UFS RV/1718-W/11

UFSRV/1718-W/1112.1.2012

Familienbeihilfe für Stiefkind im EU-Ausland

 

Beachte:
VwGH-Beschwerde zur Zl. 2012/16/0054 eingebracht (Amtsbeschwerde). Mit Erk. v. 27.9.2012 als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungstext

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Berufungswerbers, gegen den Bescheid des Finanzamtes Baden Mödling betreffend Abweisung der Familienbeihilfe (Ausgleichszahlung) für S. von Jänner 2010 bis April 2011 entschieden:

Der Berufung wird teilweise stattgegeben. Für die Monate Jänner bis Dezember 2010 wird die Familienbeihilfe (Ausgleichszahlung) in Höhe von € 2.303,24,-- gewährt. Im Übrigen bleibt der Bescheid unverändert.

Entscheidungsgründe

Der Berufungswerber (Bw) ist ungarischer Staatsbürger und arbeitet seit Jänner 2006 laufend in Österreich. Er ist mit einer ungarischen Staatsbürgerin verheiratet.

Strittig ist, ob ihm für den Sohn seiner Gattin (= Stiefsohn) aus erster Ehe eine Differenzzahlung zur Familienbeihilfe zusteht. Die Gattin hat für S., geb 91, das Obsorgerecht. S war 2010 Schüler einer Schule in Sp., Ungarn.

Das Finanzamt wies den Antrag des Bw vom 7. Februar 2011 auf Ausgleichszahlung ab Jänner 2010 für S mit Bescheid vom 13. April 2011 mit der Begründung ab, dass bei Stiefkindern keine Familienangehörigeneigenschaft im Sinne des Artikel 68 der "Verordnung (EG) des Europäischen Parlaments zur Koordinierung der Systeme der Sozialen Sicherheit" vorliege.

Der Bw. erhob gegen den Bescheid fristgerecht Berufung und begründete diese wie folgt:

"- B. S hat im Jahr 2010 genau so wie immer mit uns gewohnt (ist beweisbar vom Gericht auch und kontrollierbar)

- Staatliche Bestätigung aus Ungarn ist vorhanden (Familienbeihilfe nach drei Kinder im ganzes Jahr)

- Dem entsprechend wurde im Leben des Kindes (B. S) noch nie Familienbeihilfe vom leibliche Vater bezogen (staatlich auch beweist)

- Leibliche Vater des Sohnes meiner Frau hat höchstens 50 Euro pro Monat bezahlt, vor ein paar Jahren waren das nur 20 Euro von seiner Seite (es wurde vom Gericht damals - vor 20 Jahre - keine Mindestbetrag vorgeschrieben, natürlich der leibliche Vater hat das ausgenutzt und nie den richtigen nur den geringen Betrag bezahlt) - Kopie vom Gericht (Scheidung vor 20 Jahre) schon bei dem Finanzamt, der monatliche Betrag ist von der Bank (Konto meiner Frau) bestätigt.

- Nachdem dass B. S mit uns gelebt hat und ich ihn erzogen habe, mit meiner Frau gemeinsam genauso wie meine eigene Töchter, habe ich meinen erzogenen Sohn alles mögliche finanziert und immer bezahlt.

- Die Mutter (K. P. ) von B. S ist meine Ehegattin also im Jahr 2010 haben wir 3 Kinder zum erziehen, finanzieren, unterstützen gehabt. Das Ehebuch ist auch bei Finanzamt.

- Bitte um Beilegung des Artikel 68 des Europäischen Parlaments!"

Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom 10. Mai 2011 mit folgender Begründung ab:

"Gemäß Artikel 1 lit. i Punkt1 i der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme über soziale Sicherheit ist ein Familienangehöriger jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird.

Artikel 1 lit. i Punkt 2 der genannten Verordnung besagt, dass wenn die gemäß Nummer 1 anzuwendenden Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Familienangehörigen nicht von anderen Personen, auf die diese Rechtsvorschriften anwendbar sind, unterscheiden, so werden der Ehegatte, die minderjährigen Kinder und die unterhaltsberechtigten volljährigen Kinder als Familienangehörige angesehen.

Wird gemäß Artikel 1 lit. i Punkt 3 der genannten Verordnung gemäß den Nummern 1 und 2 der anzuwendenden Rechtsvorschriften eine Person nur dann als Familien- oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Versicherten oder dem Rentner in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von dem Versicherten oder dem Rentner bestritten wird.

Die Familienleistungen in Österreich werden durch das Familienlastenausgleichsgesetz 1967 geregelt. Da dem Familienlastenausgleichsgesetz 1967 die Bezeichnung "Familienangehöriger" fremd ist, ist für die Gewährung der Familienbeihilfe die Definition des Familienangehörigen der Verordnung 883/2004 heranzuziehen. Unterscheiden diese Rechtsvorschriften die Familienangehörigen nicht von anderen Personen, auf die die Rechtsvorschriften anzuwenden sind, so werden die Ehegatten, die minderjährigen Kinder und die unterhaltsberechtigten volljährigen Kinder als Familienangehörige angesehen."

Der Bw. erhob mit Schriftsatz vom 14. Mai 2011 gegen die Berufungsvorentscheidung fristgerecht "Berufung".

Das Finanzamt wertete das Schreiben als Vorlageantrag und legte es der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vor.

Der Unabhängige Finanzsenat (UFS) ersuchte den Bw, folgende Fragen zu beantworten bzw die angesprochenen Unterlagen vorzulegen:

"Wohnen Sie, Ihre Gattin, die beiden Töchter Ka. und Ki. sowie S in Ungarn oder in Österreich? Wo befindet sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen? Um Vorlage von Meldenachweisen bezgl des ungarischen Wohnsitzes wird ersucht!

Aus dem Familienbeihilfenakt geht nicht hervor, ob S mit Ihnen im gemeinsamen Haushalt lebt. Sie werden aufgefordert, einen diesbezüglichen Nachweis in Form eines Meldezettels zu erbringen!

Sollte S nicht mit Ihnen im gemeinsamen Haushalt leben, bitte um Nachweis, dass Sie im Streitzeitraum (ab Jänner 2010) die überwiegenden Unterhaltskosten für ihn getragen haben!

Nach Ihren Angaben in der Berufung dauert die Schulausbildung Ss in Sp. bis Juni 2011. Wurde die Schule im Juni 2011 beendet? Welche berufliche Tätigkeit bzw Ausbildung macht S jetzt? Bitte um Vorlage entsprechender Nachweise!

Wie lange und in welcher Höhe hat Ihre Gattin Familienbeihilfe für S in Ungarn bezogen? Bitte um Vorlage entsprechender Nachweise!

War Ihre Gattin in Ungarn im Streitzeitraum berufstätig oder arbeitslos? Bitte um Vorlage entsprechender Nachweise!

War Ihre Gattin in Ungarn im Streitzeitraum versichert? Bitte um Vorlage entsprechender Nachweise!

Weiters wird um Vorlage der Heiratsurkunde ersucht.

Weiters wird um einen Nachweis ersucht, dass der leibliche Vater Ss im Streitzeitraum (ab Jänner 2010) nur € 50,-- Unterhalt bezahlt hat (Kopie der Kontoauszüge)."

In der Vorhaltsbeantwortung vom 20.11.2011, beim UFS eingelangt am 2.12.2011, führte der Bw aus wie folgt:

"- Meine Gattin und meine beiden Töchter wohnen derzeit mit mir in M. S wohnt in Ungarn. - Der Mittelpunkt der Lebensinteressen war im Jahr 2010 noch in Ungarn. Heuer ist es natürlich schon Österreich! (Im Formular E 411 bzw E 401 steht die Bestätigung, dass ich damals mit dem Sohn S in Ungarn in gemeinsamen Haushalt gelebt habe). - Die Adresse, wo wir im 2010 mit S gemeinsam gewohnt haben: 0000 Ungarn , ... - Also im Jahr 2010 hat S mit mir (mit uns) gelebt, nachdem dass er noch studiert hat. Ab 1.2.2011 studiert er nicht mehr im Sp., sondern hat eine Ausbildung als Polizist gemacht (Schnellkurs) und seit Juni 2011 arbeitet er in seinem Job als Polizist in Ungarn. Derzeit lebt und arbeitet in Ungarn, und seitdem wohnt nicht mit uns!!! Meine Gattin hat für S bis Ende des Jahres 2010 für S Familienbeihilfe bekommen in der Höhe ca 57-60 Euro pro Monat. Im Jahr 2010 war meine Gattin noch im Karenz mit meiner kleinere Tochter, also sie hat nicht gearbeitet. Im Jahr 2010 war meine Gattin noch in Ungarn versichert, wie früher. (Derzeit ist endlich mitversichert in Österreich). ..." Der Bw legte folgende Unterlagen bei: - Kontoauszug vom 17.8.2010 betreffend Alimente iHv 13.000 Forint, die die Gattin des Bw vom Kindesvater erhalten hat - Ungarische Sozialversicherungskarte seiner Gattin - Heiratsurkunde vom 25.5.2002 - E 411 für den Zeitraum 1.1.2010 - 31.12.2010, wonach der Bw, seine Gattin und die drei Kinder gemeinsam in Ungarn, Ungarn, wohnten - Beschluss der Ungarischen Staatskasse über die Gewährung des Kinderbetreuungsgeldes bis 31.12.2010 für die Gattin des Bw - Bestätigung über Auszahlung der ungarischen Familienbeihilfe für S. bis 30.9.2010

Über die Berufung wurde erwogen:

Folgender Sachverhalt steht fest.

Der Berufungswerber (Bw) ist ungarischer Staatsbürger und arbeitet seit Jänner 2006 laufend in Österreich, wo er einen Hauptwohnsitz und seinen ständigen Aufenthalt hat. Er ist mit einer ungarischen Staatsbürgerin verheiratet. Diese hat für ihren Sohn aus erster Ehe S., geb am 1991 , das Sorgerecht.

Die Gattin des Bw wohnt im Jahr 2010 mit ihren 2 gemeinsamen Kindern und dem Stiefsohn des Bw, S., im gemeinsamen Haushalt in Ungarn, Ungarn. Dort befindet sich der Familienwohnsitz. Der Bw ist auch am Familienwohnsitz in Ungarn gemeldet. S besucht im Jahr 2010 eine Schule in Sp. (Ungarn). Im Jahr 2011 macht er in Ungarn mittels Schnellkurs eine Ausbildung als Polizist und arbeitet seit Juni 2011 als Polizist in Ungarn. Ab Beginn des Jahres 2011 ist S selbsterhaltungsfähig, nicht mehr bei der Gattin des Bw haushaltszugehörig und wohnt in Ungarn, während der Bw, seine Gattin und die 2 gemeinsamen Kinder seit Februar 2011 im gemeinsamen Haushalt in M, Österreich, wohnen. Die Mutter Ss, die Gattin des Bw, erhält für S bis Ende des Jahres 2010 ungarische Familienbeihilfe und Kinderbetreuungsgeld. Sie ist im Jahr 2010 pflichtversichert in Ungarn. Der leibliche Vater Ss leistet nur geringe Unterhaltsbeiträge (ca € 50,-- pro Monat). Der Bw leistet im Jahr 2010 den überwiegenden Unterhalt für S.

Der festgestellte Sachverhalt beruht auf folgender Beweiswürdigung. Dass der Bw laufend im Inland arbeitet und hier einen Hauptwohnsitz hat, ist unbestritten. Naheliegend ist, dass er seinen ständigen Aufenthalt am Beschäftigungsort hat. Die Heiratsurkunde wurde vorgelegt. Dass die Gattin des Bw für ihren Sohn S das Sorgerecht hat, wurde nachgewiesen. Der ungarische Wohnsitz und der Aufenthalt dort bis Ende 2010 wurden ebenfalls nachgewiesen. Der Schulbesuch Ss in Sp. ist belegt. Die Ausbildung und die Tätigkeit Ss als Polizist beruht auf dem glaubwürdigen Vorbringen des Bw. Dass S ab 2011 nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit der Gattin des Bw wohnt, wurde vom Bw vorgebracht und entspricht den vorgelegten Meldezetteln sowie der Tatsache der Auszahlung der ungarischen Familienbeihilfe für die Gattin des Bw an S bis Ende 2010. Die Begründung des Familienwohnsitzes des Bw, seiner Gattin und der beiden gemeinsamen Kinder in Österreich ab Februar 2011 ist durch die vorliegenden Meldezettel erwiesen. Da S ab 2011 nicht mehr im gemeinsamen Haushalt mit der Gattin des Bw wohnt und volljährig ist sowie eine Ausbildung und anschließende Tätigkeit als Polizist ausübt, geht der UFS davon aus, dass er ab 2011 selbsterhaltungsfähig ist. Dies wird auch durch das Vorbringen des Bw in der Berufung bestätigt, wenn er ausführt, er und seine Gattin hätten im Jahr 2010 drei Kinder zum Erziehen, Finanzieren und Unterstützen gehabt. Auch in der Vorhaltsbeantwortung vom 20.11.2011 wird vorgebracht, im Jahr 2010 hätte S noch bei der Familie gewohnt, im Jahr 2011 hingegen lebe und arbeite er in Ungarn. Dass die Gattin des Bw bis Ende 2010 für S ungarische Familienbeihilfe erhalten hat, ist unbestritten. Dass sie Kinderbetreuungsgeld erhalten und in Ungarn pflichtversichert war, hat der Bw vorgebracht und nachgewiesen. Dementsprechend beantragt der Bw eine Differenzzahlung. Dass der leibliche Vater Ss nur geringe Unterhaltsbeiträge leistet, wurde durch die Vorlage von Kontoauszügen nachgewiesen. Dass der Bw im Jahr 2010 den überwiegenden Unterhalt für seinen Stiefsohn leistet, ist auf Grund der Einkommensverhältnisse des Bw und seiner Gattin, welche 2010 nicht erwerbstätig war, evident.

Aus rechtlicher Sicht ist auszuführen wie folgt.

Eingangs ist festzuhalten, dass der Streitzeitraum durch den Erstbescheid des Finanzamts definiert wird. Da im Erstbescheid nur der Beginn des Zeitraums festgehalten ist ("Zeitraum ab Jänner 2010)" ist für das Ende des Streitzeitraums das Datum der Bescheiderlassung maßgeblich. Abzusprechen ist daher über den Zeitraum Jänner 2010 bis April 2011.

Nach § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 26. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist, Anspruch auf Familienbeihilfe.

Nach Abs 2 leg cit hat jene Person Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs 1 genanntes Kind, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten überwiegend für das Kind trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Nach Abs 3 leg cit sind Kinder einer Person im Sinne dieses Abschnittes

a) deren Nachkommen b) deren Wahlkinder und deren Nachkommen c) deren Stiefkinder d) deren Pflegekinder

Nach Abs 5 leg cit gehört ein Kind zum Haushalt einer Person dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt. Die Haushaltszugehörigkeit gilt unter bestimmten Umständen nicht als aufgehoben.

§ 4 Abs 1 FLAG 1967 normiert, dass Personen, die Anspruch auf eine gleichartige Beihilfe haben, keinen Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe haben.

In § 4 Abs 2 FLAG 1967 ist vorgesehen, dass österreichische Staatsbürger, die gemäß Abs. 1 und § 5 Abs 5 vom Anspruch auf Familienbeihilfe ausgeschlossen sind, eine Ausgleichszahlung erhalten, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beilhilfe, auf die sie oder eine andere Person Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach diesem Bundesgesetz ansonsten zu gewähren wäre.

§ 4 Abs 6 FLAG normiert, dass die Ausgleichszahlung, mit Ausnahme der Bestimmungen über die Höhe der Familienbeihilfe, als Familienbeihilfe im Sinne dieses Bundesgesetzes gilt.

Gemäß § 5 Abs 3 FLAG 1967 besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.

In diesem Zusammenhang bestimmt jedoch § 53 Abs 1 FLAG 1967, dass Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt sind. Hierbei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraumes nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten. Nach Wittmann/Papacek, Der Familienlastenausgleich, Kommentar § 53, wird dadurch die Gebietsgleichstellung mit Österreich bezüglich des ständigen Aufenthaltes der Kinder im EWR bzw in der EU im Sinne der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen hervorgehoben.

Im Berufungsfall sind nicht nur die innerstaatlichen Bestimmungen des FLAG 1967 zu beachten. Vielmehr ist der Bw als in Österreich nichtselbständig Erwerbstätiger bis 30.4.2010 von der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 idgF (id Folge "VO 1") sowie ab 1.5.2010 von der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme über soziale Sicherheit (id Folge "VO 2" umfasst. Die VO haben allgemeine Geltung, sind in allen ihren Teilen verbindlich und gelten unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat ("Durchgriffswirkung"). Die VO gehen dem nationalen Recht in ihrer Anwendung vor ("Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts").

Gemäß Artikel 1 der VO 1 ist "Arbeitnehmer" oder "Selbständiger" u.A. jede Person, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist.

Gemäß Artikel 1 der VO 2 bezeichnet der Ausdruck "Beschäftigung" jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt;

Gemäß Artikel 1 lit f) sublit i) der VO 1 ist "Familienangehöriger" jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, oder in den Fällen des Artikels 22 Absatz 1 Buchstabe a) und des Artikels 31 in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnt, als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet ist; wird nach diesen Rechtsvorschriften eine Person jedoch nur dann als Familienangehöriger oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Arbeitnehmer oder dem Selbständigen oder dem Studierenden in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von diesem bestritten wird. Gestatten es die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht, die Familienangehörigen von den anderen Personen, auf die sie anwendbar sind, zu unterscheiden, so hat der Begriff "Familienangehöriger" die Bedeutung, die ihm in Anhang I gegeben wird.

Gemäß Artikel 1 lit i) Z 1. i) der VO 2 ist ein Familienangehöriger jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird.

Artikel 1 lit i) Z 2 der VO 2 besagt, dass wenn die gemäß Nummer 1 anzuwendenden Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Familienangehörigen nicht von anderen Personen, auf die diese Rechtsvorschriften anwendbar sind, unterscheiden, so werden der Ehegatte, die minderjährigen Kinder und die unterhaltsberechtigten volljährigen Kinder als Familienangehörige angesehen.

Wird gemäß Artikel 1 lit i) Z 3 der VO 2 gemäß den Nummern 1 und 2 der anzuwendenden Rechtsvorschriften eine Person nur dann als Familien- oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Versicherten oder dem Rentner in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von dem Versicherten oder dem Rentner bestritten wird.

Im Artikel 2 der VO 1 ist der persönliche Geltungsbereich geregelt. Demnach gilt die VO 1 nach Abs 1 für Arbeitnehmer, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaates sind oder als Staatenlose, Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaates wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

Ebenfalls im Artikel 2 der VO 2 ist der persönliche Geltungsbereich geregelt. Demnach gilt die VO 2 für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.

Gemäß Artikel 4 der VO 1 gilt diese Verordnung für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, u.A. die, die Familienleistungen betreffen.

Gemäß Artikel 3 der VO 2 gilt diese Verordnung für alle Rechtsvorschriften, die folgende Zweige der sozialen Sicherheit betreffen, u.A. die, die Familienleistungen betreffen.

Der Bw, ein ungarischer Staatsbürger, unterliegt als in Österreich nichtselbständig Erwerbstätiger und pflichtversicherter Arbeitnehmer bzw als in Österreich Versicherter sowohl dem persönlichen Geltungsbereich der VO 1 als auch dem der VO 2.

Die in Rede stehende Familienbeihilfe ist als Familienleistung iSd Verordnungen zu qualifizieren.

Die Verordnungen sind unbestritten für den Bw sowohl persönlich als auch sachlich anwendbar.

Unbestritten ist, dass S. das Stiefkind des Bw iSd § 2 Abs 3 FLAG ist.

Strittig ist, ob S Familienangehöriger des Bw iSd VO ist.

Dazu verweist Art 1 lit f) sublit i) der VO 1 (siehe oben) auf die Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden. Die Familienleistungen sind in Österreich durch das FLAG 1967 geregelt. Familienangehöriger ist demnach jede Person, die im FLAG 1967 als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird. Die Haushaltszugehörigkeit gilt bei Bestreitung des überwiegenden Unterhalts als erfüllt.

Nach § 2 Abs 2 FLAG 1967 (siehe oben) hat jene Person Anspruch auf Familienbeihilfe, zu deren Haushalt das Kind gehört oder zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten überwiegend für das Kind trägt, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist. In Abs 5 leg cit (siehe oben) wird normiert, wann ein Kind zum Haushalt einer Person gehört und unter welchen Umständen die Haushaltszugehörigkeit nicht als aufgehoben gilt.

Das im FLAG 1967 definierte Kind wird somit iSd VO 1 vom FLAG 1967 ohne jeden Zweifel als Haushaltsangehöriger (arg Gesetzeswortlaut: "zu deren Haushalt das Kind gehört"; "Die Haushaltszugehörigkeit gilt nicht als aufgehoben, wenn ...") bezeichnet. Nach § 2 Abs 3 FLAG 1967 (siehe oben) sind Kinder einer Person u.A. deren Stiefkinder. Somit werden Stiefkinder als Haushaltsangehörige bezeichnet, wenn sie zum Haushalt des Anspruchsberechtigten zählen. Das Stiefkind des Bw S. ist daher nach FLAG 1967 Haushaltsangehöriger. Ob die Haushaltszugehörigkeit tatsächlich gegeben ist, ist irrelevant, da der Bw den überwiegenden Unterhalt geleistet hat, was nach der VO 1 die Haushaltszugehörigkeit fingiert.

Das bedeutet: Wird jemand nach nationalem Recht als Haushaltsangehöriger bezeichnet, so ist er nach Art 1 der VO 1 Familienangehöriger. Arg. Wortlaut des Art 1 der VO 1: "...ist "Familienangehöriger" jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, ... als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet ist;"

S. ist daher nach der VO 1 Familienangehöriger des Bw.

Gemäß Artikel 1 lit i) Z 1. i) der VO 2 ist ein Familienangehöriger jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird.

Unter dem Regime der VO 2 hat sich somit inhaltlich nichts geändert. Der Stiefsohn des Bw wird nach FLAG als Haushaltsangehöriger bezeichnet. Die Haushaltszugehörigkeit wird bei Bestreiten des überwiegenden Unterhalts fingiert [s Art 1 lit i) Z 3. der VO 2]. Wird jemand nach nationalem Recht als Haushaltsangehöriger bezeichnet, so ist er nach Art 1 der VO 2 Familienangehöriger. (Arg: Wortlaut des Art 1 der VO 2).

Daher ist S. auch nach Art 1 der VO 2 Familienangehöriger des Bw.

Im Übrigen werden auch nach der Alternativdefinition des Art 1 lit i) Z 2. der VO 2 (falls die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Familienangehörigen nicht von anderen Personen unterscheiden) Kinder als Familienangehörige angesehen. Stiefkinder sind nach der Legaldefinition des § 2 Abs 3 FLAG 1967 Kinder einer Person.

Die Familienangehörigeneigenschaft des Stiefsohnes des Bw ist daher sowohl nach der VO 1 als auch nach der VO 2 gegeben. S. gilt beim Bw als haushaltszugehörig.

Der Bw ist in Österreich beschäftigt und versichert. Er unterliegt daher nach den VO den österreichischen Rechtsvorschriften. Er hat grs Anspruch auf österreichische Familienleistungen für seine Familienangehörigen, auch wenn diese in einem anderen Mitgliedstaat leben.

Unbestritten ist, dass der Bw den Unterhalt für sein Stiefkind überwiegend getragen hat. In diesem Fall - keine gemeinsame Haushaltsführung, überwiegende Unterhaltsleistung - kann der Anspruch des Bw auf Familienbeihilfe nicht nur aus den Bestimmungen der VO, sondern darüber hinaus auch aus der Bestimmung des § 2 Abs 2 FLAG 1967 (siehe oben) abgeleitet werden, da keine andere Person nach FLAG 1967 anspruchsberechtigt ist. Die Bestimmung des § 4 Abs 2 FLAG 1967 (siehe oben), wonach nur österreichische Staatsbürger Anspruch auf eine Ausgleichszahlung haben, findet im Bereich der VO auf Bürger von Mitgliedstaaten der EU keine Anwendung.

Der Bw hat daher im Jahr 2010 grs Anspruch auf österreichische Familienbeihilfe nach den Bestimmungen der VO 1 und 2 iVm § 2 Abs 2 FLAG. Für das Kind S besteht allerdings auch Anspruch auf ungarisches Kindergeld. Dieses wurde unbestritten im Jahr 2010 von der Mutter Ss beansprucht und ausbezahlt. Ebenso unbestritten ist, dass der Anspruch in Ungarn mit Ende 2010 endete. Er endete aber auch in Österreich, da der UFS feststellte, dass S ab 2011 selbsterhaltungsfähig und nicht mehr haushaltszugehörig war. Das ungarische Kindergeld ist mit der österreichischen Familienbeihilfe vergleichbar, weil es allgemein und regelmäßig gezahlt wird. Es handelt sich um ein steuerfinanziertes universelles System für alle Einwohner. Anspruchsberechtigt sind u.A. Personen mit ständigem Wohnsitz in Ungarn und ungarische Staatsbürger. Das Kind muss grs im Haushalt der Eltern leben. Für die Kindesmutter treffen alle Voraussetzungen zu. Der Anspruch besteht unabhängig von einer Erwerbstätigkeit, denn es handelt sich um Leistungen für alle Einwohner, deren Kinder bei ihnen haushaltszugehörig sind. Die Gattin des Bw hat daher von Jänner 2010 - Dezember 2010 nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Wohnstaats, der nicht von einer Voraussetzung in Bezug auf die Erwerbstätigkeit abhängig ist, Anspruch auf ungarisches Kindergeld, welches der österreichischen Familienbeihilfe entspricht und hat dieses auch erhalten. Somit besteht das Risiko einer Kumulierung des Anspruchs nach den VO 1 und 2 und des Anspruchs auf ungarisches Kindergeld, der nicht von einer Erwerbstätigkeit abhängt. In diesem Fall ist unter dem Regime der VO1, somit bis 30.4.2010, nach dem Erk des EuGH, Zl C-543/03 , Christine Dodl, Petra Oberhollenzer, Art 10 der VO EWG 574/72 anwendbar.

Demnach gilt: Räumen die Rechtsvorschriften des Beschäftigungsmitgliedstaats und die des Wohnmitgliedstaats eines Arbeitnehmers diesem für denselben Familienangehörigen und für denselben Zeitraum Ansprüche auf Familienleistungen ein, so ist der für die Gewährung dieser Leistungen zuständige Mitgliedstaat nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung EWG 574/72 grundsätzlich der Beschäftigungsmitgliedstaat.

Übt jedoch eine Person, die das Kind betreut, eine Erwerbstätigkeit iSd VO EWG 1408/71 im Wohnmitgliedstaat aus, so sind die Familienleistungen nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der VO EWG 574/72 in der durch die VO EG 410/2002 geänderten Fassung von diesem Mitgliedstaat zu gewähren, unabhängig davon, wer der in den Rechtsvorschriften dieses Staates bezeichnete unmittelbare Empfänger dieser Leistungen ist.

In diesem Fall ruht die Gewährung der Familienleistungen durch den Beschäftigungsmitgliedstaat bis zur Höhe der in den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats vorgesehenen Familienleistungen. Die Gattin des Bw ist im Jahr 2010 in Ungarn pflichtversichert. Sie erhält Kinderbetreuungsgeld, welches einen finanziellen Ausgleich für versicherte Eltern, die im Arbeitsverhältnis stehen bzw standen, schaffen soll. Die Gattin des Bw ist als Pflichtversicherte daher "Arbeitnehmer" iSd VO1. Im vorliegenden Fall ist daher gem Art 10 Abs 1 Buchstabe b Z i der VO EWG 574/72 der Wohnsitzstaat Ungarn für die Gewährung von Familienleistungen wie der Kinderbeihilfe (Kindergeld) vorrangig zuständig. Im Beschäftigungsmitgliedstaat Österreich besteht nach Art 10 der VO EWG 574/72 Anspruch auf die Differenzzahlung im Jahr 2010.

An dieser Rechtslage ändert sich durch die ab 1.5.2010 gültige VO 2 nichts. Gemäß deren Art 68 ist bei einem Fall wie dem vorliegenden, nämlich 2 Beschäftigungen in 2 Mitgliedstaaten der Mitgliedstaat des Wohnortes des Kindes, somit Ungarn, vorrangig zuständig. Der nachrangig zuständige Mitgliedstaat ist zu einer Differenzzahlung verpflichtet.

In Österreich besteht daher auch nach der VO 2 Anspruch auf die Differenzzahlung im Jahr 2010.

Die Differenzzahlung nach den VO ist als Ausgleichszahlung iSd FLAG zu betrachten. Die Ausgleichszahlung gilt nach § 4 Abs 6 FLAG als Familienbeihilfe. Sie ist nach § 4 Abs 4 FLAG jährlich nach Ablauf des Kalenderjahres, wenn aber der Anspruch auf die gleichartige ausländische Beihilfe früher erlischt, nach Erlöschen dieses Anspruches über Antrag zu gewähren.

Der Anspruch des Bw berechnet sich wie folgt:

Auszahlungsbetrag in Ungarn 16.000,-- Forint pro Monat Umrechnung in Euro (siehe Umrechnungstabelle im FB-Akt des FA) von 1-12/2010:

Jänner

59,595

Februar

59,595

März

59,595

April

59,385

Mai

59,385

Juni

59,385

Juli

60,255

August

60,255

September

60,255

Oktober

56,385

November

56,385

Dezember

56,385

Summe

706,86

Berechnung der Differenzzahlung:

Monat

Familienbeihilfe inkl Kinderabsetzbetrag

Ausländische Beihilfe

Differenzzahlung

Jänner

224,30

59,595

164,705

Februar

224,30

59,595

164,705

März

224,30

59,595

164,705

April

224,30

59,385

164,915

Mai

224,30

59,385

164,915

Juni

224,30

59,385

164,915

Juli

246,10

60,255

185,845

August

246,10

60,255

185,845

September

433,80

60,255

373,545

Oktober

246,10

56,385

189,715

November

246,10

56,385

189,715

Dezember

246,10

56,385

189,715

Summe

3010,10

706,86

 

Auszahlungsbetrag

  

2303,24

Wien, am 12. Jänner 2012

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, FLAG, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

§ 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 5 Abs. 3 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 53 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
VO 1408/71 , ABl. Nr. L 149 vom 05.07.1971 S. 2
VO 883/2004 , ABl. Nr. L 166 vom 30.04.2004 S. 1

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