BFH

BFHV R 70/918.9.1994

Amtlicher Leitsatz:

1. Ein Unternehmer, der Rechnungen mit gesondertem Steuerausweis über die Lieferung von Gegenständen zum ermäßigten Steuersatz ausstellt, obwohl er tatsächlich nicht begünstigte Gegenstände geliefert hat, schuldet die gesondert ausgewiesene Steuer nach § 14 III UStG 1980 neben der Steuer für die tatsächlich ausgeführte Leistung.

2. Verständigt sich der Unternehmer mit dem Finanzamt auf einen bestimmten Gesamtbetrag, über den er derartige Rechnungen ausgegeben hat, so ist diese tatsächliche Verständigung im Rahmen der Anwendung des § 14 III UStG 1980 grundsätzlich bindend.

Normen

§ 14 ABS. 3 UStG

 

Tatbestand:

I.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt einen Groß- und Einzelhandel mit Getränken und Genußmitteln. In den Streitjahren (1982 bis 1985) erteilte sie Leistungsempfängern Abrechnungen, in denen sie die von ihr gelieferten Waren (Getränke) unrichtig als "diverse Süßwaren" bezeichnete. Außerdem wies sie darin Steuerbeträge unzutreffend mit dem ermäßigten SteuerSatz (§ 12 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes - UStG 1980 -) gesondert aus.

Nachdem dies dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt - FA -) aufgrund einer Außenprüfung bekanntgeworden war, unterwarf er die Getränkelieferungen (in einvernehmlich geschätzter Höhe) dem RegelsteuerSatz nach § 12 Abs. 1 UStG 1980. Darüber hinaus setzte das FA in den angefochtenen Steuerbescheiden die in den Rechnungen über die Waren ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG 1980 gegenüber der Klägerin mit der Begründung fest, daß die in den Rechnungen angeführten Gegenstände unrichtig als geliefert bezeichnet worden seien.

Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte zur Begründung aus: Nach § 14 Abs. 3 Satz 2, 2. Alternative UStG 1980 könne Umsatzsteuer nur dann festgesetzt werden, wenn eine Rechnung über eine nicht ausgeführte Leistung erteilt worden sei. Im Streitfall habe die Klägerin in den Abrechnungspapieren hingegen lediglich den Leistungsgegenstand unrichtig bezeichnet, die dort aufgeführten Lieferungen aber "wertmäßig" tatsächlich erbracht. Im übrigen sei durch die Handlungsweise der Klägerin das Steueraufkommen nicht gefährdet worden.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 14 Abs. 3 UStG 1980. Es macht unter Berufung auf den Beschluß des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21. Mai 1987 V R 129/78 (BFHE 150, 90, BStBl II 1987, 652) geltend, für die Anwendung von § 14 Abs. 3 UStG 1980 sei es unerheblich, ob die Klägerin statt der abgerechneten eine andere Leistung erbracht habe. Unternehmer, die Rechnungen erteilten, in denen nicht die tatsächlich ausgeführte Leistung, sondern eine andere berechnet werde, schuldeten nach § 14 Abs. 3 UStG 1980 die gesondert ausgewiesene Steuer neben der Steuer für die tatsächlich ausgeführte Leistung (AbSatz 5 des Schreibens des Bundesministers der Finanzen - BMF - vom 1. August 1988, BStBl I 1988, 365). Im übrigen habe das FG den - möglicherweise entscheidungserheblichen - Umstand nicht gewürdigt, daß die Leistungsempfänger und die Empfänger der beanstandeten Rechnungen nicht identisch gewesen seien.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).

Die Klägerin schuldet entgegen der Auffassung des FG die in den hier zu beurteilenden Abrechnungen gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 Satz 2, 2. Alternative UStG 1980.

1. Wenn jemand in einer anderen Urkunde als einer Rechnung, mit der er wie ein leistender Unternehmer abrechnet, einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt, schuldet er nach der vorbezeichneten Vorschrift den ausgewiesenen Betrag. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 28. Januar 1993 V R 75/88 (BFHE 171, 94, BStBl II 1993, 357) im einzelnen dargelegt hat, enthält die verfassungsrechtlich unbedenkliche Vorschrift des § 14 Abs. 3 UStG 1980, die auf Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG zurückgeht, einen Gefährdungstatbestand besonderer Art. Er soll die unberechtigte Ausgabe von Abrechnungen mit gesondert ausgewiesener Steuer verhindern. Eine Gefährdung des Steueraufkommens wird dadurch herbeigeführt, daß der Empfänger der Abrechnung in den Stand versetzt wird, unberechtigt einen Vorsteuerabzug vorzunehmen (vgl. Senatsurteil vom 8. Dezember 1988 V R 28/84 unter 2., BFHE 155, 427, BStBl II 1989, 250).

2. Im Streitfall sind die in § 14 Abs. 3 Satz 2, 2. Alternative UStG 1980 vorausgesetzten Tatbestandsmerkmale erfüllt.

a) Die Klägerin hat (als Unternehmerin) "Rechnungen" über nicht ausgeführte Lieferungen ("diverse Süßwaren") mit gesondert ausgewiesenen Steuerbeträgen ausgegeben. Das FG hat hierzu ausgeführt, in den "Ausgangsrechnungen" der Klägerin sei als Leistungsgegenstand "diverse Süßwaren" vermerkt und dementsprechend die Umsatzsteuer mit dem begünstigten SteuerSatz ausgewiesen worden, während tatsächlich nicht begünstigte Waren geliefert worden seien; zwischen den Verfahrensbeteiligten sei Einvernehmen darüber erzielt worden, daß die "hiervon betroffenen Umsätze" 1982 1 100 000 DM, 1983 und 1984 je 1 000 000 DM und 1985 700 000 DM ausgemacht hätten.

An diese tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil ist der erkennende Senat gebunden, weil darauf bezogene zulässige und begründete Revisionsgründe nicht vorgebracht worden sind (§ 118 Abs. 2 FGO). Daraus ergibt sich, daß die Klägerin Rechnungen der dargelegten Art in dem bezeichneten Umfang ausgegeben hat. Ob dem Betriebsprüfer seinerzeit nur ein geringer Teil der hier zu beurteilenden Rechnungen tatsächlich vorgelegen hat - wie die Klägerin erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat geltend macht -, ist unerheblich. Das vom FG festgestellte Einvernehmen zwischen der Klägerin und dem FA bezog sich auf das Vorhandensein sovieler Rechnungen mit gesondert ausgewiesenen Steuerbeträgen im Umfang des streitbefangenen Gesamtbetrages für das jeweilige Streitjahr. Dadurch sollte erkennbar der Ermittlungsaufwand begrenzt werden; weitere Feststellungen über die bereits vorliegenden Rechnungen hinaus sollten unterbleiben. Diese tatsächliche Verständigung, gegen deren Wirksamkeit Gründe weder vorgetragen noch ersichtlich sind, ist auch im Rahmen der Anwendung des § 14 Abs. 3 UStG 1980 zu beachten.

b) Die Klägerin hat die Empfänger der von ihr ausgegebenen "Rechnungen" in den Stand versetzt, unberechtigt einen Vorsteuerabzug vorzunehmen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats erfordert der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1980 u. a. , daß das Abrechnungspapier Angaben tatsächlicher Art enthält, die - ggf. unter Heranziehung weiterer Erkenntnismittel - die Identifizierung der Leistung ermöglichen, über die abgerechnet wird (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 21. Januar 1993 V R 30/88, BFHE 170, 283, BStBl II 1993, 384). Diesen Anforderungen kann eine Abrechnung über eine nicht ausgeführte Leistung nicht genügen (vgl. Senatsurteile vom 24. September 1987 V R 50/85, BFHE 153, 65, BStBl II 1988, 688, und V R 125/86, BFHE 153, 77, BStBl II 1988, 694, jeweils unter II. 9. a; BFH-Beschluß vom 9. Dezember 1987 V B 54/85 unter II. 2., BStBl II 1988, 700).

Eine derartige unrichtige, den Vorsteuerabzug ausschließende Leistungsbeschreibung hat der Senat bei einer Inrechnungstellung von Antriebsmotoren angenommen, während allenfalls die Lieferung von Schrottmotoren in Betracht kam (Fall des BFH-Beschlusses in BFHE 150, 90, BStBl II 1987, 652). Er ist ferner von einer unzureichenden Leistungsbeschreibung für den Fall ausgegangen, daß eine in der Überlassung eines Kranführers bestehende Leistung als hergestelltes Mauerwerk abgerechnet worden war (vgl. BFH-Beschluß in BStBl II 1988, 700).

Entsprechendes gilt für die im Streitfall erteilten Abrechnungen. Sie enthalten keine Angaben tatsächlicher Art, die eine Identifizierung der von der Klägerin wirklich erbrachten Leistung ermöglichen. Vielmehr weisen sie eine andere Leistung (Lieferung von diversen Süßwaren) aus, die unstreitig nicht ausgeführt worden ist. Unerheblich ist demgegenüber, ob die Klägerin die von ihr unrichtig bezeichneten Leistungen "wertmäßig" tatsächlich erbracht hat, wie dies in der Vorentscheidung angenommen wird.

c) Soweit das FG ferner ausgeführt hat, durch die Handlungsweise der Klägerin sei das Steueraufkommen nicht gefährdet worden, weil die Leistungsempfänger einen Vorsteuerabzug allenfalls in Höhe der in den Abrechnungen - lediglich auf der Grundlage des ermäßigten SteuerSatzes - gesondert ausgewiesenen Steuerbeträge hätten geltend machen können, während die Klägerin die Umsatzsteuer nach dem RegelsteuerSatz geschuldet habe, verkennt es, daß § 14 Abs. 3 UStG 1980 einen generalpräventiven Zweck hat. Die Anwendung der Vorschrift setzt nicht voraus, daß das Steueraufkommen tatsächlich beeinträchtigt wird (vgl. BFH-Urteile vom 10. Dezember 1981 V R 3/75 unter 2., BFHE 135, 107, BStBl II 1982, 229; vom 9. Dezember 1987 X R 35/82 unter 1.a, BFH/NV 1988, 269, und vom 27. Oktober 1993 XI R 47/90 unter II. 1., BFH/NV 1994, 352). Im übrigen blieb es den Rechnungsempfängern unbenommen, sich für die von der Klägerin empfangenen Leistungen einwandfreie Rechnungen zu beschaffen und sodann den Vorsteuerabzug für den Besteuerungszeitraum geltend zu machen, in dem ihnen die neuen Rechnungen vorlagen (vgl. Senatsurteile in BFHE 153, 65, BStBl II 1988, 688, und in BFHE 153, 77, BStBl II 1988, 694, jeweils unter II. 9. a).

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