BFH

BFHVI R 62/905.10.1994

Amtlicher Leitsatz:

Die Anerkennung der doppelten Haushaltsführung eines nicht verheirateten Arbeitnehmers setzt nicht voraus, daß im eigenen Hausstand des Arbeitnehmers von ihm abhängige Zurechnungspersonen leben (Änderung langjähriger Rechtsprechung).

Normen

§ 9 Abs. 1 EStG

 

Tatbestand:

Der nicht verheiratete Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war seit dem 1. Januar 1983 als Zeitsoldat mit zunächst vierjähriger Verpflichtungszeit und ab September 1985 für vier weitere Jahre bei der Bundeswehr tätig. Er war in F stationiert und aufgrund seines Versetzungsantrages vom 22. Dezember 1983 ab April 1986 in den Kölner Raum versetzt worden. Neben seiner Bundeswehrunterkunft in F hatte der Kläger seine Wohnung in B beibehalten, die er ab 1. Mai 1982 für monatlich 350 DM zuzüglich Nebenkosten angemietet und mit eigenen Möbeln sowie Haushaltsgegenständen ausgestattet hatte. In B befindet sich der Freundeskreis des Klägers; seine schwerbehinderte Mutter wohnt in Köln.

In seinem Antrag auf Lohnsteuer-Jahresausgleich für das Streitjahr 1984 machte der Kläger Kosten für Heimfahrten in Höhe von 12 558 DM (46 x 650 km x 0,42 DM), Unterkunftskosten in Höhe von 1 779 DM, welche in dieser Höhe als Sachbezug dem Lohnsteuerabzug unterworfen worden waren, sowie Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 1 263 DM für Kosten der Gemeinschaftsverpflegung (263 Tage x 4,80 DM) als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) versagte den Werbungskostenabzug.

Die Klage, mit der der Kläger den Abzug der Fahrtkosten für 23 Heimfahrten mit dem KilometerSatz des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sowie der weiteren Kosten für Unterkunft und Verpflegung geltend machte, hatte im wesentlichen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) erkannte die Fahrt- und Unterkunftskosten zum Werbungskostenabzug an, versagte aber den Abzug eines Verpflegungsmehraufwandes. Zur Begründung führte as im wesentlichen aus: Nicht verheiratete Arbeitnehmer ohne eigenen Hausstand könnten die mit der Tätigkeit am auswärtigen Beschäftigungsort zusammenhängenden notwendigen Mehraufwendungen u. a. dann als Werbungskosten geltend machen, wenn sie nur vorübergehend für verhältnismäßig kurze Dauer auswärts beschäftigt seien und ihren Lebensmittelpunkt an ihrem bisherigen Wohnort beibehielten. Der Kläger habe seinen Lebensmittelpunkt in B beibehalten. Die Tätigkeit in F sei von verhältnismäßig kurzer Dauer gewesen. Der Kläger habe bereits im Dezember 1983 seine Versetzung beantragt. Nach der Bescheinigung seines Arbeitgebers habe mit der Versetzung grundsätzlich Einverständnis bestanden, sie sei zunächst nur wegen Schwierigkeiten bei der Nachbesetzung des Dienstpostens gescheitert und zum April 1986 erfolgt. Die erstrebte Versetzung sei somit von vornherein sehr aussichtsreich gewesen. Ein vollständiger Umzug von B nach F sei unter diesen Umständen nicht zumutbar gewesen. Aufgrund der Bescheinigung des zuständigen Kompaniefeldwebels gehe der Senat davon aus, daß der Kläger an 23 Wochenenden nach B gefahren sei. Es entspreche auch der allgemeinen Lebenserfahrung, daß ein Soldat in der Regel alle 14 Tage nach Hause fahre. Soweit der Kläger ursprünglich die doppelte Zahl geltend gemacht habe, habe dies zur Überzeugung des Senats darauf beruht, daß der Kläger irrtümlich die Hin- und Rückfahrten statt der einfachen Entfernung berechnet habe. Außerdem seien die der Höhe nach nicht streitigen Unterkunftskosten zu berücksichtigen. Ein Verpflegungsmehraufwand sei nicht anzuerkennen. Bei dem geltend gemachten Betrag von 4,80 DM pro Tag handele es sich um die tatsächlich gezahlten Verpflegungskosten für die tägliche Gemeinschaftsverpflegung. Dadurch sei der Kläger sehr günstig verpflegt worden. Einen darüber hinaus entstandenen Mehraufwand für Verpflegung habe er nicht geltend gemacht.

Das FA begehrt mit seiner Revision die Aufhebung der Vorentscheidung und die Abweisung der Klage. Zur Begründung führt es im wesentlichen aus: Das FG habe die Voraussetzungen für eine zeitlich beschränkte doppelte Haushaltsführung nicht verheirateter Arbeitnehmer verkannt. Bei der Entscheidung, ob eine auswärtige Beschäftigung von kurzer Dauer vorliege, müsse auf die Verhältnisse zur Zeit des Beginns der auswärtigen Beschäftigung abgestellt werden. Sei bei Aufnahme der Beschäftigung nicht annähernd sicher, ob es sich um eine auswärtige Tätigkeit von kurzer Dauer handele, könnten die durch die auswärtige Beschäftigung veranlaßten Kosten keine Werbungskosten darstellen. Der Kläger sei erst nach 3 1/4 Jahren versetzt worden und habe sich auf insgesamt acht Jahre verpflichtet. Das FG habe auch die Kosten für 23 Heimfahrten zu Unrecht angesetzt. Die Bescheinigung des Kompaniefeldwebels sei kein geeignetes Beweismittel gewesen. Dieser habe unmöglich Feststellungen darüber treffen können, ob der Kläger tatsächlich mit seinem eigenen Kfz oder als Mitglied einer Fahrgemeinschaft nach Hause gefahren sei. Das FG hätte auf jeden Fall die Aufwendungen nicht ohne eine Beweisaufnahme anerkennen dürfen. Wegen der großen Entfernung von 650 km sei der Kläger auch zu einer Beweisvorsorge verpflichtet gewesen.

Der Kläger tritt der Revision mit den Gründen der Vorentscheidung entgegen.

Entscheidungsgründe

1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG sind Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlaß begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird. Eine doppelte Haushaltsführung liegt vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt.

2. Das FG ist in Übereinstimmung mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung (zuletzt Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Oktober 1991 VI R 44/90, BFHE 166, 68, BStBl II 1992, 237) davon ausgegangen, daß der Kläger deshalb keinen eigenen Hausstand unterhalten habe, weil ein solcher bei einem Nichtverheirateten voraussetze, daß ihm ein außerhalb des Beschäftigungsortes stattfindendes hauswirtschaftliches Leben als eigenes müsse zugerechnet werden können. Dieses Erfordernis hat die Rechtsprechung zweifach begründet, nämlich damit, daß der Begriff des "Unterhaltens" eines Hausstandes das Vorhandensein hauswirtschaftlichen Lebens auch während der berufsbedingten Abwesenheit des Arbeitnehmers erfordere (anders evtl. aber BFH-Urteil vom 20. Juni 1975 VI R 72/74, BFHE 116, 41, BStBl II 1975, 649) und zweitens, daß dem Begriff "Familienheimfahrt" in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 3 EStG zu entnehmen sei, von welcher Art hauswirtschaftlichen Lebens das Gesetz dabei ausgehe. Was die Zurechnungsperson anbetrifft, deren hauswirtschaftliches Leben der Alleinstehende sich als sein eigenes anrechnen dürfe, wurde ursprünglich eine Haushälterin als ausreichend bezeichnet (BFH-Urteile vom 17. Februar 1961 VI 32/60 U, BFHE 72, 461, BStBl III 1961, 169, und vom 16. November 1971 VI R 353/69, BFHE 103, 501, BStBl II 1972, 132). In neueren Entscheidungen wurden als zulässige Zurechnungspersonen in rechtsgültiger Ehe (BFH-Urteil vom 22. September 1988 VI R 53/85, BFHE 155, 77, BStBl II 1989, 293) verbundene Steuerpflichtige oder Partner mit einem gemeinsamen Kind (BFH-Urteil vom 24. November 1989 VI R 66/88, BFHE 159, 150, BStBl II 1990, 312), nicht aber Partner mit dem Kind eines Dritten (BFH-Urteil vom 21. Oktober 1988 VI R 147/86, BFHE 155, 518, BStBl II 1989, 561) angesehen. Als weitere Zurechnungspersonen kamen Angehörige in Betracht, wenn sie finanziell abhängig waren, wobei aber - jedenfalls in neuerer Zeit - keine Entscheidungen über die erforderliche Nähe des Verwandtschaftsverhältnisses ergangen sind, z. B. ob mit einem Onkel oder einer Nichte ein "Familienhausstand" begründbar ist.

3. Der Gesetzgeber hat durch das Gesetz zur Änderung des Entwicklungsländer-Steuergesetzes und des EStG vom 21. Mai 1979 (BGBl I 1979, 588, BStBl I 1979, 288, 292) § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG dahingehend geändert, daß eine einmal aus beruflichem Anlaß begründete doppelte Haushaltsführung unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird, mit einkommensteuerrechtlicher Auswirkung fortbesteht und damit u. U. bis zum Ende des Berufslebens zum Werbungskostenabzug führen kann. Damit hat der Gesetzgeber im Hinblick auf die Berücksichtigungsfähigkeit von Aufwendungen anerkannt, daß der Arbeitnehmer sein bisheriges soziales Umfeld nicht deshalb aufgeben muß, weil ein auswärtiges Arbeiten einen Umzug nahelegen könnte. Welche privaten Gründe den Arbeitnehmer veranlassen, von einem Umzug abzusehen, ist dabei irrelevant. Zweck der gesetzlichen Neufassung ist somit, dadurch die Mobilität des Arbeitnehmers zu fördern, daß durch die steuerliche Berücksichtigung der Kosten des Wohnens am Arbeitsplatz das Beibehalten des bisherigen Lebensmittelpunktes erleichtert wird.

Wie auch den Gesetzesmaterialien zu entnehmen ist (BTDrucks 8/2501, S. 15, 18), sollte die im Jahre 1979 mit Wirkung zum 1. Januar 1978 vorgenommene Änderung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG durch Einfügen des HalbSatzes "und zwar unabhängig davon, aus welchen Gründen die doppelte Haushaltsführung beibehalten wird" diesem Gesetzeszweck dienen. Gleichzeitig wurde durch die Einfügung sichergestellt, daß die Berücksichtigung der Mehraufwendungen für das Wohnen am Beschäftigungsort, also die Zuweisung dieser Aufwendungen zum beruflichen Bereich, entgegen dem BFH-Urteil vom 2. September 1977 VI R 114/76 (BFHE 123, 444, BStBl II 1978, 26), welches Anlaß der Gesetzesänderung war, nicht nur vorübergehend, sondern auf Dauer möglich sein soll.

4. Nach erneuter Überprüfung der Rechtslage auf der Grundlage der ab 1. Januar 1978 geltenden Neufassung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG hält der Senat nicht mehr an seiner Ansicht fest, das Unterhalten eines eigenen Hausstandes am Mittelpunkt der Lebensinteressen setze voraus, daß dort auch während der Abwesenheit des Steuerpflichtigen hauswirtschaftliches Leben durch die Anwesenheit von Familienangehörigen herrschen, der eigene Hausstand mithin ein Familienhausstand sein muß. Abgesehen davon, daß dem Gesetz kein direkter Hinweis darauf zu entnehmen ist, daß nur die Mobilität Verheirateter oder in einer bestimmten Art familiär verbundener Personen gefördert werden sollte, erscheint eine derartige differenzierende Auslegung sowohl unter dem Gesichtspunkt der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit als auch unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten bedenklich. Im einzelnen haben den Senat folgende Gründe zur Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung bewogen:

a) Durch die geänderte Fassung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG hat ein berufliches Ereignis, wie z. B. ein Arbeitsplatzwechsel, bei Verheirateten und Nichtverheirateten auf Dauer unterschiedliche steuerrechtliche Konsequenzen. Es wird rein privaten Motiven eine unterschiedliche steuerrechtliche Bedeutung beigemessen, je nachdem, ob es sich um solche eines verheirateten Arbeitnehmers und seiner Familienangehörigen oder um solche eines nicht verheirateten Arbeitnehmers handelt. Während bei einem verheirateten Arbeitnehmer sein eigener Wunsch oder der Wunsch seiner Familie, aus rein persönlichen Gründen nicht an den neuen Beschäftigungsort umziehen zu wollen, steuerrechtlich durch einen unbefristeten Werbungskostenabzug zu Lasten des Steuergläubigers und damit der Allgemeinheit begünstigt wird, wird bei der bisherigen Auslegung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG durch den Senat der vergleichbare Wunsch eines nicht verheirateten Arbeitnehmers, der nicht mit finanziell abhängigen Angehörigen zusammenlebt, steuerrechtlich nicht berücksichtigt.

Diese unterschiedliche steuerrechtliche Behandlung wird nicht durch den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG -) gefordert. Denn dieser ist im Steuerrecht i. V. m. dem Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit zu sehen (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 29. Mai 1990 1 BvL 20, 26/84 und 4/86, BVerfGE 82, 60, 86). Dieses Gebot besagt zwar, daß das Eingehen der Ehe keine steuerrechtliche Schlechterstellung der Eheleute bewirken darf; aus ihm folgt aber nicht, daß Nichtverheiratete, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, steuerrechtlich schlechter als Verheiratete behandelt werden müssen.

b) Auch Gesetze stehen in einem Umfeld sozialer Verhältnisse und gesellschaftspolitischer Anschauungen, mit deren Wandel sich auch der Norminhalt ändern kann (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 14. Februar 1973 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 288, und vom 3. April 1990 1 BvR 1186/89, BVerfGE 82, 6, 12). Zu dem familiären Umfeld eines Verheirateten ebenso wie eines Ledigen gehören mit steigender Lebenserwartung immer häufiger alte, betreuungs- oder sogar pflegebedürftige Eltern, die zwar am selben Ort, aber in ihrem eigenen Haushalt leben; in zunehmendem Maße leben auch eigene minderjährige Kinder nicht mehr im eigenen Haushalt, sondern in denjenigen des sorgeberechtigten geschiedenen früheren Ehepartners. Der Wunsch nach Aufrechterhaltung der gewachsenen engen persönlichen Beziehungen macht es immer häufiger Nichtverheirateten z. B. nach einem Arbeitsplatzwechsel ebenso schwer wie Verheirateten, ihren Lebensmittelpunkt an den neuen Beschäftigungsort zu verlegen.

Der Wandel der sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse zeigt sich auch in Folgendem. Die bisherige Rechtsprechung des Senats, nach welcher bei einem nicht verheirateten Arbeitnehmer eine doppelte Haushaltsführung nur bei Aufnahme von Zurechnungspersonen in seinen Haushalt mit steuerrechtlicher Auswirkung anzuerkennen war (s. oben unter 2.), beruhte auf der Annahme, ein Nichtverheirateter habe den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen regelmäßig am Beschäftigungsort, wenn er dort eine Wohnung genommen hat (z. B. Urteil vom 18. August 1967 VI R 334/66, BFHE 90, 37, BStBl III 1967, 780). Insoweit war es verständlich, als Indiz dafür, daß der Heimatort des Nichtverheirateten trotz des auswärtigen Wohnens am Beschäftigungsort weiterhin der Mittelpunkt der Lebensinteressen war, die Aufnahme bestimmter abhängiger Zurechnungspersonen in den Haushalt des Nichtverheirateten am Heimatort zu verlangen. Von der Annahme, ein auch am Beschäftigungsort wohnender Nichtverheirateter habe dort regelmäßig den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen, kann indessen nicht ausgegangen werden. Bereits mit Urteilen vom 10. November 1978 VI R 240/74 und VI R 118/74 (BFHE 126, 522, 525, BStBl II 1979, 224, 226) hat der Senat anerkannt, daß ein Nichtverheirateter, der am Beschäftigungsort wohnt, auch an einem anderen Ort den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen haben kann; die Aufnahme von Zurechnungspersonen in den Haushalt am Mittelpunkt der Lebensinteressen war dafür nicht Voraussetzung. Dieser Beurteilung hat der Gesetzgeber durch Änderung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (Steuerreformgesetz 1990 vom 25. Juli 1988, BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224) Rechnung getragen. Damit kann für die Anerkennung einer doppelten Haushaltsführung eines Nichtverheirateten nicht weiter die Aufnahme von Zurechnungspersonen in den Haushalt am Heimatort gefordert werden.

c) Das Interesse Nichtverheirateter an der Beibehaltung ihrer bisherigen eigenen Wohnung wird im übrigen auch im Zivilrecht grundsätzlich nicht geringer bewertet als dasjenige Verheirateter. Der in § 564 b des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) verankerte Kündigungsschutz des Mieters einer Wohnung verdeutlicht den hohen Stellenwert, den die Rechtsordnung dem Recht eines Bürgers auf Beibehaltung seiner Wohnung mit ihrem sozialen, kulturellen und familiären Umfeld beimißt. Das BVerfG hat das Kündigungsschutzrecht des Mieters gemäß § 564b BGB als eine zulässige gesetzliche Beschränkung des Eigentumsrechts (Art. 14 Abs. 1 GG) gewertet. Es hat bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen von Eigentümer und Mieter zu Recht aber nicht etwa differenziert, ob der Mieter verheiratet ist oder nicht (Beschluß vom 11. Juni 1991 1 BvR 538/90, BVerfGE 84, 197; Urteil vom 14. Februar 1989 1 BvR 308, 336, 356/88, BVerfGE 79, 292, 302, und Beschluß vom 8. Januar 1985 1 BvR 792, 501/83, BVerfGE 68, 361, 370).

d) Diese Gesichtspunkte sprechen dafür, die Entscheidung, ob der Steuerpflichtige sein Recht zur freien Wahl des Arbeitsortes einerseits (vgl. hierzu bereits das BFH-Urteil vom 18. Februar 1966 VI 219/64, BFHE 86, 39, BStBl III 1966, 386) und sein Recht zur freien Wahl des Wohnsitzes andererseits zu Lasten des Steuergläubigers und damit letztlich zu Lasten der Allgemeinheit tätigen darf, für nicht verheiratete Arbeitnehmer nicht anders ausfallen zu lassen als für verheiratete Arbeitnehmer.

e) Ob bis zu der zum 1. Januar 1978 rückwirkenden Gesetzesänderung die unterschiedliche Behandlung von verheirateten und nicht verheirateten Arbeitnehmern unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten noch hinnehmbar war, kann dahinstehen. Immerhin konnten nach damaliger Rechtslage wegen des Erfordernisses, daß nicht nur die Begründung, sondern auch die Beibehaltung der doppelten Haushaltsführung beruflich veranlaßt sein mußte, auch verheiratete Arbeitnehmer eine aus beruflichem Anlaß begründete doppelte Haushaltsführung nur für eine gewisse Zeit - in der Regel zwei Jahre (Urteil in BFHE 123, 444, BStBl II 1978, 26) - mit steuermindernder Auswirkung führen. Die Benachteiligung der nicht verheirateten Arbeitnehmer war damit nur von vorübergehender Dauer und wurde in weiten Bereichen durch die Anerkennung der sog. Quasi-doppelten Haushaltsführung (s. dazu z. B. Abschn. 43 Abs. 5 der Lohnsteuer-Richtlinien - LStR - 1993 und die entsprechenden Regelungen in den LStR früherer Jahre) abgemildert. Durch die Gesetzesänderung ist die zeitlich begrenzte Benachteiligung nicht verheirateter Arbeitnehmer zu einer dauerhaften geworden, was dem Senat aus den vorstehenden Gründen verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar erscheint (Art. 3 GG).

5. Das Tatbestandsmerkmal des Unterhaltens eines eigenen Hausstandes i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG ist nicht eindeutig, sondern eröffnet einen Interpretationsspielraum. Da bei einer Abwägung der jeweiligen Interessen unter Berücksichtigung der veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse und mit Rücksicht auf die ab 1978 geänderte Rechtslage (s. oben unter 3. und 4. b) die unterschiedlichen steuerrechtlichen Konsequenzen z. B. nach einem Arbeitsplatzwechsel bei Verheirateten und Nichtverheirateten nach Ansicht des Senats nicht mehr durch ausreichende Gründe gerechtfertigt sind, gibt er der Auslegung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG den Vorzug, daß das Unterhalten eines eigenen Hausstandes nicht erfordert, daß dort ununterbrochen hauswirtschaftliches Leben durch die Anwesenheit von Familienangehörigen herrschen muß. Das hat zur Folge, daß ein eigener Hausstand auch dann in der bisherigen Wohnung unterhalten werden kann, wenn der Steuerpflichtige dort seinen Lebensmittelpunkt beibehält und sich dort regelmäßig, wenn auch jeweils mit Unterbrechungen an den Arbeitstagen wegen der Berufstätigkeit am auswärtigen Beschäftigungsort, aufhält.

Diese Auslegung des Merkmals des Unterhaltens eines eigenen Hausstandes trägt im übrigen auch der mit der Änderung der Vorschrift durch das Gesetz vom 21. Mai 1979 (BGBl I 1979, 588, BStBl I 1979, 288, 292) bezweckten Förderung der Mobilität der Arbeitnehmer in größerem Umfang Rechnung, als dies bei der bisherigen Interpretation des Gesetzes der Fall war.

Der nach Ansicht des Senats dem Gleichbehandlungsgebot und den veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen besser gerecht werdenden Auslegung dahin, daß der eigene Hausstand i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG kein Familienhausstand sein muß, steht auch nicht entgegen, daß in Satz 3 der Vorschrift die Fahrten vom Beschäftigungsort zum Ort des eigenen Hausstandes und zurück in einem KlammerzuSatz als Familienheimfahrten bezeichnet werden. Dabei handelt es sich nur um eine verkürzte Wiedergabe des in demselben Satz definierten Sachverhalts. Soweit der Senat dem Begriff der Familienheimfahrt in dem Urteil in BFHE 155, 77, BStBl II 1989, 293 eine andere Bedeutung beigemessen hat, hält er diese mögliche, aber nicht zwingende Auslegung unter Berücksichtigung der vorstehend erörterten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Schlechterstellung nicht verheirateter Arbeitnehmer nicht mehr für zutreffend.

6. Der Senat ist sich darüber im klaren, daß eine Änderung der Rechtsprechung zugunsten der nun auch für nicht verheiratete Arbeitnehmer möglichen unbeschränkten doppelten Haushaltsführung die Gefahr mißbräuchlicher Ausnutzung vergrößern kann. Auch wird die Frage, ob ein Nichtverheirateter am Mittelpunkt seiner Lebensinteressen einen "eigenen Hausstand unterhält", häufig schwieriger zu beurteilen sein als bei einem verheirateten Arbeitnehmer, dessen Ehegatte oder Familie während seiner beruflichen Abwesenheit die Familienwohnung bewohnt. Im letzteren Fall ist es - abgesehen von Fällen des dauernden Getrenntlebens - offenkundig, daß der Arbeitnehmer gemeinsam mit dem Ehegatten einen eigenen Hausstand unterhält. Zu bedenken ist aber, daß auch schon bisher im Rahmen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG geprüft werden muß, an welchem Ort ein nicht verheirateter Arbeitnehmer den Mittelpunkt seiner Lebensführung hat.

Ein "eigener" Hausstand erfordert, daß er aus eigenem Recht (z. B. Eigentum, eigener Mietvertrag) genutzt wird, wobei nicht ein alleiniges, sondern auch ein gemeinsames bzw. abgeleitetes Recht ausreichen kann. Der eigene Hausstand muß von dem nicht verheirateten Arbeitnehmer unterhalten werden. Dieses erfordert, daß der nicht verheiratete Arbeitnehmer sich in ihm im wesentlichen nur unterbrochen durch die arbeitsbedingte Abwesenheit und ggf. Urlaubsfahrten aufhält; denn allein das Vorhalten einer Wohnung für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist noch nicht als Unterhalten eines Hausstandes zu bewerten. Ebenfalls wird ein eigener Hausstand nicht unterhalten, wenn der nicht verheiratete Arbeitnehmer als nicht die Hausstandsführung wesentlich bestimmender bzw. mitbestimmender Teil in einen Hausstand eingegliedert ist, wie es regelmäßig bei jungen Arbeitnehmern der Fall ist, die nach Beendigung der Ausbildung weiterhin - wenn auch gegen Kostenbeteiligung - im elterlichen Haushalt ihr Zimmer bewohnen. Die elterliche Wohnung kann in einem dieser häufigen Fälle zwar, auch wenn das Kind am Beschäftigungsort eine Unterkunft bezogen hat, wie bisher der Mittelpunkt von dessen Lebensinteressen sein, sie ist aber nicht ein von dem Kind unterhaltener eigener Hausstand.

Das Gesetz unterscheidet in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG zwischen dem Wohnen am Beschäftigungsort und dem Unterhalten eines eigenen Hausstandes außerhalb dieses Ortes. Da, wie oben ausgeführt wurde, das Unterhalten des eigenen Hausstandes nicht nur das Vorhalten einer Wohnung zu Besuchszwecken beinhaltet, sich dort vielmehr der Lebensmittelpunkt befinden muß, ist dieser Hausstand gegenüber der Wohnung am Beschäftigungsort als der Haupthausstand anzusehen. Diesem Umstand kommt bei der Beurteilung der doppelten Haushaltsführung nicht verheirateter Arbeitnehmer besondere Bedeutung zu. Bei diesen spricht, je länger die auswärtige Beschäftigung dauert, vieles dafür, daß die eigentliche Haushaltsführung und auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen an den Beschäftigungsort verlegt worden sind und die Heimatwohnung lediglich für Besuchszwecke vorbehalten wird. Ein wesentliches Indiz hierfür kann die Größe und Ausstattung der Unterkunft am Beschäftigungsort sein. Sollte diese Wohnung derjenigen am Heimatort in Größe und Ausstattung entsprechen oder diese gar übertreffen, so könnte dies ein wesentliches Indiz dafür sein, daß der Mittelpunkt der Lebensführung an den Beschäftigungsort verlegt worden ist und dort der Haupthausstand geführt wird. Insgesamt wird die Abwägung und Bewertung der Umstände des Einzelfalles den Ausschlag geben.

7. Im Streitfall kann eine doppelte Haushaltsführung bejaht werden, denn der Kläger hatte in B in der von ihm angemieteten und mit eigenen Möbeln ausgestatteten Wohnung einen eigenen von ihm unterhaltenen Hausstand, dem am Beschäftigungsort die Kasernenunterkunft gegenüberstand. Daß der Kläger im Streitjahr nur 23 Heimfahrten unternommen hat, kann noch als ausreichend angesehen werden. Dabei sind die weite Entfernung, das starke Bestreben des Klägers nach Rückversetzung in den Raum Köln sowie die Erkenntnis von wesentlicher Bedeutung, daß sich in einer Gemeinschaftsunterkunft regelmäßig nicht der Mittelpunkt der Lebensinteressen eines Menschen befindet. Es ist aber darauf hinzuweisen, daß eine derart geringe Zahl von Heimfahrten über mehrere Jahre hinweg gegen die Anerkennung einer doppelten Haushaltsführung spricht.

Damit ist dem Kläger der Werbungskostenabzug nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG eröffnet. Da der Wert der vom Arbeitgeber gestellten Kasernenunterkunft als Sachbezug den Lohn des Klägers erhöht hat, ist diese Erhöhung dadurch rückgängig zu machen, daß entweder der Lohn um den Sachbezug gekürzt oder ein entsprechender Werbungskostenabzug gewährt wird. Die Vorentscheidung erweist sich in diesem Punkt im Ergebnis als zutreffend.

Ob und in welcher Höhe dem Kläger der Abzug der geltend gemachten Kosten für die Heimfahrten zusteht, hängt davon ab, ob dieser die Fahrten allein mit dem eigenen Kfz durchgeführt hat oder ob die Fahrten im Rahmen von Fahrgemeinschaften durchgeführt worden sind. Das FA hatte im Klageverfahren auf diesen Gesichtspunkt hingewiesen. Das FG hätte daher ohne weitere Beweisaufnahme nicht entscheiden dürfen. Daher war die Vorentscheidung aufzuheben und zur weiteren Aufklärung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen. Ggf. ist der Sachverhalt durch Parteivernehmung aufzuklären.

1) Vgl. hierzu auch BMF-Schreiben vom 8. März 1995 - IV B 6 - S 2352 - 8/95 (BStBl 1995 I S. 168).

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