UFS FSRV/0105-L/10

UFSFSRV/0105-L/1019.10.2010

Beantragung eines Haftaufschubes wegen einer möglicherweise durch den Haftantritt ausgelösten Retraumatisierung

 

Beachte:
VwGH-Beschwerde zur Zl. 2010/16/0279 eingebracht. Mit Erk. v. 5.4.2011 als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungstext

Beschwerdeentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz hat durch das Mitglied des Finanzstrafsenates Linz 2, Hofrat Dr. Peter Binder, in der Finanzstrafsache gegen GH, geb. 19XX, whft. in B, vertreten durch die WKG Korp-Grünbart Rechtsanwälte GmbH, 4910 Ried, Bahnhofstraße 35a, wegen der Finanzvergehen der gewerbsmäßigen Abgabenhinterziehung gemäß §§ 33 Abs. 1, 2 lit. a iVm. 38 Abs. 1 lit. a des Finanzstrafgesetzes (FinStrG) über die Beschwerde des Beschuldigten vom 7. Oktober 2010 gegen den Bescheid des Finanzamtes Braunau Ried Schärding als Finanzstrafbehörde erster Instanz, vertreten durch Hofrat Dr. Johannes Stäudelmayr vom 29. September 2010, StrNr. 041-2008/00000-001, betreffend Strafaufschub gemäß § 176 Abs. 1 FinStrG

zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Mit Bescheid vom 29. September 2010 hat das Finanzamt Braunau Ried Schärding als Finanzstrafbehörde erster Instanz den Antrag des Beschwerdeführers (Bf.) auf Aufschub des Strafvollzuges wegen Haftunfähigkeit betreffend die zur StrNr. 041-2008/00000-001 (Erkenntnis des Spruchsenates beim Finanzamt Linz, Außenstelle Ried im Innkreis, als Organ des genannten Finanzamtes als Finanzstrafbehörde erster Instanz, Senat VII, vom 11. Februar 2009: Schuldspruch wegen Finanzvergehen gemäß §§ 33 Abs. 1, 2 lit. a iVm. 38 Abs. 1 lit. a FinStrG; Geldstrafe: 50.000,00 €; Ersatzfreiheitsstrafe: zwei Monate) nach teilweiser Entrichtung der Geldstrafe noch offene Ersatzfreiheitsstrafe von achtzehn Tagen und acht Stunden, vom 28. September 2010 als unbegründet abgewiesen.

Begründend stellte die Erstbehörde im Wesentlichen fest, dass sich aus den vom Bf. in seinem Antrag geltend gemachten gesundheitlichen Umständen und den dazu vorgelegten ärztlichen Befunden eine Haftuntauglichkeit iSd § 176 FinStrG nicht ableiten lasse.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerechte Beschwerde des Beschuldigten vom 7. Oktober 2010, in welcher im Wesentlichen wie folgt vorgebracht wurde:

Der Bf. befinde sich seit 1996 in psychiatrischer Behandlung bei einem auch als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger für Neurologie, Psychiatrie, Kinderneuropsychiatrie und gerichtliche Medizin eingetragenen Facharzt. Er habe immer wieder an depressiven Episoden verschiedenen Schweregrades gelitten, wobei auch Angstzustände mit Rückhallerinnerungen an negative Erlebnisse in einem Heim für Kinder und Jugendliche, wo er misshandelt worden sei, einbezogen gewesen seien. Ebenso lägen auch zeitweilige Symptome einer Angststörung vor.

Nach der bereits im Erstverfahren vorgelegten Bestätigung dieses Facharztes vom 25. August 2010 (Psychiatrisches Attest) bzw. einer weiteren vom 5. Oktober 2010 sei der Bf. nicht haftfähig, weil er an Depressionen und Phobien leide und könne es im Hinblick auf die Traumatisierungserlebnisse im Heim durch die Haft zu einer Retraumatisierung kommen.

Des Weiteren sei beim Bf. im Jahr 2005 ein Blasentumor diagnostiziert und daraufhin eine Operation mit anschließender Chemotherapie durchgeführt worden. Im selben Jahr sei an der Prostata des Bf. eine Laserung vorgenommen worden, weswegen in regelmäßigen Abständen Blasenspülungen bzw. Kontrolluntersuchungen durchgeführt werden müssten.

Im Jahr 2009 seien beim Bf. Keratosen im Kopfbereich festgestellt worden, die einer monatlichen Kontrolle bedürften. Diesbezüglich sei eine umgehende operative Entfernung erforderlich, wenn weitere Veränderungen bei den Kontrolluntersuchungen festgestellt würden. Aufgrund eines Sehnenrisses in der Schulter im August 2010 müsse sich der Bf. überdies einer physiotherapeutischen Behandlung unterziehen.

Aus den vorliegenden Bestätigungen des oa. Facharztes gehe eine Haftuntauglichkeit des Bf. ausdrücklich und unmittelbar hervor und habe sich der Zustand des Bf. laut der zuletzt ausgestellten fachärztlichen Bestätigung (vom 5. Oktober 2010) deutlich verschlechtert. Daneben bestünden auch weiterhin die im Antrag genannten gesundheitlichen Beeinträchtigungen (Blasentumor, Prostata-Laserung, Keratosen im Kopfbereich sowie Sehnenriss) und die sich daraus ergebende Notwendigkeit von laufenden Behandlungen bzw. Untersuchungen. Ingesamt liege daher eindeutig eine Haftuntauglichkeit des Bf. vor, da ein dem Wesen der Freiheitsstrafe entsprechender Strafvollzug aufgrund des körperlichen und geistigen Zustandes des Bf. derzeit nicht durchführbar sei.

Es werde daher beantragt, den angefochtenen Bescheid aufzuheben und dem Antrag auf Aufschub des Strafvollzuges stattzugeben.

Zur Entscheidung wurde erwogen:

Gemäß §§ 176 Abs. 1 iVm. 179 Abs. 1 FinStrG hat die Finanzstrafbehörde (erster Instanz) den Strafvollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe aufzuschieben, wenn ein dem Wesen der Freiheitsstrafe entsprechender Strafvollzug wegen einer Krankheit oder einer Verletzung, wegen Invalidität oder eines sonstigen körperlichen oder geistigen Schwächezustandes des Bestraften, nicht durchführbar ist.

Der dem Wesen der Freiheitsstrafe entsprechende Strafvollzug besteht ua. auch darin, den sozialen Unwert des der Bestrafung zugrunde liegenden Verhaltens aufzuzeigen.

Ausschlaggebend für eine Beurteilung gemäß § 176 Abs. 1 FinStrG ist nicht das Vorliegen einer Krankheit bzw. eines sonstigen der in der genannten Bestimmung angeführten Zustände an sich, sondern einzig und allein, ob die Krankheit bzw. der sonstige (physische oder psychische) Zustand des Bestraften schon bei der Einleitung des gemäß § 175 Abs. 1 FinStrG sich grundsätzlich nach den Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes (StVG) richtenden Vollzuges solche Beschwerden verursacht, dass bereits feststeht, dass ein den Strafzwecken entsprechender Vollzug nicht durchführbar ist bzw. sein wird (vgl. OGH vom 30. Jänner 1978, 13 Os 7/78, bzw. Reger/Hacker/Kneidinger, FinStrG3, K 176/1).

Unbeschadet dessen, dass die genannte Rechtslage bei Vorliegen der Voraussetzungen ein amtswegiges Vorgehen der Finanzstrafbehörde vorsieht, bleibt es dem Bestraften unbenommen, von sich aus einen Antrag auf Feststellung der Vollzugsuntauglichkeit bzw. auf Gewährung eines Strafaufschubes aus den angeführten Gründen zu stellen. Dabei sind aber jene Zustände ausreichend deutlich und einer (behördlichen) Beurteilung zugänglich darzustellen, derentwegen im vorliegenden Fall ein dem Wesen der Freiheitsstrafe entsprechender Strafvollzug beim Bestraften nicht durchführbar sein soll (vgl. VwGH vom 19. Juli 2000, 98/13/0123, mit den dort genannten Nachweisen).

Zur behaupteten, gegebenenfalls jedenfalls allein von der (entscheidungsbefugten) Finanzstrafbehörde und nicht von medizinischen Gutachtern festzustellenden, Vollzugsuntauglichkeit des Bf. liegen, wie schon im Erstverfahren, ein psychiatrisches Attest eines allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen für Neurologie, Psychiatrie, Kinderneuropsychiatrie und gerichtliche Medizin über den Gesundheitszustand des Bf., datiert mit 25. August 2010, vor, wonach dieser seit 1996 sein Patient sei und immer wieder an rez. depressiven Episoden verschiedenen Schweregrades gelitten habe. Einbezogen seien auch Angstzustände mit Rückhallerinnerungen an negative Erlebnisse in einem Heim für Kinder und Jugendliche, wo er misshandelt und immer wieder in einen sog. "Besinnungsraum" eingesperrt worden sei. Es seien auch zeitweilig die Symptome einer Angststörung (Angst und depressive Störung gemischt) vorgelegen. Derzeit habe sich der Zustand mit abendlicher Einnahme von Trittico retard stabilisiert. Aus psychiatrischer Sicht erscheine der Bf. als nicht haftfähig, da im Hinblick auf seine Traumatisierung im Heim es durch eine neuerliche Haft zu einer Retraumatisierung und damit zur Auslösung von neuerlichen schweren depressiven Episoden kommen könne.

Weiters liegt der Befund eines Facharztes für radiologische Diagnostik, D-94994 Rotthalmünster, datiert mit 16. August 2010, vor, wonach eine beim Bf. (nach einem Sturz) am 12. August 2010 durchgeführte Untersuchung ergeben habe, dass die Supraspinatussehne komplett gerissen und der musculus supraspinatus erheblich retrahiert sei. Nach weiteren Befunddaten lautet die fachärztliche Beurteilung auf eine komplette Ruptur der Supraspinatussehne mit erheblicher Muskelretraktion, subtotale Ruptur der Infraspinatussehne, Synovitis des glenohumeralen Gelenkes und Bursitis subacromalis sowie aktivierte ACG-Arthrose.

Im ebenfalls vom Bf. im Erstverfahren vorgelegten Befundbericht eines (weiteren) Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 26. August 2009 wird dem Bf. folgender psychiatrischer Status attestiert: Bewusststeinsklar, vollständig orientiert, depressive Stimmungslage, Antriebslage im unteren Normbereich, Affizierbarkeit im negativen Skalenbereich etwas verstärkt, Gedankengang zusammenhängend und logisch nachvollziehbar, SMG glaubhaft negiert. Empfohlen wird im Befundbericht eine medikamentöse Therapie.

Im vorliegenden Schreiben des LKH Salzburg vom 19. Jänner 2009 wird angeführt, dass beim Bf. am 16. Jänner 2009 große flächige, zT. schon sehr dicke aktinische Keratosen am Capillitium festgestellt worden seien. Nach einer durchgeführten ambulanten Behandlung solle eine klinische Kontrolle in vier Wochen erfolgen und dann über eine allenfalls notwendige weitere Behandlung, ggf. auch operative Sanierung entschieden werden.

Weiters liegen bezüglich des in der Beschwerde angeführten Blasentumors und der Prostata-Laserung ein Arztbrief des KH der Barmherzigen Schwestern, 4910 Ried, vom 14. Februar 2005 (Durchführung einer transuretrhalen Tumorresektion Harnblase etc. am 10. Februar 2005), ein Befund des Universitätsklinikums Heidelberg vom 31. Oktober 2005 (ambulante Behandlung in der Urologischen Universitätsklinik vom 11. Oktober 2005) sowie ein Schreiben der Neuro-Uro Ambulanz vom 15. März 2006 (Hinweis auf erneute urologische Behandlungen im April, Mai und Dezember 2005; zuletzt o.B.) vor.

Schließlich legte der Bf. (mit der Beschwerde) eine (weitere) Bestätigung des oa. Facharztes für Neurologie und Psychiatrie (s. psychiatrisches Attest) vom 5. Oktober 2010 vor, wonach ihm der Bf. seit Jahren als Patient bekannt sei. Er leide an Depressionen und Phobien und habe sich sein Zustand in den letzten Wochen verschlechtert. Er sei - so der Befund - nicht haftfähig.

Weiters liegt der Behörde ein Schreiben des LKH Salzburg ("Terminformation"), datiert mit 30. August 2010, vor, wonach der Bf. (weitere) Behandlungstermine am 28. September 2010 (Hautambulanz) und am 27. April 2011 (Blasentumor) habe (Bl. 99 des Strafaktes).

Weder der im Jahr 2005 diagnostizierte und anschließend klinisch behandelte Blasentumor oder die im gleichen Jahr erfolgte Laserung der Prostata (in der mündlichen Verhandlung vom 11. Februar 2009 bezeichnete der Bf. die Krebserkrankung als überwunden) bzw. die daraus resultierenden Therapien und Kontrolluntersuchungen (die letzte vorliegende urologische Beurteilung ergab keinen Hinweis auf ein akutes Krankheitsbild; eine weitere klinische Begutachtung ist für das Frühjahr 2011 vorgesehen), noch die im Jänner 2009 diagnostizierten und laut Bf. monatliche Kontrollen erforderlich machenden aktinischen Keratosen im Kopfbereich (laut Pschyrembel258 handelt es sich dabei um bei älteren Menschen auftretende, durch eine chronische Sonnenexposition hervorgerufene, rot-bräunliche, leicht schuppende Erhebungen, die selten und nach jahrelangem Bestehen in ein Plattenepithelkarzinom übergehen können) als auch der sturzbedingte Sehnenriss des Bf. im August 2010 bzw. die im Anschluss daran verordnete physiotherapeutische Behandlung (ohne Angabe von konkreten Behandlungs- bzw. Therapieterminen) stehen ob ihres aus den vorgelegten Unterlagen ersichtlichen Beschwerde- bzw. Behandlungsbildes dem wesensgerechten Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe im oben festgestellten Ausmaß entgegen, da die über den zum jeweiligen Begutachtungszeitpunkt zu beurteilenden Gesundheitszustand des Bf. vorgelegten medizinischen Befunde oä. keinen Hinweis darauf enthalten, dass durch die Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von achtzehn Tagen und acht Stunden im aktuellen Gesundheitszustand des Bf. eine spürbare Verschlechterung eintreten würde. Insbesondere gehen aus den diesbezüglich vorgelegten Unterlagen keine aktuellen, als so akut bzw. als so gravierend einzustufenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Bf. hervor, dass eine nunmehrige Verbüßung der restlichen Ersatzfreiheitsstrafe, gleichsam strafzwecküberschießend, nicht mehr mit dem Wesen des Vollzuges derartiger Strafen vereinbar erschiene. Dies nicht zuletzt auch deshalb, da im Anlassfall auch weitere medizinisch notwendig erscheinende und ärztlich verordnete, einem Haftantritt entgegenstehende Behandlungen bzw. Therapien nicht festgestellt werden konnten.

Was nun die darüber hinaus geltend gemachte, bisher offenbar erfolgreich medikamentös behandelte psychische Beeinträchtigung des Bf. dahingehend, dass anhand der in den Befunden genannten Krankheitsgeschichte bzw. des derzeitigen psychischen Gesamtzustandes der Antritt der Freiheitsstrafe die Möglichkeit einer Retraumatisierung bzw. der Auslösung von neuerlichen schweren depressiven Episoden in sich birgt, angeht, so ist dazu festzustellen, dass eine dermaßen diagnostizierte, allenfalls latent vorhandene Gefährdungssituation ("... kann es durch eine neuerliche Haft ...") noch nicht ausreicht, um mit der für einen Strafaufschub gemäß § 176 Abs. 1 FinStrG erforderlichen Gewissheit bzw. Wahrscheinlichkeit auf den notwendigen tatsächlichen Eintritt von gesundheitlichen Beschwerden beim Bf., die einen strafzweckkonformen Vollzug der Freiheitsstrafe nicht (mehr) durchführbar erscheinen lassen, schließen zu können. Dabei war auch zu berücksichtigen, dass eine, angesichts des derzeitigen, nicht bloß vorübergehenden Krankheitsbildes des Bf. allenfalls zu konstatierende Vollzugsuntauglichkeit iSd § 176 Abs. 1 FinStrG wohl zu einer dauernden Unvollziehbarkeit der restlichen Ersatzfreiheitsstrafe führen würde.

Im Übrigen wird auf die Bestimmung des § 133 Abs. 2 StVG bzw. darauf hingewiesen, dass ggf. eine (erneute) Beurteilung der Haftfähigkeit des Bf. anlässlich des tatsächlichen Strafantrittes anhand der Feststellungen des Anstaltsarztes zu treffen sein wird.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Linz, am 19. Oktober 2010

Zusatzinformationen

Materie:

Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

§ 176 Abs. 1 FinStrG, Finanzstrafgesetz, BGBl. Nr. 129/1958
§ 179 Abs. 1 FinStrG, Finanzstrafgesetz, BGBl. Nr. 129/1958

Schlagworte:

Strafaufschub

Verweise:

OGH, 13Os7/78
VwGH, 98/13/0123

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