§ 427 BGB
§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG
§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG
§ 191 Abs. 1 AO 1977
Gründe
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) gründete mit F zum 1. Januar 1987 eine (Personen-)Gesellschaft, in die er die gesamten Aktiva und Passiva seines Einzelunternehmens einbrachte. Gegenstand der Gesellschaft war der Vertrieb und der Kundendienst von Werkzeugmaschinen. Mit notariellem Vertrag vom 4. November 1988 erwarben die Gesellschafter zur gesamten Hand das Grundstück A, auf dem das Unternehmen der Gesellschaft betrieben wurde. Am 20. Juni 1990 gründeten der Kläger und F eine GmbH. Deren Stammkapital übernahmen sie je zur Hälfte; es wurde durch Übertragung des Vermögens der (Personen-)Gesellschaft erbracht. Der Kläger und F waren jeweils allein zur Geschäftsführung befugt. Auch das Unternehmen der GmbH wurde auf dem Grundstück betrieben, das im Eigentum der aus dem Kläger und F bestehenden GbR verblieb. Die GbR vermietete das 2 982 qm große Grundstück für jährlich 12 000 DM netto umsatzsteuerpflichtig an die GmbH.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) nahm in der Folgezeit sowohl eine Betriebsaufspaltung als auch eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft an und rechnete deshalb die Umsätze der GmbH der GbR als Organträgerin zu. Nachdem Antrag auf Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der GmbH gestellt worden war, ordnete das Amtsgericht am Freitag, dem 28. Januar 1994, die Sequestration des Geschäftsbetriebs der GmbH an und verbot der GmbH gleichzeitig, Gegenstände ihres Vermögens zu veräußern oder sonst über sie zu verfügen. Unter dieses Verbot fiel auch die Einziehung von Außenständen. Drittschuldner hatten ihre Verbindlichkeiten gegenüber der GmbH sofort bei Fälligkeit an den Sequester zu erfüllen.
Mit Beschluss vom 31. März 1994 wurde sodann das Konkursverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet. Nach der weitgehenden Erfolglosigkeit von Vollstreckungsmaßnahmen gegen die GbR wegen der auf die Zeit vor Eröffnung des Konkursverfahrens entfallenden Umsatzsteuer-Rückstände nahm das FA den Kläger mit Bescheiden vom 1. Juli 1994 (Nr. 1) und vom 13. Januar 1995 (Nr. 2) in Haftung gemäß § 191 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) i. V. m. §§ 718, 427 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB). Die Haftungsbescheide betreffen die Zeiträume Dezember 1993 und Januar 1994 (Nr. 1) bzw. Dezember 1993 und März 1994 (Nr. 2). Im Bescheid Nr. 2 ist noch ein Verspätungszuschlag für März 1994 festgesetzt worden.
Nachdem das FA im Verlauf des Einspruchsverfahrens zwei Umsatzsteuer-Sonderprüfungen durchgeführt hatte, durch die insbesondere Feststellungen zu den behaupteten Forderungsausfällen sowie zu den wegen Uneinbringlichkeit der Gläubiger-Forderungen vorzunehmenden Vorsteuer-Berichtigungen getroffen worden waren, setzte das FA die Haftungsbeträge durch Bescheide vom 1. Juli 1994 auf 124 698, 71 DM und vom 13. Januar 1995 auf 237 461, 20 DM herab.
Der dagegen erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) teilweise statt. Es änderte die angefochtenen Bescheide und setzte auf nach dem 28. Januar 1994 ausgeführte Umsätze keine Haftungsbeträge mehr fest. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 931 veröffentlicht.
Zur Begründung seiner Entscheidung führte das FG u. a. aus: Zu den gesetzlichen Gesamthandsverbindlichkeiten der GbR rechneten auch die Umsatzsteuerschulden, soweit die GmbH während der Organschaft Umsätze ausgeführt habe. Einzubeziehen seien auch Verspätungszuschläge als steuerliche Nebenleistungen.
Die GmbH sei seit ihrer Gründung in das Unternehmen der GbR eingegliedert gewesen mit der Folge, dass ihr die Umsätze der GmbH zuzurechnen gewesen seien. Bereits die Anordnung der Sequestration in Verbindung mit dem allgemeinen Veräußerungs- und Verfügungsverbot habe aber die Beendigung der Organschaft bewirkt. Denn sie habe zur Folge gehabt, dass die organisatorische Eingliederung der GmbH in die GbR entfallen sei.
Die Verbindung der Anordnung der Sequestration mit der eines allgemeinen Veräußerungsverbotes habe zur Folge, dass dem Sequester eine Stellung zukomme, die eine vom Willen der herrschenden Gesellschaft getragene Willensbildung bei der beherrschten Gesellschaft nicht mehr zulasse. Dies gelte auch dann, wenn --wie vorliegend-- dem Wortlaut nach nur eine Sicherungssequestration angeordnet worden sei, da mit dieser typischerweise auch weitergehende Verwaltungsaufgaben verbunden seien. Der Auffassung des Bundesfinanzhofs (BFH) in den Urteilen vom 13. März 1997 V R 96/96 und vom 28. Januar 1999 V R 32/98 (BFHE 182, 426 bzw. 187, 355, BStBl II 1997, 580 bzw. 1999, 258) könne es (das FG) sich nicht anschließen. Denn für die organisatorische Eingliederung komme es nicht darauf an, ob dem Sequester eine abweichende Willensbildung möglich sei, sondern darauf, ob der Organträger weiterhin in der Lage sei, seinen Willen in der Organgesellschaft durchzusetzen. Dies sei nicht mehr der Fall, wenn der Sequester eine ähnlich starke Stellung wie dieser erlange.
Der Kläger hafte für die Umsatzsteuerverbindlichkeiten, (nur) soweit die zugrunde liegenden Umsätze während des Bestehens des Organschaftsverhältnisses ausgeführt worden seien. Unerheblich sei für die Steuerschuldnerschaft, dass die Steueransprüche nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes (UStG) erst mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums entstanden seien.
Nicht gerechtfertigt sei die Haftung des Klägers wegen des Verspätungszuschlages zur Umsatzsteuer für März 1994, da die Frist zur Abgabe der entsprechenden Voranmeldung nach Beendigung der Organschaft abgelaufen sei.
Die Höhe der Haftung vermindere sich um den genannten Verspätungszuschlag und um die Umsatzsteuer, die auf die im Zeitraum ab 28. Januar 1994 ausgeführten Umsätze entfalle. Diese seien bezüglich der auf den Zeitraum 28. bis 31. Januar 1994 entfallenden Umsätze auf 4/31 des Januar-Umsatzes zu schätzen.
Hiergegen wendet sich das FA mit der Revision. Es rügt eine Verletzung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG, indem es sich auf die Rechtsprechung des BFH zur Sicherungssequestration bezieht, die hier vorliege.
Das FA beantragt, unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Der Kläger tritt der Revision entgegen.
II. Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung war aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Zutreffend hat die Vorinstanz erkannt, dass der Kläger als Gesellschafter der GbR für deren Umsatzsteuerschuld haftet. Dies ist auch zwischen den Parteien nicht streitig.
Nach § 191 Abs. 1 AO 1977 kann durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet. Diese Vorschrift erfasst auch die Haftung nach bürgerlichem Recht (vgl. BFH-Urteile vom 23. März 1998 II R 7/95, BFH/NV 1998, 1329; vom 2. Februar 1994 II R 7/91, BFHE 173, 306, BStBl II 1995, 300, und --ausführlich-- vom 27. Juni 1989 VII R 100/86, BFHE 158, 1, BStBl II 1989, 952, sowie das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 29. Januar 2001 II ZR 331/00, Deutsches Steuerrecht 2001, 310, Betriebs-Berater 2001, 374).
2. Ebenfalls zutreffend hat das FG angenommen, dass ursprünglich eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft zwischen der GbR und der GmbH bestand.
Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG). Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein Unternehmen eingegliedert ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG - Organgesellschaft).
Die finanzielle und die organisatorische Eingliederung ergaben sich daraus, dass der Kläger und F als Gesellschafter der GbR sämtliche Geschäftsanteile an der GmbH hielten (vgl. BFH-Urteil vom 20. Januar 1999 XI R 69/97, BFH/NV 1999, 1136) und auch Geschäftsführer der GmbH waren (vgl. BFH-Urteil in BFHE 182, 426, BStBl II 1997, 580, zu II. 1. ).
Die wirtschaftliche Eingliederung folgte aus der Tatsache der Vermietung des Betriebsgrundstücks; dem steht weder die Illiquidität der GmbH (vgl. BFH-Urteil vom 19. Oktober 1995 V R 128/93, BFH/NV 1996, 275), noch die Tatsache entgegen, dass außer dem Grundstück kein weiteres Betriebsvermögen vermietet war (BFH-Urteil vom 9. September 1993 V R 124/89, BFHE 172, 541, BStBl II 1994, 129, zu II. 1. b). Schließlich hatte das vermietete Grundstück für die GmbH besonderes Gewicht, weil dort ihr Unternehmen betrieben wurde (vgl. BFH-Urteil vom 23. Januar 2001 VIII R 71/98, BFH/NV 2001, 894, betr. ertragsteuerrechtliche Betriebsaufspaltung). Im Gegensatz zur gewerbesteuerrechtlichen Organschaft (§ 2 Abs. 2 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes i. V. m. § 14 des Körperschaftsteuergesetzes a. F. ; vgl. dazu BFH-Urteil vom 13. September 1989 I R 110/88, BFHE 158, 346, BStBl II 1990, 24, zu 3. c) ist nicht erforderlich, dass der Organträger einen nach außen in Erscheinung tretenden Gewerbebetrieb unterhält (vgl. z. B. --ausführlich-- BFH-Urteil vom 17. April 1969 V 44/65, BFHE 95, 353, BStBl II 1969, 413).
3. Nicht rechtsfehlerfrei sind aber die Ausführungen des FG zur organisatorischen Eingliederung nach Anordnung der Sequestration. Es wendet sich zu Unrecht gegen die Rechtsprechung des Senats, nach der die Organschaft nur dann bereits vor Eröffnung des Konkursverfahrens mit der Anordnung der Sequestration endet, wenn der Sequester den maßgeblichen Einfluss auf die Organgesellschaft erhält und ihm eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft möglich ist (BFH-Urteile in BFHE 182, 426, BStBl II 1997, 580, und in BFHE 187, 355, BStBl II 1999, 258).
Es ist zwar zutreffend, dass die organisatorische Eingliederung besonders deutlich ist, wenn der Organträger trotz der Sequestration weiterhin in der Lage ist, in der Organgesellschaft seinen Willen durchzusetzen, er also dort weiterhin die beherrschende Stellung ausübt. Entgegen der Ansicht des FG besteht die organisatorische Eingliederung aber auch dann noch fort, wenn der Sequester eine vergleichbar starke Stellung wie der Organträger erhält, solange ihm (dem Sequester) eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft nicht möglich ist. Zur Annahme einer Organschaft ist nämlich nicht erforderlich, dass alle drei Eingliederungsmerkmale (die finanzielle, die wirtschaftliche und die organisatorische Eingliederung) gleichermaßen feststellbar sind. Tritt auf einem der drei Gebiete die Eingliederung weniger stark in Erscheinung, so hindert dies nicht, trotzdem Organschaft anzunehmen, wenn sich die Eingliederung deutlich auf den beiden anderen Gebieten zeigt (BFH-Urteil vom 22. Juni 1967 V R 89/66, BFHE 89, 402, BStBl III 1967, 715). Der Senat sieht deshalb keine Veranlassung, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Ob und inwieweit diese Rechtsprechung noch für die Insolvenzordnung (InsO) von Bedeutung ist (vgl. zum vorläufigen Insolvenzverwalter § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO), ist im Streitfall nicht zu entscheiden.
4. Die Sache ist nicht spruchreif. Nach der Rechtsprechung des Senats hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, ob der Sequester den maßgeblichen Einfluss auf die Organgesellschaft erhält und ihm eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft möglich ist. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, erhält es Gelegenheit, den Sachverhalt erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu würdigen.
5. Der Tenor des FG-Urteils war dahin zu ergänzen, dass --wie sich aus den Gründen der vom Kläger nicht angegriffenen Vorentscheidung ergibt-- die Klage im Übrigen abgewiesen wird.