Normen
§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1991/1993
Art. 17 Richtlinie 77/388/EWG
Art. 20 Richtlinie 77/388/EWG
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) begehrt aufgrund von berichtigten Steuererklärungen den Abzug der bei der Errichtung des Objekts R in den Jahren 1992 bis 1994 angefallenen Vorsteuerbeträge.
Die Klägerin erwarb am 20. Januar 1992 ein bisher als Kleingartenanlage genutztes Grundstück, das spätere Objekt R, um es mit 232 Appartements und einer Gaststätte zu bebauen. Weil nach dem für das Grundstück maßgebenden Bebauungsplan eine Wohnungsnutzung unzulässig war, sollten die Erwerber der einzelnen Appartements verpflichtet werden, diese (durch Zwischenvermietungsvertrag) an einen gewerblichen Betreiber eines sog. Boardinghouses zu vermieten. Das Konzept scheiterte und wurde fallengelassen. In notariell beurkundeten Nachträgen vom 29. September 1993 bzw. 22. Oktober 1993 zur Teilungserklärung ist dazu Folgendes ausgeführt worden:
"Entgegen der Angabe in der Vorurkunde wird auf dem Grundstück, Flur-Nr. . . . Gemarkung H. , kein Boardinghouse errichtet. Vielmehr wird auf dem vorgenannten Grundstück ein Wohngebäude mit Appartements errichtet werden" (Ziff. II des notariellen Nachtrags vom 29. September 1993).
"Die in dem auf dem Grundstück Flur-Nr. . . . Gemarkung H. erstellten Gebäude, bzw. zu errichtenden Appartements dienen zur Wohnnutzung oder zur gewerblichen Nutzung" (Ziff. II des Nachtrags vom 22. Oktober 1993).
Das erwähnte Grundstück wurde mit Wohnappartements und einem Restaurant bebaut und im Jahr 1994 bis auf die Gaststätte fertiggestellt. Bis einschließlich 1994 wurden Appartements mit einem Miteigentumsanteil von insgesamt 249, 47/1000 verkauft, die nicht zu unternehmerischen Zwecken verwendet wurden. Im Jahr 1995 wurden Appartements mit einem Miteigentumsanteil von 56, 38/1000 zu nichtunternehmerischen Zwecken (als Wohnungen) vermietet.
Im Jahr 1994 reichte die Klägerin die Umsatzsteuerjahreserklärung für 1992 ein, in der sie Umsätze und Vorsteuern in Höhe von jeweils 0 DM erklärte. Die im Voranmeldungsverfahren erfolgreich geltend gemachten Vorsteuerbeträge in Höhe von 5 556, 60 DM wurden wieder an den Beklagten und Revisionsbeklagten (das Finanzamt --FA--) zurückgezahlt. Auch in der für 1993 (am 3. Januar 1995) abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärung wurden die Umsätze und Vorsteuerbeträge mit jeweils 0 DM angemeldet. Die am 2. September 1996 eingereichte Umsatzsteuerjahreserklärung für 1994 wies steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 12 des Umsatzsteuergesetzes 1993 (UStG 1993) in Höhe von 17 200 DM und nach § 4 Nr. 9 UStG 1993 in Höhe von 811 425 DM aus. Steuerpflichtige Umsätze wurden nicht erklärt; Vorsteuerbeträge nicht geltend gemacht. Die Umsatzsteuerjahreserklärungen für 1992 bis 1994 wirkten als Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 168 der Abgabenordnung --AO 1977--) und wurden bestandskräftig.
In den am 15. Juli 1998 eingereichten berichtigten Umsatzsteuerjahreserklärungen für 1992 bis 1994 machte die Klägerin Vorsteuern 1992 in Höhe von 11 977, 14 DM, für 1993 in Höhe von 832 243, 89 DM und für 1994 in Höhe von 818 054 DM geltend und führte zur Begründung u. a. aus, die auf dem Grundstück errichteten Teileigentumseinheiten könnten nach der Teilungserklärung vom 22. April 1992 nur gewerblich als Boardinghouse genutzt werden. Der Nutzungszweck als Boardinghouse sei in verschiedenen Textziffern der Teilungserklärung und deren Anlagen festgeschrieben. Es werde eine Nutzung durch steuerpflichtige Umsätze beabsichtigt.
Das FA stimmte den berichtigten Jahressteuererklärungen nicht zu (§ 168 Satz 2 AO 1977) und lehnte den Antrag (§ 164 Abs. 2 AO 1977) auf Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen für 1992 bis 1994 mit Bescheid vom 18. November 1998 ab, weil die noch nicht veräußerten Wohnungen größtenteils leer stünden bzw. zum Teil durch den Zwangsverwalter zu Wohnzwecken vermietet worden seien. Die künftige umsatzsteuerpflichtige Verwendung sei nicht belegt und nicht glaubhaft gemacht worden.
Während des Einspruchsverfahrens erließ das FA am 9. März 1999 Änderungsbescheide für die Jahre 1992 bis 1994, in welchen es den Vorbehalt der Nachprüfung aufhob (§ 164 Abs. 3 AO 1977) und die Umsatzsteuerfestsetzung hinsichtlich der abziehbaren Vorsteuern im Hinblick auf die ungewisse tatsächliche Verwendung der Teileigentumseinheiten zu steuerpflichtigen Umsätzen nach § 165 Abs. 1 AO 1977 teilweise für vorläufig erklärte. Die Einsprüche gegen diese Bescheide hatten keinen Erfolg.
Die gegen die Umsatzsteueränderungsbescheide für 1992 bis 1994 in Gestalt der Einspruchsentscheidung gerichtete Klage, mit der die Klägerin die Berücksichtigung der in den am 15. Juli 1998 abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärungen geltend gemachten Vorsteuern für die Teileigentumseinheiten begehrte, die nicht als Wohnungen vermietet und nicht an Dritte (steuerfrei) veräußert worden waren, wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab.
Wegen der Einzelheiten wird auf die in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 1357 veröffentlichte Begründung Bezug genommen.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung von formellem und materiellem Recht.
Die Klägerin begehrt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung das FA zu verpflichten, die Umsatzsteuerfestsetzungen zu ändern und die Vorsteuern erklärungsgemäß zu berücksichtigen, die auf die nicht steuerfrei vermieteten und nicht steuerfrei veräußerten Teileigentumseinheiten entfallen.
Das FA ist der Revision entgegengetreten und beantragt ihre Zurückverweisung.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung.
1. Das FG hat der Klägerin rechtliches Gehör vorenthalten, als es --für die Klägerin überraschend-- am 14. August 2000 durch Gerichtsbescheid (§ 90a der Finanzgerichtsordnung --FGO--) entschied und gegen diese Entscheidung die Revision zuließ. Dadurch hatte die Klägerin keine Gelegenheit mehr, Tatsachen vorzutragen.
Das FG hatte eine mündliche Verhandlung am 10. April 2000 durchgeführt und beschlossen, die Sache zu vertagen. Es hatte erkennen lassen, dass es den Sachverhalt noch als weiter aufklärungsbedürftig ansah. Auf eine entsprechende Anfrage des Prozessbevollmächtigten der Klägerin an das FG war dem Bevollmächtigten in einem Schreiben von 11. Juli 2000 mitgeteilt worden, mit einer Terminierung sei frühestens im September 2000 zu rechnen.
Unter diesen Umständen brauchte die Klägerin nicht mit einer die Tatsacheninstanz abschließenden Entscheidung (vom 14. August 2000) zu rechnen. Das FG hätte zwar durch Gerichtsbescheid entscheiden können. Es durfte den Beteiligten durch die Zulassung der Revision nach § 90a Abs. 2 Satz 2 FGO aber nicht die Möglichkeit nehmen, den Tatsachenvortrag zu ergänzen; denn wegen der Revisionszulassung kann --zulässig-- keine mündliche Verhandlung mehr beantragt, sondern nur noch Revision eingelegt werden (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 7. Oktober 1997 VIII R 4/96, BFH/NV 1998, 1195). Es liegt unter diesen Umständen kein "geeigneter Fall" (§ 90a Abs. 1 FGO) für eine derartige Entscheidung vor (vgl. BFH-Urteil vom 28. Juni 2000 V R 55/98, BFHE 192, 228, BStBl II 2001, 31).
Wegen dieses Verfahrensfehlers wird die Vorentscheidung aufgehoben und dem FG Gelegenheit zu weiterer Sachverhaltsaufklärung gegeben.
2. In der Sache wird das FG bei der erneuten Entscheidung berücksichtigen müssen:
a) Für Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug aus Rechnungen über Eingangsleistungen ist bei richtlinienkonformer Anwendung von § 15 Abs. 1 und 2 UStG 1991/1993 maßgebend, ob der Steuerpflichtige die durch objektive Anhaltspunkte belegte Absicht hatte, mit den Investitionsausgaben Umsätze auszuführen, für die der Vorsteuerabzug zugelassen ist (vgl. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 8. Juni 2000 Rs. C-400/98 --Breitsohl--, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2000, 329, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht --UVR-- 2000, 302; BFH-Urteile vom 8. März 2001 V R 24/98, UR 2001, 214; vom 17. Mai 2001 V R 38/00, UR 2001, 550). Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer mit der Lieferung eines Gegenstands oder der Ausführung einer Dienstleistung an den vorsteuerabzugsberechtigten Steuerpflichtigen entsteht (Art. 17 Abs. 1 i. V. m. Art. 10 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG --Richtlinie 77/388/EWG--). Der Steuerpflichtige braucht daher die Aufnahme des tatsächlichen Betriebs seines Unternehmens nicht abzuwarten.
b) Im Streitjahr 1992 hatte die Klägerin beabsichtigt, die noch zu errichtenden Appartements zu veräußern. Waren danach Grundstückslieferungen beabsichtigt, kommt es für den Vorsteuerabzug für das Streitjahr darauf an, ob der Unternehmer das Grundstück steuerfrei (§ 4 Nr. 9 Buchst. a UStG) oder --unter den Voraussetzungen des § 9 UStG steuerpflichtig liefern wollte. Im erstgenannten Fall ist der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG ausgeschlossen, im letztgenannten Falle nicht (vgl. EuGH-Urteil vom 8. Juni 2000 C-396/98 --Schlossstraße--, UR 2000, 336, und BFH-Urteil in UR 2001, 214). Die Absicht, einen solchen (nach Verzicht auf die Steuerbefreiung) steuerpflichtigen Verwendungsumsatz auszuführen, kann nicht (wie dies ggf. Abschn. 148 Abs. 5 i. V. m. Abschn. 203 Abs. 3 der Umsatzsteuer-Richtlinien --UStR-- zu entnehmen ist) mit der Begründung als --für das Recht auf Vorsteuerabzug-- unbeachtlich behandelt werden, ohne tatsächliche Ausführung des Verwendungsumsatzes sei ein Verzicht auf dessen Steuerfreiheit unzulässig.
c) Wenn die Klägerin im Streitjahr 1992 nachweisbar beabsichtigte, die empfangenen Eingangsleistungen für besteuerte Ausgangsleistungen zu verwenden, war das Recht auf sofortigen Abzug der ihr dafür berechneten Umsatzsteuer als Vorsteuer entstanden.
Die Änderung dieser Absicht im Streitjahr 1993 und die nochmalige Änderung der Absicht im Jahr 1998 durch die Klägerin führt zu keiner anderen Beurteilung des Vorsteuerabzugs für die im Streitjahr 1992 bezogenen Eingangsleistungen.
Die vorhandene Absicht ist eine innere Tatsache, die nicht rückwirkend wegfällt, wenn sie später aufgegeben wird. Die Aufgabe der Absicht, mit den Eingangsleistungen besteuerte Umsätze auszuführen, und die neue Absicht, sie für steuerfreie Umsätze zu verwenden, führt nicht zum rückwirkenden Wegfall der Entstehung des Vorsteuerabzugsanspruchs. Deshalb ist damit auch keine Tatsache mit steuerlicher Rückwirkung verbunden, die (nach § 164 Abs. 2, § 165 Abs. 2 oder § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977) zur Änderung der Steuerfestsetzung für den Besteuerungszeitraum der Entstehung des Vorsteuerabzugsanspruchs berechtigt. Vielmehr verpflichtet die Absichtsänderung allenfalls zur Vorsteuerberichtigung im Besteuerungszeitraum der Absichtsänderung (§ 15a Abs. 1 UStG, Art. 20 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG).
d) Die Grundsätze zur Änderung des Verzichts auf die Steuerbefreiung gemäß § 9 Abs. 1, 2 UStG (vgl. BFH-Urteile vom 25. Januar 1979 V R 53/72, BFHE 127, 238, BStBl II 1979, 394; vom 25. Februar 1993 V R 78/88, BFHE 171, 369, BStBl II 1993, 777, und vom 11. August 1994 XI R 57/93, BFH/NV 1995, 170; Abschn. 148 Abs. 4 UStR) mit Rückwirkung (BFH-Urteil vom 1. Februar 2001 V R 23/00, BFHE 194, 493, UR 2001, 253) greifen nur ein, wenn ein tatsächlicher Umsatz ausgeführt und als steuerpflichtig behandelt worden ist. Im Streitfall sind dagegen nur Absichten (und die Folgen für die Änderung der Absicht) des Unternehmers zu beurteilen, mit Eingangsleistungen zum Vorsteuerabzug berechtigende Ausgangsumsätze ausführen zu wollen.
e) Für das Streitjahr 1993 hat das FG zu prüfen, ob die Klägerin für die in diesem Besteuerungszeitraum empfangenen Eingangsleistungen die Absicht nachweisen kann, diese für Ausgangsumsätze zu verwenden, die den Vorsteuerabzug zulassen. Dabei ist zu prüfen, ob von der Aufgabe der ursprünglichen Verwendungsabsicht schon vor den notariell beurkundeten Nachträgen zur Teilungserklärung im September und Oktober 1993 auszugehen ist.
Hinzu kommt im Streitjahr 1993 die Berichtigung der im Vorjahr entstandenen Vorsteuerabzugsansprüche.
f) Im Streitjahr 1994 hat die Klägerin nach den Feststellungen des FG nicht beabsichtigt, die von ihr beanspruchten Eingangsleistungen für zum Vorsteuerabzug berechtigende Ausgangsumsätze zu verwenden. Ein Vorsteuerabzugsanspruch ist insoweit nicht entstanden.
g) Durch die von der Klägerin im Jahr 1998 eingereichten berichtigten Umsatzsteuerjahreserklärungen für 1993 und 1994 hat sich an der tatsächlichen oder beabsichtigten Verwendung der Eingangsumsätze in den Jahren 1993 und 1994 nichts geändert, so dass sie keinen Einfluss auf die für diese Jahre entstandene Umsatzsteuer haben.