BFH VI R 19/03

BFHVI R 19/034.5.2006

Amtlicher Leitsatz:

  1. 1. Durch das Dienstverhältnis veranlasste Leistungen des Arbeitgebers sind auch dann Arbeitslohn, wenn es an einem Rechtsgrund fehlt.
  2. 2. Zurückgezahlter Arbeitslohn ist erst im Zeitpunkt des Abflusses steuermindernd zu berücksichtigen.

Zurückgezahlter Krankenlohn darf nicht aufgeteilt werden

Hat ein Arbeitgeber einem Mitarbeiter Krankenlohn gezahlt, der an den Arbeitgeber zum Teil zurück zu überweisen ist, nachdem rückwirkend eine Erwerbsminderungsrente zugebilligt wurde, so mindert sich der steuerpflichtige Arbeitsverdienst des Arbeitnehmers im Jahr der Rückzahlung. Er kann nicht verlangen, dass der Erstattungsbetrag auf die vorherigen Jahre aufgeteilt wird, für die der Krankenlohn überwiesen worden war. (Was ihm hier Vorteile verschafft hätte, da er im Jahr der Rückzahlung — wegen seines Rentnerstatus — nur geringe steuerpflichtige Einkünfte hatte, sodass sich der Erstattungsbetrag auch nur gering auswirken konnte.)

Quelle: Wolfgang Büser

Normen

§ 11 Abs. 1 S. 1 EStG
§ 11 Abs. 2 S. 1 EStG
§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 2 EStG

FG Rheinland-Pfalz - 16.01.2003 - AZ: 4 K 1937/99

 

Gründe

I.

Streitig ist die steuerliche Behandlung von überzahlten Krankenbezügen durch den Arbeitgeber.

Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren 1995 und 1996 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielte bis zum 30. November 1996 als Sozialarbeiter Einkünfte aus Nichtselbstständiger Arbeit. Auf Grund von Arbeitsunfähigkeit erhielt er ab 3. November 1995 Krankenbezüge im Rahmen der Lohnfortzahlung durch die Stadt X (Arbeitgeber) gemäߧ 71 des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT). Rückwirkend bezog der Kläger ab 19. Juli 1995 Berufsunfähigkeitsrente und ab 1. Dezember 1996 Erwerbsunfähigkeitsrente. Die vom Arbeitgeber in der Zeit vom 15. Dezember 1995 bis zum 31. März 1997 geleisteten Krankenbezüge bzw. Urlaubsvergütungen beliefen sich auf 23 617,50 DM. Im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs vom 19. März 1997 vor dem Arbeitsgericht vereinbarte der Kläger mit dem Arbeitgeber die Rückzahlung überzahlter Krankenbezüge in Höhe von 7 248,29 DM. Von der Rückforderung der in der Zeit vom 15. Dezember 1995 bis 31. März 1996 gezahlten Krankenbezüge sah der Arbeitgeber gemäߧ 71 Abs. 2 BAT ab und verzichtete insoweit auf eine Erstattung. Der Kläger zahlte den genannten Betrag im Jahr 1997 an den Arbeitgeber zurück.

Im Februar 1999 beantragte der Kläger, die Rückzahlung in den Streitjahren 1995 und 1996 steuermindernd zu berücksichtigen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) lehnte --unter Berücksichtigung der Rückzahlung im Jahr 1997-- die Änderung der bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide für diese Jahre ab. Das Finanzgericht (FG) gab der Klage insoweit statt. Das FG vertrat die Auffassung, die strittigen Zahlungen stellten, da irrtümlich geleistet, keinen Arbeitslohn dar. Die bestandskräftigen Bescheide seien gemäߧ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) antragsgemäß zu ändern.

Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

Zum Arbeitslohn gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) alle "Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden". Nach Satz 2 dieser Vorschrift ist gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch auf die Leistung besteht oder nicht (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 5. Juli 1996 VI R 10/96, BFHE 180, 441, BStBl II 1996, 545). Der BFH definiert den Begriff des Arbeitslohns in ständiger Rechtsprechung als jedweden geldwerten Vorteil, der durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst ist (Urteil vom 7. Juli 2004 VI R 29/00, BFHE 208, 104, BStBl II 2005, 367). Eine solche Veranlassung liegt vor, wenn der Vorteil nur gewährt wird, weil der Zuwendungsempfänger Arbeitnehmer des Arbeitgebers ist, der Vorteil also mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis eingeräumt wird, und wenn sich die Leistung des Arbeitgebers im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist (BFH-Urteil vom 26. Juni 2003 VI R 112/98, BFHE 203, 53, BStBl II 2003, 886). Dabei genügt die tatsächliche Veranlassung der Einnahmen durch das Dienstverhältnis (BFH-Urteil vom 28. Februar 1975 VI R 29/72, BFHE 115, 251, BStBl II 1975, 520; Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach --HHR--, § 19 EStG Anm. 340). Arbeitslohn liegt u.a. dann nicht vor, wenn die Zuwendungen wegen anderer Rechtsbeziehungen oder wegen sonstiger, nicht auf dem Dienstverhältnis beruhender Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber gewährt werden (BFH-Urteil vom 22. März 1985 VI R 170/82, BFHE 143, 544, BStBl II 1985, 529).

Nach diesen Grundsätzen hat die Vorinstanz die Zahlung des Krankengelds zu Unrecht nicht als Arbeitslohn angesehen. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber bildet Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG (Schmidt/ Drenseck, EStG, 25. Aufl., § 19 Rz. 50 "Lohnfortzahlung im Krankheitsfall"; HHR/Pflüger, § 19 EStG Anm. 600 "Lohnfortzahlung"; Küttner/Thomas, Personalbuch 2006, Stichwort Krankengeld, Rz. 6). Der Arbeitgeber erfüllt damit im Fall der Arbeitsunfähigkeit den arbeitsrechtlichen Lohnzahlungsanspruch des Arbeitnehmers. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist auch der hier strittige Krankenbezug gemäߧ 71 BAT.

Entgegen der Auffassung des FG sind im Streitfall die Krankenbezüge auch insoweit Arbeitslohn, als die tarifrechtlichen Voraussetzungen nicht vorlagen und der Arbeitgeber insoweit ohne Rechtsgrund gezahlt hat und somit von einer Überzahlung auszugehen ist. Es besteht ein tatsächlicher Zusammenhang zwischen den Einnahmen und dem Dienstverhältnis. Dieser objektive Veranlassungszusammenhang, der für das Vorliegen von Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ausreicht, wird nicht dadurch aufgelöst, dass der Arbeitgeber überzahlten Arbeitslohn zurückfordert. Ob Zahlungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer bei diesem verbleiben können, ist für die Frage des Zuflusses von Arbeitslohn unerheblich (BFH-Urteil vom 22. Mai 2002 VIII R 74/99, BFH/NV 2002, 1430). Arbeitslohn liegt vor, wenn dem Arbeitnehmer Geld oder geldwerte Güter für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst zugeflossen sind. Zugeflossen ist eine Einnahme dann, wenn der Empfänger die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die in Geld oder Geldeswert bestehenden Güter erlangt hat (BFH-Urteil vom 16. April 1999 VI R 60/96, BFHE 188, 334, BStBl II 2000, 406). Einnahmen sind innerhalb des Kalenderjahres bezogen, in dem sie dem Steuerpflichtigen zugeflossen sind (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG). Ausgaben sind für das Kalenderjahr abzusetzen, in dem sie geleistet werden (§ 11 Abs. 2 Satz 1 EStG). Zurückgezahlte Einnahmen sind erst im Zeitpunkt des Abflusses steuermindernd zu berücksichtigen (BFH-Urteil vom 26. Januar 2000 IX R 87/95, BFHE 191, 274, BStBl II 2000, 396), im Streitfall also erst 1997. Entgegen der Auffassung des FG ist die Rückerstattung des überzahlten Betrags kein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 (BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 1430, m.w.N.).

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