VfGH G236/2016

VfGHG236/20165.12.2016

Zurückweisung des Parteiantrags auf Aufhebung einer strafprozessrechtlichen Bestimmung betr die Nichtausfolgung einer Kopie der Aufnahme einer kontradiktorischen Vernehmung mangels Vorliegens einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache"

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
StPO §52 Abs1, §106, §165 Abs5a
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
StPO §52 Abs1, §106, §165 Abs5a

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, den letzten Satz des §165 Abs5a Strafprozeßordnung 1975 ("StPO"), BGBl 631/1975, idF BGBl I 26/2016, als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

1. Die §§51, 52, 53, 54 und 165 Strafprozeßordnung 1975 ("StPO"), BGBl 631/1975, idF BGBl I 26/2016, lauten (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):

"Akteneinsicht

§51. (1) Der Beschuldigte ist berechtigt, in die der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht vorliegenden Ergebnisse des Ermittlungs- und des Hauptverfahrens Einsicht zu nehmen. Das Recht auf Akteneinsicht berechtigt auch dazu, Beweisgegenstände in Augenschein zu nehmen, soweit dies ohne Nachteil für die Ermittlungen möglich ist.

(2) Soweit die im §162 angeführte Gefahr besteht, ist es zulässig, personenbezogene Daten und andere Umstände, die Rückschlüsse auf die Identität oder die höchstpersönlichen Lebensumstände der gefährdeten Person zulassen, von der Akteneinsicht auszunehmen und Kopien auszufolgen, in denen diese Umstände unkenntlich gemacht wurden. Im Übrigen darf Akteneinsicht nur vor Beendigung des Ermittlungsverfahrens und nur insoweit beschränkt werden, als besondere Umstände befürchten lassen, dass durch eine sofortige Kenntnisnahme von bestimmten Aktenstücken der Zweck der Ermittlungen gefährdet wäre. Befindet sich der Beschuldigte jedoch in Haft, so ist eine Beschränkung der Akteneinsicht hinsichtlich solcher Aktenstücke, die für die Beurteilung des Tatverdachts oder der Haftgründe von Bedeutung sein können, ab Verhängung der Untersuchungshaft unzulässig.

(3) Einfache Auskünfte können auch mündlich erteilt werden. Hiefür gelten die Bestimmungen über Akteneinsicht sinngemäß.

§52. (1) Soweit dem Beschuldigten Akteneinsicht zusteht, sind ihm auf Antrag und gegen Gebühr Kopien (Ablichtungen oder andere Wiedergaben des Akteninhalts) auszufolgen oder ist ihm nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten zu gestatten, Kopien selbst herzustellen, sofern dieses Recht nicht durch einen Verteidiger ausgeübt wird (§57 Abs2). Ton- oder Bildaufnahmen, deren Besitz allgemein verboten ist, oder die Inhalte betreffen, die gemäß §51 Abs2 erster Satz der Akteneinsicht nicht unterliegen, sind davon ausgenommen; betrifft deren Inhalt schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen anderer Beteiligter des Verfahrens oder Dritter, so ist dem Beschuldigten die Pflicht zur Geheimhaltung dieser Aufnahmen aufzuerlegen (§301 Abs2 StGB). Sofern dies zur Gewährleistung der Datensicherheit erforderlich ist, sind dem Beschuldigten die Kopien auf von den Strafverfolgungsbehörden zur Verfügung gestellten Datenträgern gegen den Ersatz deren Anschaffungskosten zu übergeben.

(2) In folgenden Fällen hat der Beschuldigte keine Gebühren nach Abs1 zu entrichten:

1. wenn und so lange ihm Verfahrenshilfe bewilligt wurde,

2. wenn er sich in Haft befindet, bis zur ersten Haftverhandlung oder zur früher stattfindenden Hauptverhandlung hinsichtlich aller Aktenstücke, die für die Beurteilung des Tatverdachts oder der Haftgründe von Bedeutung sein können,

3. für Befunde und Gutachten von Sachverständigen, Behörden, Dienststellen und Anstalten.

(3) Dem Verfahrenshilfeverteidiger sind unverzüglich Kopien des Aktes von Amts wegen, im Haftfall durch das Gericht zuzustellen. Gleiches gilt für die Fälle des Abs2 Z2 und 3. Der Verteidiger des in Haft befindlichen Beschuldigten kann beantragen, dass ihm durch die Staatsanwaltschaft Kopien der in Abs2 Z2 und 3 angeführten Aktenstücke auch in weiterer Folge von Amts wegen übermittelt werden.

Verfahren bei Akteneinsicht

§53. (1) Einsicht in den jeweiligen Akt kann im Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft und bis zur Erstattung des Abschlussberichts (§100 Abs2 Z4) auch bei der Kriminalpolizei begehrt werden, im Hauptverfahren bei Gericht. Solange der Beschuldigte in Untersuchungshaft angehalten wird, hat ihm auf Antrag auch das Gericht Akteneinsicht in die im §52 Abs2 Z2 angeführten Aktenstücke zu gewähren.

(2) Soweit Akteneinsicht zusteht, ist sie grundsätzlich während der Amtsstunden in den jeweiligen Amtsräumen zu ermöglichen. Im Rahmen der technischen Möglichkeiten kann sie auch über Bildschirm oder im Wege elektronischer Datenübertragung gewährt werden.

Verbot der Veröffentlichung

§54. Der Beschuldigte und sein Verteidiger sind berechtigt, Informationen, die sie im Verfahren in nicht öffentlicher Verhandlung oder im Zuge einer nicht öffentlichen Beweisaufnahme oder durch Akteneinsicht erlangt haben, im Interesse der Verteidigung und anderer überwiegender Interessen zu verwerten. Es ist ihnen jedoch untersagt, solche Informationen, soweit sie personenbezogene Daten anderer Beteiligter des Verfahrens oder Dritter enthalten und nicht in öffentlicher Verhandlung vorgekommen sind oder sonst öffentlich bekannt wurden, in einem Medienwerk oder sonst auf eine Weise zu veröffentlichen, dass die Mitteilung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, wenn dadurch schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen (§§1 Abs1, 8 und 9 DSG 2000) anderer Beteiligter des Verfahrens oder Dritter, die gegenüber dem öffentlichen Informationsinteresse überwiegen, verletzt würden.

[…]

Kontradiktorische Vernehmung des Beschuldigten oder eines Zeugen

§165. (1) Eine kontradiktorische Vernehmung sowie die Ton- oder Bildaufnahme einer solchen Vernehmung des Beschuldigten oder eines Zeugen ist zulässig, wenn zu besorgen ist, dass die Vernehmung in einer Hauptverhandlung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht möglich sein werde.

(2) Die kontradiktorische Vernehmung hat das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft in sinngemäßer Anwendung der Bestimmungen der §§249 und 250 durchzuführen (§104). Das Gericht hat der Staatsanwaltschaft, dem Beschuldigten, dem Opfer, dem Privatbeteiligten und deren Vertretern Gelegenheit zu geben, sich an der Vernehmung zu beteiligen und Fragen zu stellen.

(3) Bei der Vernehmung eines besonders schutzbedürftigen Opfers (§66a) oder sonst eines Zeugen, auf den die in §66a erwähnten Kriterien zutreffen, oder sonst im Interesse der Wahrheitsfindung ist auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder von Amts wegen die Gelegenheit zur Beteiligung derart zu beschränken, dass die Beteiligten des Verfahrens (Abs2) und ihre Vertreter die Vernehmung unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung mitverfolgen und ihr Fragerecht ausüben können, ohne bei der Befragung anwesend zu sein. Insbesondere beim Vorliegen besonderer Schutzbedürftigkeit kann ein Sachverständiger mit der Befragung beauftragt werden. In jedem Fall ist dafür Sorge zu tragen, dass eine Begegnung des Zeugen mit dem Beschuldigten und anderen Verfahrensbeteiligten möglichst unterbleibt.

(4) Einen minderjährigen Zeugen, der durch die dem Beschuldigten zur Last gelegte Straftat in seiner Geschlechtssphäre verletzt worden sein könnte, hat das Gericht in jedem Fall auf die in Abs3 beschriebene Art und Weise zu vernehmen, die übrigen besonders schutzbedürftigen Opfer (§66a) und die in §156 Abs1 Z1 und 2 erwähnten Zeugen über ihren Antrag oder jenen der Staatsanwaltschaft.

(5) Vor der Vernehmung hat das Gericht den Zeugen überdies darüber zu informieren, dass das Protokoll in der Hauptverhandlung verlesen und Ton- oder Bildaufnahmen der Vernehmung vorgeführt werden können, auch wenn er im weiteren Verfahren die Aussage verweigern sollte. Soweit ein Sachverständiger mit der Durchführung der Befragung beauftragt wurde (Abs3), obliegt diesem die Vornahme dieser Information und jener nach §161 Abs1. Auf das Alter und den Zustand des Zeugen ist dabei Rücksicht zu nehmen. Die Informationen und darüber abgegebene Erklärungen sind zu protokollieren.

(5a) Erfolgt die Vernehmung unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung, so ist die Aufnahme in jedem Fall unverzüglich in Vollschrift zu übertragen und als Protokoll zum Akt zu nehmen. Im Fall einer Vernehmung eines Zeugen, der durch die dem Beschuldigten zur Last gelegte Straftat in seiner Geschlechtssphäre verletzt worden sein könnte, ist die Aufnahme durch das Gericht (§31 Abs1) zu verwahren und nach Einbringen der Anklage dem zuständigen Gericht zu übermitteln. Entgegen §52 Abs1 besteht in diesem Fall kein Recht auf Ausfolgung einer Kopie.

(6) Im Übrigen sind die Bestimmungen dieses Abschnitts sinngemäß anzuwenden."

III. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Gegen den Antragsteller im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verbrechens nach §201 StGB bei der Staatsanwaltschaft Wien anhängig. Am 23. Mai 2016 fand im Rahmen dieses Ermittlungsverfahrens eine kontradiktorische Vernehmung des Opfers statt. Das Gericht ordnete gemäß §165 Abs3 iVm §66a StPO an, dass die Beteiligten des Verfahrens und ihre Vertreter diese Vernehmung unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung mitverfolgen und ihr Fragerecht ausüben konnten, ohne bei der Befragung anwesend zu sein. Am 9. Juni 2016 beantragte der Antragsteller die Herstellung und Zusendung einer Kopie der DVD dieser Vernehmung. Gestützt auf §165 Abs5a StPO lehnte die Staatsanwaltschaft dieses Ersuchen am 9. Juni 2016 ab.

Gegen die Versagrung der Ausfolgung einer Kopie erhob der Antragsteller mit Schriftsatz vom 16. Juni 2016 Einspruch wegen Rechtsverletzung gemäß §106 StPO, den das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 29. Juni 2016 abwies. Das Landesgericht für Strafsachen Wien begründete diese Entscheidung damit, dass §52 Abs1 StPO das Recht auf eine Kopie des Akteninhalts nur vorbehaltlich der Beschränkung durch andere generelle Rechtsvorschriften gewähre. Da eine solche Beschränkung in §165 Abs5a letzter Satz StPO vorgesehen sei, liege im konkreten Fall keine Verletzung des Rechts auf Ausfolgung einer Kopie gemäß §§51 ff. StPO vor. Darüber hinaus sei auch kein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren gemäß Art6 EMRK erkennbar. §165 Abs5a zweiter Satz StPO ordne an, dass die Aufnahme der kontradiktorischen Vernehmung durch das Gericht zu verwahren und nach Einbringen der Anklage dem zuständigen Gericht zu übermitteln sei. Die Aufnahme befinde sich damit zu keinem Zeitpunkt bei der Staatsanwaltschaft. Beschuldigter und Staatsanwaltschaft verfügten bloß über eine inhaltlich idente Protokollabschrift der kontradiktorischen Vernehmung. Eine Benachteiligung des Beschuldigten gegenüber der Staatsanwaltschaft sei nicht anzunehmen.

Gegen diesen Beschluss erhob der Antragsteller eine – offenkundig zulässige – Beschwerde an das Oberlandesgericht Wien und stellte rechtzeitig den vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag.

2. Der Antragsteller legt die Bedenken, die ihn zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof veranlasst haben, wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Original):

"IV.1. Verletzung Art6 EMRK

Zum Fairnessgebot des Art6 Abs1 EMRK gehören Teilgewährleistungen wie der Grundsatz der Waffengleichheit und das Recht auf Akteneinsicht (Grabenwarter, EMRK4 §24 Rz 60 f mN). Der Angeklagte bzw. Beschuldigte muss gemäß Art6 Abs3 litb EMRK über ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung verfügen. Dies erfordert auch in bestimmtem Umfang den Zugang zu Beweismaterial (Grabenwarter aaO Rz 100 und 102 mN). In jüngerer Rechtsprechung betonte der EGMR, aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens ergebe sich auch das Recht des Angeklagten, erforderlichenfalls Kopien von Aktenteilen zu erhalten (EGMR 18.3.1997, Foucher gegen Frankreich, Nr 10/1996/629/812; EGMR 24.4.2007, Matyjek gegen Polen, Nr 38184/03; EGMR 15.1.2008, Luboch gegen Polen, Nr 37469/05; EGMR 9.10.2008, Moiseyev gegen Russland, Nr 62936/00; EGMR 26.11.2009, Dolenec gegen Kroatien, Nr 25282/06; Meyer-Ladewig, EMRK3 Art6 Rz 115).

Es ist davon auszugehen, dass der vom EGMR gebrauchte Begriff 'case materials' (EGMR 9.10.2008, Moiseyev gegen Russland, Nr 62936/00) sich auf alle Aktenstücke, seien diese nun schriftlich oder audio-visueller Natur, bezieht (vgl auch EGMR 26.7.2011, Huseyn, und andere gegen Aserbaidschan, Nr 35485/05, 45553/05, 35680/05 und 36085/05).

Der Grundsatz der Waffengleichheit und des fairen Verfahrens erfordert, dass dem Beschuldigten (Angeklagten) hinlänglicher Zugang zu allen Beweisen der Strafverfolgungsbehörde ermöglicht wird, was die Einräumung von ausreichend Zeit und das Bereithalten von Räumlichkeiten zur Vorbereitung der Verteidigung einschließt, um nicht in eine gegenüber der Anklagebehörde nachteilige Position zu geraten (vgl. erneut EGMR 9.10.2008, Fall Moiseyev, Appl. 62.936/00, Z217 f.). Daher muss ihm auch das Recht zukommen, ohne wesentliche Privilegierung der Staatsanwaltschaft ‑ also unter vergleichbaren Bedingungen ‑ Zugang zu Ton- oder Bildaufnahmen zu erhalten.

Hinzuweisen ist darauf, dass der letzte Satz des §165 Abs5a StPO lediglich die Rechte des Beschuldigten ('Entgegen §52 Abs1'), nicht jedoch Rechte der Staatsanwaltschaft beschneidet.

Damit ist die gravierende Privilegierung der Strafverfolgungsbehörde evident. Da §165 Abs5a StPO in seinem letzten Satz die Ausfolgung einer Aktkopie nur als Beschuldigtenrecht, nicht jedoch als Staatsanwaltschaftsrecht ausschliesst, ist das dem Beschuldigten verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein faires Verfahren und auf Waffengleichheit mit der Strafverfolgungsbehörde massivst verletzt.

Erschwerend kommt hinzu, dass auch die – nach der angefochtenen Bestimmung an sich nicht ausgeschlossene – Akteneinsicht für Verteidiger und Beschuldigten de facto wesentlich eingeschränkt ist. Während der Strafverfolgungsbehörde die Aufnahmen der KDV im wesentlichen während der Amtsstunden des Gerichtes unbeschränkt zur Ein- und Ansicht zur Verfügung stehen, der Staatsanwalt also in die Lage versetzt wird, die Filmaufnahmen anzusehen, allenfalls davon hergestellte Kopien zu seinen Unterlagen zu nehmen und nach Gutdünken wiederholt zu besichtigen, Details auszuwerten und seine Anklage auf diese spezifischen Bearbeitungen zu stützen, wird der Beschuldigte (Angeklagte) von einer derartigen Möglichkeit ausgeschlossen.

Wesentliche Voraussetzungen einer rechtsstaatlichen Verteidigungsmöglichkeit sind die Überprüfbarkeit der Richtigkeit der Transskription (Übertragung der Ton- bzw. Bildaufnahme in ein Protokoll) und – wie im vorliegenden Fall – der Korrektheit der in der KDV vorgenommenen Übersetzung. Weiters die Möglichkeit durch nachträgliche analysierende Betrachtung und Beobachtung der Mimik und des Verhaltens der befragten Zeugin, etwaige Unsicherheiten oder Schwachstellen ihrer belastenden Aussage zu erkennen und dementsprechend die Hauptverhandlung verteidigend vorzubereiten.

Dem Beschuldigten und Verteidiger wird es durch die angefochtene Bestimmung auch verwehrt, für die verteidigungserforderliche Überprüfung Fachkräfte beizuziehen. Dolmetscher und aussagepsychologische Sachverständige können einer Akteneinsicht bei Gericht nicht beigezogen werden. Die Verteidigung ist diesbezüglich auf die Herstellung und Übermittlung einer Kopie der elektronischen Wort- und Bildübertragung der KDV angewiesen.

Mit der angefochtenen gesetzlichen Regelung kann ein gegenüber der Position der Anklagebehörde nicht unerheblicher Nachteil für die Rechtsstellung des Beschuldigten vor allem dann verbunden sein, wenn es sich beim digitalen Aufnahmematerial (wie im Anlassfall) um ein besonders bedeutsames, nämlich um die Aussage der einzigen Belastungszeugin handelt.

IV.2. denkunmöglicher Gesetzeswiderspruch

§52 Abs1 StPO beschränkt das Recht des Beschuldigten auf Aktkopien auf den Umfang, in dem er das Recht auf Akteneinsicht hat. §165 Abs5a letzter Satz StPO beschränkt jedoch nicht das Recht des Beschuldigten auf Akteneinsicht, sondern nimmt ihm lediglich selektiv das Recht diesbezügliche Aktkopien zu erhalten.

Damit steht der letzte Satz des §165 Abs5a StPO in systemwidrigen und denkunmöglichen Widerspruch zur der die verfassungsgesetzlich gewährleistende Rechte des Beschuldigten (Art6 Abs1 und Abs3 litb EMRK, Art2 StGG) sichernden Bestimmung der §§51, 52 StPO."

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie den im Antrag geäußerten Bedenken entgegentritt.

IV. Zur Zulässigkeit

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

Voraussetzung eines Parteiantrages auf Normenkontrolle ist – entsprechend der Formulierung des Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG – die Einbringung eines Rechtsmittels in einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache", somit eines Rechtsmittels gegen eine die Rechtssache erledigende Entscheidung erster Instanz (vgl. VfSlg 20.001/2015; VfGH 25.2.2016, G659/2015).

2. Der vorliegende Antrag wird aus Anlass einer Beschwerde gegen einen Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, mit dem ein Einspruch wegen Rechtsverletzung gemäß §106 StPO abgewiesen wurde, gestellt.

Im Hinblick auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ist (nur) dann vom Vorliegen einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache" und damit von der Zulässigkeit eines Parteiantrages auszugehen, wenn der betreffende Akt nicht (mehr) durch Rechtsmittel gegen das auf Grund einer Anklage im Hauptverfahren ergehende (kondemnierende) Urteil angefochten werden kann (VfSlg 20.001/2015; VfGH 7.10.2015, G372/2015; 22.9.2016, G176/2016).

Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor: Der Beschuldigte bzw. Angeklagte hat die Möglichkeit, auch während der Hauptverhandlung einen Antrag auf Ausfolgung einer Kopie der Aufnahme der kontradiktorischen Vernehmung – allenfalls in Verbindung mit einem Vertagungsantrag – zu stellen und die Verweigerung dieses Begehrens im Rahmen einer Nichtigkeitsbeschwerde gegen das kondemnierende Urteil (gestützt auf §281 Abs1 Z4 StPO) geltend zu machen (vgl. Achammer, WK-StPO [2009] §53 Rz 38; Haißl, in Schmölzer/Mühlbacher [Hrsg] StPO, Band 1 [2013] §51 Rz 27).

3. Dem Antragsteller fehlt daher mangels Vorliegens einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache" iSd Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG die Legitimation zur Antragstellung. Der Antrag ist somit zurückzuweisen.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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