BFH

BFHV R 62/979.7.1998

Amtlicher Leitsatz:

Steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 11 UStG 1980/1991 führt auch aus, wer nur mittelbar an der Vermittlung eines Versicherungs- oder Bausparkassenvertrages mitwirkt. Dafür kann es genügen, daß der Versicherungs- oder Bausparkassenvertreter durch Betreuung, Überwachung oder Schulung von nachgeordneten selbständigen Vermittlern sowie durch Prüfung eines jeden Vertragsangebots mittelbar auf den Kunden einwirken kann.

Normen

§ 4 Nr. 11 UStG 1980/1991

FG Hamburg (EFG 1998, 789)

 

Gründe

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war in den Streitjahren 1990 und 1991 als sog. Vermögensberater für V tätig. V verpflichtete sich gegenüber sog. Partnergesellschaften (Versicherungen, Banken u.a.), Versicherungs- und Bausparverträge zu vermitteln. Zu diesem Zweck waren für V selbständige Vermögensberater in verschiedenen Stufen mit unterschiedlichen Zuständigkeiten und Aufgaben (vom Assistenten bis zum Direktionsleiter) tätig. Dem Vermögensberater auf einer oberen Stufe waren mehrere Berater einer unteren Stufe unterstellt. Dadurch erweiterte sich der Aufgabenbereich des Vermögensberaters um Kontroll- und Managementaufgaben. Zwischen den über- und den untergeordneten Vermögensberatern bestand kein Untervertretungsvertrag. Jeder Vermögensberater war in das Vermittlungsgeschäft der ihm untergeordneten Vermögensberater eingeschaltet worden. Vertragsangebote von Kunden, die durch einen untergeordneten Vermögensberater entgegengenommen wurden, gelangten nur über den ranghöheren Vermögensberater an V und von dieser an das Partnerunternehmen (z.B. Versicherungsgesellschaft). V erhielt für ihre Vermittlungstätigkeit eine Provision von dem Partnerunternehmen. Sie gab den größeren Teil davon an die Vermögensberater weiter. Ein übergeordneter Vermögensberater erhielt auf diese Weise eine Superprovision für den über ihn vermittelten Versicherungsvertrag (FG: Kundengeschäft), nämlich den Unterschied zwischen seiner Provision und der Provision der ihm untergeordneten Vermögensberater.

Der Kläger wurde in einem "Vermögensberater-Vertrag" mit V als selbständiger Handelsvertreter i.S. von § 92 und der §§ 84 ff. des Handelsgesetzbuchs (HGB) bezeichnet. In einer Anlage A über Provisionsbedingungen mit dem Kläger (Vermögensberater) war u.a. geregelt:

"Der Vermögensberater erhält für seine Tätigkeit Provision entsprechend seiner Provisionsstufe. Die zunächst anfallende Provision ist die Gegenleistung für die Vermittlung des Abschlusses. Alle etwaigen weiteren Provisionszahlungen setzen eine nachhaltige Kundenbetreuung voraus."

In den Leistungs- und Betreuungsbedingungen (Anlage B) war u.a. vereinbart:

"Der Vermögensberater (VB) nimmt die Beratung und Betreuung seiner Kunden in Vermögensaufbau und Vermögensschutz vor. Er ist verantwortlicher Abschlußvermittler in allen von der Gesellschaft zur Verfügung gestellten Angeboten. Der VB ist verpflichtet, regelmäßig an Schulungstreffen zur Weiterbildung durch seine Betreuer teilzunehmen."

Der Aufgabenbereich für einen sog. Geschäftsstellenleiter II, der dem Kläger oblag, war so beschrieben worden:

Der Betreuer hat die Aufgabe, die ihm unterstellten Vertrauensmänner, Assistenten, Agenturleiter und Geschäftsstellenleiter bei ihrer täglichen Praxis- und Aufbauarbeit zu unterstützen. Er ist Bindeglied zwischen unterstellten Partnern und zuständigem Direktionsleiter. Der Betreuer ist für die Qualität des eingereichten Geschäfts und die Qualität seiner Partner verantwortlich.

In den Streitjahren erzielte der Kläger Provisionen für die Vermittlung von Versicherungs- und Bausparverträgen. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) besteuerte die Leistungen des Klägers in den angefochtenen Umsatzsteuerbescheiden für 1990 und 1991, soweit er die erwähnten Verträge nicht selbst vermittelt, sondern Provisionen für die "Betreuung von ihm zugeordneten Vermögensberatern" erhalten hatte. Das FA erhöhte die zuletzt bezeichneten Entgelte anteilig um von V für die "Grund- und Aufbauversorgung" an den Kläger geleistete Zahlungen. Außerdem ließ das FA Vorsteuerbeträge nur im Verhältnis der als steuerpflichtig beurteilten Umsätze zum Abzug zu. Es war der Ansicht, die Steuerbefreiung nach § 4 Nr. 11 des Umsatzsteuergesetzes 1980/1991 (im folgenden: UStG) schließe nur die selbst vermittelten Versicherungs- und Bausparverträge ein.

Das FA wies den Einspruch des Klägers zurück, nach dessen Auffassung sämtliche Leistungen nach § 4 Nr. 11 UStG steuerfrei ausgeführt worden seien.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und änderte die angefochtenen Steuerbescheide antragsgemäß. Es führte zur Begründung u.a. aus, der Kläger habe in den Streitjahren steuerfreie Umsätze nach § 4 Nr. 11 UStG auch insoweit ausgeführt, als er den Beruf eines Versicherungsvertreters als echter Untervertreter ausgeübt habe. Versicherungsvertreter im Sinne der bezeichneten Vorschrift sei auch der selbständige Gewerbetreibende, der von einem Versicherungsvertreter mit der Vermittlung oder dem Abschluß von Versicherungsverträgen für dessen Auftraggeber beauftragt worden sei. Es reiche für die Anwendung von § 4 Nr. 11 UStG aus, daß der Kläger als Untervertreter für V eine dieser gegenüber ihren Auftraggebern (Versicherungsgesellschaften) obliegende Abschluß- oder Vermittlungstätigkeit erbracht habe. Für eine Vermittlung genüge nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) eine mittelbare Einwirkung auf den Kunden, wenn sie durch ein mittelbar betriebenes Bemühen um konkrete Geschäfte gekennzeichnet sei und der Vermittler in seinem wirtschaftlichen Erscheinungsbild dem eines echten Generalvertreters mit eigenem Untervertreterstab nahekomme (BGH-Urteile vom 22. Juni 1972 VII ZR 36/71, BGHZ 59, 87; vom 19. Mai 1982 I ZR 68/80, Der Betrieb 1982, 2346). Mit dieser Auslegung von § 4 Nr. 11 UStG werde die Wettbewerbsneutralität zwischen selbständigen und unselbständigen Versicherungsvermittlern erreicht.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung von § 4 Nr. 11 UStG. Es vertritt die Auffassung, die Vorentscheidung widerspreche der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Kreditvermittlung (u.a. Urteil vom 26. Januar 1995 V R 9/93, BFHE 177, 161, BStBl II 1995, 427): Danach sei für eine Vermittlungstätigkeit die bewußte, finale Herbeiführung der Abschlußbereitschaft des Vertragspartners notwendig. Bloße Ursächlichkeit der Tätigkeit sei nicht ausreichend. Die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 11 UStG dürfe nicht auf andere Umsätze durch Anwerbungs-, Schulungs-, Betreuungs- und Kontrolltätigkeiten erweitert werden.

Das FA beantragt sinngemäß, die Klage unter Aufhebung der Vorentscheidung abzuweisen.

Der Kläger ist der Revision des FA entgegengetreten.

II.

Die Revision ist unbegründet. Die Vorentscheidung hält den Angriffen der Revision stand. Das FG hat die Umsätze des Klägers zutreffend als nach § 4 Nr. 11 UStG steuerfrei beurteilt.

1. Nach § 4 Nr. 11 UStG sind die Umsätze u.a. aus der Tätigkeit als Bausparkassenvertreter, Versicherungsvertreter und Versicherungsmakler steuerfrei.

a) Diese Steuerbefreiung schließt nach der Rechtsprechung des BFH zu § 4 Nr. 11 UStG nur berufstypische Umsätze eines Versicherungs- oder Bausparkassenvertreters i.S. von § 92 Abs. 1, Abs. 5 HGB ein (vgl. BFH-Beschluß vom 29. März 1994 V B 131/93, BFH/NV 1995, 452; Urteile vom 29. Juni 1987 X R 11/81, BFHE 150, 385, BStBl II 1987, 867; vom 24. April 1975 V R 35/74, BFHE 115, 296, BStBl II 1975, 593). Versicherungsvertreter ist nach der handelsrechtlichen Begriffsbestimmung in § 92 HGB, wer als Handelsvertreter damit betraut ist, Versicherungsverträge zu vermitteln oder abzuschließen (§ 92 Abs. 1 HGB). Dasselbe gilt sinngemäß für Bausparkassenvertreter (§ 92 Abs. 5 HGB). Handelsvertreter ist nach § 84 Abs. 1 Satz 1 HGB, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen anderen Unternehmer (Unternehmer) Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen.

Der Senat hat sich in dem Urteil vom 29. Januar 1998 V R 41/96 (BFH/NV 1998, 1004) der Auslegung des BGH zur Beurteilung eines Handelsvertreters angeschlossen. Danach ist Handelsvertreter auch derjenige, der ständig damit betraut ist, für die Erweiterung der Umsätze des Unternehmers zu wirken (BGH-Urteile vom 24. Juni 1971 VII ZR 223/69, BGHZ 56, 290, 293 , und in BGHZ 59, 87, 91). Es reicht aus, daß seine Tätigkeit, so wie der Unternehmer den Vertrieb seiner Waren oder Dienstleistungen organisiert hat, "unentbehrliche Voraussetzung für das Arbeiten der ihm unterstellten Vertreter und daher mitursächlich für die von ihnen vermittelten Abschlüsse gewesen ist". Der Handelsvertreter braucht bei den einzelnen Vertragsabschlüssen nicht persönlich mitzuwirken. Es kann genügen, daß er sich der Einstellung und Betreuung der ihm unterstellten Vermittler zu widmen hat. Beweisanzeichen dafür, daß der Unternehmer schon eine so bezeichnete Tätigkeit für die erzielten Geschäftsumsätze als bedeutsam angesehen hat, sind die für die einzelnen Vertragsabschlüsse gezahlten Superprovisionen.

Der Senat berücksichtigt bei der Beurteilung der in § 84 Abs. 1 HGB erwähnten Tätigkeit "vermitteln" die neue wirtschaftliche Entwicklung, bei der aus Zweckmäßigkeitsgründen zwischen dem Unternehmer und dem Vermittler eine mittlere Stufe (auch als Generalvertreter bezeichnet) eingerichtet wird. Wenn die zwischengeschaltete Person nach dem wirtschaftlichen Erscheinungsbild dem eines echten Generalvertreters mit eigenem Vertreterstab nahekommt, ist sie als Handelsvertreter und, wenn sie der Vermittlung von Versicherungs- und Bausparkassenverträgen dient, ist sie als Versicherungs- und Bausparkassenvertreter zu beurteilen.

Diese Beurteilung ist auch für die in § 4 Nr. 11 UStG bezeichneten Bausparkassen- und Versicherungsvertreter zugrunde zu legen.

b) Nach den nicht mit zulässigen Rügen angegriffenen Feststellungen des FG, an die der BFH gebunden ist (§ 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--), erfüllt die Tätigkeit des Klägers die erwähnten Voraussetzungen. Das FG hat festgestellt, daß die Anwerbung, Betreuung, Überwachung und Schulung der dem Kläger organisatorisch nachgeordneten Untervertreter mitursächlich für den Vertragsabschluß gewesen sei. Der Kläger habe durch die Betreuung, Überwachung und Schulung der ihm nachgeordneten Untervertreter sowie durch die Prüfung eines jeden Vertragsangebots vor der Weiterleitung an V stets die Möglichkeit zur mittelbaren Einwirkung auf den Kunden gehabt. Die erfolgsbezogene Vergütung sei ein Beweisanzeichen dafür, daß er damit berufstypische Tätigkeiten eines Versicherungsvertreters ausgeführt habe. Die Vermittlung eines Versicherungsvertrages sei Voraussetzung für Superprovisionszahlungen gewesen. Das Erscheinungsbild der Tätigkeit des Klägers gleiche dem eines Generalvertreters.

Die aufgrund dieser Feststellungen gezogenen Schlußfolgerungen des FG sind unangreifbar, nach denen der Kläger als Versicherungs- und Bausparkassenvertreter tätig gewesen ist und nach denen er die erhaltenen Provisionen und die sonstigen Zuwendungen nur für die (mitursächlich) vermittelten Versicherungs- und Bausparverträge erhalten hat. Die weitere Beurteilung des FG, daß die Leistungen des Klägers nach § 4 Nr. 11 UStG steuerfrei sind, ist folgerichtig.

c) Die Vorentscheidung weicht nicht von dem Urteil des Senats in BFHE 177, 161, BStBl II 1995, 427 ab, da es dort nicht um das Tatbestandsmerkmal "Versicherungsvertreter" in § 4 Nr. 11 UStG 1980, sondern um die "Vermittlung von Krediten" i.S. des § 4 Nr. 8 Buchst. a UStG 1980 ging. Im übrigen hat der Senat ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Steuerbefreiung für Umsätze von Kreditvermittlern nach § 4 Nr. 8 Buchst. a UStG 1980 anders als die hier zu beurteilende Befreiung nach § 4 Nr. 11 UStG 1980 erfolgsbezogen ausgestaltet ist.

Stichworte