Normen
§ 1 Abs. 2 UStG 1980
§ 3a Abs. 1 UStG 1980
§ 25 UStG 1980
Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 77/388/EWG
§ 12 AO 1977
Gründe
I.
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), ein Reiseveranstaltungsunternehmen mit Sitz in A (Inland), führte in den Jahren 1985 bis 1988 (Streitjahre) auf einem von ihr ständig gecharterten Schiff Kreuzfahrten im Ausland durch. Als Veranstalterin der Reisen umfaßte ihre Tätigkeit auch die Planung, Organisation und Durchführung sämtlicher mit dem Kreuzfahrtbetrieb zusammenhängender Dienstleistungen. Sie versteuerte ihre Reiseleistungen, für die sie Reisevorleistungen dritter Unternehmer in Anspruch nahm, nach § 25 des Umsatzsteuergesetzes 1980 (UStG), wobei die Umsätze im wesentlichen steuerfrei gemäß § 25 Abs. 2 UStG erklärt und veranlagt wurden, weil die ihr zuzurechnenden Reisevorleistungen außerhalb des Gebiets der Europäischen Gemeinschaften bewirkt worden waren.
Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) erbrachte die Klägerin an Bord des Kreuzfahrtschiffes durch durchschnittlich 11 Angestellte Leistungen, "die unstreitig nicht von der Differenzbesteuerung des § 25 Abs. 1 UStG erfaßt wurden". Es handelt sich dabei um folgendes: Die Klägerin unterhielt auf dem Schiff ein sog. Bordreisebüro. Ein Büroraum stand dem Leiter des Bordpersonals der Klägerin für seine Verwaltungstätigkeit zur Verfügung. Von einem weiteren Raum mit einem Tresen zu einem Schiffsgang aus wurden an Schalterstunden die Passagiere betreut. Das Büro war mit üblicher Technik wie Telefon, Faxgerät, Fotokopierer und Schreibmaschinen ausgerüstet. Von diesem Büro aus plante, verkaufte und organisierte die Klägerin Landausflüge, erstellte den Verpflegungsplan, engagierte Künstler, Musiker und Artisten und setzte diese ein, entschied über Änderungen der Reiserouten aus aktuellem Anlaß und koordinierte sowie überwachte die Arbeit der an Bord tätigen Crew.
Nach einer Außenprüfung behandelte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) in Änderungsbescheiden für die Streitjahre die von dem Bordbüro aus erbrachten Leistungen als steuerbar (und steuerpflichtig). Er war --und ist-- der Auffassung, die von dem Bordreisebüro aus erbrachten Leistungen seien gemäß § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG als von dem Ort des Unternehmens der Klägerin in A und damit im Inland ausgeführt anzusehen. Das Büro auf dem Schiff sei entgegen der Auffassung der Klägerin mangels fester Beziehung zu einem bestimmten Punkt der Erdoberfläche keine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage und damit keine --ausländische-- Betriebsstätte i.S. des § 3a Abs. 1 Satz 2 UStG i.V.m. § 12 der Abgabenordnung (AO 1977).
Die Klägerin legte gegen die Änderungsbescheide Einspruch ein und erhob zunächst Untätigkeitsklage (§ 46 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), die sie nach Ergehen der Einspruchsentscheidung als Anfechtungsklage weiterführte.
Das FG gab der Klage statt. Es führte zur Begründung aus, das Bordreisebüro sei eine Betriebsstätte i.S. des § 3a Abs. 1 Satz 2 UStG mit der Folge, daß die dort von der Klägerin erbrachten sonstigen Leistungen im Ausland ausgeführt und deshalb nicht steuerbar seien. Es handle sich um eine Geschäftsstelle i.S. des § 12 Satz 2 Nr. 3 AO 1977. Diese setze keine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage voraus.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung von § 3a Abs. 1 Satz 2 UStG i.V.m. § 12 AO 1977.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Die Leistungen der Klägerin sind entgegen der Vorentscheidung steuerbar. Bei richtlinienkonformer Auslegung des § 3a Abs. 1 UStG nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) ist der Sitz der Klägerin der maßgebliche Leistungsort. Die Feststellungen zur Bemessungsgrundlage der Leistungen erlauben dem Senat keine abschließende Entscheidung in der Sache.
1. Die Klägerin hat gegenüber den Teilnehmern der von ihr veranstalteten Kreuzfahrten sonstige Leistungen (§ 3 Abs. 9 UStG) erbracht. Die Leistungen sind gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG steuerbar, weil sie im Erhebungsgebiet (§ 1 Abs. 2 Satz 1 UStG), nämlich am Sitz der Klägerin in A, ausgeführt worden sind.
a) Nach § 3a Abs. 1 UStG wird eine sonstige Leistung an dem Ort ausgeführt, von dem aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt. Wird die sonstige Leistung von einer Betriebsstätte ausgeführt, so gilt die Betriebsstätte als der Ort der sonstigen Leistung.
§ 3a Abs. 1 UStG entspricht Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG --Richtlinie 77/388/EWG-- (vgl. EuGH-Urteil vom 16. September 1997 Rs. C-145/96, von Hoffmann, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1998, 17 Rdnr. 5). Nach dieser Bestimmung gilt als Ort einer Dienstleistung der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort.
b) Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH, die die Gerichte im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Umsatzsteuerrechts zu beachten haben (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 2. April 1998 V R 34/97, BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695, m.w.N.), ist vorrangiger Anknüpfungspunkt i.S. des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat.
Eine andere Niederlassung, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird, kann nur dann berücksichtigt werden, wenn die Anknüpfung an den Sitz nicht zu einer steuerlich sinnvollen Lösung führt oder wenn sie einen Konflikt mit einem anderen Mitgliedstaat zur Folge hat. Außerdem kommt die Zuordnung einer Dienstleistung zu einer anderen Niederlassung als dem Sitz nur dann in Betracht, wenn diese Niederlassung aufgrund des ständigen Zusammenwirkens der für die Erbringung bestimmter Dienstleistungen erforderlichen Personal- und Sachmittel einen zureichenden Mindestbestand aufweist (vgl. EuGH-Urteile vom 4. Juli 1985 Rs. 168/84, Berkholz, Slg. 1985, 2251, UR 1985, 226 Rdnrn. 17, 18; vom 2. Mai 1996 Rs. C-231/94, Faaborg-Gelting-Linien, BStBl II 1998, 282 Rdnrn. 16, 17; vom 20. Februar 1997 Rs. C-260/95, DFDS, UR 1997, 179 Rdnrn. 19, 20). Zudem muß die Niederlassung einen hinreichenden Grad an Beständigkeit haben (vgl. EuGH-Urteile vom 17. Juli 1997 Rs. C-190/95, ARO Lease, Slg. 1997, I-4383 Rdnr. 16; vom 7. Mai 1998 Rs. C-390/96, Lease Plan, UR 1998, 343 Rdnr. 24).
aa) Im Streitfall führt die Anknüpfung an den Sitz der Klägerin zu einer steuerlich sinnvollen Lösung, die keinen Konflikt mit einem anderen Mitgliedstaat zur Folge hat. Sie vermeidet Doppelbesteuerung, Nichtbesteuerung oder Wettbewerbsverzerrungen (vgl. Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie 77/388/EWG).
Diese Wertung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH und des BFH in ähnlichen Fällen. Der EuGH hat den ständigen Sitz eines Unternehmers, der Geldspielautomaten auf zwischen Deutschland und Dänemark verkehrenden Fährschiffen betrieb, als einen "steuerlich brauchbaren Anknüpfungspunkt" für die örtliche Zuordnung einer Dienstleistung bezeichnet (vgl. EuGH-Urteil in Slg. 1985, 2251 Rdnr. 18). Er hat ferner im Fall eines Schiffsreeders mit Sitz in Dänemark, der Restaurationsumsätze an Bord von Fährschiffen zwischen Dänemark und Deutschland erbrachte, ausgeführt, die Anknüpfung an den ständigen Sitz des Reeders biete einen sachgerechten steuerlichen Anknüpfungspunkt (vgl. EuGH-Urteil in BStBl II 1998, 282 Rdnr. 18). Der BFH ist dieser Auffassung für Restaurationsumsätze auf Bodenseeschiffen der Deutschen Bundesbahn (vgl. BFH-Urteil vom 26. Juni 1996 XI R 18/94, BFHE 181, 195 , BStBl II 1998, 278) und für die unentgeltliche Verpflegung des Bordpersonals auf Personenschiffen auf dem Rhein (vgl. BFH-Urteil vom 28. Mai 1998 V R 26/95, BFHE 186, 154, BStBl II 1998, 589) gefolgt.
bb) Zwar ist eine Dienstleistung, die ein Reiseveranstalter für einen Reisenden von einer festen Niederlassung aus in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen erbracht hat, in dem er den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat, in dem Staat zu besteuern, in dem diese feste Niederlassung liegt (vgl. EuGH-Urteil in UR 1997, 179 Rdnr. 24). Daraus ergibt sich aber für den Streitfall nichts Gegenteiliges.
Denn der EuGH hat zur Begründung dieser Entscheidung zum einen darauf abgestellt, die alternative Anknüpfung zur Bestimmung des Besteuerungsorts bei Dienstleistungen der Reisebüros an die feste Niederlassung, von wo aus diese Leistungen erbracht werden, solle der möglichen Vielfalt der Tätigkeit der Reisebüros "an verschiedenen Orten im Gebiet der Gemeinschaft" Rechnung tragen. Zum anderen hat er ausgeführt, die Anknüpfung an den Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit könne zu "Wettbewerbsverzerrungen" führen, da sie für Unternehmen, die in einem Mitgliedstaat tätig seien, ein Anreiz sein könnte, ihren Sitz in der Absicht, der Besteuerung zu entgehen, im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu nehmen, der von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, die betreffenden Leistungen von der Mehrwertsteuer zu befreien (a.a.O., Rdnr. 23). Beide Gesichtspunkte spielen aber im Streitfall keine Rolle.
cc) Ist mithin der Sitz der Klägerin vorrangiger Anknüpfungspunkt für den Ort der von ihr erbrachten Leistungen, kann offenbleiben, ob das von ihr auf dem gecharterten Schiff unterhaltene "Bordbüro" die Anforderungen an eine Betriebsstätte i.S. des § 3a Abs. 1 Satz 2 UStG bzw. an eine "feste Niederlassung" i.S. des Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 77/388/EWG erfüllt.
2. Die auf anderen Grundsätzen beruhende Vorentscheidung ist aufzuheben (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Senat kann nicht durcherkennen. Das FG hat --von seinem Standpunkt aus zu Recht-- keine Feststellungen zur Bemessungsgrundlage der in Rede stehenden Leistungen getroffen.
Bei der Besteuerung von Reiseleistungen bemißt sich die sonstige Leistung gemäß § 25 Abs. 3 UStG nach dem Unterschied zwischen dem Betrag, den der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, und dem Betrag, den der Unternehmer für die von ihm in Anspruch genommenen Reisevorleistungen aufwendet. Es ist denkbar, daß diese Vorschrift im Streitfall anzuwenden ist. Das FG hat insoweit lediglich aufgeführt, es handle sich um Leistungen, die unstreitig nicht von der Differenzbesteuerung des § 25 Abs. 1 UStG erfaßt wurden. Feststellungen, die diese rechtliche Würdigung rechtfertigen könnten, fehlen. Überdies sind nach Auffassung des FA in der Revisionsbegründung die streitigen Leistungen "nach Maßgabe des § 25 UStG" der Umsatzsteuer zu unterwerfen.
Auch wenn die Leistungen nach § 25 UStG zu besteuern wären, bestimmte sich der Ort dieser (sonstigen) Leistungen gemäß § 25 Abs. 1 Satz 4 UStG nach § 3a Abs. 1 UStG.