VfGH A1/2015

VfGHA1/201511.6.2015

Aussichtslosigkeit eines Verfahrenshilfeantrags zur Erhebung einer Staatshaftungsklage wegen judikativen Unrechts durch ein Erkenntnis des VwGH betr Festsetzung der steuerlichen Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer für eine Gesellschaft in Liechtenstein

Normen

ZPO §63 Abs1 / Aussichtslosigkeit
B-VG Art137 / Allg
ZPO §63 Abs1 / Aussichtslosigkeit
B-VG Art137 / Allg

 

Spruch:

Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.

Begründung

Begründung

1. Der Einschreiter beantragt die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer auf Art137 B‑VG gestützten Klage gegen den Bund. Im Antragsformular betreffend die Bewilligung der Verfahrenshilfe führt der Einschreiter kurz Folgendes aus:

"Durch das VwGH Erkenntnis 2008/13/0012 vom 15.12.2010 erwuchs eine unionsrechtswidrige Abgabenforderung in Rechtskraft. Dieses Erkenntnis ist offenkundig mit Unionsrechtswidrigkeit behaftet, denn die Entscheidung beinhaltet eine Festsetzung der steuerlichen Bemessungsgrundlage, die in direktem Widerspruch steht zum EuGH Urteil in der Rechtssache Cadbury Schweppes (EuGH 12.9.2006, C-196/04 ). An diesem Erkenntnis liegt zudem eine Verletzung der Vorlagepflicht iSd Art267 Abs3 AEUV zugrunde, denn der VwGH hat sich im Zuge dieses Verfahrens geweigert der Anregung zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH vom 28.9.2009 Folge zu leisten. Da sämtliche vom EuGH im Urteil Köbler (EuGH 30.9.2003, C-224/01 ) aufgestellten Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind, haftet der Bund für den durch dieses judikative Unrecht entstandenen Schaden (siehe Beilage ./1: Entwurf Klagsschrift)."

Im beigelegten Entwurf der Klagsschrift führt der Einschreiter näher aus, warum er einen Staatshaftungsanspruch gegenüber dem Bund wegen des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 2010, 2008/13/0012, habe.

2. Eine Rechtsverfolgung durch Einbringung einer Klage gemäß Art137 B‑VG gegen den Bund erscheint als offenbar aussichtslos, weil bei der gegebenen Sachlage mit der Zurückweisung der Klage durch den Verfassungsgerichtshof zu rechnen wäre:

Eine auf den Titel der Staatshaftung gestützte Klage ist nur unter der Voraussetzung zulässig, dass ein Verstoß gegen das Unionsrecht geltend gemacht wird, der im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig und somit hinreichend qualifiziert ist. Wie der Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache Köbler (EuGH 30.9.2003, Rs. C-224/01 , Köbler, Slg. 2003, I -10239 [Rz 51 ff.]) festhält, liegt ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht durch ein nationales letztinstanzliches Gericht unter Berücksichtigung der Besonderheit der richterlichen Funktion und der berechtigten Belange der Rechtssicherheit insbesondere dann vor, wenn gegen eine klare und präzise Vorschrift verstoßen oder eine einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union offenkundig verkannt wird.

Ein Kläger im Staatshaftungsverfahren hat daher begründet darzulegen, dass eine dieser Voraussetzungen erfüllt ist. Der behauptete Verstoß muss also der Art nach möglich sein. Lässt eine Klage dies jedoch vermissen oder werden lediglich Auslegungsfragen aufgeworfen, wird dadurch dieser Anforderung nicht Genüge getan. Eine solche Klage ist unzulässig (vgl. VfSlg 19.470/2011, 19.471/2011, 19.757/2013).

Eine allfällige Verletzung der Vorlagepflicht führt für sich genommen nicht notwendigerweise zur Bejahung eines Staatshaftungsanspruchs (vgl. VfSlg 18.448/2008), sondern ist bei der Entscheidung über einen behaupteten Staatshaftungsanspruch zu berücksichtigen (EuGH 30.9.2003, Rs. C-224/01 , Köbler, Rz 55). Es ist jedoch nicht die Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes, in einem Staatshaftungsverfahren wie dem hier vorliegenden – ähnlich einem Rechtsmittelgericht – die Richtigkeit der Entscheidungen anderer Höchstgerichte zu prüfen (vgl. zB VfSlg 19.361/2011, 19.428/2011, 19.757/2013). Der Verfassungsgerichtshof ist nur zur Beurteilung berufen, ob ein qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (vgl. unter anderem EuGH 30.9.2003, Rs. C-224/01 , Köbler) vorliegt (vgl. VfSlg 17.095/2003 und 17.214/2004).

Entgegen dem Vorbringen des Klägers kann der Verfassungsgerichtshof nicht erkennen, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 15. Dezember 2010, 2008/13/0012, gegen eine klare und präzise unionsrechtliche Vorschrift offenkundig verstoßen hätte. Es geht im vorliegenden Fall ausschließlich um die Frage, ob bestimmte Einkünfte, die formal einer im Eigentum des Einschreiters stehenden Gesellschaft in Liechtenstein zuflossen, in wirtschaftlicher Betrachtungsweise dem Einschreiter zuzurechnen sind. Der Verwaltungsgerichtshof hat dies im genannten Erkenntnis bejaht und die Beschwerde gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts abgewiesen, mit welchem dem Einschreiter Einkommensteuer für näher bestimmte Jahre vorgeschrieben worden war.

Es liegt auch kein offenkundiger Verstoß gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof der Europäischen Union vor, weil dieser in seinem Urteil vom 12. September 2006, Rs. C-196/04 , Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I 07995 (Rz 75) ausgesprochen hat, dass "die Artikel 43 EG und 48 EG dahin auszulegen [sind], dass es ihnen zuwiderläuft, dass in die Steuerbemessungsgrundlage einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft die von einer beherrschten ausländischen Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Gewinne einbezogen werden, wenn diese Gewinne dort einem niedrigeren Besteuerungsniveau als im erstgenannten Staat unterliegen, es sei denn, eine solche Einbeziehung betrifft nur rein künstliche Gestaltungen, die dazu bestimmt sind, der normalerweise geschuldeten nationalen Steuer zu entgehen. Von der Anwendung einer solchen Besteuerungsmaßnahme ist folglich abzusehen, wenn es sich auf der Grundlage objektiver und von dritter Seite nachprüfbarer Anhaltspunkte erweist, dass die genannte beherrschte ausländische Gesellschaft ungeachtet des Vorhandenseins von Motiven steuerlicher Art tatsächlich im Aufnahmemitgliedstaat angesiedelt ist und dort wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeiten nachgeht" (Hervorhebung nicht im Original).

Der Antrag ist sohin mangels der Voraussetzung des §63 Abs1 ZPO (§35 Abs1 VfGG) abzuweisen.

3. Dies konnte gemäß §72 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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