BFH

BFHVI R 60/9616.4.1999

Amtlicher Leitsatz:

Steht bei einer Gruppenunfallversicherung die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag ausschließlich dem Arbeitgeber zu, so fehlt es im Zeitpunkt der Beitragsleistung durch den Arbeitgeber auch dann am Zufluß, wenn die Arbeitnehmer selbst Anspruchsinhaber sind.

Normen

§ 3 Nr. 16 EStG
§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG
§ 2 Abs. 3 Nr. 2 S. 1, S. 2 LStDV 1984
§ 2 Abs. 2 Nr. 3 S. 1, S. 2 LStDV 1990

FG Münster (EFG 1996, 1102)

 

Gründe

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungssozietät, hatte für ihre Arbeitnehmer als Versicherungsnehmerin eine Gruppenunfallversicherung abgeschlossen, die das Risiko von Unfällen aller Art sowohl im dienstlichen als auch im außerdienstlichen Bereich abdeckte und bei Krankenhausaufenthalten auch Anspruch auf Tagegelder gewährte. Nach Auskunft des Versicherers hielten sich bei der Prämienkalkulation Berufsunfälle und außerberufliche Unfälle die Waage. Hinsichtlich der Versicherungsleistung waren die versicherten Arbeitnehmer zwar anspruchsberechtigt, die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag stand aber nach den zugrundeliegenden Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen 88 (AUB) ausschließlich der Klägerin als Versicherungsnehmerin zu. Die Arbeitnehmer der Klägerin hatten bis zu einer im Jahre 1992 für den Prüfungszeitraum 1. November 1988 bis 30. April 1992 durchgeführten Lohnsteuer-Außenprüfung mit Ausnahme der Bürovorsteherin keine Kenntnis von der für sie abgeschlossenen Gruppenunfallversicherung. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) behandelte die Prämienzahlungen für die Gruppenunfallversicherung im Anschluß an diese Prüfung als steuerpflichtigen Arbeitslohn und forderte in dem auf Antrag der Klägerin gemäß § 40 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ergangenen Nachforderungsbescheid vom 3. August 1992 die darauf entfallende Lohnsteuer nach. Mit der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage begehrte die Klägerin die Herabsetzung des Nachforderungsbetrages um die auf die Prämienzahlungen entfallenden Steuerbeträge.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1996, 1102 veröffentlichten Gründen statt. Dabei vertrat es die Auffassung, allein die Zusage einer Leistung an den Arbeitnehmer begründe noch keinen gegenwärtigen Zufluß von Arbeitslohn. Beitragszahlungen des Arbeitgebers an einen Versicherer seien nur dann Arbeitslohn, wenn der Arbeitnehmer selbst einen unentziehbaren Rechtsanspruch gegenüber dem Versicherer erlangt habe. Im Streitfall habe jedoch nur die Klägerin selbst den Rechtsanspruch der Arbeitnehmer gegenüber dem Versicherer geltend machen können, so daß es an einer unmittelbaren Verfügungsmacht des Arbeitnehmers fehle. Arbeitslohn liege im Streitfall deshalb erst vor, wenn es tatsächlich zur Auszahlung von Unfallversicherungsleistungen an Arbeitnehmer komme.

Im Revisionsverfahren vertritt das FA die Auffassung, daß der Lohnzufluß aufgrund des zwischen der Klägerin als Versicherungsnehmerin und den Arbeitnehmern als den Versicherten nach § 179 Abs. 2 i.V.m. §§ 75 bis 79 des Gesetzes über den Versicherungsvertrag (VVG) bestehenden gesetzlichen Treuhandverhältnisses zu bejahen sei. Dieses Treuhandverhältnis räume der Klägerin nur die Stellung einer Durchgangsperson ein. Sie sei verpflichtet, die Versicherungsleistungen an ihre Arbeitnehmer auszukehren. Die Beiträge gehörten deshalb als Zukunftssicherungsleistungen zum Arbeitslohn, was auch durch die Vorschriften der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) bestätigt werde.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Sache an das FG zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Mit den Gründen der Vorentscheidung vertritt sie die Auffassung, daß die Beitragsleistungen mangels Zuflusses keine Arbeitslohnqualität hätten. Denn die Arbeitnehmer hätten trotz des Treuhandverhältnisses keine eigene unentziehbare Rechtsposition gegen den Versicherer erlangt. Hinzu komme, daß es an der zur Annahme von Arbeitslohn erforderlichen Zustimmung der Arbeitnehmer der Klägerin gefehlt habe. Denn die Arbeitnehmer hätten von dem Abschluß der Gruppenversicherung keine Kenntnis gehabt.

Die Revision ist unbegründet.

Bei den von der Klägerin gezahlten Beiträgen zur Gruppenunfallversicherung handelt es sich nicht um Arbeitslohn. Arbeitslohn liegt vor, wenn dem Arbeitnehmer Geld oder geldeswerte Güter für eine Beschäftigung im privaten Dienst zugeflossen sind (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. September 1982 VI R 75/79, BFHE 137, 13, BStBl II 1983, 39). Der erkennende Senat läßt offen, ob sich die fehlende Arbeitslohnqualität angesichts der fehlenden Kenntnis eines Großteils der Arbeitnehmer von der Beitragszahlung aus § 2 Abs. 3 Nr. 2 Satz 2 LStDV 1984 bzw. aus § 2 Abs. 2 Nr. 3 Satz 2 LStDV 1990 ergibt. Denn den Arbeitnehmern ist jedenfalls aufgrund der Beitragszahlung noch kein Vorteil zugeflossen.

Zugeflossen ist eine Einnahme dann, wenn der Empfänger die wirtschaftliche Verfügungsmacht über die in Geld oder Geldeswert bestehenden Güter erlangt hat (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. Urteile 30. Januar 1975 IV R 190/71, BFHE 115, 559, BStBl II 1975, 776, und vom 10. Dezember 1985 VIII R 15/83, BFHE 145, 538, BStBl II 1986, 342). Die Arbeitslohnqualität von Zukunftssicherungsleistungen, bei denen die Leistung des Arbeitgebers an einen Dritten (Versicherer) erfolgt, hängt deshalb davon ab, ob sich der Vorgang --wirtschaftlich betrachtet-- so darstellt, als ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Mittel zur Verfügung gestellt und der Arbeitnehmer sie zum Erwerb der Zukunftssicherung verwendet hat (BFH-Urteile vom 7. Februar 1990 X R 36/86, BFHE 161, 16, BStBl II 1990, 1062, und vom 22. Mai 1981 VI R 95/77, nicht veröffentlicht; ferner Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 17. Aufl., § 11 Rz. 30 "Zukunftssicherungsleistungen"). Davon ist auszugehen, wenn dem Arbeitnehmer gegen die Versorgungseinrichtung (z.B. Versicherung), an die der Arbeitgeber die Beiträge geleistet hat, ein unentziehbarer Rechtsanspruch auf die Leistung zusteht (BFH-Urteile vom 27. März 1992 VI R 35/89, BFHE 167, 414, BStBl II 1992, 663; vom 27. Mai 1993 VI R 19/92, BFHE 172, 46, BStBl II 1994, 246, und vom 13. April 1976 VI R 216/72, BFHE 119, 247, BStBl II 1976, 694). Leistet der Arbeitgeber dagegen Zuwendungen an eine Unterstützungseinrichtung, die dem Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch einräumt, sind erst die laufenden von der Versorgungseinrichtung an den Arbeitnehmer ausgezahlten Bezüge als Arbeitslohn zu qualifizieren. Die dem entgegenstehenden Vorschriften des § 2 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 LStDV 1984 bzw. des § 2 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 LStDV 1990 beruhen nicht auf einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage und binden das Gericht deshalb nicht (vgl. BFH-Urteil in BFHE 172, 46, BStBl II 1994, 246; Pflüger in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 19 EStG Anm. 360; Trzaskalik in Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, Kommentar, § 11 Rdnr. B 103; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 17. Aufl., § 19 Rz. 50 "Zukunftssicherungsleistungen").

Bejaht wird die Arbeitslohnqualität von Beitragsleistungen in den Fällen der Direktversicherung, bei der der Arbeitgeber nach dem Innenverhältnis mit dem Arbeitnehmer nur die Pflicht hat, die Beiträge für die Versorgung des Arbeitnehmers einzubehalten und an den Versicherer abzuführen (BFH-Urteil vom 20. November 1987 VI R 91/84, BFH/NV 1988, 564). Demgegenüber handelt es sich bei Ausgaben, die nur dazu dienen, dem Arbeitgeber die Mittel zur Leistung einer dem Arbeitnehmer zugesagten Versorgung zu verschaffen (Rückdeckungsversicherung), nicht um Arbeitslohn (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 Satz 6 LStDV 1984 bzw. § 2 Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 LStDV 1990). Die vorliegend zu beurteilenden Beiträge sind aufgrund der Rechtsnatur der Gruppenunfallversicherung im Zwischenbereich dieser Ausgangsfallgruppen anzusiedeln. Es handelt sich um eine Fremdversicherung (Prölss in Prölss/ Martin, Gesetz über den Versicherungsvertrag, 26. Aufl., § 179 Rz. 9, m.w.N.; vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 119, 247, BStBl II 1976, 684), bei der der Arbeitnehmer zwar materiell Inhaber des Rechtsanspruchs gegenüber dem Versicherer ist (§§ 179 Abs. 2, 75 Abs. 1 Satz 1 VVG), der Anspruch aber nur vom Versicherungsnehmer geltend gemacht werden kann (§ 12 Abs. 1 AUB).

Ein solcher nur mittelbarer Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Versicherer genügt nicht für den Zufluß. Denn die Rechte des Arbeitnehmers sind dadurch, daß ein etwaiger Versicherungsanspruch nur vom Versicherungsnehmer geltend gemacht werden kann, so eingeschränkt, daß von einem unentziehbaren Rechtsanspruch im Sinne der Rechtsprechung nicht gesprochen werden kann (so bereits BFH-Urteil in BFHE 119, 247, BStBl II 1976, 694, für die Insassenunfallversicherung). Der erkennende Senat hält an dieser Rechtsprechung auch im vorliegenden Fall fest, trotz des sich aus der Spaltung des Rechts zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ergebenden gesetzlichen Treuhandverhältnisses, das dem Arbeitgeber im Hinblick auf die an den Arbeitnehmer auszukehrende Versicherungsleistung nur die Stellung einer "Durchgangsperson" einräumt (Urteile des Bundesarbeitsgerichts vom 21. Februar 1990 5 AZR 169/89, Der Betrieb --DB-- 1990, 1975; vom 18. Februar 1970 5 AZR 318/70, DB 1971, 924, und des Bundesgerichtshofes vom 7. Mai 1975 IV ZR 209/73, BGHZ 64, 260, 262 ; Prölss in Prölss/Martin, a.a.O., § 76 Rz. 1; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 18. Februar 1997 IV B 6 -S 2332- 17/97, BStBl I 1997, 278). Angesichts der starken eigenen Rechtsposition des Arbeitgebers (vgl. dazu BFH-Urteil vom 28. September 1993 II R 39/92, BFHE 172, 214, BStBl II 1994, 36) wäre die Bejahung des Lohnzuflusses bereits im Zeitpunkt der Beitragsleistung nicht sachgerecht. Auch im Falle des Konkurses des Arbeitgebers hat ein etwaiger Konkursverwalter möglicherweise ein Interesse daran, daß die Leistungen aus der Versicherung in die Konkursmasse gelangen.

Gegen die Annahme von Lohnzufluß bereits im Zeitpunkt der Beitragsleistung sprechen schließlich auch Praktikabilitätsgesichtspunkte. Die Bejahung eines Zuflusses hätte schwierige Abgrenzungsprobleme zur Folge. Soweit das private Unfallrisiko des Arbeitnehmers abgesichert wird, wären die Beiträge für ihn Sonderausgaben, soweit die Beiträge auf das berufliche Unfallrisiko entfallen, lägen Werbungskosten vor. Der vorliegend angefochtene Nachforderungsbescheid würde dadurch zwar grundsätzlich nicht beeinflußt. Etwas anderes gilt allerdings, soweit der auf das berufliche Unfallrisiko entfallende Teil der Beiträge das Risiko von Unfällen bei Reisetätigkeit absichert. Denn insoweit wären die Beitragsleistungen nach § 3 Nr. 16 EStG steuerfrei. Auch die Beantwortung der Frage, ob die Versicherung des betrieblichen Unfallrisikos bei gefährlichen Arbeiten (z.B. im Chemiebereich) nicht im überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers liegt, ist bei der hier vertretenen Lösung nicht erforderlich. Allerdings können bei der vom Senat vertretenen Auffassung die Leistungen der Versicherung im Schadensfall zu Arbeitslohn führen. Einem etwaigen Lohnzufluß können dann aber außergewöhnliche Belastungen im Falle eines Unfalls im privaten Bereich bzw. Werbungskosten bei einem Dienstunfall gegenüber stehen. Letztlich würden nur solche Leistungen aus der Versicherung besteuert, die auch Lohnersatz darstellen. Dies entspricht der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit mehr, als dies bei der Besteuerung der Prämienzahlungen der Fall wäre, bei denen sich der Anspruch der Arbeitnehmer nur in Abhängigkeit zum Arbeitgeber ergibt.

Das Ergebnis steht nicht im Widerspruch zum BFH-Urteil in BFHE 172, 214, BStBl II 1994, 36, in dem der BFH davon ausgegangen ist, daß der Anspruch gegen den Versicherer zum Vermögen des Versicherten gehört. Denn allein die Tatsache, daß ein zum Vermögen des Arbeitnehmers gehörender Anspruch gegen die Versicherung besteht, hat noch nicht den Zufluß der Leistung selbst zur Folge.

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