UFS RV/1216-W/07

UFSRV/1216-W/0715.5.2007

Zurückweisung eines Nachsichtsansuchen wegen entschiedener Sache

 

Beachte:
VwGH-Beschwerde zur Zl. 2007/13/0068 eingebracht. Mit Erk. v. 30.9.2009 als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungstext

Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., vom 22. Februar 2007 gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 8/16/17 vom 12. Jänner 2007 betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Nachsicht von Abgabenschuldigkeiten entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

Entscheidungsgründe

Mit Eingabe vom 2. Oktober 2006 brachte der steuerliche Vertreter der Berufungswerberin (Bw.) einen Antrag auf Nachsicht hinsichtlich entrichteter Abgabenschuldigkeiten in Höhe von ATS 4.014.896,00 (€ 291.773,87) mit folgender Begründung ein:

"1. Auf Grund einer abgabenbehördlichen Nachschau im Bereich der Umsatzsteuer 1992 und erste Hälfte des Jahres 1993 wurden Vorsteuerbeträge mit einem Betrag von ATS 3.651.544,00 als nicht abzugsfähig anerkannt.

Als unmittelbare Folge des gesamten Verfahrens wurde die Beschwerdeführerin (Bf.) mit folgenden Abgaben belastet:

rückzahlbare Vorsteuerbeträge

3.651.544,00 ATS

Säumniszuschläge

72.231,00 ATS

Aussetzungszinsen

291.121,00 ATS

sohin insgesamt

4.014.896,00 ATS

Die diesbezüglichen Bescheide des Finanzamtes für Körperschaften Wien sind nach Durchführung des Berufungsverfahrens vor der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland in Rechtskraft erwachsen. Beschwerden vor dem Verfassungs- bzw. Verwaltungsgerichtshof blieben erfolglos.

2. Der gegenständliche Nachsichtsfall steht im Zusammenhang mit den unter der Bezeichnung "Vorsteuerschwindel des W.R." durch zahlreiche Medienberichte und Publikationen in der Öffentlichkeit und auch amtsbekannten Vorgänge, die mittlerweile auch zu massiven strafrechtlichen Verurteilungen der Beteiligten geführt hat.

3. Im Gegensatz zu den 20 verurteilten Unternehmern wurde das Strafverfahren gegen den Geschäftsführer der Nachsichtswerberin, Herrn A.P. allerdings eingestellt und hat die zuständige Ratskammer des Landesgerichts für Strafsachen Wien mit Beschluss xxx vom 3.5.2000 sich mangels Vorsatzes zur Verfolgung des Geschäftsführers wegen der ihm zur Last gelegten Finanzvergehen gem. §§ 202, 204 FinStrG als nicht zuständig erklärt.

Wörtlich führt das Landesgericht für Strafsachen Wien darin aus:

"Zieht man zu den Verantwortungen der Angezeigten zusätzlich in Betracht, dass die Vorgehensweise der kriminellen Organisation des W.R. und seiner Zwischenhändler auch besonders darauf ausgerichtet war, den Exporteuren nicht mehr Einblick als unbedingt erforderlich zu gewähren, um ihre Kreise nicht zu stören und die Zahl der Mitwisser nicht unnötig zu vermehren, sowie weiters, dass keiner der angezeigten Exporteure die betrügerisch herausgelockte Umsatzsteuer zu lukrieren oder auch nur einen Anteil davon erhalten sollte, sondern sie alle lediglich die relativ geringfügige Differenz zwischen ihrem Nettokaufs- und -verkaufspreis vereinnahmen sollten, weil sie die später geltend gemachte Vorsteuer der Organisation vorfinanzieren mussten, fehlt von vornherein jede Grundlage für die Annahme eines vorsätzlichen Handelns. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der umfangreiche Vorsteuerschwindel und die Betrügereien eben nur durch die Einschaltung immer neuer nicht eingeweihter Exportunternehmen möglich war. Durch die auf Grund der einschlägigen Bestimmungen des Umsatzsteuergesetzes, insbesondere dessen § 11, wohl zurecht erfolgte Nichtanerkennung der geltend gemachten Vorsteuerbeträge durch die zuständigen Finanzbehörden erlitten die nicht eingeweihten Exporteure vielmehr große, zum Teil existenzbedrohende Schäden, die sie zu Opfern der massiven Betrugshandlungen im Rahmen der kriminellen Organisation des W.R. machten."

4. Die Nachsichtswerberin hat im gegenständlichen Fall bereits einmal - vergeblich - um Nachsicht angesucht.

Wobei als persönliche Unbilligkeit insbesondere angeführt wurde, dass ein massives wirtschaftliches Missverhältnis zwischen der beabsichtigten Abgabeneinhebung von ATS 4.014.596,00 und dem Gewinn aus sämtlichen in Rede stehenden Geschäften von ATS 891.173,00 besteht, wobei durch die erzwungene Vorfinanzierung der Umsatzsteuerbeträge der Gewinn durch Zinsbelastung noch entsprechend nach unten zu korrigieren ist, weshalb es zu einer Besteuerung von 500% des Ertrages gekommen ist.

Weiters wurde geltend gemacht, dass das wirtschaftliche Fortkommen der Bf. massiv gefährdet ist, da dieser Betrag der nötigen Finanzierung für entsprechende Anschaffungen des Umlaufvermögens abgeht und dadurch die Wirtschaftkraft entscheidend beeinträchtigt wäre und dadurch die Lebensfähigkeit des Betriebes gefährdet sei.

Die besondere persönliche Unbilligkeit im vorliegenden Fall liegt also insbesondere darin, dass die Nachsichtswerberin unter existenzbedrohenden Schäden zum Opfer massiver Betrugshandlungen im Rahmen der kriminellen Organisation des W.R.wurde. Die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen den laut Medienberichten in Auslieferungshaft in Brasilien festsitzenden W.R. scheint von vornherein aussichtslos, zumal nach den selben Medienberichten ja auch die Finanzverwaltung keinerlei Schadenersatz von W.R. bislang erzielen konnte.

5. Darüber hinaus liegt mittlerweile auch ein neuer Aspekt persönlicher und sachlicher Unbilligkeit vor.

Mit Urteil der 3. Kammer vom 12.1.2006 in den verbundenen Rechtssachen C-354/03 , C-355/03 und C-484/03 hat der Europäische Gerichtshof im Zusammenhang mit einem so genannten "Karussellbetrug" erstmals - wenngleich zu einer weitgehend anders gelagerten Rechtslage in Großbritannien - den Aspekt des mangelnden Verschuldens bei der Vorsteuerabzugsberechtigung anerkannt und ausgesprochen:

"Umsätze wie die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die nicht selbst mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet sind , sind Lieferungen von Gegenständen, die ein Steuerpflichtiger als solcher ausführt, und eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der Art. 2 Nr. 1, 4 und 5 Abs. 1 der 6. Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage in der durch die Richtlinie 97/7/EG des Rates vom 10. April 1995 geänderten Fassung, wenn sie die objektiven Kriterien erfüllen, auf denen diese Begriffe beruhen, ohne dass es auf die Absicht eines von dem betroffenen Steuerpflichtigen verschiedenen, an derselben Lieferkette beteiligten Händlers und/oder den möglicherweise betrügerischen Zweck - den dieser Steuerpflichtiger weder kannte noch kennen konnte - eines anderen Umsatzes ankommt, der Teil dieser Kette ist und der dem Umsatz, den der betreffende Steuerpflichtige getätigt hat, vorausgeht oder nachfolgt. Das Recht eines Steuerpflichtigen, der solche Umsätze ausführt, auf Vorsteuerabzug wird auch nicht dadurch berührt, dass in der Lieferkette, zu der diese Umsätze gehören, ohne dass dieser Steuerpflichtige hiervon Kenntnis hat oder haben kann, ein anderer Umsatz, der dem vom Steuerpflichtigen getätigten Umsatz vorausgeht oder nachfolgt, mit einem Mehrwertsteuerbetrug behaftet ist."

6. Wenngleich nicht verkannt wird, dass dieser Entscheidung eine andere Rechtslage als die österreichische zu Grunde liegt, so hätte diese de lege lata auch zu einer Überprüfung der strengen Entscheidungen in dem dem gegenständlichen Sachverhalt zu Grunde liegenden Abgabenverfahren führen müssen.

Nur der Vollständigkeit halber sei dargestellt, dass die Entscheidungen in dem der Abgabenfestsetzung zu Grunde liegenden Abgabenverfahren im Wesentlichen mit dem Ergebnis der Verweigerung der Vorsteuerabzugsberechtigung geendet haben unter der Begründung, dass die gegenständlichen Rechnungen keine im Sinne des Umsatzsteuergesetzes gewesen wären, sondern vielmehr darin nicht vorhandene Ware ausgewiesen wäre. Dies hat aber letztlich auch einen Verschuldenscharakter, der der völlig verschuldensunabhängigen Formulierung der §§ 11, 12 UStG fremd ist.

Es ist daher auch die strenge Anwendung der verschuldensunabhängigen Versagung der Vorsteuerabzugsberechtigung zwar mit dem Gesetz im Einklang, jedoch sachlich und persönlich insbesondere gegenüber einem Betrugsopfer unbillig, nachdem die Nachsichtswerberin ja die Umsatzsteuer tatsächlich bereits zuvor konkret bezahlt hat, und zwar an den Vorlieferanten und nicht etwa dies - wie bei anderen, späteren Exporteuren der Fall - im Überrechnungsweg oder durch Wechsel oder ähnliches beglichen.

Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall auch durchwegs von sämtlichen anderen im Fall R., die einer strafrechtlichen Verurteilung zugeführt wurden.

7. Eine Befassung der angerufenen Behörde mit der gegenständlichen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes gem. § 299 BAO ist nicht möglich, da - ungeachtet anderer Rechtsmeinungen - der Gesetzeswortlaut dieser Bestimmung eindeutig und ausschließlich auf Bescheide erster Instanz abzielt, während dem vorliegenden Verfahren und der dem Nachsichtsansuchen zu Grunde liegender Abgabenfestsetzungen (Versagung der Vorsteuerabzugsberechtigung) Bescheide der zweiten Instanz zu Grunde liegen.

8. Es ist zutreffend und erfreulich, dass im Gegensatz zum überwiegenden Ansatz der anderen vom Fall R. betroffenen Unternehmen die Gesellschaft der Nachsichtswerberin "überlebt" hat. Dafür hat sie aber einen hohen Preis zahlen müssen.

Durch die erhebliche Belastung mit der Rückführung und Doppelzahlung der Vorsteuerbeträge war jeglicher Finanzierungsspielraum für die Nachsichtswerberin über etliche Jahre hinaus erheblich minimiert. Um dies ansatzweise aufzufangen hat der Gesellschafter-Geschäftsführer zwei mal Einlagen im Ausmaß von jeweils EUR 75.000,00 in die Gesellschaft getätigt, die auf diesem Wege bis heute nicht zurückgeflossen sind. Darüber hinaus gab es über drei Monate totale Umsatzabstürze und in der Folgezeit langfristig ca. eine Halbierung des Umsatzes (aufgrund der mangelnden Finanzierbarkeit des Warenflusses). Nur durch massiven persönlichen Einsatz konnte das Unternehmen gehalten werden.

Während das Unternehmen der Nachsichtswerberin daher unmittelbar vor Versagung der verfahrensgegenständlichen Vorsteuerabzugsbeträge an der Schwelle zum Großbetrieb war, der erhebliche Umsatzsteigerungen vor Augen hatte und dabei zusätzliche Arbeitsplätze hätte schaffen können, blieb es in der Folge in der vorherigen Dimension mit entsprechender Verringerung der Umsätze.

So ist aus der Tatsache des "Überlebens" kein Argument gegen das Nachsichtsansuchen abzuleiten.

9. Zusammengefasst mangelt es im vorliegenden Fall der Nachsichtswerberin daher einerseits an jedem Verschulden. Andererseits hat sie wirtschaftlich die selben Konsequenzen im Abgabenverfahren getragen und zu tragen wie sämtliche Fälle der im Verfahren mittlerweile vor dem Obersten Gerichtshof Verurteilten. Abgabenrechtlich wird daher die Nachsichtswerberin mit den Unternehmern der betrügerischen Organisation des W.R. gleichgestellt. Dies ist sachlich unbillig schon im Hinblick auf generalpräventive Aspekte. Es ist aber auch persönlich unbillig, weil es ja die Nachsichtswerberin war, die bei Auftreten erster Unklarheiten sofort von weiteren Geschäften mit der Gruppe des W.R. Abstand genommen hat.

Schließlich wird unter dem Aspekt der nunmehr erstmaligen Beachtung des Verschuldensprinzips auch im Umsatzsteuerrecht und im Bereich der Vorsteuerabzugsberechtigung der Aspekt der persönlichen Unbilligkeit neu zu überdenken sein.

10. Die Zulässigkeit der neuerlichen Befassung der angerufenen Behörde mit einem Nachsichtsansuchen liegt in neu hervorgekommenen Tatsachen. Einerseits waren seinerzeit gegen den Geschäftsführer der Nachsichtswerberin zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Nachsichtsansuchen noch strafrechtliche Erhebungen anhängig. Andererseits war der Aspekt, auch Verschuldensfragen im Umsatzsteuerrecht und im Recht des Vorsteuerabzugs zu beachten, zum damaligen Zeitpunkt der österreichischen und europäischen Rechtsprechung fremd.

11. Aus den angeführten Gründen wird beantragt, die der Nachsichtswerberin auf Grund der abgabenbehördlichen Nachschau im Bereich der Umsatzsteuer 1992 und Jänner bis Juli 1993 zur Rückzahlung aufgetragenen bzw. verrechneten Vorsteuerbeträge von

 

3.651.544,00 ATS

Säumniszuschläge

72.231,00 ATS

Aussetzungszinsen

291.121,00 ATS

sohin insgesamt

4.014.896,00 ATS

durch Abschreibung nachzusehen, eine Neuberechnung der Bescheide aus den genannten Jahren vorzunehmen und die entsprechend gezahlten USt-Beträge zu refundieren."

Mit Bescheid vom 12. Jänner 2007 wies das Finanzamt das Ansuchen mit der Begründung zurück, dass bereits einmal ein Nachsichtsansuchen gestellt worden sei, welches abgewiesen worden sei. Einer nochmaligen Entscheidung stünde die Rechtskraftwirkung des Erstbescheides entgegen.

Das jetzige Ansuchen um Nachsicht basiere auf dem Umstand, dass in einem ähnlich gelagerten Fall (Karussellbetrug) in Großbritannien der EUGH eine Entscheidung gefällt habe, in der entschieden worden sei, dass die Vorsteuern bei jenen Unternehmern, die am Karussellbetrug beteiligt gewesen seien, ohne von der Betrugsabsicht zu wissen, anzuerkennen seien. Daher sei eine neue Rechtslage eingetreten, die ein neuerliches Ansuchen um Nachsicht rechtfertige. Dies sei im gegenständlichen Fall zu verneinen, da die Aberkennung der Vorsteuern die Jahre 1992 und 1993 betreffe. Zu diesem Zeitpunkt war die Republik Österreich noch nicht Mitglied der Europäischen Union, so dass Gemeinschaftsrecht und Rechtsprechung derselben für Zeiträume vor dem EU-Beitritt nicht anwendbar seien. Daher sei auch das Vorliegen neuer Umstände zu verneinen, womit eine neuerliche Antragstellung aus o.a. Gründen (res iudicata) nicht zulässig sei.

Dagegen brachte die Bw. form- und fristgerecht das Rechtsmittel der Berufung ein.

Zur Begründung führte die Bw. aus, dass es zutreffend sei, dass bei entschiedener Sache (res iudicata) ein Ansuchen dann nicht zurückzuweisen sei, wenn geänderte tatsächliche Verhältnisse geltend gemacht würden. Ebenso zutreffend führe das Finanzamt im angefochtenen Bescheid aus, dass das zurückgewiesene Ansuchen um Nachsicht auch auf den Umstand hingewiesen habe, dass in einem ähnlich gelagerten Fall (Karussellbetrug) in Großbritannien der EuGH eine neue Entscheidung gefällt hätte.

Dies gebe aber das Ansuchen nur verkürzt wieder.

Zusätzlich und ausführlich sei im zurückgewiesenen Nachsichtsansuchen auch dargelegt, dass es geänderte tatsächliche Verhältnisse dahingehend gebe, dass der überwiegende Teil der im Steuerfall R. befassten Unternehmer nunmehr strafrechtlich verurteilt worden seien, der Geschäftsführer der Nachsichtswerberin, Herr A.P. jedoch nicht, und vielmehr vom Landesgericht für Strafsachen Wien als Opfer bezeichnet worden sei.

Damit lägen aber neben der Änderung der Rechtsprechung und der Frage der Anwendung europarechtlicher Grundlagen geänderte tatsächliche Verhältnisse in Bezug auf die subjektive Seite und sohin auf die persönliche und sachliche Unbilligkeit vor. Dies sei in Ziffer 10 des nunmehr zurückgewiesenen Nachsichtsansuchens ausdrücklich ausgeführt.

Indem im angefochtenen Bescheid ausschließlich auf die EU-Judikatur und nicht auf die Tatsache der strafrechtlichen Verurteilung der Unternehmer und der Einstellung des Strafverfahrens gegen den Geschäftsführer der Nachsichtswerberin als geänderte tatsächliche Verhältnisse eingegangen werde, leide der angefochtene Bescheid an einem Begründungsmangel und sei inhaltlich rechtlich verfehlt.

In der Folge wiederholte die Bw. das Vorbringen im Nachsichtsansuchen.

Das Finanzamt legte die Berufung ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung dem unabhängigen Finanzsenat zur Entscheidung vor.

Über die Berufung wurde erwogen:

§ 236 Abs. 1 BAO lautet: Fällige Abgabenschuldigkeiten können auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Abs. 2: Abs. 1 findet auf bereits entrichtete Abgabenschuldigkeiten sinngemäß Anwendung.

Im vorliegenden Fall stellt sich allein die Frage, ob dem Antrag vom 2. Oktober 2006 das Hindernis der durch den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 27. Jänner 1997, GA 7 - 1478/2/96, bereits entschiedenen Sache (res iudicata) entgegensteht oder nicht.

Im Abgabenverfahren sind nämlich neuerliche (wiederholte) Anträge, denen die materielle Rechtskraft einer bereits vorliegenden Entscheidung entgegensteht, unzulässig (sog. Wiederholungsverbot; vgl. Stoll, BAO-Kommentar 944 Abs. 4). Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob die bereits entschiedene Sache ident mit jener ist, deren Entscheidung im Wege des neuerlichen Antrages begehrt wird. Abgesehen von der Identität des Begehrens und der Partei(en) muss Identität des anspruchserzeugenden Sachverhaltes gegeben sein, damit das Verfahrenshindernis der res iudicata vorliegt (vgl. Stoll a.a.o; ebenso z.B. Fasching, Zivilprozessrecht, Lehr- und Handbuch² Rz 1514 und 1515).

Nur dann, wenn sich die Sachlage ändert (z.B. Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse und ähnliche Veränderungen im Tatsachenbereich) und neuerlich um Nachsicht angesucht wird, muss gemäß dem Erkenntnis des VwGH vom 21.12.1989, 89/14/0196, darüber entschieden werden.

Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis führen würden.

Im abgeschlossenen Verfahren wurde in der Berufungsentscheidung vom 27. Jänner 1997 ausgeführt, dass im Jahr 1992 und im Voranmeldungszeitraum 1-7/1993 Vorsteuerbeträge aus Eingangsrechnungen einer U-GmbH für die Lieferung von "DPF- Sinterwerkstoffen" geltend gemacht worden seien. Tatsächlich seien aber keine hochwertigen Sinterwerkstoffe, sondern wertloses Material eingekauft worden. Mangels entsprechender Rechnungen im Sinne des § 11 Abs. 1 Z 3 UStG sei daher der Vorsteuerabzug zu versagen gewesen. Die Verweigerung des Vorsteuerabzuges stelle sich als Auswirkung einer generellen Norm, nämlich des § 12 UStG dar, weshalb eine sachliche Unbilligkeit nicht vorliege. Eine solche Verweigerung des Vorsteuerabzuges sei vom Vorliegen eines Verschuldens unabhängig. Die Bw. habe aber auch eine hinreichende Darstellung ihrer maßgeblichen wirtschaftlichen Verhältnisse im Sinne der sie in einem Nachsichtsverfahren treffenden erhöhten Mitwirkungspflicht unterlassen, sodass auch dem Vorbringen zu einer persönlichen Unbilligkeit nicht gefolgt werden könne.

Die Bw. begründet ihr neuerliches Ansuchen auf ein Urteil des EuGH vom 12. Jänner 2006 und führt aus, dass die strenge Anwendung der verschuldensunabhängigen Versagung des Vorsteuerabzuges zwar mit dem Gesetz im Einklang stünde, jedoch persönlich und sachlich gegenüber einem Betrugsopfer unbillig sei, nachdem die Bw. die Umsatzsteuer bereits zuvor konkret bezahlt habe.

Weiters habe sich die zuständige Ratskammer des Landesgerichtes Wien mangels Vorsatzes des Bw. wegen der ihm zur Last gelegten Finanzvergehen gemäß §§ 202, 204 FinStrG als nicht zuständig erklärt.

Daraus kann allerdings noch keine "andere Sache" abgeleitet werden, denn neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen, gleichgültig ob die späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung gewonnen werden, stellen ebenso wie Entscheidungen von Gerichten, bzw. höchstgerichtliche Erkenntnisse, keine neue Tatsachen dar.

Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung dargetan, dass in einer Änderung der generellen Verwaltungspraxis, Gesetzänderungen oder mit dem Abgehen des VwGH (durch einen verstärkten Senat) oder eines anderen Gerichtes von einer bestehenden Rechtsprechung betreffend die auf Grund der bisherigen Verwaltungspraxis vorgenommenen Abgabenvorschreibungen eine unbillige Härte des Einzelfalles nicht gelegen sein kann, es handelt sich dabei vielmehr um eine Auswirkung der allgemeinen Rechtslage (vgl VwGH vom 18.2.1991, 91/15/0008).

Wie bereits oben ausgeführt, wurde in der Erstentscheidung u.a. auch dargetan, dass die Verweigerung des Vorsteuerabzuges sei vom Vorliegen eines Verschuldens unabhängig sei.

Die Frage des Verschuldens des Geschäftsführers war daher auch keine Vorfrage. Der Umstand, dass dieser strafrechtlich nicht verurteilt wurde, stellt daher auch aus diesem Gesichtspunkt keine Veränderung im Tatsachenbereich dar.

Nachdem die Würdigung der Vorbringen der Bw. ergab, dass keine Änderung der Sachlage vorliegt, folgt daraus, dass die Zurückweisung der Antrages vom 2. Oktober 2006 auf Grund des Wiederholungsverbotes zu Recht erfolgte.

Wien, am 15. Mai 2007

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

§ 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 92 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Schlagworte:

res iudicata, Änderung der Rechtsprechung, neue Tatsachen

Stichworte