Die bloße Übermittlung eines neuen Lohnzettels stellt keinen Wiederaufnahmegrund dar.
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufungen der Bw., vom 10. Juli 2009 gegen die Bescheide des Finanzamtes Wien 2/20/21/22, vertreten durch ADir. Herbert Pablee, vom 22. Juni 2009 betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs 4 BAO betreffend Einkommensteuer sowie Einkommensteuer für die Jahre 2004, 2005 und 2006 entschieden:
Der Berufung betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2004,2005 und 2006 wird Folge gegeben.
Die Bescheide betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2004,2005 und 2006 werden aufgehoben.
Die unzulässig gewordene Berufung gegen die Einkommensteuerbescheide 2004, 2005 und 2006 ist zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Berufungswerberin (Bw.) ist Angestellte, lebt in Wien und arbeitet in G.
Für die Kalenderjahre 2004, 2005 und 2006 wurden am 13.6.2007 Einkommensteuerbescheide (Arbeitnehmerveranlagung) erlassen.
Laut den der diesen Bescheiden zugrunde liegenden Lohnzetteln des Arbeitgebers wurde in den Kalenderjahren 2004 und 2005 jeweils das Pendlerpauschale im Betrag von € 972,00 steuermindernd berücksichtigt, im Kalenderjahr 2006 betrug das Pendlerpauschale € 1.071,00.
Die genannten Bescheide erwuchsen in Rechtskraft.
Am 22.6.2009 wurden dem Finanzamt vom Arbeitgeber berichtigte Lohnzetteln für die Jahre 2004, 2005 und 2006 übermittelt.
Das Pendlerpauschale wurde demnach in den Jahren 2004 und 2005 auf € 450,00 im Jahr 2006 auf € 495,00 korrigiert.
Das Finanzamt nahm in den genannten Jahren mit 22.6.2009 die Einkommensteuer gem. § 303 Abs 4 BAO wieder auf und erließ an diesem Tag geänderte Wiederaufnahme- und Sachbescheide.
Begründet wurde die Wiederaufnahme der Verfahren damit "dass ein berichtigter oder neuer Lohnzettel übermittelt wurde. Die Wiederaufnahme wurde unter Abwägung von Billigkeits- und Zweckmäßigkeitsgründen - § 20 BAO - verfügt. Im vorliegenden Fall überwiegt das Interesse der Behörde an der Rechtsrichtigkeit der Entscheidung vor dem Interesse auf Rechtsbeständigkeit und die Auswirkungen können nicht als geringfügig angesehen werden".
In der Rechtsmittelbelehrung der Wiederaufnahmebescheide wird unter anderem angeführt, dass in der Berufung der Bescheid zu bezeichnen sei (zB Einkommensteuerbescheid 2004 vom 22.6.2009), gegen den sich die Berufung richte.
In den neu erlassenen Sachbescheiden wurden die geänderten Pendlerpauschalen als Werbungskosten ohne Anrechnung auf den Werbungskostenpauschbetrag steuermindernd berücksichtigt.
Am 10.7.2009 erhob die Bw. in drei gesonderten Schriftsätzen jeweils Berufung gegen "die Einkommensteuerbescheide" 2004, 2005 und 2006.
Begehrt werde die Berücksichtigung der Pauschbeträge gem. § 16 Abs 1 Z 6 EStG.
In der Begründung führte die Bw. aus, dass die Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte 23 km betrage (1 Strecke). Des weiteren sei die Fahrzeit zu Arbeitsbeginn oder zu Arbeitsende bei Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln unzumutbar lang (ab 20 km mehr als 2 Stunden).
Aktenkundig ist ein Vorhalt des Finanzamtes vom 13.7.2009 an die Bw., in dem diese ersucht wurde, "die dauernde starke Gehbehinderung" für die Jahre 2004 bis 2006 mit einer Bescheinigung gem. § 29 b der Straßenverkehrsordnung oder die Befreiung von der Kraftfahrzeugsteuer nachzuweisen.
Eine Vorhaltsbeantwortung ist nicht aktenkundig, ebenso wenig ist ersichtlich, dass in den streitverfangenen Jahren außergewöhnliche Belastungen auf Grund von Behinderungen geltend gemacht oder gewährt worden sind.
Am 16.7.2009 erließ das Finanzamt hinsichtlich der Einkommensteuer(sach)bescheide für die Kalenderjahre 2004, 2005 und 2006 Berufungsvorentscheidungen.
Aufgrund der Berufung vom 10.7.2009 würden die Bescheide dahingehend geändert, dass die Pendlerpauschalbeträge bei der Veranlagung nicht angesetzt worden sind, da "das Pendlerpauschale bereits bei der laufenden Lohnverrechnung berücksichtigt wurde - § 62 EStG -. Ein nochmaliger Abzug im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung sei damit nicht möglich".
Am 10.8.2009 stellte die Bw. betreffend ihrer Berufungen betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2004, 2005 und 2006 einen Vorlageantrag.
Wie sie darin ausführte, betrug die Fahrzeit zwischen Wohnung und Arbeitsstätte 23 km (1Strecke), auch sei die Fahrzeit zu Arbeitsbeginn oder zu Arbeitsende bei Benützung von öffentlichen Verkehrsmittel unzumutbar lang.
Die Öffnungszeiten ihres Arbeitgebers hätten in den streitverfangenen Jahren von Montag bis Freitag zwischen 8 bis 19 Uhr betragen, am Samstag von 8 bis 18 Uhr. Sie sei verpflichtet, an der Morgenbesprechung ab 7 Uhr 745 teilzunehmen, auch müsse sie bis ca. 19 Uhr 15 warten, bis alle Kunden das Geschäft verlassen hätten.
Von Montag bis Freitag habe folgender Wechseldienst gegolten: 7 Uhr 45 bis 18 Uhr 15, 8 Uhr 50 bis 19 Uhr 15, 8 Uhr 50 bis 20 Uhr 15, 7 Uhr 45 bis 13 Uhr 15, 12 Uhr 50 bis 19 Uhr 15.
Samstag: 7 Uhr 45 bis 17 Uhr 15, 8 Uhr 50 bis 18 Uhr 15, 7 Uhr 45 bis 13 Uhr 15.
Vorlegt wurden diverse Fahrpläne zwischen Wohn- und Betriebsort der Bw.
Einem Aktenvermerk des Finanzamtes zufolge betrage die Fahrzeit lt. VOR- Fahrplanauskunft weniger als 2 Stunden. Laut Rücksprache mit den Wiener Linien sei ein Anrufsammeltaxi ein öffentliches Verkehrsmittel. Bei Nichtbenützung dürfe nicht die Wegzeit zur Betriebsstätte angesetzt werden.
Mit Bericht vom 21.8.2009 wurden die Berufungen hinsichtlich Wiederaufnahme der Einkommensteuer und Einkommensteuer betreffend der Jahre 2004, 2005 und 2006 dem Unabhängigen Finanzsenat zur Entscheidung vorgelegt:
Über die Berufung wurde erwogen:
Wiederaufnahme des Verfahrens:
§ 303. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und
a) der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist, oder
b) Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, oder
c) der Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde
und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme gemäß Abs. 1 ist binnen einer Frist von drei Monaten von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich von dem Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, bei der Abgabenbehörde einzubringen, die im abgeschlossenen Verfahren den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.
(3) Wenn die Zuständigkeit zur Abgabenerhebung auf eine andere Abgabenbehörde übergegangen ist, kann der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens auch bei der Abgabenbehörde erster Instanz eingebracht werden, die im Zeitpunkt der Antragstellung zur Abgabenerhebung zuständig ist.
(4) Eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen ist unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Der Aktenlage lässt sich entnehmen, dass offenbar vom Betriebsstättenfinanzamt (Bl. 31/2006 des Finanzamtsaktes) die Lohnzettel für die Jahre 2004, 2005 und 2006 dahingehend berichtigt wurden, dass bei der Lohnverrechnung anstatt wie bisher das "große" Pendlerpauschale von € 972,00 (2004,2005), bzw. € 1.071,00 (2006) nunmehr das "kleine" Pendlerpauschale von € 450,00 bzw. € 495,00 angesetzt wurde.
Ob dieser Änderung der Lohnzettel Ermittlungshandlungen des Wohnsitzfinanzamtes der Bw. vorangegangen sind, die zu neuen Erkenntnissen in Bezug auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel der Benützbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel für den Arbeitsweg geführt haben, lässt sich aus dem diesbezüglich am 17.8.2009 -lange nach den angefochtenen Bescheiden vom 22.6.2009- erstelltem Aktenvermerk des Finanzamtes (Bl. 31/2006 des Finanzamtesaktes) nicht entnehmen.
Gem. § 93 Abs. 3 lit. a BAO hat jeder Bescheid unter anderem eine Begründung zu enthalten, wenn er von Amts wegen erlassen wird.
§ 16 Abs 1 Z 6 EStG 1988 zählt zu den Werbungskosten auch Ausgaben des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.
Diese Ausgaben sind bei einer einfachen Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bis 20 km grundsätzlich durch den Verkehrsabsetzbetrag ( § 33 Abs. 5 und § 57 Abs. 3) abgegolten.
Beträgt die einfache Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitstätte, die der Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend zurücklegt, mehr als 20 km und ist die Benützung eines Massenverkehrsmittels zumutbar, dann werden als zusätzlich als Pauschbeträge berücksichtigt:
Bei einer Fahrtstrecke von
20 km bis 40 km: € 450,00 (2004,2005), bzw. € 495 (2006) jährlich
40 km bis 60 km: € 891,00 (2004, 2005), bzw. 1.071,00 (2006) jährlich
über 60 km: € 1.332,00 (2004, 2005), bzw. € 1.467,00 (2006) jährlich
Ist dem Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend die Benützung eines Massenverkehrsmittels zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke nicht zumutbar, dann werden anstelle der vorstehenden Pauschbeträge folgende Pauschbeträge berücksichtigt:
Bei einer Fahrtstrecke von
2 km bis 20 km: € 243,00 (2004,2005), bzw. € 270,00 jährlich
20 km bis 40 km: € 972,00 (2004, 2005), bzw. € 1.071,00 jährlich
40 km bis 60 km: € 1.692,00 (2004, 2005), bzw. € 1.863,00 (2006) jährlich
über 60 km: € 2.421,00 (2004, 2005), bzw. € 2.664,00 (2006) jährlich
Die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels ist nach der Verwaltungspraxis (Rz. 255 LStR 2002) nicht mehr zumutbar, wenn folgende Wegzeiten überschritten werden:
unter 20 km: eineinhalb Stunden
ab 20 km: zwei Stunden
ab 40 km: zweieinhalb Stunden
Die Wegzeit umfasst die Zeit vom Verlassen der Wohnung bis zum Arbeitsbeginn oder vom verlassen der Arbeitsstätte bis zur Ankunft in der Wohnung, also Gehzeit oder Anfahrtszeit zur Haltestelle des öffentlichen Verkehrsmittels, Fahrzeit mit dem öffentlichen Verkehrsmittel, Wartezeiten usw. Stehen verschiedene Verkehrsmittel zur Verfügung, ist bei Ermittlung der Wegzeit immer von der Benützung des schnellsten öffentlichen Verkehrsmittels (z.B. Schnellzug statt Regionalzug, Eilzug statt Autobus) auszugehen. darüber hinaus ist von einer optimalen Kombination zwischen Massenbeförderungs- und Individualverkehrsmittel (z.B. "Park and Ride") auszugehen. Dies gilt auch, wenn dadurch die Fahrtstrecke länger wird (vgl. Atzmüller/Lattner in Wiesner/Atzmüller/Grabner/Lattner/Wanke MSA EStG 1.9.2008, § 16 Anm. 81).
Bei gleitender Arbeitszeit berechnet sich die Wegstrecke nach der optimal möglichen Anpassung von Arbeitsbeginn und Arbeitsende an die Ankunfts- bzw. Abfahrtszeit des Verkehrsmittels, wobei die konkreten Möglichkeiten des Arbeitnehmers, Gleitzeit in Anspruch zu nehmen, zu berücksichtigen sind. Liegen Wohnort und Arbeitsstätte innerhalb eines Verkehrsverbundes, wird Unzumutbarkeit infolge langer Reisedauer nach Rz. 257 LStR 2002 im Allgemeinen nicht gegeben sein.
Die Bw. wendet sich gegen die Wiederaufnahmebescheide ersichtlich mit der Begründung, dass im Spruch keine anders lautenden Sachbescheide zu ergehen hätten, weswegen die Wiederaufnahme zu Unrecht erfolgt sei.
Ob sie mit dieser Auffassung im Recht ist, kann vorerst dahingestellt bleiben.
Die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens steht gem. § 305 Abs. 1 BAO der Abgabenbehörde zu, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.
In seinem Erkenntnis vom 22.11.2006, 2003/15/0141 hat der Verwaltungsgerichtshof unter anderem- zu einem dem gegenständlichen Wiederaufnahmebescheid vergleichbar textierten Wiederaufnahmebescheid- ausgeführt:
"Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die gemäß § 305 Abs. 1 leg. cit. zuständige Behörde.
Gemäß § 289 Abs. 2 BAO hat die Abgabenbehörde zweiter Instanz außer in hier nicht interessierenden Fällen des Abs. 1 immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde erster Instanz zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Berufung als unbegründet abzuweisen.
Bei einer Berufung gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen durch das gemäß § 305 Abs. 1 BAO zuständige Finanzamt ist Sache, über welche die Abgabenbehörde zweiter Instanz gemäß § 289 Abs. 2 BAO zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jene wesentlichen Sachverhaltsmomente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Unter Sache ist in diesem Zusammenhang die Angelegenheit zu verstehen, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Abgabenbehörde erster Instanz gebildet hatte. Bei einem verfahrensrechtlichen Bescheid wie dem der Wiederaufnahme des Abgabenverfahrens von Amts wegen wird die Identität der Sache, über die abgesprochen wurde, durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2006, 2002/15/0076, mwN).
Aufgabe der Berufungsbehörde bei Entscheidungen über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch ein Finanzamt ist es daher, zu prüfen, ob dieses Verfahren aus den vom Finanzamt gebrauchten Gründen wieder aufgenommen werden durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmegründen zulässig gewesen wäre. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmsgrund nicht vor (oder hat dieses die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt), muss die Berufungsbehörde den vor ihr bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben. Am Finanzamt liegt es dann, ob es etwa von der Berufungsbehörde entdeckte andere Wiederaufnahmegründe aufgreift und zu einer (auch) neuerlichen Wiederaufnahme heranzieht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 2. Februar 2000, 97/13/0199)".
"Tatsachen" im Sinne des vordozierten § 303 BAO sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis, als vom rechtskräftigen Bescheid zum Ausdruck gebracht, geführt hätten, wie etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften.
Neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung solcher Sachverhaltselemente sind keine Tatsachen. Die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des offen gelegten Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung- gleichgültig durch welche Umstände veranlasst- lassen sich bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen (vgl. Ritz, Bundesabgabenordnung, Kommentar, 3. Auflage, § 303 BAO Tz 7 ff).
Wie jeder andere Bescheid bedarf auch der die Wiederaufnahme verfügende Bescheid einer Begründung (§ 93 BAO).
Die Begründung des Wiederaufnahmebescheides hat jedenfalls die Wiederaufnahmegründe, somit beispielsweise hinsichtlich des Neuerungstatbestandes das Neuhervorkommen bestimmt zu bezeichnender Tatsachen und Beweise zu enthalten, wobei auch die zeitliche Abfolge des Bekanntwerdens der maßgeblichen Tatsachen und Beweismittel darzustellen wären (vgl. zB WxGH 17.10.1984, 84/13/0054; VwGH 10.10.2007, 2002/14/0104; siehe auch Ritz, a.a.O., § 307 BAO Tz. 3).
Keinesfalls reicht als Begründung etwa der Hinweis auf nicht näher dargestellte behördliche Ermittlungen aus (vgl. ZB VwGH 6.7.1990, 88/17/0059).
Die Verpflichtung zur Anführung der Wiederaufnahmegründe in der Begründung ist zuletzt nicht deshalb notwendig, weil sich -wie oben ausgeführt- nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zB VwGH 14.5.1991, 90/14/0262; VwGH 12.4.1994, 90/14/0044; VwGH 21.6.1994, 91/14/0165; VwGH 21.7.1998, 93/14/0187, 0188; VwGH 18.10.2007, 2002/14/0104) die Berufungsbehörde bei der Erledigung der gegen die Verfügung der Wiederaufnahme gerichteten Berufung auf keine neuen Wiederaufnahmegründe stützen kann. Sie habe lediglich zu beurteilen, ob die von der Abgabenbehörde erster Instanz angeführten Gründe eine Wiederaufnahme rechtfertigen.
"Neue" Wiederaufnahmegründe können (nach Aufhebung des Wiederaufnahmebescheides mit Berufungsentscheidung)- auch hier ist auf das zitierte Erkenntnis des VwGH vom 22.11.2006, 2003/15/0141 zu verweisen- neuerlich zu einer Verfügung der Wiederaufnahme durch die Abgabenbehörde erster Instanz führen. Sollte hingegen nachträglich ein Ereignis eingetreten sein, das abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit auf den Bestand oder Umstand eines Abgabenanspruches hat, käme eine Abänderung nach § 295a BAO in Betracht.
Nun wird als Wiederaufnahmegrund in den angefochtenen Bescheiden lediglich angegeben, "Das Verfahren war gem. § 303 Abs 4 BAO wieder aufzunehmen, weil ein berichtigter oder neuer Lohnzettel übermittelt wurde".
Die einzige Änderung der Lohnzettel für die Berufungszeiträume 2004,2005 und 2006 betrifft das Pendlerpauschale.
Dass die Lohnverrechnung unter Berücksichtigung des geänderten Lohnzettels vom Arbeitgeber neu aufgerollt worden wäre, lässt sich diesen Lohnzetteln nicht entnehmen. Die anrechenbare einbehaltene Lohnsteuer ( € 990,65, € 935,30 € 1.036,38) entspricht exakt jener laut den Lohnzetteln, die den aufgehobenen Einkommensteuerbescheiden zugrunde gelegt wurden.
Es liegt offenbar auch kein irrtümlich unrichtig ausgestellter Lohnzettel, der bestimmte, im Lohnzahlungszeitraum bestanden habende Tatsachen unzutreffend wiedergibt (zB dass der Steuerpflichtige aktiver Arbeitnehmer und nicht Pensionist war) vor.
Wie und aus welchen Gründen es zu der Berichtigung des Lohnzettels kam, lässt sich weder aus der Begründung der Wiederaufnahmebescheide noch aus den vorgelegten Akten entnehmen.
Nach Ansicht des Unabhängigen Finanzsenates vermag in diesem konkreten Fall der Hinweis auf den berichtigten Lohnzettel allein die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zu begründen.
Anderenfalls läge es im belieben des Finanzamtes, eine Berichtigung eines Lohnzettels zu initiieren, und damit automatisch einen Verfahrenstitel zur Bescheidänderung zu erhalten.
Wiederaufnahmegründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen, die später hervorkommen (nova reperta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe (zB VwGH 23.9.1997, 93/14/0065; 20.11.1997, 96/15/0221).
Im gegenständlichen Fall stützt das Finanzamt seine Wiederaufnahme allein darauf, dass jeweils ein neuer Lohnzettel übermittelt worden sei.
Damit hat das Finanzamt jedoch keinen tauglichen Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens dargetan.
Nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits existente Tatsachen bzw. Beweismittel können Wiederaufnahmegründe darstellen.
Hingegen bilden nach der Bescheiderlassung (sogenannte novae causae supervenientes) oder später zustande gekommene Beweismittel keine geeignete Grundlage für eine Wiederaufnahme des Verfahrens (vgl. UFS 17.7.2006, RV/0429-W/06, ebenfalls zu einem übermitteltem berichtigten Lohnzettel).
Dass dem für die Einkommensteuerveranlagung zuständigen Finanzamt bereits in den Berufungszeiträumen bestanden habende Umstände- etwa die Fahrzeiten mit Massenverkehrsmitteln zwischen Wohnung und Arbeitsstätte- (und damit Umstände, die der Gewährung des "großen" Pendlerpauschales entgegen stehen können) erstmals bekannt wurden, wird in den angefochtenen Bescheiden (weder in den Wiederaufnahmebescheiden noch in den gleichzeitig ergangenen Sachbescheiden) nicht behauptet.
Da die berichtigten Lohnzetteln allein keine geeignete Begründung für eine Wiederaufnahme des Verfahrens darstellen, war der Berufung gegen die Wiederaufnahmebescheide Folge zu geben (in diesem Sinne auch UFS 15.7.2008, RV/0803-W/08).
Einkommensteuer
Die unzulässig gewordenen Berufungen gegen die Einkommensteuerbescheide waren daher zurückzuweisen.
Allfälliges weiteres Verfahren
Für ein allfälliges weiteres Verfahren ist in Bezug auf das Pendlerpauschale zu bemerken:
Die Bw. begründet ihre Ansicht, ihr stehe das "große" Pendlerpauschale zu, damit, dass zu Arbeitsbeginn oder zu Arbeitsende die Fahrzeit für die 23 km umfassende Strecke bei Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar lang sei.
Ihre Dienstzeiten lägen - unter näherer Angabe der einzelnen Dienstpläne - zwischen 7:45 und 20:15 Uhr, die Fahrzeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln betrage zwischen etwa 2 bis 2,5 Stunden.
Ist dieses Vorbringen zutreffend, stünde ihr nach der Verwaltungspraxis bis der hier gegebenen Wegstrecke von 20 bis 40 km das "große" Pendlerpauschale zu.
Das Finanzamt stützt die Versagung des "großen" Pendlerpauschales offenbar darauf, dass unter Verwendung eines Anrufsammeltaxis für die Strecke zwischen dem Bahnhof am Arbeitsort und der 28 Gehminuten vom Bahnhof entfernt gelegenen Arbeitsstätte bzw. eines Autobusses oder eines Anrufsammeltaxis für die Strecke zwischen dem Autobusbahnhof im Wohnort und einer in der Nähe der Wohnung gelegenen Haltestelle der Arbeitsweg auch in etwa 1,5 Stunden zurücklegbar sei.
Dieses Anrufsammeltaxi (AST) am Arbeitsort wird in den Fahrplänen wie folgt beschrieben:
"Fahrt mind. 30 min. vor Abfahrt unter Tel.: ... bestellen. Fahrgäste mit VOR-Zeitkarte zahlen nur den Komfortzuschlag von EUR 1,50; Einzelfahrpreis inkl. Komfortzuschlag 1 Zone EUR 3,00; 2 Zonen 4,50 EUR; Nachttarif (21 - 05 Uhr) EUR 4,00.
Das Anrufsammeltaxi (AST) am Wohnort wird in den Fahrplänen wie folgt beschrieben:
"Linie ... Anrufsammeltaxi: Tel.: ..., Fahrtanmeldung 30 Min. vor Abfahrt."
Das Anrufsammeltaxi funktioniert im VOR-Bereich grundsätzlich wie folgt (http://www.vor.at/online/page.php?P=470 ): "Bei dieser alternativen Betriebsform werden die Fahrgäste gegen telephonische Bestellung von und zu den AST-Sammelstellen bzw überhaupt ab/bis zur Haustüre chauffiert. In anderen Fällen übernimmt das AST auch die Verkehrsbedienung außerhalb der Betriebszeiten von Bus oder Bahn."
Laut den von der Bw. vorgelegten Fahrplanausdrucken (aus dem Jahr 2009) steht das Anrufsammeltaxi am Arbeitsort nur teilweise zur Verfügung.
Bei den von der Bw. bekannt gegebenen Dienstzeiten bestünden demzufolge folgende Fahrzeiten:
Mo. - Fr., Arbeitsbeginn 7:45, Ankunft 7:16, Fahrzeit (mit AST) 02:26.
Mo. - Fr., Arbeitsbeginn 8:50, Ankunft 8:18, Fahrzeit (mit AST) 01:47.
Mo. - Fr., Arbeitsbeginn 12:50, Ankunft 12:08, Fahrzeit (mit AST) 01:53.
Sa., Arbeitsbeginn 7:45, ?
Sa., Arbeitsbeginn 8:50, Ankunft 8:18, Fahrzeit (mit AST) 01:35.
Mo. - Fr., Arbeitsende 13:15, Abfahrt 13:24, Fahrzeit (AST besteht nicht) 02:04.
Mo. - Fr., Arbeitsende 18:15, Abfahrt 18:24, Fahrzeit (AST besteht nicht) 02:29.
Mo. - Fr., Arbeitsende 19:15, Abfahrt 19:24, Fahrzeit (AST besteht nicht) 02:29.
Mo. - Fr., Arbeitsende 20:15, Abfahrt 20:46, Fahrzeit (mit AST) 01:43.
Sa., Arbeitsende 13:15, ?
Sa., Arbeitsende 17:15, ?
Sa., Arbeitsende 18:15, Abfahrt 18:24, Fahrzeit (AST besteht nicht) 01:59.
Das Finanzamt hat (ein Vorhalt an die Bw. ist nicht ersichtlich) folgende weitere Fahrzeiten im Jahr 2009 ermittelt:
Mo. - Fr., Arbeitsbeginn 7:45, Ankunft 7:18, Fahrzeit (mit AST) 01:44.
Mo. - Fr., Arbeitsende 20:15, Abfahrt 20:15, Fahrzeit (mit AST) 01:40 (wobei die Verwendbarkeit fraglich erscheint, da das Arbeitsende von den Kunden des Arbeitgebers abhängt).
Die Voraussetzungen für das Pendlerpauschale müssen in zeitlicher Hinsicht im Lohnzahlungszeitraum, als im jeweiligen Kalendermonat, überwiegend vorliegen.
Das Finanzamt wird daher zu ermitteln haben,
welche Verkehrsverbindungen in den Streitzeiträumen 2004, 2005 und 2006 zur Verfügung standen (hier können die Fahrpläne anders als 2009 gestaltet gewesen sein),
wie lange die tatsächliche Wegzeit (unter Berücksichtigung auch von Wartezeiten nach Arbeitsende) jeweils gewesen ist, zumal unter Berücksichtigung der Wartezeiten zwischen Arbeitsende und Abfahrt des (ersten) öffentlichen Verkehrsmittels jedenfalls nach den vorliegenden Fahrplandaten für 2009 die Gesamtwegzeit in der Regel über 2 Stunden in eine Richtung liegt,
ob unter Verwendung von "Park and Ride" (vgl. etwa VwGH 24.9.2008, 2006/15/0001; VwGH 28.10.2008, 2006/15/0319) für die Strecke zwischen Wohnung und der optimalen ersten Haltestelle des öffentlichen Verkehrs eine Verbesserung der Gesamtwegzeiten möglich wäre und bejahendenfalls, welche,
sofern nach diesen Ermittlungen Gesamtwegzeiten unter 2 Stunden in Betracht kommen, ob diese an Hand der tatsächlichen Dienstpläne für den Streitzeitraum überwogen oder ob nicht vielmehr überwiegend Gesamtwegzeiten von über 2 Stunden gegeben waren.
Diese Feststellungen werden in einem allfälligen weiteren Verfahren unter Wahrung des Parteiengehörs zu treffen sein.
Ergibt sich hieraus eine überwiegende Gesamtwegzeit mit Massenbeförderungsmitteln (allenfalls in Kombination mit "Park and Ride") von mehr als zwei Stunden in eine Richtung, ist bereits nach den Lohnsteuerrichtlinien die Zumutbarkeit der Verwendung von Massenverkehrsmitteln zu verneinen.
Wien, am 7. Oktober 2009
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte: | neuer Lohnzettel, Bescheidbegründung, neu hervorgekommene Tatsachen, Wiederaufnahme des Verfahrens, Pendlerpauschale, Wegstrecke |