Normen
§ 33 EStG
Tatbestand:
Mit notariellem Vertrag vom ... schlossen der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau als Käufer mit dem Verkäufer X, dieser vertreten durch den gleichzeitig als Vermittler des Vertrags auftretenden Y, einen Vertrag über den Erwerb eines Grundstücks zum Preis von ... DM. Gemäß § 1 des Vertrags war der Verkäufer noch nicht Eigentümer des Grundstücks. Weiter heißt es in § 1: "Die Eintragung einer Auflassungsvormerkung für Herrn X ist ... nach Erklärung des Erschienenen zu 1. (Y) beantragt worden." Gemäß § 12 war mit Abschluß des Vertrags eine von den Käufern an den Vermittler zu zahlende Maklerprovision in Höhe von ... DM fällig.
Mit notariellem Vertrag vom selben Tag schlossen die Eheleute darüber hinaus mit Frau Z, in Firma Z-Immobilien, vertreten durch Y, einen Werkvertrag über die Errichtung eines Reihenhauses auf dem Grundstück zu einem in Raten zu zahlenden Festpreis. In § 2 Abs. 1 des Vertrages heißt es: "... 1. Rate ist bereits vor Beurkundung gezahlt DM ... (12,5 v. H.) ... Obwohl die Zahlung der ersten Rate bereits vor Vertragsabschluß erfolgt ist, hat der Notar darauf hingewiesen, daß die Zahlung ohne dingliche Absicherung erfolgt ist." Tatsächlich wurde die erste Rate erst nach Vertragsschluß geleistet. Die Bausparkasse teilte mit Schreiben vom ... den Eheleuten mit, sie habe einen Betrag in Höhe von ... DM (erste Rate zuzüglich Vermittlungsprovision) zur Auszahlung an die Firma Z-Immobilien angewiesen.
Die vereinbarte Bauleistung wurde indes nicht erbracht. Ebensowenig kam es zur Übereignung des Baugrundstücks an den Kläger und dessen Ehefrau. Nach dem Inhalt der von der Staatsanwaltschaft gegen die Vertragspartner der Eheleute gerichteten Anklage hatten die Beschuldigten von vornherein nicht die Absicht, die Verträge zu erfüllen, sondern hatten die Geldleistungen betrügerisch erlangt. Der Versuch des Klägers, die gezahlten Beträge zurückzuerhalten, blieb ohne Erfolg. Die eingeleitete Vollstreckung führte zu keinem Ergebnis.
Bei der Zusammenveranlagung des Klägers und seiner Ehefrau für das Streitjahr 1987 machten die Eheleute neben anderen Aufwendungen den Betrag für die erste Rate zuzüglich Vermittlungsprovision als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) berücksichtigte die Zahlungen nicht. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Während des Klageverfahrens erging - aus den Streitpunkt nicht berührenden Gründen - ein geänderter Steuerbescheid, den der Kläger zum Gegenstand des Verfahrens erklärte.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage insoweit statt, als es die Aufwendungen für die erste Werklohnrate sowie für die Maklerprovision als außergewöhnliche Belastung berücksichtigte. Es führte aus, der Anerkennung als außergewöhnliche Belastung stehe nicht entgegen, daß die Eheleute den Schadensbetrag angespart und somit nicht aus ihrem laufenden Einkommen bezahlt hätten. Der ihnen entstandene Verlust sei auch außergewöhnlich. Zwar seien Aufwendungen für ein Eigenheim Ausdruck der normalen Lebensführung. Durch die Straftat erhielten sie aber den Charakter des Außergewöhnlichen. Auch die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen sei gegeben. Durch die Täuschung seien die Eheleute zur Zahlung veranlaßt worden und hätten sich dem Verlust tatsächlich nicht mehr entziehen können. Sie hätten den ihnen entstandenen Schaden auch nicht leichtfertig verursacht. Der (frühere) Beruf des Klägers als Soldat in niedrigem Rang und der Beruf seiner Ehefrau als Schreibkraft deuteten nicht auf besondere geschäftliche Erfahrungen hin. Die Angaben des Klägers, er habe seinerzeit noch keine Erfahrungen in Grundstücksangelegenheiten gehabt, seien nicht zu bezweifeln. Es sei glaubhaft, daß er den auf die erste Rate bezogenen Passus in dem Werkvertrag nicht wahrgenommen habe. Andernfalls wäre es kaum zu dem inhaltlich unrichtigen Hinweis des Notars auf die schon erfolgte Zahlung gekommen. Der Kläger habe auf den Schutz des Notars vertrauen dürfen, so daß ihm nicht entgegengehalten werden könne, er habe sich in eine Situation begeben, in der stets das Risiko, Opfer eines Betrugs zu werden, gegeben sei.
Ferner seien die Aufwendungen notwendig gewesen. Deliktsverluste könnten zwar nur insoweit als außergewöhnliche Belastung anerkannt werden, als der Schaden im Bereich des lebensnotwendigen Bedarfs eintrete. Da der Wohnraum indes wie der übliche Hausrat zum lebensnotwendigen Bedarf gehöre, seien die Kosten für die Wiederbeschaffung eines durch ein unabwendbares Ereignis verlorenen bewohnten Wohnraumes als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen, unabhängig davon, ob es sich um gemieteten oder eigenen Wohnraum handele. Entsprechendes gelte auch dann, wenn - wie im Streitfall - ein Kaufinteressent im Zusammenhang mit der erst beabsichtigten Beschaffung von Wohnraum durch den Verlust der dafür angesparten Mittel geschädigt worden sei. Daß die bisherige Mietwohnung der Eheleute für ihren lebensnotwendigen Bedarf ausgereicht hätte und der Erwerb eines Eigenheimes nicht notwendig gewesen wäre, stehe der Abziehbarkeit der verlorenen Aufwendungen ebenfalls nicht entgegen. Denn es habe sich um die Mittel für den Erwerb eines bescheidenen Reihenhauses gehandelt, das der bisherigen Mietwohnung vergleichbar gewesen sei. Auch hätten die geplanten Gesamtaufwendungen die vergleichbaren Mietzahlungen kaum überstiegen.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es trägt vor, die Aufwendungen seien nicht zwangsläufig entstanden, da der Kläger leichtfertig gehandelt habe. Zum einen habe der notarielle Werkvertrag, der zur Zahlung der verlorenen Werklohnrate verpflichtet habe, einen Hinweis auf die fehlende Absicherung enthalten. Zum anderen sei nach dem Kaufvertrag der Verkäufer selbst noch nicht Eigentümer des Grundstücks gewesen und es habe ein Nachweis der nach seiner Erklärung zu seinen Gunsten beantragten Auflassungsvormerkung gefehlt. Wenn der Kläger einräume, die sein Risiko deutlich bezeichnenden Passagen der notariellen Verträge weder selbst gelesen noch bei der Verlesung vor dem Notar gehört zu haben, so liege darin eine grobe Fahrlässigkeit. Das Verhalten des Klägers sei nicht entschuldbar. Auch und gerade von einem in rechtlichen Dingen weniger kundigen Steuerpflichtigen müsse erwartet werden, daß er einen Vertrag, der ihn zu hohen Leistungen verpflichte, zumindest sorgfältig lese und sich erforderlichenfalls rechtlichen Rat einhole. Dies wäre auch vor dem beurkundenden Notar möglich gewesen, wenn der Kläger aufmerksam zugehört hätte. Daß er dazu intellektuell nicht in der Lage gewesen wäre, habe das FG nicht festgestellt.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Zwar sind den Eheleuten insoweit Ausgaben und damit Aufwendungen i. S. von § 33 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) entstanden. Sie haben bewußte und gewollte Vermögensverwendungen getätigt, ohne daß sie dafür einen entsprechenden, eine außergewöhnliche Belastung ausschließenden Gegenwert oder auch nur einen nicht nur vorübergehenden Vorteil (vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 29. November 1991 III R 74/87, BFHE 166, 266, BStBl II 1992, 290) erlangt hätten. Denn der Kläger und seine Ehefrau sind Opfer eines betrügerischen Verhaltens ihrer Vertragspartner geworden; sie haben - wie auch die erfolglos gebliebene Vollstreckung zeigt - weder einen Gegenwert für ihre Vorausleistung noch für die Maklerprovision erhalten. Nach dem Inhalt der gegen ihre Vertragspartner gerichteten Anklageschrift hatten diese sogar von vornherein nicht die Absicht, die Verträge zu erfüllen.
2. Es fehlt jedoch an der Außergewöhnlichkeit und der Zwangsläufigkeit der entstandenen Aufwendungen.
a) § 33 EStG dient - im wesentlichen in Ergänzung zu §§ 10, 32 a Abs. 1 EStG - dazu, sicherzustellen, daß die Besteuerung erst jenseits des Existenzminimums einsetzt. Die Vorschrift will Fällen Rechnung tragen, in denen das Existenzminimum höher als im Normalfall liegt (vgl. Borggreve in Littmann/Bitz/Hellwig, Das Einkommensteuerrecht, § 33 EStG, Rdnr. 1 m. w. N.). Die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die nicht nur einer kleinen Minderheit entstehen, werden daher von § 33 EStG nicht erfaßt. Ferner fallen nur solche Aufwendungen unter § 33 EStG, die existentiell erforderlich sind und weder durch den Grundfreibetrag noch durch den Sonderausgabenabzug erfaßt werden (Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, 14. Aufl., § 33 Anm. 4f.; s. a. Senatsurteil vom 6. Mai 1994 III R 27/92, BFHE 175, 332, BStBl II 1995, 104). Dies können grundsätzlich nur solche Aufwendungen sein, die bereits ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen und insofern nur einer Minderheit entstehen (vgl. z. B. BFH-Urteil vom 23. Mai 1990 III R 63/85, BFHE 161, 69, BStBl II 1990, 894).
Bei der Entscheidung, ob Aufwendungen in diesem Sinne außergewöhnlich sind, sind nach Auffassung des Senats auch steuer- und/oder verfassungsrechtliche Grundwertungen zu berücksichtigen.
Danach sind die geltend gemachten Aufwendungen hier nicht außergewöhnlich. Der Erwerb eines Einfamilienhauses berührt typischerweise das Existenzminimum nicht und erscheint deshalb steuerlich als Vorgang der normalen Lebensführung. Die Wertung, daß Kosten der Herstellung bzw. Anschaffung eines Einfamilienhauses das steuerliche Existenzminimum nicht berühren und deshalb keine außergewöhnlichen Aufwendungen der Lebensführung sind, liegt auch der Regelung des § 10e EStG zugrunde, nach der diese Kosten nur in engbegrenztem Rahmen - wie Sonderausgaben - berücksichtigungsfähig sind.
b) Unabhängig von der fehlenden Außergewöhnlichkeit sind den Eheleuten die strittigen Kosten auch nicht zwangsläufig entstanden.
Aufwendungen sind dann zwangsläufig, wenn sich der Steuerpflichtige ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann (§ 33 Abs. 2 EStG). Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn die vorstehend aufgezählten Gründe der Zwangsläufigkeit von außen derart auf die Entschließung des Steuerpflichtigen einwirken, daß er ihnen nicht auszuweichen vermag (BFH-Urteil vom 26. April 1991 III R 69/87, BFHE 164, 426, BStBl II 1991, 755). Entscheidend ist daher, ob das Ereignis, dessen Folge die Aufwendungen oder die Verpflichtung zur Bestreitung der Aufwendungen sind, für den Steuerpflichtigen zwangsläufig war. Dabei ist nicht darauf abzustellen, ob sich der Steuerpflichtige subjektiv verpflichtet fühlte (BFH-Urteil vom 18. November 1977 VI R 142/75, BFHE 124, 39, BStBl II 1978, 147). Maßgebend ist vielmehr die Verkehrsanschauung (Schmidt/Drenseck, a. a. O., § 33 Anm. 17 ff.).
Die wesentliche Ursache, die zu dem den Eheleuten entstandenen Schaden geführt hat, ist der Abschluß der Verträge, die die entsprechenden Zahlungsverpflichtungen ausgelöst haben. Dies ist einmal der Werkvertrag, in dem der Kläger und seine Ehefrau sich zur Leistung einer Vorauszahlung verpflichtet hatten, ohne daß ihnen insoweit von ihrem Vertragspartner eine Sicherheit eingeräumt worden war, und zum anderen der Grundstückskaufvertrag zusammen mit der Vereinbarung über die Zahlung einer Vermittlungsgebühr für den als Vermittler aufgetretenen Y. Wie der Senat in dem Urteil vom 18. Juli 1986 III R 178/80 (BFHE 147, 171, BStBl II 1986, 745) ausgeführt hat, kommen als - eine Zwangsläufigkeit begründende - rechtliche Gründe i. S. von § 33 Abs. 2 EStG nur solche rechtlichen Verpflichtungen in Betracht, die der Steuerpflichtige nicht selbst gesetzt hat. Verpflichtungen aufgrund rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen können für sich allein eine Zwangsläufigkeit i. S. von § 33 Abs. 2 EStG regelmäßig nicht begründen. Zwangsläufigkeit kann in derartigen Fällen vielmehr nur bejaht werden, wenn zusätzlich zu der selbst begründeten Rechtspflicht eine weitere rechtliche oder sittliche Verpflichtung bzw. eine tatsächliche Zwangslage zur Leistung der Aufwendungen tritt. Entsprechendes gilt, wenn die Übernahme der Rechtspflicht ihrerseits auf rechtlichen oder sittlichen Verpflichtungen bzw. einer tatsächlichen Zwangslage beruht (BFH-Urteil in BFHE 147, 171, BStBl II 1986, 745).
Diese Voraussetzungen waren bei der Vorauszahlung der ersten Werklohnrate an die Bauunternehmerin sowie bei der Begleichung der Vermittlungsgebühr durch die Eheleute nicht gegeben.
Der Abschluß der von den Eheleuten eingegangenen Verträge als das die streitigen Aufwendungen auslösende Ereignis beruht nicht auf einer Zwangsläufigkeit i. S. von § 33 Abs. 2 EStG. Der Kläger und seine Ehefrau, die eine ihrem Wohnbedürfnis entsprechende Wohnung bewohnten, waren in diesem Sinne weder gezwungen, überhaupt ein Reihenhaus zu erwerben, noch bestand die Notwendigkeit, diese konkreten - wegen der Unausgewogenheit des Risikos - für sie sehr nachteiligen Verträge abzuschließen. Ob die Zwangsläufigkeit auch deshalb zu verneinen ist, weil die Eheleutewie das FA meint - bei Vertragsabschluß leichtfertig gehandelt haben, braucht der Senat unter diesen Umständen nicht zu entscheiden.