BFH

BFHI R 63/0019.12.2001

Amtlicher Leitsatz:

1. Ob bestimmte Einkünfte den Regeln über die unbeschränkte Steuerpflicht unterliegen, ist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Erzielens der Einkünfte zu beurteilen.

2. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG ist wörtlich und nicht teleologisch reduziert auszulegen.

3. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG ist nicht verfassungswidrig.

4. § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG verstößt gegen kein "Gebot der inneren Sachgesetzlichkeit".

5. Die Anwendung von § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG setzt abkommensrechtlich lediglich voraus, dass das einschlägige DBA die Berücksichtigung eines Progressionsvorbehalts nicht verbietet (Änderung der Rechtsprechung).

Progressionsvorbehalt: Auslandseinsatz darf keine Vorteile bringen

Wird ein Arbeitnehmer von seiner Firma ins Ausland entsandt und gibt er für diese Zeit seinen Wohnort in Deutschland auf, so ist seine Steuer in dem betreffenden Jahr unter Berücksichtigung der auch im Ausland erzielten Arbeitsverdienste (Progressionsvorbehalt) zu berechnen, wenn das ggf. maßgebende Doppelbesteuerungsabkommen dies nicht ausschließt. Entsprechendes gilt für einen Umzug vom Ausland nach Deutschland.

Quelle: Wolfgang Büser

Normen

§ 1 Abs. 1 EStG
§ 1 Abs. 4 EStG
§ 2 Abs. 7 S. 3 EStG
§ 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG
§ 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG
Art. 4 DBA-USA
Art. 15 DBA-USA
Art. 23 Abs. 2 Buchst. a S. 2 DBA-USA
Art. 3 GG

FG Köln

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe und mit welchem Steuersatz Einkünfte einer zunächst unbeschränkt einkommensteuerpflichtigen Person nach deren Wegzug ins Ausland der deutschen Steuer unterworfen werden dürfen.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war von 1994 bis Anfang 1997 (Streitjahr) bei der X-AG, einer inländischen Kapitalgesellschaft, nichtselbständig tätig. Er wohnte während dieser Zeit im Inland. Mit Wirkung zum 31. März 1997 wurde er an die Muttergesellschaft der X-AG, ein US-amerikanisches Unternehmen (nachfolgend: M), versetzt. In diesem Zusammenhang zog er schon am 8. März 1997 in die USA um.

Die X-AG bescheinigte dem Kläger auf der Lohnsteuerkarte für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. März 1997 einen Brutto-Arbeitslohn von 121 423, 21 DM, von dem --inzwischen unstreitig-- ein Betrag von 22 485, 75 DM auf eine 10-tägige Tätigkeit in den USA im Zeitraum vor dem 8. März 1997 entfiel. Der gesamte im Streitjahr erzielte Arbeitslohn des Klägers belief sich nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) auf (umgerechnet) 368 997 DM. Außerdem erzielte er im Streitjahr Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von (umgerechnet) 18 494 DM, wovon 1 279, 28 DM auf die Zeit vom 1. Januar bis zum 8. März 1997 entfielen.

Der Kläger ging in seiner Einkommensteuererklärung 1997 davon aus, dass der auf die Zeit vom 9. März bis zum 31. Dezember 1997 entfallende Arbeitslohn weder in die Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer einzubeziehen noch bei der Bemessung des anzuwendenden Steuersatzes zu berücksichtigen sei. Demgegenüber unterwarf der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) den gesamten für die Zeit bis zum 31. März 1997 bescheinigten Arbeitslohn der Steuer. Den hierauf anzuwendenden Steuersatz ermittelte er gemäߧ 32b Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) unter Einbeziehung der in den USA erzielten Einkünfte.

Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 1006 veröffentlicht.

Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung des § 32b EStG. Es beantragt, das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer in der Weise festzusetzen, dass von dem auf der Lohnsteuerkarte bescheinigten Arbeitslohn 98 937 DM in die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer einbezogen und bei der Bestimmung des anzuwendenden Steuersatzes sämtliche im Streitjahr erzielten Einkünfte des Klägers berücksichtigt werden.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die Feststellungen des FG lassen keine abschließende Entscheidung der Frage zu, in welchem Umfang der vom Kläger bezogene Arbeitslohn in die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer einzubeziehen ist. Das FG hat zwar zu Recht angenommen, dass die Beantwortung dieser Frage davon abhängt, zu welchem Anteil die bescheinigten Zahlungen für eine in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ausgeübte Tätigkeit des Klägers geleistet wurden. Es hat die hiernach maßgebliche wirtschaftliche Veranlassung der Zahlungen jedoch nicht in ausreichender Weise ermittelt.

1. Der Kläger war in der Zeit vor dem 9. März 1997 in der Bundesrepublik unbeschränkt (§ 1 Abs. 1 EStG) und nach dem 8. März 1997 nur noch beschränkt einkommensteuerpflichtig. Denn durch seinen Umzug in die USA gab er sowohl seinen inländischen Wohnsitz als auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland auf. Er unterlag deshalb seit dem 9. März 1997 nur noch mit seinen inländischen Einkünften i. S. des § 49 EStG der Einkommensteuer (§ 1 Abs. 4 EStG).

2. Das FG hat nicht festgestellt, zu welchen Zeitpunkten der Arbeitslohn dem Kläger ausgezahlt worden ist. Diese Frage ist jedoch in begrenztem Umfang entscheidungserheblich.

a) Soweit der Arbeitslohn dem Kläger vor dem 9. März 1997 zufloss, unterliegt er kraft unbeschränkter Steuerpflicht des Klägers der Einkommensteuer. Denn die unbeschränkte Steuerpflicht führt aus der Sicht des EStG zur Besteuerung des Welteinkommens (Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 20. Aufl. , § 1 Rz. 2; Blümich/Ebling, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 1 EStG Rz. 51). Ob bestimmte Einkünfte den Regeln über die unbeschränkte Steuerpflicht unterliegen, ist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt des Erzielens der Einkünfte zu beurteilen (Herlinghaus in Flick/Wassermeyer/Baumhoff, Außensteuerrecht, 6. Aufl. , § 1 EStG Rz. 107). Hiervon gehen ersichtlich auch die Beteiligten und das FG aus.

b) Soweit der Arbeitslohn dem Kläger in der Zeit nach dem 8. März 1997 ausgezahlt wurde, unterliegt er (nur) mit demjenigen Betrag der Einkommensteuer, der sich als Gegenleistung für eine im Inland ausgeübte oder verwertete Tätigkeit des Klägers darstellt (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG). Hierzu hat das FG angenommen, dass der bescheinigte Arbeitslohn nur anteilig für eine solche Tätigkeit gezahlt worden sei, und den maßgeblichen Anteil nach dem zeitlichen Verhältnis zwischen der unbeschränkten Steuerpflicht des Klägers (1. Januar bis 8. März) und dem Lohnzahlungszeitraum (1. Januar bis 31. März) bemessen. Dem vermag sich der Senat nicht ohne weiteres anzuschließen.

aa) § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG bezieht in die beschränkt steuerpflichtigen Einkünfte ausdrücklich Arbeitslohn für eine nichtselbständige Tätigkeit ein, die im Inland ausgeübt "worden ist". Hiernach ist nicht erforderlich, dass der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Lohnzahlung im Inland tätig ist und durch den Arbeitslohn die gegenwärtige Tätigkeit abgegolten wird. Vielmehr greift § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG auch dann ein, wenn ein im Ausland wohnhafter Arbeitnehmer früher im Inland tätig war, diese Tätigkeit inzwischen aufgegeben hat und nunmehr eine Nachzahlung für die frühere Tätigkeit erhält. Entscheidend ist mithin nicht eine zeitliche Kongruenz zwischen der Lohnzahlung und der im Inland ausgeübten Tätigkeit, sondern allein der wirtschaftliche Zusammenhang zwischen beiden.

bb)Im Streitfall lässt sich anhand der vom FG getroffenen Feststellungen nicht beurteilen, inwieweit die von der X-AG bescheinigte Lohnzahlung, soweit sie 22 485, 75 DM übersteigt, in einem solchen wirtschaftlichen Zusammenhang mit der Inlandstätigkeit des Klägers steht, auch wenn die Angaben die X-AG die (widerlegbare) Vermutung eines entsprechenden Zusammenhanges begründen.

aaa) Ein wirtschaftlicher Zusammenhang würde dann bestehen, wenn das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der X-AG bis zum 31. März 1997 fortbestanden und die X-AG die Zahlung insgesamt in Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Arbeitsvertrag geleistet haben sollte. In diesem Fall wäre der Kläger --sei es aus Urlaubs- oder aus anderen Gründen-- für die Zeit vom 9. März 1997 an von seiner Arbeitsverpflichtung gegenüber der X-AG freigestellt gewesen. Dies würde jedoch nichts daran ändern, dass sämtliche Zahlungen der Arbeitgeberin auf dem Arbeitsverhältnis beruhten und Entgelte für die vom Kläger entfaltete Tätigkeit im Dienst der X-AG waren. Soweit diese (frühere) Tätigkeit im Inland geleistet wurde, wäre (auch) die für die Zeit vom 9. bis zum 31. März 1997 geleistete Zahlung den inländischen Einkünften i. S. des § 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG zuzuordnen.

bbb) Im Ergebnis dasselbe gilt dann, wenn das Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der X-AG schon zum 8. März 1997 aufgelöst wurde, die X-AG jedoch aus Kulanz- oder ähnlichen Gründen auf eine Kürzung des für März 1997 geschuldeten Arbeitslohns verzichtete. Denn auch dann hätte die X-AG ihre gesamte Leistung in ihrer Eigenschaft als frühere Arbeitgeberin des Klägers erbracht, was für das Vorliegen einer Gegenleistung für die vorangegangene Arbeitstätigkeit des Klägers sprechen würde. Anhaltspunkte dafür, dass die X-AG dem Kläger eine nicht auf dessen Arbeitsleistung bezogenen Geldbetrag hätte zuwenden wollen, ergeben sich weder aus den Feststellungen des FG noch aus den Erklärungen der X-AG noch aus dem Vortrag des Klägers. Angesichts dessen müsste auch bei einer solchen Gestaltung der auf die Zeit vom 9. bis zum 31. März 1997 entfallende Betrag --entweder vollständig oder zumindest teilweise-- der Inlandstätigkeit des Klägers zugeordnet werden.

ccc) Anders wäre die Rechtslage, wenn der Kläger schon zum 9. März 1997 in die Dienste der M getreten sei und die X-AG das auf die Zeit bis zum 31. März 1997 entfallende Gehalt für Rechnung der M gezahlt haben sollte. In diesem Fall hätte die genannte Zahlung keinen wirtschaftlichen Bezug zu der vorausgegangenen Täigkeit des Klägers im Inland; sie würde sich vielmehr als Entgelt für die in den USA geleistete Arbeit im Dienst der M darstellen. Eine solche Gestaltung hätte jedoch zur Folge, dass die X-AG entweder lediglich zu Gunsten der M in Vorleistung getreten wäre und einen Erstattungsanspruch gegen M hätte oder dass eine verdeckte Gewinnausschüttung (vGA) vorläge. Ersteres wird zwar vom Kläger als möglich bezeichnet, ist vom FG jedoch nicht festgestellt worden. Es widerspricht den Angaben der X-AG auf der Lohnsteuerkarte des Klägers.

3. Sofern die in Rede stehende Zahlung der X-AG zu steuerpflichtigen Einkünften des Klägers geführt haben sollte, stünde deren Besteuerung in der Bundesrepublik das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und einiger anderer Steuern vom 29. August 1989 (DBA-USA) nicht entgegen. Das gilt wiederum unabhängig davon, ob der Kläger im Zeitpunkt der Auszahlung des Arbeitslohns durch die X-AG noch in der Bundesrepublik ansässig (Art. 4 DBA-USA) war oder nicht. Denn nach Art. 15 Abs. 1 Satz 2 dieses Abkommens dürfen Gehälter, Löhne oder ähnliche Vergütungen, die eine in einem Vertragsstaat ansässige Person für eine im anderen Vertragsstaat ausgeübte unselbständige Arbeit bezieht, in dem anderen Vertragsstaat (Tätigkeitsstaat) besteuert werden. Das hiernach bestehende deutsche Besteuerungsrecht wird nicht durch Art. 15 Abs. 2 DBA-USA ausgeschlossen, da die streitige Vergütung --eine Veranlassung der Zahlung durch das Arbeitsverhältnis mit der X-AG unterstellt-- von einem in der Bundesrepublik ansässigen Arbeitgeber gezahlt wurde (Art. 15 Abs. 2 Buchst. b DBA-USA).

4. Im Ergebnis hängt die Beantwortung der Frage, inwieweit die von der X-AG geleisteten Zahlungen in der Bundesrepublik zu besteuern sind, mithin von dem wirtschaftlichen Hintergrund für die Fortzahlung des Arbeitslohns vom 9. bis zum 31. März 1997 ab. Hierzu Feststellungen zu treffen, ist im Revisionsverfahren nicht zulässig. Deshalb muss die Sache an das FG zurückverwiesen werden.

5. Die in der Zeit vom 1. April bis zum 31. Dezember 1997 erzielten ausländischen Einkünfte des Klägers dürfen, worüber zwischen den Beteiligten kein Streit herrscht, nicht in die Bemessungsgrundlage der deutschen Einkommensteuer einbezogen werden. Sie sowie die für die Zeit der Tätigkeit in den USA im 1. Quartal 1997 gezahlten Beträge sind jedoch gemäߧ 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG im Wege des Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen.

a) Nach § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG ist bei der Festsetzung der Einkommensteuer u. a. dann ein besonderer Steuersatz (§ 32b Abs. 2 EStG) anzuwenden, wenn ein zeitweise unbeschränkt Steuerpflichtiger ausländische Einkünfte bezogen hat, die im Veranlagungszeitraum nicht der deutschen Einkommensteuer unterlegen haben. Diese Regelung gilt kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung "nur für Fälle der zeitweisen unbeschänkten Steuerpflicht einschließlich der in § 2 Abs. 7 Satz 3 geregelten Fälle". Wie sich aus dem Wort "einschließlich" ableiten lässt, erfasst sie nicht nur die in § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG geregelte Situation, in der ein Steuerpflichtiger in einem Teil des Kalenderjahres unbeschränkt steuerpflichtig ist und in einem anderen beschränkt steuerpflichtige Einkünfte i. S. des § 49 EStG erzielt. Sie greift vielmehr ihrem Wortlaut nach auch dann ein, wenn in einem Teil des Kalenderjahres unbeschränkte Steuerpflicht besteht und im anderen Teil keine in der Bundesrepublik zu besteuernden Einkünfte anfallen (Frotscher, Einkommensteuergesetz, § 32b Rz. 10 a; Handzik/Hellwig in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 32b EStG Rz. 101; Fitsch in Lademann, Einkommensteuergesetz, § 32b Rz. 7; Mössner, Internationales Steuerrecht --IStR-- 1997, 225, 226). Folglich wird der Streitfall von ihr erfasst.

b) § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG ist im Streitfall unabhängig davon anzuwenden, ob das DBA-USA ausdrücklich der Bundesrepublik als Ansässigkeits- oder Quellenstaat ein Besteuerungsrecht mit Progressionsvorbehalt einräumt. Entscheidend ist allein, dass Art. 15 DBA-USA der Bundesrepublik die Besteuerung der unter 3. genannten Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit uneingeschränkt gestattet und dass Art. 23 Abs. 2 Buchst. a Satz 2 DBA-USA keine anderweitige Regelung enthält. Angesichts dieser Rechtslage entscheidet sich allein nach dem deutschen innerstaatlichen Steuerrecht, ob ein Progressionsvorbehalt anzuwenden ist. An seiner früher vertretenen anderen Auffassung hält der Senat nicht länger fest (vgl. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4. Oktober 1967 I 422/62, BFHE 90, 357, BStBl II 1968, 101; vom 23. Oktober 1985 I R 274/82, BFHE 145, 48, BStBl II 1986, 133). Auch eine dem Art. 23A Abs. 3 des OECD-Musterabkommens aus 1977 (OECDMustAbk) entsprechende Vorschrift hat nur deklaratorische Bedeutung. Bei dieser Rechtslage kommt es nicht darauf an, ob § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG ausdrücklich ein "treaty overriding" enthält.

c) Entgegen der Annahme des FG ergibt sich eine abweichende Beurteilung nicht daraus, dass der Anwendungsbereich des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG aus historischen, verfassungsrechtlichen und/oder völkerrechtlichen Gründen teleologisch zu reduzieren ist.

aa) Der Senat geht im Grundsatz davon aus, dass die Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts dem Prinzip der Besteuerung eines jeden nach seiner Leistungsfähigkeit entspricht. Dies gilt jedenfalls für unbeschränkt steuerpflichtige Personen. Deren im Inland steuerpflichtige Einkünfte sollen nach dem Steuersatz besteuert werden, der für das Welteinkommen anzuwenden wäre. Eine Ausnahme vom Grundsatz kann für beschränkt steuerpflichtige Personen mit Praktikabilitätserwägungen gerechtfertigt werden, weil es häufig unmöglich ist, deren Welteinkommen zu ermitteln. Systemwidrig ist die in § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG enthaltene Einschränkung des Progressionsvorbehalts auf ausländische Einkünfte. Richtigerweise müssen auch alle inländischen Einkünfte dem Progressionsvorbehalt unterliegen. Aus dem Systemfehler ergeben sich jedoch keine weitergehenden Konsequenzen, weil von ihm alle Personen gleichermaßen begünstigt bzw. benachteiligt werden. Überflüssig ist ferner die in § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG enthaltene Einschränkung, dass das jeweils einschlägige Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) einen Progressionsvorbehalt "erlauben" muss. Der Senat versteht die Regelung in einem materiell-rechtlichen Sinne dahin, dass das jeweils einschlägige DBA die Anwendung des § 32b Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht verbieten darf. Bei diesem Verständnis ist eine ausdrückliche Erlaubnisnorm innerhalb des DBA nicht erforderlich.

bb) Vor diesem Hintergrund ist die Annahme des FG, der Wortlaut des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG schieße über das vom Gesetzgeber verfolgte Ziel hinaus, unzutreffend. Ob der Gesetzgeber bei Schaffung des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG nur den Fall vor Augen hatte, in dem ein zunächst unbeschränkt Steuerpflichtigter unter Hinterlassung einer inländischen Einkunftsquelle ins Ausland verzieht, kann dahinstehen. Jedenfalls entspricht die Besteuerung der inländischen Einkünfte mit einem dem Welteinkommen entsprechenden Steuersatz dem Grundgedanken des Progressionsvorbehalts.

Nach § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG in seiner bis zum Veranlagungszeitraum 1995 geltenden Fassung (a. F. ) waren, wenn die unbeschränkte oder beschränkte Steuerpflicht nicht jeweils während eines ganzen Kalenderjahres bestand, die Grundlagen für die Festsetzung der Einkommensteuer für den Zeitraum der jeweiligen Einkommensteuerpflicht zu ermitteln. Hieraus folgte, dass der anzuwendende Steuersatz sich nur nach der Höhe des Einkommens bemaß, das der Steuerpflichtige in dem betreffenden Zeitraum erzielt hatte. Es kam mithin weder zu einer Zusammenrechnung der in den einzelnen Phasen erzielten Einkünfte noch zur Anwendung eines Progressionsvorbehalts. Diese Handhabung hat der Senat im Jahr 1994 als vielleicht verfassungsrechtlich noch vertretbar, aber in der Sache bedenklich bezeichnet (Senatsurteil vom 27. Juli 1994 I R 25/94, BFHE 175, 528, BStBl II 1995, 127, 128).

Unter Hinweis hierauf (BTDrucks 13/1558, S. 156) hat der Gesetzgeber sowohl § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG geändert als auch § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG neu in das Gesetz eingefügt. Er hat damit dem Bedenken Rechnung getragen, das sich unter dem Gesichtspunkt der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit daraus ergab, dass der anzuwendende Steuersatz nur nach einem Teil des Jahreseinkommens --und damit im Verhältnis zu einem ganzjährig unbeschränkt Steuerpflichtigen zu niedrig-- bemessen wurde. Dieses Bedenken bestand jedoch nicht nur in denjenigen Fällen, in denen der Steuerpflichtige außerhalb des Zeitraums der unbeschränkten Steuerpflicht beschränkt steuerpflichtige Einkünfte erzielte; es galt vielmehr gleichermaßen dann, wenn vor Beginn oder nach Ende der unbeschränkten Steuerpflicht keine inländischen Einkünfte anfielen. Gerade dies ist ersichtlich der Grund dafür, dass der Gesetzgeber den Progressionsvorbehalt nicht auf die Fälle des § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG beschränkt, sondern auf den gesamten Bereich der zeitweisen unbeschränkten Steuerpflicht "einschließlich" jener Fälle erstreckt hat. Angesichts dessen besteht für die Annahme keine Grundlage, dass der Wortlaut des Gesetzes die Absichten des Gesetzgebers nicht zutreffend widerspiegele.

cc) Die verfassungsrechtlichen Bedenken des FG gegen § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG teilt der Senat ebenfalls nicht.

aaa) Das FG verweist hierzu darauf, dass es ein Unterschied sei, ob jemand ganzjährig unbeschränkt steuerpflichtig sei und während dieser Zeit auch ausländische Einkünfte erziele oder ob die unbeschränkte Steuerpflicht nur während eines u. U. kurzen Zeitraums bestehe; die Wesensverschiedenheit beider Sachverhalte gebiete eher eine unterschiedliche Regelung als eine Gleichstellung (ebenso Fitsch, a. a. O. , § 32b Rz. 7). Dieser Einwand greift jedoch schon deshalb nicht durch, weil beide Sachverhalte von Gesetzes wegen nicht gleich behandelt werden: Bei dem ganzjährig unbeschränkt Steuerpflichtigen werden die ausländischen Einkünfte (auch) in die Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer einbezogen, während sie im Fall des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG nur im Rahmen des Steuersatzes von Bedeutung sind. Für die Annahme einer willkürlichen Gleichbehandlung ungleich gelagerter Sachverhalte, aus der sich ggf. ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes --GG--) ergeben könnte, besteht folglich kein Ansatzpunkt.

bbb) Ebenso wenig verstößt § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG, wie vom FG angenommen, gegen das "Gebot der inneren Sachgesetzlichkeit". Einen solchen Verstoß sieht das FG darin, dass nach der gesetzlichen Regelung ein nur zeitweise unbeschränkt Steuerpflichtiger u. U. schlechter gestellt sei als derjenige, der ganzjährig sowohl in der Bundesrepublik als auch in einem anderen Staat unbeschränkt steuerpflichtig ist und nach einem DBA mit jenem Staat als (nur) dort ansässig gilt (vgl. hierzu Lüdicke, IStR 1999, 470, 471). Zum anderen erfolge eine Schlechterstellung auch gegenüber Personen, die während eines Kalenderjahres ausschließlich beschränkt steuerpflichtige Einkünfte i. S. des § 49 EStG erzielen (ähnlich Lüdicke, IStR 1999, 470, 471). Mit beiden Überlegungen lässt sich indessen ein Verstoß des Gesetzgebers gegen verfassungsrechtliche Vorgaben --insbesondere gegen Art. 3 Abs. 1 GG-- nicht begründen.

Die Behandlung des (nur) beschränkt Steuerpflichtigen ist als Vergleichsmaßstab schon deshalb untauglich, weil zwischen beschränkter und unbeschränkter Steuerpflicht ein grundlegender Unterschied besteht: Bei der beschränkten Steuerpflicht geht es um eine isolierte Besteuerung einzelner inländischer Einkünfte, bei der die im Ausland gegebenen Verhältnisse des Steuerpflichtigen weitgehend außer Betracht bleiben. Speziell der Gedanke einer Besteuerung nach der persönlichen Leistungsfähigkeit spielt hier keine hervorgehobene Rolle. Gerade dieser Gedanke prägt aber die Besteuerung unbeschränkt Steuerpflichtiger und trägt namentlich die Regelung in § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG. Angesichts dessen kann jene Regelung nicht an denjenigen zur beschränkten Steuerpflicht gemessen werden.

Ebenso geht der Hinweis des FG auf die Behandlung des unbeschränkt Steuerpflichtigen, der nach einem DBA als in einem anderen Vertragsstaat ansässig gilt, im Ergebnis fehl. Das FG lässt hierbei außer Acht, dass § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG diese Situation ebenfalls erfasst. Die Vorschrift knüpft nicht an das Bestehen oder Nichtbestehen eines DBA oder an dessen Ausgestaltung an, sondern ergreift alle Fälle der unbeschränkten Steuerpflicht. Eine solche besteht aber auch in den vom FG genannten Vergleichsfällen, so dass nicht erkennbar ist, inwieweit es hier zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung kommen kann. Die DBA lassen die Besteuerung der inländischen Einkünfte einer doppelt ansässigen Person mit einem aus dem Welteinkommen abgeleiteten Steuersatz in der Bundesrepublik zu. Der vom FG angesprochene Besteuerungsunterschied könnte sich allenfalls daraus ergeben, dass die Anwendung des Progressionsvorbehalts durch ein DBA ausnahmsweise ausgeschlossen wird. Über einen solchen Fall ist indes hier nicht zu entscheiden.

Zwar war der Kläger ab dem 9. März 1997 in der Bundesrepublik allenfalls noch beschränkt steuerpflichtig. Auch führt die Anwendung des § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG zu einer Ungleichbehandlung des Klägers mit anderen (nur) beschränkt Steuerpflichtigen. Jedoch ist diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt, weil der Kläger in 1997 zeitweilig auch unbeschränkt steuerpflichtig war und die unbeschränkte Steuerpflicht die Anwendung des Progressionsvorbehalts gebietet. Bei dieser Rechtslage müssen die für die beschränkte Steuerpflicht geltenden Praktikabilitätserwägungen zurücktreten.

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