Normen
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
VfGG §62a Abs1
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
VfGG §62a Abs1
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG gestützten Antrag begehrt die antragstellende Gesellschaft, "der Verfassungsgerichtshof möge die Bestimmung des §8 Absatz 3 MRG idF gem. BGBl 800/1993 (letzte Änderung anwendbar seit 01.03.1994) zur Gänze – sowie auch die Wortfolge 'und 3' in §37 Abs1 Z5 MRG idF gem. BGBl Nr 520/1981 – wegen Verfassungswidrigkeit aufheben". Die antragstellende Gesellschaft stellt ferner mehrere Eventualanträge auf Aufhebung näher bezeichneter Wortfolgen des §8 Abs3 Mietrechtsgesetz.
II. Sachverhalt und Antragsvorbringen
1. Mit Sachbeschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 23. Oktober 2015, Z 56 MSCH 28/14f, wurde der Antrag auf Verpflichtung der antragstellenden Gesellschaft zur Zahlung einer Entschädigung gemäß §8 Abs3 MRG iHv € 1.647.653,79 sA abgewiesen.
2. Mit Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 29. Juni 2016 wurde dem dagegen erhobenen Rekurs Folge gegeben, der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Ergänzung des Verfahrens an das Erstgericht zurückverwiesen.
3. Gegen diesen Beschluss erhob die antragstellende Gesellschaft am 22. August 2016 Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung sowie der Mangelhaftigkeit des Verfahrens.
4. Der Parteiantrag auf Normenkontrolle wurde am 23. August 2016 aus Anlass des unter Pkt. II.3. genannten Revisionsrekurses eingebracht. Die antragstellende Gesellschaft führt zur Zulässigkeit Folgendes aus:
"1.) Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG […].
Wir sind Partei (bzw. Antragsgegnerin) des außerstreitigen Gerichtsverfahrens vor dem Bezirksgericht Innere Stadt Wien, GZ 56 MSch 28/14 f. Mit Sachbeschluss vom 23.10.2015, 56 MSch 28/14 f-22, hat das Bezirksgericht Innere Stadt Wien den Antrag der beteiligten Partei zur Gänze (wegen Verjährung) abgewiesen.
[Die] Antragstellerin hat in diesem Verfahren vor der ersten Instanz somit zur Gänze obsiegt und war es ihr mangels Beschwer sohin nicht möglich, ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung der ersten Instanz einzulegen; schon aus diesem Grund war es der Antragstellerin auch nicht möglich und zumutbar, bereits zu diesem Zeitpunkt beim VfGH einen Parteiantrag auf Normenkontrolle zu stellen, zumal dies durch die eindeutige Formulierung des §62a Abs1 VfGG ohnehin ausgeschlossen gewesen wäre.
Erst aufgrund des aktuellen Erkenntnisses vom 02.07.2016, G235/2015 [gemeint wohl: G95/2016], wurden Wortlaute des §62a VfGG wie folgt aufgehoben:
[…]
Erst damit ist (auch) der Antragstellerin die Möglichkeit eröffnet worden, als die in der ersten Instanz obsiegende Partei diese Rechtssache an den VfGH zu tragen.
[…]
Die[…] Entscheidung [des Landesgerichtes Wien vom 29. Juni 2016] wurde uns am 26.07.2016 zugestellt und haben wir dagegen fristgerecht (binnen der vierwöchigen Frist des §37 Abs3 Z16 MRG) am heutigen Tag den (zulässigen) Revisionsrekurs an den Obersten Gerichtshof eingebracht. Gleichzeitig stellen wir diesen Parteiantrag auf Normenkontrolle, der somit zulässig ist.
2.) Verwiesen wird noch auf den im Jahre 2015 gegebenen Umstand, dass die Antragstellerin — mangels Beschwer — nicht bereits im Zuge des Rechtsmittels (nur) der beteiligten Partei gegen den Sachbeschluss des BG Innere Stadt Wien einen Parteiantrag auf Normenkontrolle stellen konnte (vgl. Fichtenbauer/Hauer, Parteiantrag auf Normenkontrolle, Rz 58; Rohregger, Der Parteiantrag auf Normenkontrolle, in AnwBl 2015/04, 188, insbesondere S 196; Brugger, Die erfolgreiche Berufung im Zivilprozess2, Rz 310).
In der Literatur wird die Frage, ob eine zunächst obsiegende und erst in der zweiten Instanz unterliegende Partei im Zuge ihres Rechtsmittels (an die dritte Instanz) einen Parteiantrag auf Normenkontrolle einbringen könne, nicht eindeutig beantwortet (vgl. etwa Fichtenbauer/Hauer, Parteiantrag auf Normenkon-trolle, Rz 93f).
Die Formulierungen des Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG iVm §62a Abs1 VfGG sollen aber offenbar so gelesen werden, dass zwar der Antrag an den VfGH gleichzeitig mit dem (selbst) erhobenen und zulässigen Rechtsmittel gegen eine Gerichtsentscheidung gestellt werden muss, die Entscheidung einer Rechtsache durch ein Gericht in erster Instanz aber bloß die formelle, zeitlich davorliegende Voraussetzung für einen derartigen Antrag zu sein hat. Es wird somit kein zwingender unmittelbarer zeitlicher Konnex zwischen der Entscheidung der ersten Instanz und dem zulässigen Rechtsmittel (des Antragstellers an den VfGH) gezogen, es muss bloß überhaupt eine derartige Entscheidung der ersten Instanz vorliegen, auch wenn das zulässige Rechtsmittel (des Antragstellers an den VfGH) erst gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhoben werden kann.
In Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG soll offenbar nur der Umstand zum Ausdruck gebracht werden, dass eine erstinstanzliche gerichtliche Entscheidung noch nicht rechtskräftig geworden ist; dieser Umstand (bzw. diese Voraussetzung) wird durch die Anfechtung einer zweitinstanzlichen Entscheidung aber natürlich perpetuiert.
Die Gesetzesmaterialien (2380 der Beilagen XXIV. GP, zu Z11, Seite 8) führen zu dieser Frage ohnehin aus wie folgt:
'Der Parteiantrag ist grundsätzlich aus Anlass der Erhebung eines der Partei gegen die Entscheidung eines in erster Instanz zuständigen ordentlichen Gerichtes zustehenden Rechtsmittels zu stellen. Er kann jedoch dann nach Erlassung der Entscheidung eines in zweiter Instanz zuständigen ordentlichen Gerichtes gestellt werden, wenn der Partei eine Antragstellung aus Anlass der Erhebung eines Rechtsmittels gegen die erstinstanzliche Entscheidung nicht zumutbar war. Dies kann zB dann der Fall sein, wenn die Partei in einer Zivilrechtssache in erster Instanz zur Gänze obsiegt hat, sodass die Stellung eines Antrages nach Erlassung der erstinstanzlichen Entscheidung ihren rechtlichen Interessen offensichtlich zuwiderlaufen würde. Im Übrigen soll es dem Verfassungsgerichtshof obliegen, das Kriterium der Zumutbarkeit in seiner Rechtsprechung näher zu präzisieren.' [Hervorhebungen nicht im Original]
[…]"
III. Rechtslage
1. Der Verfassungsgerichtshof hob mit Erkenntnis vom 2. Juli 2016, G95/2016, Wortfolgen in §62a Verfassungsgerichtshofgesetz 1953 – VfGG als verfassungswidrig auf und sprach gemäß Art140 Abs7 zweiter Satz B‑VG aus, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind. Der Verfassungsgerichtshof sah im Hinblick auf den Aufhebungsumfang davon ab, für das Außerkrafttreten der Bestimmungen eine Frist zu setzen. Der Verfassungsgerichtshof führt in diesem Zusammenhang wörtlich aus wie folgt:
"3.2.7. Dass der Verfassungsgesetzgeber auch die Konstellation im Rechtsmittelverfahren im Blick hatte, zeigen die folgenden Sätze der Begründung des Abänderungsantrages (AA‑336, 24. GP, 3), auf die der Verfassungsgerichtshof seine Bedenken im Prüfungsbeschluss maßgeblich stützte: 'Die Formulierung 'aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels' bedeutet nicht, dass der Parteienantrag gleichzeitig mit dem Rechtsmittel oder in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit diesem erhoben worden sein muss; sie bedeutet bloß, dass überhaupt ein Rechtsmittel erhoben worden sein muss.' (Hervorhebungen nicht im Original)
Dies entspricht der Textierung des Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG mit dem oben dargestellten Verständnis des Begriffs 'Rechtssache'. Die Begründung des Verfassungsgesetzgebers präzisiert noch weiter (Hervorhebungen nicht im Original): 'Es wird dadurch klargestellt, dass nicht bloß jene Partei antragsbefugt ist, die das Rechtsmittel erhoben hat, sondern alle Parteien des Verfahrens, insb. auch jene, die aufgrund einer möglichen abweichenden zweitinstanzlichen Entscheidung aufgrund des Rechtsmittels negativ betroffen sein kann.' Auch dies steht im Einklang mit dem Wortlaut des Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG, sofern man die Begriffe 'Rechtssache' und 'in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet' ebenso wie in Art144 B‑VG als mögliche Rechtsverletzung im Verfahren insgesamt versteht, also auch jener Partei, die 'aufgrund des Rechtsmittels negativ betroffen sein kann'.
3.2.8. Zu den möglichen Verfahrensregelungen durch den einfachen Gesetzgeber stellt die Begründung des Abänderungsantrages noch dar, dass die 'Regelung dieses Parteienantrages […] für den einfachen Gesetzgeber nicht disponibel' ist (also auch der Antrag des Prozessgegners im Rechtsmittelverfahren zwingend vorzusehen ist). Zur prozessualen Verwirklichung besteht für den einfachen Gesetzgeber nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers in bestimmter Hinsicht ein weiter Spielraum: Er könne zwar 'nur – im Sinne der Effizienz – Zeitpunkt und Frist für den Antrag bestimmen'; dies aber 'entweder im Rechtsmittelverfahren selbst oder auch binnen angemessener Frist nach dessen Abschluss, wenn eine Antragstellung im Verfahren selbst das Rechtsschutzbedürfnis der Partei [damit ist der Prozessgegner des Rechtsmittelwerbers gemeint] nicht erfüllen kann'.
3.2.9. Für den Verfassungsgerichtshof folgt aus der Begründung des Abänderungsantrages, dass auch der in erster Instanz (vollständig) obsiegenden Partei, die im Falle eines Rechtsmittelverfahrens entsprechend Prozessgegner ist, vom Gesetzgeber die Möglichkeit einer Antragstellung einzuräumen ist.
[…]
[…] Die verbleibende Vorschrift erlaubt dem Verfassungsgerichtshof die Deutung, dass es sich um die Entscheidung handelt, aus deren Anlass ein Parteiantrag erhoben wird. […] Die Angaben, die nach dem verbleibenden Teil des §62a Abs3 VfGG in Zukunft erforderlich sind, ermöglichen dem Verfassungsgerichtshof in Hinkunft vor dem Hintergrund des Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG zu beurteilen, aus Anlass welchen Rechtsmittels der Antrag von einer Partei des Verfahrens vor dem ordentlichen Gericht gestellt wird und wie das zeitliche Verhältnis zwischen der Erhebung des Rechtsmittels und dem Antrag vor dem Verfassungsgerichtshof ist. Solange durch den Gesetzgeber keine Neuregelung erfolgt, hat der Verfassungsgerichtshof die Rechtzeitigkeit – ausgehend vom Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers – unmittelbar vor dem Hintergrund des Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG zu beurteilen.
Daraus folgt, dass ein solcher Antrag durch den Rechtsmittelwerber grundsätzlich dann rechtzeitig ist, wenn er innerhalb der Rechtsmittelfrist gestellt wird, und für den Rechtsmittelgegner – jedenfalls bei zweiseitigen Rechtsmitteln – der Parteiantrag während der Frist zur Beantwortung des Rechtsmittels erfolgt."
2. §62a VfGG hat nunmehr – unter Berücksichtigung der Kundmachung des Bundeskanzlers über die Aufhebung von Wortfolgen und eines Wortes in §62a des Verfassungsgerichtshofgesetzes 1953 durch den Verfassungsgerichtshof, BGBl I 78/2016, (siehe soeben unter Pkt. III.1.) – folgenden Wortlaut:
"§62a. (1) Eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, kann einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben (Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG). Die Stellung eines solchen Antrages ist unzulässig:
1. – 9. […]
(2) […]
(3) Der Antrag hat über die Erfordernisse des §62 hinaus zu enthalten:
1. die Bezeichnung der Entscheidung und des ordentlichen Gerichtes, das sie erlassen hat;
2. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob der Antrag rechtzeitig eingebracht ist.
(4) – (6) […]"
IV. Zulässigkeit
1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Auch §62a Abs1 erster Satz VfGG idF BGBl I 78/2016 verlangt als Voraussetzung einer derartigen Antragstellung u.a. die Einbringung eines (zulässigen) Rechtsmittels in einer von "einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache".
2. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 2. Juli 2016, G95/2016, u.a. Wortfolgen in §62a Abs1 erster Satz VfGG als verfassungswidrig aufgehoben. Nach Aufhebung von Teilen des §62a VfGG durch dieses Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof auf Grund von Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG zu prüfen, ob der Antrag "aus Anlass" eines gegen eine Entscheidung eines ordentlichen Gerichts erster Instanz erhobenen Rechtsmittels gestellt wurde.
3. Im Ausgangsverfahren erging der Beschluss des Bezirksgerichts, mithin die Entscheidung des Gerichts erster Instanz, bereits am 23. Oktober 2015. Die Rechtsmittelentscheidung, d.i. der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien, mit dem über den Rekurs der gegnerischen Partei gegen den Beschluss erster Instanz entschieden wurde, erging am 29. Juni 2016. Die antragstellende Gesellschaft erhob gegen diesen Beschluss am 22. August 2016 Revisionsrekurs und stellte am 23. August 2016 einen Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG.
4. Der Antrag ist unzulässig, weil er erst aus Anlass eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung des Gerichts zweiter Instanz erhoben wurde. Das Vorbringen der antragstellenden Gesellschaft, dass ihr erst durch die Aufhebung von Wortfolgen des §62a VfGG mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Juli 2016, G95/2016, die Möglichkeit eröffnet worden sei, als in der ersten Instanz obsiegende Partei aus Anlass des Rechtsmittels der gegnerischen Partei einen Parteiantrag auf Normenkontrolle einzubringen, ändert nichts daran, dass es sich bei dem vorliegenden, aus Anlass eines Revisionsrekurses gegen einen Sachbeschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien gestellten, Parteiantrag nicht um eine Antragstellung "aus Anlass einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache" iSd Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG (s. zur Beschränkung der Anfechtung auf in erster Instanz entschiedene Rechtssachen auch §62a Abs1 erster Satz VfGG) handelt. Der antragstellenden Gesellschaft mangelt es daher an der Legitimation zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG.
5. Der Antrag ist daher schon aus diesem Grund gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren und ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen.
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