BFH

BFHVIII R 84/8927.8.1991

Amtlicher Leitsatz:

1. Die Erhebung von Hinterziehungszinsen setzt voraus, daß objektiv und subjektiv die Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung vorliegen. Bei der Erhebung von Hinterziehungszinsen handelt es sich nicht um eine Strafmaßnahme. Die Regelungen in § 235 AO 1977 bezwecken vielmehr, beim Nutznießer einer Steuerhinterziehung dessen Zinsvorteil abzuschöpfen.

2. Hinterziehungszinsen können auch noch nach dem Tod des Steuerpflichtigen, der den Tatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht hat, festgesetzt werden. Art. 6 II MRK steht dem nicht entgegen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht deshalb verletzt, weil der Steuerpflichtige wegen seines Todes vor Gericht nicht mehr gehört werden kann.

Normen

§ 235 AO

 

Tatbestand:

Der im Mai 1984 verstorbene Ehemann (künftig E) der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war persönlich haftender Gesellschafter und Geschäftsführer der X-KG und an dieser mit 60 v. H. beteiligt. Bei einer Außenprüfung, die sich zunächst auf die Einkommensteuer 1977 bis 1981 der Klägerin und E erstreckte und infolge der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens gegen E auf den Prüfungszeitraum 1971 bis 1976 erweitert wurde, wurden folgende Abweichungen der von E erklärten und zu den von ihm tatsächlich erzielten Einnahmen aus Kapitalvermögen festgestellt:

lt. Einkommensteuer-

erklärung bzw. lt. Außenprüfung

nachträglicher Angabe

DM DM

1972 2 172 28 819

1973 2 334 47 644

1974 4 169 50 848

1975 6 833 45 735

1976 4 968 53 038

1977 3 395 56 010

1978 3 975 61 724

1979 10 695 74 339

1980 4 680 78 729

1981 9 026 115 515

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) änderte daraufhin die Einkommensteuerfestsetzungen 1972 bis 1981 entsprechend, wobei es - wie bisher und wie auch vom Prozeßbevollmächtigten der Klägerin beantragt - alle Zinseinnahmen E zurechnete. Auf den Einspruch der Klägerin ermäßigte das FA die Einkommensteuer insoweit, als in der Aufstellung des Betriebsprüfers Zinseinnahmen doppelt erfaßt waren (1972: 155 DM; 1973: 126 DM; 1974: 1 111 DM; 1975: 3 426 DM; 1976: 533 DM).

Mit Bescheid vom 10. Dezember 1985, der an die Klägerin als alleinige Rechtsnachfolgerin des E gerichtet war, setzte das FA Hinterziehungszinsen für hinterzogene Einkommensteuer 1972 bis 1981 für den Zeitraum der erstmaligen Fälligkeit bis zum Tag der Zahlung der Mehrsteuern (31. Oktober 1984) in Höhe von 94 798 DM fest.

Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) ermäßigte die Hinterziehungszinsen um 1 508 DM auf 93 290 DM, weil Zinseinnahmen zum Teil doppelt der Besteuerung zugrunde gelegt wurden und deshalb auch eine Minderung der Hinterziehungszinsen erforderlich war. Im übrigen wies das FG die Klage ab.

Das FG führt aus, das FA habe die Hinterziehungszinsen gegenüber der Klägerin als Rechtsnachfolgerin des E zu Recht festgesetzt. Gemäß § 235 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) seien hinterzogene Steuern zu verzinsen. Diese Vorschrift setze voraus, daß objektiv und subjektiv die Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung i. S. des § 392 der Reichsabgabenordnung (AO) bzw. § 370 AO 1977 vorliegen. Diese Voraussetzungen seien im Streitfall gegeben.

Mit der Revision rügt die Klägerin unrichtige Anwendung des § 235 AO 1977. Das FG habe ferner unter Mißachtung entscheidungserheblicher Beweisanträge versäumt, die notwendige Aufklärung herbeizuführen.

Die Klägerin trägt hierzu vor, der Versuch, eine Steuerhinterziehung nach dem Tod des Steuerbürgers festzustellen, verstoße gegen fundamentale Rechtsgrundsätze. Feststellungen über die Schuld eines Toten seien rechtlich nicht zulässig. Dieses Prinzip könne nicht auf das Strafverfahren beschränkt werden, sondern gelte auch in einem steuerlichen Verfahren.

Selbst wenn man diese Rechtsauffassung nicht teile, dürfte außer Frage stehen, daß hier strenge Anforderungen an eine schlüssige Beweisführung zu stellen seien. Gegen diesen Grundsatz habe das FG verstoßen. E sei in den letzten Jahrzehnten vor seinem Tode gezwungen gewesen, viele Monate in Krankenhäusern zuzubringen. Er sei an schwerer Diabetes erkrankt, hätte einen Herzinfarkt erlitten und hätte sich mehreren lebensgefährlichen Operationen unterziehen müssen. Nur medizinische Sachverständige seien in der Lage gewesen, eine zuverlässige Aussage über die strafrechtliche Verantwortlichkeit zu treffen. Die erkennenden Richter hätten zu keinem Zeitpunkt Gelegenheit gehabt, sich einen persönlichen Eindruck von der körperlichen und geistigen Verfassung des E zu verschaffen. Rückschlüsse aus angeblichem geschäftlichen Verhalten könnten fehlende Kenntnisse und medizinische Gutachten nicht ersetzen. Bei Zweifeln müsse uneingeschränkt der Grundsatz "in dubio pro reo" gelten.

Das FG habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt. Es habe einen entscheidungserheblichen Beweisantrag weitgehend übergangen.

Die Klägerin beantragt, den Zinsbescheid vom 10. Dezember 1985 ersatzlos aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das FA hält daran fest, daß die Festsetzung der Hinterziehungszinsen zu Recht erfolgt sei. E habe vorsätzlich Steuern hinterzogen. Die Erhebung weiterer Beweise sei nicht notwendig gewesen.

Entscheidungsgründe

1. Nach § 235 Abs. 1 AO 1977 sind hinterzogene Steuern zu verzinsen. Zinsschuldner ist derjenige, zu dessen Vorteil die Steuern hinterzogen worden sind. § 235 AO 1977 gilt für Zinsen, die für die Zeit nach dem 31. Dezember 1976 entstehen (Art. 97 § 15 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung - EGAO 1977 -). Für die Zeit davor richtet sich die Erhebung von Hinterziehungszinsen nach § 4 a des Steuersäumnisgesetzes (StSäumG), der im wesentlichen mit den Regelungen in § 235 AO 1977 übereinstimmt.

Die Erhebung von Hinterziehungszinsen setzt voraus, daß objektiv und subjektiv die Tatbestandsmerkmale einer Steuerhinterziehung i. S. des § 370 AO 1977 und für die Zeit vor dem 1. Januar 1977 die des § 392 AO vorliegen (vgl. urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 7. November 1973 I R 92/72, BFHE 111, 7, BStBl II 1974, 125; vom 6. November 1974 II R 18/72, BFHE 113, 426, BStBl II 1975, 129; BFH-Beschluß vom 12. November 1975 I B 72/75, BFHE 117, 340, 342, BStBl II 1976, 260). Hinterziehungszinsen dürfen nur bei einer vollendeten Steuerhinterziehung festgesetzt werden (BFH-Urteil vom 13. Dezember 1989 I R 39/88, BFHE 159, 188, BStBl II 1990, 340, 343). Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe hindern die Entstehung des Zinsanspruchs.

Bei der Erhebung von Hinterziehungszinsen handelt es sich nicht um eine Strafmaßnahme. Die Regelungen in § 235 AO 1977 und § 4 a StSäumG bezwecken vielmehr, beim Nutznießer einer Steuerhinterziehung dessen Zinsvorteil abzuschöpfen. Hierüber besteht in Rechtsprechung (BFH-Urteile vom 19. April 1989 X R 3/86, BFHE 156, 383, BStBl II 1989, 596, m. w. N.; vom 19. April 1989 X R 19/88, BFH/NV 1990, 73) und im Schrifttum (v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 235 AO 1977 Anm. 1; Koch/Höllig, Kommentar zur Abgabenordnung, 3. Aufl., § 235 AO 1977 Rz. 2; Kühn/Kutter/Hofmann, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 235 AO 1977 Bem. 1) Einvernehmen. Die Abschöpfung erfolgt bei einem Zinssatz von 6 v. H., wie Tipke/Kruse (Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 235 AO 1977 Tz. 1) mit Recht bemerken, in maßvoller Weise. Einen Vorteil i. S. des § 235 AO 1977 erlangt der Schuldner der hinterzogenen Steuer auch dann, wenn er an der Steuerhinterziehung nicht mitgewirkt hat (BFH-Urteil vom 11. Mai 1982 VII R 97/81, BFHE 136, 182, BStBl II 1982, 689). Der Vorteil liegt in der verspäteten Zahlung der geschuldeten Steuer.

Das FG hat selbständig zu entscheiden, ob die Voraussetzungen für die Erhebung von Hinterziehungszinsen gegeben sind. Eine strafrechtliche Verurteilung des Täters ist nicht erforderlich (vgl. z. B. BFH in BFHE 111, 7, BStBl II 1974, 125).

2. Das FG ist mit Recht davon ausgegangen, daß Hinterziehungszinsen noch nach dem Tod des E festgesetzt werden durften.

a) In der Rechtsprechung ist mehrfach ausgesprochen worden, daß auch nach dem Tod des den objektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung verwirklichenden Steuerpflichtigen festgestellt werden darf, er habe eine Steuerhinterziehung begangen. So hat der Reichsfinanzhof (RFH) entschieden, daß die verlängerte Festsetzungsfrist für hinterzogene Steuern auch für den Erben gilt (Urteil vom 14. Juni 1934 III A 152/34, RStBl 1934, 918). Im gleichen Sinn hat der BFH entschieden (Urteile vom 2. Dezember 1977 III R 117/75, BFHE 124, 302, BStBl II 1978, 359; vom 12. September 1985 VIII R 322/82, BFH/NV 1986, 131, 133). Auch die FG haben mehrfach ausgesprochen, daß hinterzogene Steuern noch nach dem Tod eines Steuerpflichtigen erhoben werden dürfen und daß hierbei zu prüfen ist, ob die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung vorliegen (FG München, Urteil vom 22. Februar 1988 XIII 30/86 E, nrkr., Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1988, 545; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. Dezember 1988 5 K 158/88, nicht veröffentlicht - n. v. -; Niedersächsisches FG, Urteil vom 19. Januar 1989 VI 444/87, n. v.; FG Köln, Urteil vom 7. Juni 1990 2 K 2513/88, rkr., EFG 1991, 107; FG Münster, Urteil vom 18. Oktober 1990 VI 2303/89 E, n. v.).

b) Die Ausführungen der Klägerin in der Revisionsbegründung erfordern nicht, von dieser Rechtsprechung abzugehen.

aa) Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i. V. m. § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und § 91 AO 1977 gewährleistet den Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit, sich zu den der Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern (Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 9. März 1965 2 BvR 176/63, BVerfGE 18, 399, 404 ; vom 11. Mai 1965 2 BvR 242/63, BVerfGE 19, 32, 36; vom 11. Oktober 1978 2 BvR 214/76, BVerfGE 49, 325, 328 ; BFH-Urteil vom 30. Oktober 1986 IV R 175/84, BFHE 148, 119, BStBl II 1987, 89, 92).

Diese Grundsätze sind entgegen der Auffassung der Klägerin, die sich hierbei auf die Ausführungen von Streck/Rainer (Steuer und Wirtschaft - StuW - 1979, 267) stützen, nicht deshalb verletzt, weil E nach seinem Tod nicht mehr vor Gericht gehört werden konnte. Anspruch auf rechtliches Gehör haben die am Verfahren jeweils Beteiligten. Dies ist im Streitfall die Klägerin, nicht E. Diese hatte ausreichend Gelegenheit, sowohl vor dem FA als auch vor dem FG ihre Auffassung zu den Sach- und Rechtsfragen darzulegen.

bb) Die Klägerin ist auch bei Anlegung dieses Maßstabs in ihren Rechten ausreichend geschützt. Gehört zum Tatbestand einer steuerrechtlichen Norm die Begehung einer strafbaren Handlung, trägt die Finanzbehörde die objektive Feststellungslast (Beweislast) für das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale der strafbaren Handlung, und zwar auch in subjektiver Hinsicht (BFH-Beschluß vom 5. März 1979 GrS 5/77, BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570; BFH-Urteil vom 21. Oktober 1988 III R 194/84, BFHE 155, 232, BStBl II 1989, 216, 219). Das ergibt sich schon daraus, daß im finanzgerichtlichen Verfahren die objektive Feststellungslast (Beweislast) für die Tatsachen, die den Steueranspruch begründen, beim Steuergläubiger liegt. Für die Feststellung einer Steuerhinterziehung, die nach § 76 Abs. 1 Sätze 1 und 5 FGO von Amts wegen zu treffen ist, ist kein höherer Grad von Gewißheit erforderlich als für die Feststellung anderer Tatsachen, für die das FA die Feststellungslast trägt (BFH in BFHE 127, 140, BStBl II 1979, 570; in BFHE 155, 232, BStBl II 1989, 216, 219; Klein/Orlopp, Kommentar zur Abgabenordnung, 4. Aufl., § 235 Anm. 2, § 169 Anm. 7 c, m. w. N.; Kühn/Kutter/Hofmann, a. a. O., § 235 Bem. 2).

Der persönliche Eindruck vom Steuerpflichtigen kann - z. B. dort, wo sich aus Äußerungen des Steuerpflichtigen, Urkunden oder sonstigen Indizien eindeutig ein Hinterziehungsvorsatz ergibt - für die Überzeugungsbildung des Gerichts ohne Bedeutung sein. Er kann aber auch zur Überzeugungsbildung notwendig sein, wenn die besonderen Umstände des jeweiligen Einzelfalles ohne Anhörung des verstorbenen Steuerpflichtigen nicht ausreichend geklärt werden können. Zweifel gehen zu Lasten der Finanzbehörde (FG Köln in EFG 1991, 107). Das neuere Schrifttum geht von den gleichen Grundsätzen aus (Ruban in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 169 AO 1977 Rz. 40; v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 235 AO 1977 Anm. 8; Koch/Höllig, a. a. O., § 235 Rz. 4; Tipke/Kruse, a. a. O., § 169 AO 1977 Tz. 11; Weyand, Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht - wistra - 1989, 135, 138; Bublitz, Deutsches Steuerrecht - DStR - 1990, 438, 443).

cc) Der Erhebung von Hinterziehungszinsen nach dem Tod des Erblassers steht Art. 6 Abs. 2 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - MRK - (BGBl II 1952, 685, 953) nicht entgegen.

Nach dieser Vorschrift wird bis zum gesetzlichen Nachweis einer Schuld vermutet, daß der wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist.

Die Klägerin entnimmt dieser Vorschrift in Übereinstimmung mit Streck/Rainer (StuW 1979, 267, 270), daß sie jede Schuldfeststellung nach dem Tod eines Bürgers - und sei es nur nebenbei als Vorfrage - zwingend ausschließe.

Dieser Auffassung wird Art. 6 Abs. 2 MRK nicht gerecht. Die Unschuldsvermutung der Menschenrechtskonvention gilt für Sanktionen im konkreten Strafverfahren (vgl. BVerfG-Beschluß vom 26. März 1987 2 BvR 589/79 u. a. , Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1987, 2427), nicht für steuerrechtliche oder zivilrechtliche Ansprüche aufgrund einer strafbaren Handlung (FG München in EFG 1988, 545; v. Wallis in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a. a. O., § 235 AO 1977 Anm. 8; Weyand, wistra 1989, 135, 138). Die Unschuldsvermutung geht auch bei strafrechtlichen Sanktionen nicht so weit, daß die Erben eines verstorbenen Angeklagten Anspruch auf Erstattung der diesem entstandenen notwendigen Auslagen haben (vgl. Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 25. August 1987 Nr. 9/1986/107/155 - Fall Englert -, NJW 1988, 3257 ; Beschluß des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 3. Oktober 1986 2 StR 193/86, NJW 1987, 661). Dem BFH-Urteil vom 21. Juni 1989 X R 20/88 (BFHE 157, 397, BStBl II 1989, 831), das sich mit der Frage befaßt, ob Strafverteidigungskosten bei fehlender rechtskräftiger Verurteilung als außergewöhnliche Belastung abziehbar sein können, kann nichts Gegenteiliges entnommen werden.

Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat in ständiger Rechtsprechung die Einbeziehung steuerrechtlicher Verfahren - abgesehen von Steuerstrafverfahren - in den Schutzbereich des Art. 6 MRK abgelehnt (Nachweise bei Mössner, StuW 1991, 224, 226). Angesichts des Wortlauts der Konvention und ihrer Entstehungsgeschichte ist eine andere Auslegung nicht möglich (Mössner, a a. O.). Auch Frowein/Peukert (Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 1985, Art. 6 Rz. 111 ff.) beziehen steuerrechtliche Ansprüche nicht in den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 2 MRK ein.

3. Das FG ist von diesen Grundsätzen ausgegangen. Es hat nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entschieden, daß E durch unrichtige Angaben Einkommensteuer hinterzogen hat, die auf Einnahmen aus Kapitalvermögen zu erheben war. Dies ist nicht zu beanstanden.

a) Nach § 370 Abs. 1 AO 1977 begeht eine Steuerhinterziehung, wer den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt. Entsprechendes gilt für die Zeit vor dem 1. Januar 1977 aufgrund von § 392 AO.

Einnahmen aus Kapitalvermögen bezieht, wer Kapitalvermögen gegen Entgelt zur Nutzung überläßt (ständige Rechtsprechung des BFH, z. B. Urteil vom 24. April 1990 VIII R 170/83, BFHE 160, 256, BStBl II 1990, 539). E hat ihm zugeflossene Einnahmen aus Kapitalvermögen, die in ihrer Höhe zwischen den Beteiligten nicht mehr streitig sind, in seinen Steuererklärungen nicht angegeben und dadurch die darauf entfallende Einkommensteuer verkürzt.

b) Nach den Feststellungen des FG hat E schuldhaft gehandelt.

Nach § 118 Abs. 2 FGO ist der BFH an die im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden, es sei denn, daß in bezug auf diese Feststellungen zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht sind. Zu den der Bindung unterliegenden Feststellungen gehören auch die Schlußfolgerungen tatsächlicher Art. Die Bindung entfällt nur dann, wenn die Folgerungen mit den Denkgesetzen oder Erfahrungssätzen unvereinbar sind. Die Gesamtwürdigung durch das FG bindet das Revisionsgericht auch dann, wenn sie zwar nicht zwingend, aber möglich ist (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 118 Anm. 39 ff.).

Die Würdigung des FG im Streitfall verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze. Das FG konnte zu dem Schluß kommen, daß E wissentlich und willentlich die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale verwirklicht, also vorsätzlich gehandelt hat. Wenn es in diesem Zusammenhang besonders darauf abstellte, E habe seinen Sohn aufgefordert, von E erhaltene Geldzuwendungen zu Lebzeiten nicht zu verwenden, damit er - E - keinen Ärger mit dem FA bekomme, so ist dies nicht zu beanstanden.

Das FG konnte aufgrund der von ihm im einzelnen angeführten Umstände auch zu der Überzeugung kommen, daß E schuldfähig war. Wenn das FG hierbei die langjährige Führung der Geschäfte einer großen Firma, den Abschluß mehrerer notarieller Verträge, umfangreiche Bankgeschäfte, Verhandlungen mit dem FA und die Abgabe jährlicher Steuererklärungen im Benehmen mit dem Steuerberater erwähnt und dabei darauf hinweist, daß keiner der Geschäftspartner Zweifel an der Geschäftsfähigkeit des E geäußert hätte, so ist in dieser Würdigung weder ein Verstoß gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze zu sehen.

c) Die von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensrüge - Nichterheben von Beweisen - greift nicht durch. Der Senat sieht gemäß Art. 1 Nr. 8 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs insoweit von einer Begründung ab.

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