Anspruchsvoraussetzungen für erhöhte Familienbeihilfe aufgrund einer erheblichen Behinderung
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., vertreten durch Mag. Michael Tscheitschonig, Rechtsanwalt, 1010 Wien, Salztorgasse 6/IV/2/4a, vom 18. Juni 2007 gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf, vom 1. Juni 2007 betreffend Abweisung eines Antrages auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe für den Zeitraum 1. April 2002 bis 29. Februar 2008 entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Entscheidungsgründe
Die vorliegende Berufung hat der unabhängige Finanzsenat mit Berufungsentscheidung vom 22. Jänner 2009, RV/0178-W/09, betreffend Antrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe ab April 2002 bis Februar 2008 als unbegründet abgewiesen. Diese Berufungsentscheidung wurde mit Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpft. Mit Erkenntnis vom 20. Jänner 2010, Zl. 2009/13/0120 hat der Verwaltungsgerichtshof den Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Es war daher neuerlich zu entscheiden.
In diesem Erkenntnis bringt der VwGH zum Ausdruck, dass die Behörden "die der Entscheidung zu Grunde zu legenden Gutachten den an ärztliche Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen an ihre Nachvollziehbarkeit zu entsprechen haben, sich daher insbesondere nicht widersprechen oder in bloßen Behauptungen erschöpfen dürfen, und die Behörden des Verwaltungsverfahrens die Beweiskraft der vorliegenden Gutachten zu prüfen und erforderlichenfalls für deren Ergänzung zu sorgen haben."
Im gegenständlichen Verfahren liegen zwar 4 Gutachten vor, wobei sich einerseits die Gutachten (zumindest eines) im Grad der Behinderung widersprechen und andererseits keine Feststellung über den Zeitpunkt des Beginnes der Behinderung und der Einschätzung des Grades der Behinderung getroffen wird, obwohl der Antrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe auf rückwirkende maximale Dauer gestellt wurde.
1. Gutachten vom 30.5.2007: Gesamtgrad der Behinderung 40%
2. Gutachten vom 17.10.2007: Gesamtgrad der Behinderung 40%
3. Gutachten vom 16.7.2008: Gesamtgrad der Behinderung 50%, rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades der Behinderung ist ab 1.3.2008 aufgrund der vorgelegten relevanten Befunde möglich.
4. Gutachten vom 18.10.2008: Gesamtgrad der Behinderung 40%.
Das Finanzamt wurde folglich vom unabhängigen Finanzsenat im Zuge des fortgesetzten Verfahren ersucht, vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesens Wien ein weiteres Gutachten bzw. eine Ergänzung einzuholen, wobei in diesem folgende Fragen und Widersprüche über das Ausmaß des Behinderungsgrades zu klären sind:
1. Ab wann hat der durch die Asthmaerkrankung bedingte Grad der Behinderung bei RG, geboren am 0.0.1993, bestanden?
Nachdem der Antrag für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe auf die rückwirkende Anerkennung (5 Jahre zurückgerechnet ab dem Tag der Antragstellung) des Grades der Behinderung abzielt, ist dieser aufgrund der Befunde festzustellen. Zu klären ist der Zeitpunkt, ab wann und in welchem Ausmaß erstmalig die Behinderung bei RG festgestellt werden kann.
2. Klärung des Widerspruchs der verschiedenen vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesens ausgestellten ärztlichen Sachverständigengutachten hinsichtlich anderer Erkrankungen. Im Erstgutachten vom Mai 2007 wurden andere Erkrankungen nicht untersucht, sodass deren Verneinung im Zweitgutachten vom Oktober 2007 mit dem Aktengutachten vom Juli 2008 in einem nicht durch den Zeitabstand erklärbaren Widerspruch steht.
3. Beischaffung des Passgutachtens des Bundessozialamtes, ausgestellt am 19. Juni 2008 (Ausweisnummer 6467605), in dem RG ein Grad der Behinderung von 50% bescheinigt wird.
4. Ebenso ist vom Bundessozialamt der Widerspruch des Grades der Behinderung im Behindertenpass zu den anderen Gutachten zu klären.
Diese Fragen wurden vom Bundessozialamt Wien mit Schreiben vom 17. Mai 2010 beantwortet, welches zwecks Wahrung des Parteiengehörs dem steuerlichen Vertreter und dem Finanzamt mit Schreiben vom 2. Juni 2010 zur Kenntnis gebracht wurde, wobei ihnen die Möglichkeit eingeräumt wurde, innerhalb einer Frist bis 23. Juni 2010 hierzu Stellung zu beziehen. In diesem Schreiben wurde ebenfalls die resultierend aus der Ergänzung zu den Sachverständigengutachten des Bundessozialamtes Wien nunmehr vom unabhängigen Finanzsenat vertretenen Rechtsansicht ("Nach Ansicht des unabhängigen Finanzsenates geht aus der Stellungnahme hervor, dass ein Gesamtgrad der Behinderung von 50% ab März 2008 entsprechend dem Passgutachten März 2008 und dem Flaggutachten Juli 2008 besteht. Für den in der Berufungsentscheidung relevanten Zeitraum April 2002 bis Februar 2008 ergibt sich entsprechend den Ausführungen des Bundessozialamtes Wien in seiner Stellungnahme nach dem Berufungsgutachten vom 21. August 2009 die Anerkennung des Gesamtgrades der Behinderung von 50% rückwirkend ab März 2008. Folglich wäre die Berufung vom 18. Juni 2007 im fortgesetzten Verfahren als unbegründet abzuweisen.") sowohl dem steuerlichen Vertreter der Bw. als auch der Amtspartei zur Stellungnahme übermittelt.
Mit Schreiben vom 10. Juni 2010 übermittelte das Finanzamt eine Stellungnahme, wobei sich das Finanzamt der vom unabhängigen Finanzsenat vertretenen Meinung angeschlossenen hat. Seitens der B. wurde keine Stellungnahme eingebracht.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 8 Abs. 4 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind.
Als erheblich behindert gilt ein Kind gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 idF BGBl I Nr. 105/2002, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl Nr. 152 in der jeweils geltenden Fassung, und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965, BGBl. Nr. 150 in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Gemäß § 8 Abs. 6 FLAG 1967 idF BGBl. I Nr. 150/2002 ist der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesens auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen.
Wie sich aus § 8 Abs. 5 und 6 FLAG ergibt, ist der Grad der Behinderung zwingend durch eine Bescheinigung des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesens unter der Würdigung ärztlicher Sachverständigengutachten nachzuweisen. Dabei sind jedenfalls die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965, BGBl. Nr. 150 in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Eine andere Form der Beweisführung ist nicht zugelassen. Die ärztliche Bescheinigung bildet jedenfalls die Grundlage für die Entscheidung, ob erhöhte Familienbeihilfe zusteht, sofern das Leiden und der Grad der Behinderung einwandfrei daraus hervorgehen.
Nachdem nur ein Gutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen als Beweismittel für den Nachweis des Grades der Behinderung ex lege zugelassen ist, hat sich die Behörde an deren Feststellungen zu halten. Da im gegenständlichen Verfahren widersprüchliche Aussagen über den Gesamtgrad der Behinderung getroffen wurden, wurde das Bundessozialamt Wen über Auftrag des Finanzamtes ersucht, diese Widersprüche in einer Ergänzung zu klären.
In gemeinsamer Beantwortung der Fragen 2, 3,und 4 klärte das Bundessozialamt Wien den Widerspruch zwischen den vorliegenden Gutachten folgendermaßen auf: "2009-08-21 erfolgte ein neuerliches Berufungsgutachten, da dem Antragsteller die kurzfristige Änderung zwischen Gutachten 7/2008 und 10/2008 nicht nachvollziehbar war. Es konnte geklärt werden, dass im Berufungsgutachten 10/2008 auf das Gutachten 5/2007, nicht jedoch auf das unmittelbare Vorgutachten 7/2008 eingegangen wurden war, wobei die zusätzlichen Leiden (Legasthenie, Schalleitungsstörungen, Knicksenkfuss, Zahnfehlstellung) eingeschätzt wurden. Zusammenfassend wurde in diesem Gutachten ein gesamter GdB von 50% ab 3/2008, entsprechend dem Passgutachten 3/2008 und dem Flaggutachten 7/2008 anerkannt, und somit die Einschätzung von 10/2008 abgeändert."
Aufgrund dieser - nunmehr schlüssigen - Ergänzung zu den bereits vorliegenden Sachverständigengutachten des Bundessozialamtes Wien liegt ein Gesamtgrad der Behinderung von 50% ab März 2008 vor.
Nachdem im streitgegenständlichen Zeitraum die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe nicht vorliegen, ist die Berufung als unbegründet abzuweisen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden
Wien, am 6. Juli 2010
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, FLAG, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 8 Abs. 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Schlagworte: | fortgesetztes Verfahren |