Differenzzahlung zur Familienbeihilfe: unionsrechtliche Prioritätsregeln
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bwin, vom 28. Februar 2011, gerichtet gegen den Bescheid des Finanzamtes Deutschlandsberg Leibnitz Voitsberg vom 11. Februar 2011, betreffend die Abweisung des Antrages auf Gewährung der Differenzzahlung zur Familienbeihilfe für die Monate Februar und Dezember 2010, entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird hinsichtlich der Monate Februar und Dezember 2010 aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Die Berufungswerberin hat im Jänner 2011 bei ihrem damals zuständigen Finanzamt einen Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe (Differenzzahlung) für ihre Tochter für das Jahr 2010 eingebracht.
Das Finanzamt hat diesem Antrag mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid nur hinsichtlich der Monate März bis September 2010 stattgegeben, weil die Berufungswerberin dem Antrag nur für diese Monate einen Nachweis über eine in Österreich ausgeübte selbstständige Tätigkeit beigelegt hatte.
In der gegen diesen Bescheid fristgerecht eingebrachten Berufung führt die Berufungswerberin aus: "Im Februar erhalt ich auf dem Konto Kindergeld für 2010. Auf diese Weise möchte ich appelieren, dass nicht war korekt berechnet. Ich arbeitete in den Monat Februar und auch Dezember. ..."
Diese Berufung hat das Finanzamt mit der Begründung abgewiesen, die Differenzzahlung für diese Monate stehe nicht zu, weil die Beschäftigung keinen vollen Kalendermonat gedauert habe. Die Berufung gilt jedoch zufolge des fristgerecht eingebrachten Vorlageantrags wiederum als unerledigt.
Über die Berufung wurde erwogen:
Die Berufungswerberin war in den Monaten Februar (3. Bis 16. Februar) und Dezember 2010 (16. Bis 28. Dezember) selbstständig tätig, in der Slowakei war sie im ganzen Kalenderjahr weder beschäftigt noch selbstständig tätig. Ein (allfälliger) Anspruch auf Familienleistungen gründete sich aus diesem Grunde nur auf ihren und ihrer Tochter Wohnsitz in der Slowakei.
Anzuwendendes Unionsrecht:
Zum Monat Februar 2010:
Artikel 10a Buchstaben a) und d) der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern [kurz: VO (EWG) Nr. 574/72]. Diese lauten: "Vorschriften für Arbeitnehmer oder Selbständige, für die während ein und desselben Zeitraums oder eines Teils eines Zeitraums nacheinander Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten galten: Galten für einen Arbeitnehmer oder Selbständigen während eines Zahlungszeitraums, wie er in den Rechtsvorschriften eines oder zweier beteiligter Mitgliedstaaten für die Gewährung von Familienleistungen vorgesehen ist, nacheinander die Rechtsvorschriften zweier Mitgliedstaaten, so sind folgende Vorschriften anzuwenden: a) Die Familienleistungen, die der Betreffende nach den Rechtsvorschriften jedes dieser Mitgliedstaaten beanspruchen kann, entsprechen der Anzahl der nach den jeweiligen Rechtsvorschriften geschuldeten täglichen Leistungen. Sehen die Rechtsvorschriften dieser Mitgliedstaaten keine täglichen Familienleistungen vor, so werden die Familienleistungen im Verhältnis der Dauer gewährt, während der für die betreffende Person die Rechtsvorschriften eines jeden Mitgliedstaats unter Berücksichtigung des in den jeweiligen Rechtsvorschriften festgelegten Zeitraums galten. d) Abweichend von Buchstabe a) übernimmt im Rahmen der in Anhang 8 der Durchführungsverordnung genannten Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten der Träger, der die Kosten der Familienleistungen aufgrund der ersten Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit im Verlauf des Bezugszeitraums zu tragen hat, diese Kosten für den gesamten Zeitraum."
Im erwähnten Anhang 8 ist ausdrücklich festgehalten, dass Artikel 10a Buchstabe der der VO (EWG) Nr. 574/72 (unter anderem) in den Beziehungen zwischen Österreich und Slowakei für Arbeitnehmer und Selbständige mit einem Kalendermonat als Bezugszeitraum gilt.
Da die Berufungswerberin die erste selbstständige Tätigkeit (oder Beschäftigung) im Monat Februar in Österreich (und nicht in der Slowakei) aufgenommen hat, ist nach den genannten unionsrechtlichen Vorschriften Österreich zur Erbringung der Familienleistungen für den gesamten Monat verpflichtet.
Der Berufung war daher hinsichtlich dieses Monats Folge zu geben.
Zum Monat Dezember 2010:
Artikel 68 Abs. 1 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit [kurz VO (EG) Nr. 883/2004]. Dieser lautet: "Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen: (1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln: a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche."
Die gegen Österreich auf Grund der selbstständig ausgeübten Tätigkeit gerichteten Ansprüche gehen somit (allfälligen) durch den Wohnort gegen die Slowakei gerichteten Ansprüchen vor. In diesem Zusammenhang ist auch auf den Beschluss Nr. F1 vom 12. Juni 2009 zur Auslegung des Artikels 68 der VO (EG) Nr. 883/2004 hinzuweisen, in welchem (unter anderem) ausgeführt wird, in welchen Fällen Ansprüche auf Familienleistungen als "durch eine selbständige Erwerbstätigkeit" erworben werden.
Da sich der angefochtene Bescheid sohin im Umfang der Anfechtung als rechtswidrig erweist, war der Berufung Folge zu geben und der angefochtene Bescheid insoweit aufzuheben.
Graz, am 6. August 2012
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | Art. 10a VO 1408/71 , ABl. Nr. L 149 vom 05.07.1971 S. 2 |
Schlagworte: | Vorrangregeln, Prioritätsregeln, Beschäftigungsland, Wohnland, Wohnsitzstaat |