BFH

BFHV R 5/9922.2.2001

Amtlicher Leitsatz:

1. Wurde eine Rechnung mit Steuerausweis über eine nicht ausgeführte Leistung an den Aussteller zurückgegeben oder storniert, ohne dass der Empfänger der Rechnung die ausgewiesene Steuer als Vorsteuer abzog, so ist die Gefährdung für das Steueraufkommen durch die Rechnung beseitigt; die nach § 14 Abs. 3 UStG geschuldete Steuer ist zu berichtigen (Anschluss an EuGH, Urteil vom 19. September 2000 Rs. C-454/98, Schmeink & Cofreth/Manfred Strobel, UVR 2000, 424, UR 2000, 470).

2. Die Berichtigung der Steuer kann im Verfahren über die angefochtene Umsatzsteuerfestsetzung erfolgen, wenn noch in demselben Besteuerungszeitraum die Gefährdung beseitigt wurde.

Normen

§ 14 Abs. 3 UStG 1980
Art. 21 Nr. 1 Buchst. c Richtlinie 77/388/EWG

Hessisches FG (EFG 1998, 1225)

 

Gründe

I.

Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine am 9. August 1988 wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöschte GmbH in Liquidation, die zuvor im Textilhandel tätig gewesen war.

Die Klägerin hatte am 27. März 1987 (Streitjahr: 1987) eine Rechnung an eine P GmbH in V über die Lieferung von Textilien für 219 820 DM zuzüglich 30 669, 20 DM Umsatzsteuer ausgestellt. Der Rechnungsbetrag wurde von einer H GmbH --die nicht Rechnungsadressatin war-- mit Überweisungsauftrag vom 2. April 1987 auf ein Konto der Klägerin überwiesen. Die abgerechnete Leistung wurde von der Klägerin nicht ausgeführt und auch nicht in ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen angegeben.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erfuhr von dem Vorgang durch eine Kontrollmitteilung und zog die Klägerin im Umsatzsteuerbescheid für 1987 u. a. mit dem gesondert ausgewiesenen Steuerbetrag gemäß § 14 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 zur Umsatzsteuer heran.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) ging davon aus, dass das Abrechnungspapier vom 27. März 1987 eine für den Vorsteuerabzug geeignete Rechnung gewesen sei und die Klägerin mit deren Ausgabe die Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 UStG erfüllt habe. Die Rechnung sei nicht als eine ggf. unschädliche "Voraus-Rechnung" gekennzeichnet gewesen, auch wenn sie, wie die Klägerin vorgetragen habe, zur Vorfinanzierung der abgerechneten --aber dann nicht ausgeführten-- Leistung habe dienen sollen. Soweit die Klägerin geltend mache, die Rechnung sei später von ihr storniert worden, ändere sich daran nichts. § 14 Abs. 3 UStG lasse keine Korrektur zu. Ob eine Korrektur im Billigkeitsverfahren in Betracht kommen könne, sei im vorliegenden Verfahren zur Steuerfestsetzung nicht zu prüfen. Die Entscheidungsgründe des FG-Urteils sind in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 1225 veröffentlicht.

Zur Verwendung der Rechnung gibt das FG-Urteil lediglich den Vortrag der Klägerin wieder, dass "eine eventuelle Gefährdungslage . . . durch Stornierung der Rechnung vor Geltendmachung eines Vorsteuerabzugs bei der Rechnungsempfängerin beseitigt worden sei. Sollte es dagegen zutreffen, dass die Rechnung nur irrtümlich an die Fa. P gerichtet worden sei und deshalb von dieser unverzüglich an sie zurückgesandt worden sei --wie vom FA V in einem an das beklagte FA gerichtetem Schreiben vom 15. September 1995 dargelegt-- fehle es ebenfalls an einer Gefährdung des Steueraufkommens". Ausweislich dieses Schreibens hatte sich herausgestellt, "daß diese Rechnung irrtümlich an die Firma P. . . GmbH gerichtet war, was die Fa. P. . . veranlaßte, besagte Rechnung . . . zurückzuschicken". Ferner hatte lt. Schreiben vom 15. September 1995 der Betriebsprüfer festgestellt, dass die Rechnung weder verbucht noch die darin enthaltene Vorsteuer in Höhe von 30 699, 20 DM geltend gemacht wurde.

Mit der --vom Senat zugelassenen-- Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 14 Abs. 3 UStG 1980. Sie beantragt, das angefochtene Urteil und den Umsatzsteuerbescheid für 1987 aufzuheben.

Das FA tritt der Revision entgegen. Es vertritt im Hinblick auf das Vorabentscheidungsersuchen des Bundesfinanzhofs --BFH-- (Beschluss vom 15. Oktober 1998 V R 38/97, V R 61/97, BFHE 187, 84) die Auffassung, eine Prüfung der Berichtigungsmöglichkeit für die Rechnung sei im vorliegenden Verfahren nicht erforderlich, weil eine Berichtigung nicht in Betracht komme. Nicht die Klägerin habe auf die Beseitigung der Gefährdungslage für das Steueraufkommen hingewirkt, Auslöser des gesamten Prüfungsverfahrens sei vielmehr ein Auskunftsersuchen des FA S, bei dem der Vorsteuerabzug aus der Rechnung geltend gemacht worden sei. Zwar habe das FA V mitgeteilt, dass die P GmbH die Rechnung an die Klägerin zurückgesandt habe. Ob das tatsächlich geschehen sei, könne weder von ihm, dem beklagten FA, noch vom FA V zutreffend beurteilt werden. Dagegen spreche, dass beim FA S versucht worden sei, aus dieser Rechnung den Vorsteuerabzug geltend zu machen. Auch der Vortrag der Klägerin, sie habe nicht die Rechnung zurückerhalten, sondern der P GmbH eine Gutschrift erteilt, spreche dagegen.

Die Beteiligten haben auf mündliche Verhandlung verzichtet.

II.

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist, schuldet den ausgewiesenen Betrag. Das Gleiche gilt, wenn jemand in einer anderen Urkunde, mit der er wie ein leistender Unternehmer abrechnet, einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er . . . eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt (§ 14 Abs. 3 UStG 1980). Im Streitfall kommt die letztgenannte Alternative in Betracht.

Die Vorschrift ist als abstrakter Gefährdungstatbestand gefasst. Eine Korrektur der Inanspruchnahme des Rechnungsausstellers sieht das Umsatzsteuergesetz nicht vor; Ausnahmen davon wurden in bestimmten Fällen durch die Rechtsprechung zugelassen (vgl. die Zusammenfassung der bisherigen Rechtsprechungsentwicklung in BFHE 187, 84).

Gemeinschaftsrechtliche Grundlage für § 14 Abs. 3 UStG ist Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Nach der Bestimmung schuldet die Mehrwertsteuer "jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung oder einem ähnlichen Dokument ausweist". Die Bestimmung enthält keine ausdrückliche Regelung über die Möglichkeit, solche Rechnungen zu berichtigen und damit die Steuerschuld rückgängig zu machen. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) führte zur Auslegung der Bestimmung auf das Vorabentscheidungsersuchen des Senats (vgl. BFHE 187, 84) mit Urteil vom 19. September 2000 Rs. C-454/98, Schmeink & Cofreth AG & Co. KG, Manfred Strobel, Umsatzsteuer- und Verkehrsteuer-Recht --UVR-- 2000, 424) aus:

1. Hat der Aussteller der Rechnung die Gefährdung des Steueraufkommens rechtzeitig und vollständig beseitigt, so verlangt der Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer, dass zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann, ohne dass eine solche Berichtigung vom guten Glauben des Ausstellers der betreffenden Rechnung abhängig gemacht werden darf.

2. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, das Verfahren festzulegen, in dem zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer berichtigt werden kann, wobei diese Berichtigung nicht im Ermessen der Finanzverwaltung stehen darf.

Nach Rdnr. 66 f. des Urteils kann ein Mitgliedstaat zwar den Standpunkt einnehmen, dass die Berichtigung zu Unrecht in Rechnung gestellter Mehrwertsteuer in einem anschließenden Verfahren vorgenommen werden muss, damit die Finanzverwaltung insbesondere dann, wenn die zu Unrecht in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer abgezogen wurde, prüfen kann, ob jede Gefährdung des Steueraufkommens ausgeschlossen ist. Ist eine solche Gefährdung ausgeschlossen, so darf die Berichtigung der zu Unrecht in Rechnung gestellten Mehrwertsteuer jedoch nicht im Ermessen der Finanzverwaltung stehen.

2. Das FG-Urteil war aufzuheben, weil es auf davon abweichenden Grundsätzen zur Anwendung des § 14 Abs. 3 UStG beruht. Die Sache war zurückzuverweisen, weil die vom FG getroffenen Feststellungen eine abschließende Entscheidung durch den Senat nicht zulassen.

Die Berichtigung der zu Unrecht in Rechnung gestellten Steuer (als Korrektur der bisherigen Steuerfestsetzung) kann hier im Verfahren über die angefochtene Umsatzsteuerfestsetzung für 1987 jedenfalls dann erfolgen, wenn noch im Streitjahr eine Gefährdung des Steueraufkommens (durch Vorsteuerabzugsmöglichkeit eines Rechnungsempfängers) beseitigt wurde.

Ergeben die nachzuholenden Feststellungen, dass die aufgrund der Rechnungserteilung mit Steuerausweis geschaffene Gefährdungslage für das Steueraufkommen aufgrund einer Rückgabe der Rechnung an die Klägerin bzw. einer Stornierung der Rechnung --ohne dass die darin ausgewiesene Steuer als Vorsteuer abgezogen worden war-- beseitigt wurde, ist die angefochtene Steuerfestsetzung zu berichtigen. Auf wessen Tätigkeit diese Beseitigung zurückgeht, spielt dann keine Rolle. Die Änderung der angefochtenen Steuerfestsetzungen entspricht dann den Berichtigungsvoraussetzungen nach § 17 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG. Unter diesen Voraussetzungen bedarf es keines gesonderten Billigkeitsverfahrens.

Sollte die Rechnungsrückgabe oder -stornierung erst in einem Besteuerungszeitraum nach dem Streitjahr erfolgt sein, kommt u. U. nur noch die Durchführung eines Billigkeitsverfahrens --allerdings ohne Ermessensspielraum der Verwaltung über den Erlass der Steuer-- in Betracht, um dem Berichtigungsgebot nachzukommen, z. B. wenn die entsprechenden Steuerfestsetzungen bereits unabänderbar sind.

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