UFS RV/2111-W/06

UFSRV/2111-W/0610.11.2006

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist, Haftungsbescheid nicht dem Vertreter zugestellt

 

Entscheidungstext

Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., vertreten durch Mag. Walter Heissig, Steuerberater & Wirtschaftsprüfer, 1100 Wien, Puchsbaumgasse 25-27, vom 23. August 2006 gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf vom 11. August 2006 betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 308 BAO) entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Mit Bescheid vom 27. April 2006 wurde der Berufungswerber (Bw.) gemäß § 9 Abs. 1 BAO i.V.m. § 80 BAO als Geschäftsführer der W-GmbH für Abgaben in der Höhe von € 6.503,83, nämlich Umsatzsteuer 2002 und 02/2003, Körperschaftsteuer 07/2003 bis 09/2004 sowie Säumniszuschlag 2003, zur Haftung herangezogen, da diese durch die schuldhafte Verletzung der ihm als Vertreter der Gesellschaft auferlegten Pflichten nicht hätten eingebracht werden können.

Da dagegen kein Rechtsmittel eingebracht wurde, veranlasste das Finanzamt am 14. Juli 2006 die Pfändung seiner Einkünfte aus unselbständiger Tätigkeit.

Mit Schreiben vom 4. August 2006 beantragte der steuerliche Vertreter des Bw. gemäß § 308 BAO die Wiedereinsetzung des gegenständlichen Haftungsverfahrens in den vorigen Stand und brachte zugleich das Rechtsmittel der Berufung gegen den Haftungsbescheid ein.

Begründend führte er aus, dass der Haftungsbescheid an die Adresse des Bw. zugestellt worden wäre, obwohl dem Finanzamt bekannt gewesen wäre, dass er sowohl den Bw. als auch die W-GmbH steuerlich vertreten würde und auch Zustellvollmacht hätte.

Da alle steuerlichen Agenden stets von ihm erledigt worden wären, hätte seine Mandantschaft davon ausgehen können, dass auch dieser Haftungsbescheid von ihm bearbeitet und allenfalls beeinsprucht worden wäre. Erst mit der dieser Tage zugestellten Lohnpfändung wäre dem Bw. gewusst geworden, dass der betreffende Bescheid durch die Kanzlei seines steuerlichen Vertreters nicht bearbeitet worden wäre.

Es handle sich dabei um ein unvorhergesehenes Ereignis, welches den Bw. an der Einhaltung der Rechtsmittelfrist gehindert hätte. Wenn den Bw. überhaupt ein Verschulden treffe, so könne es sich dabei nur um ein solches minderen Grades handeln. Da das Hindernis mit der Zustellung des Pfändungsbescheides weggefallen wäre, sei auch die Frist des § 308 Abs. 3 BAO gewahrt.

Mit Bescheid vom 11. August 2006 wies das Finanzamt den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und führte aus, dass gemäß § 308 BAO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen wäre, wenn die Partei glaubhaft machen würde, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert gewesen wäre, die Frist einzuhalten.

Da gemäß § 22 AbgEO Erledigungen im Vollstreckungsverfahren dem Abgabenschuldner auch dann wirksam zugestellt werden könnten, wenn er einen Zustellungsbevollmächtigten namhaft gemacht hätte, könne im gegenständlichen Fall nicht von einem unvorhergesehenen Ereignis gesprochen werden. Der Bw. hätte sich aber überzeugen müssen, dass der gegenständliche Haftungsbescheid von seinem steuerlichen Vertreter fristgerecht beeinsprucht werde, da die Beauftragung eines Steuerberaters den Abgabenschuldner nicht von seinen Informations- und Überwachungspflichten entbinden würde.

In der dagegen am 23. August 2006 rechtzeitig eingebrachten Berufung beantragte der Bw. die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung und wandte ein, dass sich das Finanzamt mit der Frage des Verschuldens überhaupt nicht auseinandergesetzt hätte, da es sonst zu einem anderen Ergebnis hätte kommen müssen.

Die geänderte Bestimmung des § 308 BAO sowie die dazu ergangenen Richtlinien würden davon ausgehen, dass dem Antrag dann stattzugeben wäre, wenn das Versäumnis auf ein Verschulden minderen Grades zurückzuführen wäre. Wenn der Bw. davon ausgegangen wäre, dass der Bescheid auch seinem Zustellbevollmächtigten zugegangen wäre und dieser stets alle Termine für ihn wahrgenommen hätte, könne wohl nur von einem Versehen ausgegangen werden, welches auch sorgfältigen Personen gelegentlich unterlaufen würde.

In Ergänzung der Berufung wandte der Bw. mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2006 ein, dass § 103 Abs. 1 BAO zwar normieren würde, dass im Einhebungsverfahren ergehende Erledigungen aus Gründen der Zweckmäßigkeit, insbesondere zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens trotz Vorliegens einer Zustellungsbevollmächtigung dem Vollmachtgeber wirksam zugestellt werden könnten. Somit handle es sich um eine Ermessensentscheidung, die stets zu begründen wäre. Der angefochtene Bescheid enthalte keine diesbezügliche Begründung.

Da das Finanzamt Mindestkörperschaftsteuern für Zeiträume, in denen nachweislich keine Geschäftstätigkeit mehr erfolgt und keinerlei Vermögen vorhanden gewesen wäre, in den Haftungsbetrag einbezogen hätte, müsse dem Finanzamt bekannt gewesen sein, dass in diesem Zeitraum keine Tätigkeit mehr erfolgt wäre, zumal der damalige Geschäftsführer der Gesellschaft vor Jahren verstorben wäre. Das Finanzamt hätte auch damit rechnen müssen, dass gegen den betreffenden Haftungsbescheid Berufung erhoben werde. Es wäre somit der Grundsatz der Billigkeit in keinster Weise berücksichtigt und die Schutzfunktion des Steuerberaters für seinen Mandanten unterlaufen worden.

Ritz, BAO, 316, führe in diesem Zusammenhang aus, dass bei unrichtiger Ermessensübung (insbesondere wenn die Zustellung an die Partei den Zweck des Vollmachtsverhältnisses, der wohl im fachlichen Beistand zu sehen sei, zu unterlaufen geeignet wäre, die Zustellung an die Partei nach Walter/Mayer (Zustellrecht, 148) unwirksam wäre.

Da diese Art der Zustellung geeignet gewesen wäre, den fachlichen Beistand zu unterlaufen, würden dem betreffenden Bescheid somit formelle und materielle Mängel anhaften. Die bewusste Umgehung des steuerlichen Vertreters stelle einen Verfahrensrechtsverstoß dar (Stoll, BAO,166, sowie VwGH 7.2.1958, 2091/55).

Zum Wiedereinsetzungsantrag brachte der Bw. vor, dass ein Rechtsirrtum bzw. die Unkenntnis einer Rechtsvorschrift einen Wiedereinsetzungsgrund bilden würde, wenn dem Wiedereinsetzungswerber an der Unkenntnis der Gesetze keine grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen wäre (OGH 23.5.1996, 80 Ob A2045/96; VwGH 3.9.1996, 96/04/0134). Es könne wohl nicht als grobe Fahrlässigkeit, sondern allenfalls als eine solche minderen Versehens angesehen werden, dass er die Bestimmung des § 103 BAO und die hiezu ergangene Judikatur nicht gekannt hätte und er der Meinung gewesen wäre, dass ein gleich lautendes Schriftstück an seinen zustellungsbevollmächtigten Vertreter ergangen wäre.

Mit Schreiben vom 7. November 2006 zog der Bw. den Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zurück.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gegen die Versäumung einer Frist §§ 108 bis 110 BAO) ist gemäß § 308 Abs.1 BAO auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung muss gemäß § 308 Abs. 3 BAO binnen einer Frist von drei Monaten nach Aufhören des Hindernisses bei der Abgabenbehörde, bei der die Frist wahrzunehmen war, bei Versäumung einer Berufungsfrist oder einer Frist zur Stellung eines Vorlageantrages (§ 276 Abs. 2 BAO) bei der Abgabenbehörde erster oder zweiter Instanz eingebracht werden. Spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag hat der Antragsteller die versäumte Handlung nachzuholen.

Gemäß § 103 Abs. 1 zweiter Satz BAO können im Einhebungsverfahren ergehende Erledigungen aus Gründen der Zweckmäßigkeit, insbesondere zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens, trotz Vorliegens einer Zustellungsbevollmächtigung wirksam dem Vollmachtgeber zugestellt werden.

Dem Einwand des Bw., dass gemäß § 103 Abs. 1 BAO im Einhebungsverfahren ergehende Erledigungen aus Gründen der Zweckmäßigkeit, insbesondere zur Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens, trotz Vorliegens einer Zustellungsbevollmächtigung lediglich dann wirksam dem Vollmachtgeber zugestellt werden können, wenn diese Ermessensentscheidung begründet werden würde, ist entgegenzuhalten, dass im gegenständlichen Haftungsverfahren bis zum Zeitpunkt der Einbringung des Antrages auf Wiedereinsetzung überhaupt noch keine Bevollmächtigung mitgeteilt wurde, weshalb für die Ausübung des Ermessens kein Raum bleibt.

Der steuerliche Vertreter des Bw. irrt mit seiner Annahme, dass eine im Veranlagungsverfahren erteilte Vollmacht automatisch auch für jedes andere finanzbehördliche Verfahren gelten würde. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes muss die Bevollmächtigung nämlich im jeweiligen Verfahren geltend gemacht werden. Auch wenn nach der Vollmachtsurkunde die Vollmacht etwa alle Verfahren vor Abgabenbehörden des Bundes umfasst, ist sie dennoch von der Abgabenbehörde nur in dem Verfahren, in dem darauf hingewiesen wird, zu beachten. Daher ist zB eine im Einkommensteuerverfahren des Geschäftsführers einer GmbH ausgewiesene Zustellungsbevollmächtigung nicht für seine Haftungsinanspruchnahme nach § 9 BAO maßgebend, solange kein Hinweis auf die Bevollmächtigung in diesem Verfahren erfolgt (VwGH 16.12.2003, 2001/15/0026).

Damit steht fest, dass der an den Bw. am 27. April 2006 direkt zugestellte Haftungsbescheid wirksam ergangen war.

Zu prüfen war weiters, ob ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, dass den Bw. an der Einbringung einer Berufung gegen den Haftungsbescheid gehindert hätte, vorlag.

Da ein Ereignis jedes Geschehen ist, also nicht nur ein Vorgang in der Außenwelt, sondern auch ein psychischer Vorgang wie Vergessen, Verschreiben, sich irren, usw. (VwGH 3.8.1984, 94/16/0164), ist das Vorbringen des Bw., dass er davon ausgegangen wäre, dass der Bescheid auch seinem steuerlichen Vertreter zugegangen wäre, grundsätzlich geeignet, ein solches Ereignis darzustellen.

Allerdings ist damit noch nicht verbunden, ob Unvorhersehbarkeit oder Unabwendbarkeit vorlag.

Unvorhergesehen ist ein Ereignis, das die Partei nicht einberechnet hat und dessen Eintritt sie auch unter Bedachtnahme auf die ihr persönlich zumutbare Aufmerksamkeit und Vorsicht nicht erwarten konnte (VwGH 25.1.1995, 94/13/0236).

Unabwendbar ist ein Ereignis dann, wenn es die Partei mit den einem Durchschnittsmenschen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und Mitteln nicht verhindern konnte, auch wenn sie dessen Eintritt voraussah (VwGH 25.1.1995, 94/13/0236).

Ein derart qualifiziertes Ereignis liegt aber nicht vor, da das Vorbringen des Bw., dass er offenbar der irrigen Annahme gewesen wäre, dass der Haftungsbescheid auch seinem steuerlichen Vertreter zugestellt worden wäre, wenig glaubhaft erscheint, da der Bescheid so gestaltet war, dass klar ersichtlich war, an wen dieser ergangen war. Der Bw. muss daher gegen sich gelten lassen, dass er diesen Umstand mit der gebotenen Sorgfalt eines Durchschnittsmenschen erkennen hätte müssen.

Darüber hinaus kann auch dem weiteren Einwand des Bw., dass er davon ausgehen hätte können, dass der Haftungsbescheid von seinem steuerlichen Vertreter - offenbar ohne sein Zutun - auch fristgerecht bekämpft werde, keine Glaubwürdigkeit zukommen, da es nicht der üblichen Vorgangsweise entspricht, dass ein Parteienvertreter eine Berufung einbringt, ohne die Angelegenheit mit seinem Mandanten zu besprechen und ohne einen darauf gerichteten Auftrag zu erhalten.

Dem Bw. musste bewusst sein, dass die fristgerechte Einbringung einer Berufung durch einen bevollmächtigten steuerlichen Vertreter zwingend eine entsprechende Kontaktaufnahme noch vor Ablauf der (dem Bw. aufgrund der Rechtsmittelbelehrung bekannten) Berufungsfrist erforderte. Der Bw. hätte daher entweder auf einem Besprechungstermin jedenfalls noch vor dem Ende der Berufungsfrist bestehen oder selbst eine Berufung einbringen müssen. Hat der Bw. dies verabsäumt, so kann nicht mehr von einem minderen Grad des Versehens (welches die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ausschließt) gesprochen werden (VwGH 25.6.1996, 94/11/0388).

Da unter diesen Voraussetzungen ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis nicht vorlag, war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am 10. November 2006

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

§ 103 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 308 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 83 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Schlagworte:

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Haftungsbescheid, Zustellvollmacht, Vertreter, unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis, Berufungsfrist

Verweise:

VwGH 25.06.1996, 94/11/0388
VwGH 16.12.2003, 2001/15/0026

Stichworte