a) eine Arbeitseinstellung nach §12a missachtet,

b) in Bewilligungen vorgeschriebene Auflagen nicht einhält oder

c) einen Wiederherstellungsauftrag nicht erfüllt.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Bildet die unzulässige Herstellung einer Anlage oder die unzulässige Durch-führung einer sonstigen Maßnahme den Gegenstand einer Verwaltungsübertre-tung, so endet das strafbare Verhalten erst mit der Beseitigung der Anlage bzw. der Behebung der Maßnahme oder mit der Rechtskraft der nachträglich erteilten Bewilligung."

2. §10 der Verordnung der Kärntner Landesregierung, mit der der „Nationalpark Nockberge“ eingerichtet wird, LGBl 79/1986, idF LGBl 120/1991, lautete bis zu seiner mit 1. Jänner 2013 wirksamen Aufhebung durch die Verordnung der Kärntner Landesregierung vom 18. Dezember 2012, 08-NATP-1/2010 (015/2012), LGBl 125/2012:

"§10

Bewilligungspflicht

(1) In der Außenzone des Nationalparks Nockberge bedürfen nachstehende Vorhaben einer Bewilligung durch die Bezirksverwaltungsbehörde:

a) Die Errichtung und jede nach außen sichtbare Änderung von Gebäuden sowie die Errichtung und wesentliche Änderung von sonstigen baulichen Anlagen;

b) die Errichtung und Änderung von Freileitungen;

c) die Errichtung von Materialseilbahnen, ausgenommen solche, die nur einem vorübergehenden Bedarf dienen;

d) das Abgraben und Anschütten des Geländes, ausgenommen zur Befestigung oder Ausbesserung bestehender Wege;

e) jeder Eingriff in stehende oder fließende Gewässer, Moore oder sonstige Feuchtgebiete;

f) die Errichtung und wesentliche Änderung von Einfriedungen, soweit sie nicht Weidezwecken oder zum Schutz forstlicher Kulturen dienen;

g) die Anlage von Ablagerungsplätzen, Materiallagerplätzen u.ä.

(2) Eine Bewilligung nach Abs1 ist zu erteilen, wenn durch die beantragte Maßnahme die mit der Festlegung des Gebietes als Außenzone verfolgten Ziele (§8 Abs2 Kärntner Nationalparkgesetz) weder abträglich beeinflußt oder gefährdet werden."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten kann dem Verwaltungsgericht unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn es den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn die angefochtene Entscheidung wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).

2. Solche Fehler sind dem Landesverwaltungsgericht Kärnten im konkreten Fall unterlaufen:

Gemäß §1 Abs1 VStG kann eine Tat nur dann als Verwaltungsübertretung bestraft werden, wenn sie vor ihrer Begehung mit Strafe bedroht war. Gemäß §44a Z2 VStG hat der Spruch eines Straferkenntnisses unter anderem die Verwaltungsvorschrift zu enthalten, die durch die Tat verletzt worden ist. Die solcherart als verletzt angesehene Verwaltungsvorschrift muss während des gesamten inkriminierten Tatzeitraumes in Geltung gestanden sein (vgl. ua. VwGH 12.9.2013, 2013/21/0088).

Das Landesverwaltungsgericht Kärnten bestätigte das in Beschwerde gezogene Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau sowohl hinsichtlich des mit 26. Oktober 2009 bis 9. Oktober 2015 festgestellten Tatzeitraumes als auch in Bezug auf die dort genannten verletzten Rechtsvorschriften. Dabei ließ das Landesverwaltungsgericht Kärnten unbeachtet, dass die Verordnung über den Nationalpark Nockberge mit 1. Jänner 2013 außer Kraft getreten ist und die Bestrafung ab diesem Zeitpunkt nicht mehr auf §40 Abs1 iVm §8 Abs2 K‑NBG iVm §10 Abs1 lita der Verordnung über den Nationalpark Nockberge gestützt werden konnte. Ob und inwieweit die Strafbarkeit auf Grund des – gleichzeitig mit der Aufhebung der Verordnung über den Nationalpark Nockberge beschlossenen – Gesetzes mit dem der Biosphärenpark Nockberge errichtet wird (Biosphärenpark-Nockberge-Gesetz – K-BPNG), LGBl 124/2012, weiter besteht, lässt das Landesverwaltungsgericht Kärnten gänzlich unberücksichtigt.

Dadurch, dass das Landesverwaltungsgericht Kärnten die Bestrafung auf eine bereits außer Kraft getretene Rechtsvorschrift gestützt hat, ohne sich damit zu befassen, ob die Strafbarkeit auf Grund einer anderen Rechtsgrundlage weiter besteht, hat es die Rechtslage grob verkannt.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art2 StGG und Art7 B‑VG verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

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