UFS RV/0815-W/06

UFSRV/0815-W/067.6.2006

Rechtswidrigkeit von Aufhebungsbescheiden

 

Anmerkungen:
BAO idF Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz (AbgRmRefG), BGBl I, 2002/97

Entscheidungstext

Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., vertreten durch Appellator Steuerberatungs GmbH, 1090 Wien, Garnisongasse 1/16, gegen die Bescheide des Finanzamtes Neunkirchen Wr. Neustadt betreffend Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 2002 vom 13. Dezember 2004, Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2002 vom 13. Dezember 2004, Umsatzsteuer 2002 vom 6. Dezember 2005 und Einkommensteuer 2002 vom 6. Dezember 2005 entschieden:

1. Der Berufung gegen die Bescheide betreffend Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 2002 vom 13. Dezember 2004 und Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2002 vom 13. Dezember 2004 wird Folge gegeben.

Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

Die Bescheide betreffend Umsatzsteuer 2002 vom 6. Dezember 2005 und Einkommensteuer 2002 vom 6. Dezember 2005 scheiden aus dem Rechtsbestand aus.

2. Die Berufung gegen die aus dem Rechtsbestand ausgeschiedenen Bescheide betreffend Umsatzsteuer 2002 vom 6. Dezember 2005 und Einkommensteuer 2002 vom 6. Dezember 2005 wird zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

Am 13. Dezember 2004 hat das Finanzamt den Umsatz- und den Einkommensteuererstbescheid 2002 erlassen.

Am 6. Dezember 2005 hat das Finanzamt den Umsatz- und den Einkommensteuerbescheid 2002 vom 13. Dezember 2004 von Amtswegen aufgehoben und hat im Begründungsteil der Aufhebungsbescheide ausgeführt:

"Gemäß § 299 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde erster Instanz auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist."

Am 6. Dezember 2005 hat das Finanzamt einen Umsatzsteuerbescheid 2002 erlassen und hat im Begründungsteil dieses Bescheides ausgeführt:

"Die aus der Rechnung der G-GmbH vom 31.12.2002 resultierende Vorsteuer iHv € 3.265,00 ist nicht anzuerkennen, da es sich hiebei lt. Ermittlungen des Finanzamtes Graz-Stadt um eine fingierte Rechnung handelt. Die Rechnung ist nicht von der G-GmbH ausgestellt worden. Der in der Rechnung angeführte Geschäftsbereich wurde von der G-GmbH nicht ausgeübt. Der Adressat, Herr AW, ist der G-GmbH nicht bekannt."

Am 6. Dezember 2005 hat das Finanzamt einen Einkommensteuerbescheid 2002 erlassen und hat im Begründungsteil dieses Bescheides ausgeführt:

"Die bisher geltend gemachten Fremdleistungen aus der Rechnung der G-GmbH iHv netto € 16.325,00 (zuzüglich 20 % Umsatzsteuer) sind nicht anzuerkennen, da es sich hiebei lt. Ermittlungen des Finanzamtes Graz-Stadt um eine fingierte Rechnung handelt. Die Rechnung ist nicht von der G-GmbH ausgestellt worden. Der in der Rechnung angeführte Geschäftsbereich wurde von der G-GmbH nicht ausgeübt. Auch ist der G-GmbH der Adressat, Herr AW , nicht bekannt."

Am 19. Dezember 2005 hat der Bw. Akteneinsicht beantragt und hat ersucht, den Veranlagungsakt (und dabei insbesondere die in den Bescheiden vom 6. Dezember 2005 als Bescheidbegründung genannten Ermittlungsergebnisse) in Kopie zur Verfügung zu stellen. Mit der Eingabe (19. Dezember 2005) hat der Bw. außerdem beantragt, die Berufungsfrist bis zum Einlangen der beantragten Aktkopien, jedenfalls aber bis 31. Jänner 2006, zu verlängern.

Am 10. Jänner 2006 hat der Bw. die Bescheide betreffend Aufhebung des Umsatzsteuerbescheides 2002 vom 13. Dezember 2004, Aufhebung des Einkommensteuerbescheides 2002 vom 13. Dezember 2004, Umsatzsteuer 2002 vom 6. Dezember 2005 und Einkommensteuer 2002 vom 6. Dezember 2005 angefochten und hat seine Berufung wie folgt begründet:

"Gemäß § 183 Abs. 4 BAO ist den Parteien vor Erlassung des abschließenden Sachbescheides Gelegenheit zu geben, von den durchgeführten Beweisen und vom Ergebnis der Beweisaufnahme Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern.

Da das Finanzamt die Aufhebungsbescheide erlassen hat, ohne uns zuvor die Möglichkeit zur Stellungnahme zu geben, war die Aufhebung der Bescheide rechtswidrig und verletzte unseren Mandanten in seinem Recht auf Parteiengehör (siehe u.a. ÖStZ, Heft 6/2003, Ritz - Aufhebung von Bescheiden gemäß § 299 BAO).

Die Rechtswidrigkeit der anderen Bescheide ergibt sich bereits aus der Rechtswidrigkeit der Aufhebungsbescheide.

Zur Frage der Richtigkeit der Rechnung der G-GmbH werden wir dieses Berufungsschreiben nach der für den 26. Jänner 2006 vorgesehenen Einsicht in den Steuerakt noch ergänzen."

In der nach der Akteneinsicht (26. Jänner 2006) verfassten Eingabe (13. Februar 2006) hat der Bw. im Wesentlichen ausgeführt, dass die berufungsgegenständliche Leistung von HS für die G-GmbH erbracht und von dieser abgerechnet worden sei. Diesen Abrechnungsmodus bezeichnet der Bw. als "äußerst unglücklich durchgeführt" und führt dazu aus, dass die G-GmbH im Einfluss eines faktischen Machthabers, eines Herrn GR stehe. HS sei für GR u.a. im Rahmen der G-GmbH tätig gewesen. GR schulde HS Geld und deshalb sei vereinbart worden, die von HS bereits erbrachten Leistungen gegenüber dem Bw. in Form einer auf die G-GmbH auszustellenden Rechnung abzurechnen, diese bar zu kassieren und sich das Geld als Rückzahlung der Schulden zu behalten. Eine Rechnungskopie sei als Information von HS an GR per Post geschickt worden. Aufgrund dieser Vereinbarung habe HS GR bestätigt, seine Schulden getilgt zu haben. Alle, die offenen Forderungen betreffenden, juristischen, Schritte seien danach eingestellt worden.

Um die Richtigkeit seines Vorbringens zu beweisen, hat der Bw. seiner Berufung diverse Dokumente (bspw. eine Rechnung und ein Schreiben einer Rechtsanwältin) beigelegt.

In seiner Stellungnahme/Berufung (9. März 2006) hat das Finanzamt auf den, das Betriebsprüfungsverfahren für die Jahre 2001 bis 2002 abschließenden, Betriebsprüfungs(Bp)-Bericht vom 10. Dezember 2004 hingewiesen und hat idZ festgestellt, dass sich für das Jahr 2002 nur eine geringfügige Änderung bei den Bürokosten ergeben habe. Festgestellt wird, dass die als Betriebsausgabe geltend gemachten Fremdleistungen der G-GmbH zunächst anerkannt worden sind. Es sei jedoch eine Kontrollmitteilung an das für die G-GmbH zuständige Finanzamt gesandt worden. Die Auswertung dieser Mitteilung habe ergeben, dass das betreffenden Unternehmen die Rechnung Nr. 2002/0104 vom 31. Dezember 2002 über netto € 16.325,00 zuzüglich 20 % Umsatzsteuer für die Vermittlung von Kunden weder ausgestellt noch entsprechende Leistungen erbracht hat. Das Finanzamt weist darauf hin, dass die vorgelegten Unterlagen derart eindeutig gewesen seien, dass die Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 2002 vom 13. Dezember 2004 ohne Vorhalteverfahren, jedoch mit entsprechender Begründung, aufgehoben worden seien. Nach Ansicht des Finanzamtes könne das Parteiengehör auch im fortgesetzten Verfahren nachgeholt werden.

IZm den nach den Aufhebungsbescheiden erlassenen Sachbescheiden hat das Finanzamt ausgeführt, dass ein Schuldverhältnis zwischen zwei betriebsfremden Personen niemals Grundlage für die Anerkennung von Vorsteuern und Betriebsausgaben sein könne. Es liege keine Rechnung im Sinne des § 11 UStG idgF vor und es bestehe auch keine Klarheit über Leistungs- und Zahlungsempfänger.

IdZ verweist das Finanzamt auf eine Barbestätigung ohne leserliche Unterschrift bzw. Namensnennung und auf § 162 BAO.

Zu dieser Stellungnahme hat sich der Bw. am 12. April 2006 wie folgt geäußert:

"Beim gegenständlichen Leistungsaustausch handelt es sich um eine Dienstleistung, welche der Auftragnehmer durch eine Besorgungsleistung (heißt so, weil die Leistung von einer dritten Person erbracht wurde) erfüllte. Das Vertragsverhältnis kommt dadurch zustande, dass der Auftraggeber (der Bw.) einer dazu berechtigten Person eines Unternehmens (HS für die G-GmbH) einen Auftrag zur Durchführung von Leistungen gibt, welche dann von einem dritten Unternehmer (wiederum HS) erbracht werden."

Das Finanzamt hat die Berufung dem Unabhängigen Finanzsenat vorgelegt.

Über die Berufung wurde erwogen:

Die in diesem Berufungsverfahren angefochtenen Bescheide sind Aufhebungsbescheide und die nach Erlassung der Aufhebungsbescheide erlassenen Sachbescheide.

Strittig ist, ob die Aufhebungsbescheide wegen Verletzung des Rechtes auf Parteiengehör rechtswidrig (Bw.) oder rechtmäßig sind, weil eine Verletzung des Parteiengehörs ein im Berufungsverfahren sanierbarer Verfahrensmangel ist (Finanzamt).

Die Aufhebung von Bescheiden durch die Abgabenbehörde erster Instanz hat der Gesetzgeber in § 299 BAO idF Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz (AbgRmRefG), BGBl I, 2002/97, wie folgt geregelt:

Die Abgabenbehörde erster Instanz kann einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz auf Antrag der Partei oder vom Amts wegen aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist (§ 299 Abs. 1 BAO idgF). Mit dem aufhebenden Bescheid ist der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden (§ 299 Abs. 2 BAO idgF). Durch die Aufhebung des aufhebenden Bescheides tritt das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor der Aufhebung befunden hat (§ 299 Abs. 3 BAO idgF).

Aufhebungen gemäß § 299 Abs. 1 BAO idgF setzen die Gewissheit der Rechtswidrigkeit voraus. Der Inhalt eines Bescheides ist im Sinne des § 299 Abs. 1 BAO idgF rechtswidrig, wenn der Spruch des Bescheides rechtswidrig ist. Dies kann bei Verstößen gegen Gesetze, Verordnungen oder gegen Gemeinschaftsrecht der europäischen Union (Primärrecht oder Sekundärrecht, wie z.B. Verordnungen oder Richtlinien) der Fall sein.

Der Spruch eines Bescheides ist nicht nur dann rechtswidrig, wenn eine Rechtsvorschrift unzutreffend ausgelegt oder übersehen wurde. Ein Bescheid ist überdies inhaltlich rechtswidrig, wenn entscheidungserhebliche Tatsachen oder Beweismittel nicht berücksichtigt wurden; dies auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung auf mangelnde Kenntnis der Abgabenbehörde (z.B. aus Folge mangelnder Offenlegung durch die Partei) zurückzuführen ist.

Rechtswidrigkeiten im Sinne des § 299 Abs. 1 BAO idgF können weiters aus der Nichtberücksichtigung aktenkundiger Umständen resultieren.

Die Aufhebung liegt im Ermessen der Abgabenbehörde; dies unabhängig davon, ob sie von Amts wegen oder auf Antrag erfolgt. Ermessensentscheidungen sind nach § 20 BAO nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 2.7.1998, 98/16/0105 u.a.) muss in der Bescheidbegründung von Aufhebungsbescheiden der/die Aufhebungsgrund/Aufhebungsgründe enthalten sein. Außerdem sind die Gründe für die Ermessensübung darzustellen, wobei ein Hinweis auf den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung vielfach ausreichend sein wird.

Aus § 299 Abs 1 BAO idgF ist iVm der vorzit VwGH-Rechtsprechung abzuleiten:

Aufhebungsgrund im Sinne des § 299 Abs 1 BAO idgF ist ein Sachverhalt, der bewirkt, dass der Spruch eines Bescheides rechtswidrig ist; dieser Sachverhalt ist im Begründungsteil des Aufhebungsbescheides festzustellen.

Der Begründungsteil der im ggstl. Berufungsverfahren angefochtenen Aufhebungsbescheide besteht aus einem Satz; dieser Satz lautet:

"Gemäß § 299 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde erster Instanz auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist."

Durch Zitieren eines Gesetzeswortlautes werden die darin enthaltenen Tatbestandsmerkmale aufgezählt, deren Vorhandensein die Voraussetzung für die Anwendbarkeit der zitierten Gesetzesbestimmung ist; ein Sachverhalt wird durch Zitieren eines Gesetzeswortlautes nicht festgestellt.

Deshalb hat das Finanzamt mit dem Zitieren des Gesetzeswortlautes von § 299 Abs. 1 BAO idgF die für die Bescheidaufhebung erforderlichen Voraussetzungen aufgezählt; den Sachverhalt, der bewirkt haben soll, dass der Bescheidspruch der Umsatz- und Einkommensteuererstbescheide 2002 falsch ist, hat das Finanzamt mit diesem Zitat nicht festgestellt.

Aus dem Begründungsteil der Aufhebungsbescheide ist daher festzustellen: Der als Aufhebungsgrund verwendete Sachverhalt wird im Begründungsteil der Aufhebungsbescheide nicht festgestellt.

Entscheidungsgrundlage im ggstl. Berufungsverfahren ist: Der als Aufhebungsgrund verwendete Sachverhalt wird im Begründungsteil der Aufhebungsbescheide nicht festgestellt.

Wird der als Aufhebungsgrund verwendete Sachverhalt im Begründungsteil der Aufhebungsbescheide nicht festgestellt, ist nicht überprüfbar, ob der vom Finanzamt herangezogene Aufhebungstatbestand die Bescheidaufhebung rechtfertigt oder ob die Bescheidaufhebung rechtswidrig gewesen ist.

Das Nichtfeststellen des für die Bescheidaufhebung verwendeten Sachverhaltes im Begründungsteil des Aufhebungsbescheides ist daher ein wesentlicher, im Berufungsverfahren nicht sanierbarer, Begründungsmangel.

Nach der v.a. Sach- und Rechtslage ist der Berufung gegen die Aufhebungsbescheide stattzugeben.

IdF ist von folgender Sach- und Rechtslage auszugehen:

"In den Verfahrensstand zurücktreten, in dem sie sich vor ihrer Aufhebung befunden haben" bedeutet: Nach der Aufhebung der Aufhebungsbescheide gehören die (Sach-)Erstbescheide wieder zum Rechtsbestand.

"In den Verfahrensstand zurücktreten, in dem sie sich vor ihrer Aufhebung befunden haben" bedeutet auch: Durch die Aufhebung der Aufhebungsbescheide sind die nach diesen Aufhebungen erlassenen Sachbescheide ex lege aus dem Rechtsbestand ausgeschieden.

Mit dem Ausscheiden aus dem Rechtsbestand verlieren Bescheide ihre Rechtsfolgen, sodass sich die Berufung gegen die am 6. Dezember 2005 erlassenen Sachbescheide nach der Stattgabe der Berufung/Aufhebungsbescheide gegen rechtsfolgenlose Sachbescheide richtet.

Mit Berufung anfechtbar sind die Rechtsfolgen von Bescheiden, denn nur durch die Rechtsfolgen von Bescheiden ist ein Bescheidadressat beschwert und rechtliche Beschwere ist die Voraussetzung für die Anfechtbarkeit von behördlichen Erledigungen: Verlieren Bescheide ihre Rechtsfolgen, sind diese Bescheide nicht (mehr) mit Berufung anfechtbar.

IdF haben die im ggstl. Berufungsverfahren angefochtenen Sachbescheide ihre Rechtsfolgen nach Stattgabe der Berufung/Aufhebungsbescheide verloren; sie sind daher nicht (mehr) mit Berufung anfechtbar.

Ist ein Bescheid nicht mit Berufung anfechtbar, ist eine Berufung gegen diesen Bescheid nicht zulässig; eine nicht zulässige Berufung ist gemäß § 273 Abs. 1 lit. a BAO zurückzuweisen.

Nach dieser Rechtslage hatte der Unabhängige Finanzsenat die Berufung gegen die aus dem Rechtsbestand ausgeschiedenen Umsatz- und Einkommensteuerbescheide 2002 vom 6. Dezember 2005 zurückzuweisen.

Wien, am 7. Juni 2006

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

§ 299 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Schlagworte:

Bescheidaufhebung

Verweise:

VwGH 02.07.1998, 98/16/0105

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