BFH

BFHIV R 52/8327.2.1986

Amtlicher Leitsatz:

Zum Zeitpunkt der Gewinnrealisierung bei Veräußerungsgeschäften.

Normen

§ 5 Abs. 1 EStG

 

Tatbestand:

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine OHG, betreibt ein Furnierwerk und einen Großhandel mit Furnier. Im Furnierwerk stellt sie aus eigenen Rundhölzern Furniere her; außerdem fertigt sie im Lohnschnittverfahren Furniere aus durch Kunden angelieferten Rundhölzern.

Die Klägerin verwandte im Streitjahr 1973 Auftragsformulare, die auf der Vorderseite wie folgt lauteten: "Ich verkaufe Ihnen ab Werk, nach Besichtigung, nach Musterblättern, nach besprochener Auswahl zu umstehenden Bedingungen: ... Liefertermin, ... Verpakkung: ... Versandadresse: ... Zahlungsbedingungen: ... Holz und Furniere lagern auf Gefahr des Auftraggebers und ohne jede Versicherung des Lagerhalters. Wird Transport-, Feuer- usw. Versicherung gewünscht, so wird diese soweit wie möglich und nur aufgrund eines besonderen Antrags besorgt. Auch für durch Diebstahl abhanden gekommene und durch Streik, Aufruhr, Unruhen usw. beschädigte Waren entsteht keine Haftpflicht, umseitige Bedingungen zur Kenntnis genommen und anerkannt." Auf der Rückseite der Auftragsformulare waren allgemeine "Verkaufs- und Lieferbedingungen" abgedruckt.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) vertrat im Zusammenhang mit einer Betriebsprüfung die Auffassung, daß die Klägerin Furniere, welche sie im Streitjahr 1973 nach Maßgabe der oben wiedergegebenen Auftragsformulare verkauft, aber am Bilanzstichtag noch nicht an die Käufer ausgeliefert und in Rechnung gestellt habe, nicht mehr als Vorräte ausweisen dürfe, sondern statt dessen Kundenforderungen aktivieren müsse. Die Klägerin habe die verkauften Furniere von ihren Vorräten getrennt gelagert. Aus der Klausel "Holz und Furniere lagern auf Gefahr des Auftraggebers" ergebe sich, daß die Klägerin die Furniere im Wege des Besitzkonstituts (§ 930 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) übergeben und damit auch das Eigentum übertragen habe. Ein schwebendes Geschäft liege somit nicht mehr vor.

Das FA verminderte den Bilanzansatz für Vorräte um 316 287 DM und erhöhte die Kundenforderungen um 567 684 DM. Hieraus ergab sich unter Berücksichtigung einer Pauschalwertberichtigung und zweier Rückstellungen eine Gewinnerhöhung um 164 204 DM.

Auf dieser Grundlage erließ das FA einen geänderten Gewinnfeststellungsbescheid für 1973.

Den Einspruch wies das FA zurück.

Auch die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, daß eine Aktivierung der Kaufpreisforderungen für die im Streitjahr verkauften, aber noch nicht ausgelieferten Furniere geboten gewesen sei.

Mit der Revision beantragt die Klägerin, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Gewinnfeststellungsbescheid 1973 dahin zu ändern, daß der Gewinn auf ... DM festgestellt wird, hilfsweise die Sache an das FG zurückzuverweisen. Die Klägerin rügt Verletzung materiellen Rechts und unzureichende Sachaufklärung sowie Verstoß gegen allgemeine Erfahrungssätze.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Bei einer Gewinnermittlung durch Vermögensvergleich (§ 5 i. V. m. § 4 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes - EStG -) tritt eine Vermögensmehrung (Gewinn) in Erscheinung, wenn an Stelle eines veräußerten Wirtschaftsguts eine Geldforderung mit einem höheren Nennwert als dem Buchwert des veräußerten und nicht mehr zu bilanzierenden Wirtschaftsguts angesetzt wird. Nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung, die gemäß § 5 Abs. 1 EStG auch für die Gewinnermittlung zum Zwecke der Einkommensbesteuerung maßgeblich sind, dürfen Gewinne in der angegebenen Weise erst ausgewiesen werden, wenn sie am Abschlußstichtag "realisiert sind" (vgl. nunmehr § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 HGB in der Fassung des Bilanzrichtlinien-Gesetzes vom 19. Dezember 1985, BGBl I, 2355, BStBl I 1986, 94). Realisationszeitpunkt in diesem Sinne ist für Gewinne aus entgeltlichen Veräußerungsgeschäften anerkanntermaßen nicht bereits der Zeitpunkt des Abschlusses des schuldrechtlichen Veräußerungsgeschäftes, insbesondere eines Kaufvertrags. Denn Forderungen und Schulden aus einem schwebenden Geschäft dürfen nach handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung grundsätzlich nicht aktiviert und passiviert werden. Verwirklicht ist der Gewinn aus einem entgeltlichen Veräußerungsgeschäft für den Veräußerer vielmehr erst, wenn der Veräußerer den Vertrag "wirtschaftlich erfüllt" hat (z. B. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 14. Dezember 1982 VIII R 53/81, BFHE 137, 339, 342, BStBl II 1983, 303), insbesondere "die vereinbarte Lieferung oder Leistung erbracht hat" (BFH-Urteil vom 22. August 1984 I R 198/80, BFHE 142, 370, 375, BStBl II 1985, 126); denn damit reduziert sich das Kaufpreisrisiko des Veräußerers aus dem Veräußerungsgeschäft darauf, daß der Käufer Gewährleistungsansprüche geltend macht oder sich als zahlungsunfähig erweist (vgl. BFH-Urteil vom 29. November 1973 IV R 181/71, BFHE 111, 89, 92, BStBl II 1974, 202).

2. Durch einen Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen (§ 433 Abs. 1 Satz 1 BGB). Sofern nichts anderes vereinbart ist, gehen mit der Übergabe der verkauften Sache Nutzen und Lasten sowie insbesondere die Gefahr des zufälligen, d. h. von keiner der Vertragsparteien zu vertretenden Untergangs oder einer zufälligen Verschlechterung der verkauften Sache auf den Käufer über (§ 446 Abs. 1 BGB). Die sog. Preisgefahr wird damit auf einen Zeitpunkt vor dem Übergang des rechtlichen Eigentums auf den Käufer vorverlegt. Übergabe ist die Verschaffung des unmittelbaren Besitzes, es sei denn, die Vertragsparteien haben vereinbart, daß ausnahmsweise die Verschaffung des mittelbaren Besitzes ausreicht.

Danach ist davon auszugehen, daß beim Verkauf einer beweglichen Sache der Verkäufer im Regelfall den Kaufvertrag "wirtschaftlich erfüllt" hat (und damit Gewinn realisiert ist), wenn er die verkaufte Sache dem Käufer mit den Rechtsfolgen des § 446 Abs. 1 BGB übergeben hat (z. B. BFH-Urteil vom 5. Mai 1976 I R 121/74, BFHE 119, 59, 61, BStBl II 1976, 541) und wenn er zugleich dem Käufer die verkaufte Sache auch, zumindest aufschiebend bedingt, wie z. B. beim Verkauf unter Eigentumsvorbehalt, übereignet hat, dieser also zwar nicht rechtlicher, aber doch wirtschaftlicher Eigentümer der verkauften Sache geworden ist und deshalb die verkaufte Sache bilanzrechtlich nicht mehr dem Verkäufer, sondern dem Käufer zuzurechnen ist. Mit der Verwirklichung dieses Sachverhalts hat der Verkäufer "geliefert"; seine Preisgefahr reduziert sich auf Gewährleistungsansprüche und Zahlungsunfähigkeit des Käufers.

3. Für den Streitfall kann der Senat der Vorentscheidung nicht darin beipflichten, daß die Klägerin die Kaufverträge über die am Bilanzstichtag verkauften, von den Käufern aber noch nicht abgerufenen Furniere "wirtschaftlich erfüllt" und deshalb in ihrem Jahresabschluß an Stelle der Ware die Kaufpreisforderungen auszuweisen hatte.

Die Vorentscheidung meint, die Klägerin habe bis auf die vertragsmäßig aufgeschobene Übereignung der Furniere bereits im Streitjahr alle wesentlichen Pflichten als Verkäuferin erfüllt. Sie habe nämlich die vom jeweiligen Käufer ausgewählte Ware durch Kennzeichnung ausgesondert, diese zum Abruf bereitgehalten und die Übereignung dadurch vorbereitet, daß sie den Käufern mit der Vereinbarung, die Ware für sie auf deren Gefahr aufzubewahren, mittelbaren Besitz verschafft habe. Damit sei zwar kein Eigentumsübergang eingetreten; dieser sei aber für eine Gewinnrealisierung auch nicht erforderlich.

Dem kann der Senat im Ergebnis nicht folgen.

Entscheidend erscheint dem Senat, daß die Käufer im Streitjahr weder rechtliche noch wirtschaftliche Eigentümer der verkauften Furniere geworden sind, weil die Waren im tatsächlichen Herrschaftsbereich der Klägerin verblieben sind, eine Einigung über einen (wenigstens aufschiebend bedingten) Eigentumsübergang nicht festgestellt ist und entgegen der Annahme des FG zivilrechtlich nicht zweifelsfrei ist, daß die Gefahr des zufälligen Untergangs und der zufälligen Verschlechterung der verkauften Ware bereits mit Abschluß des jeweiligen Kaufvertrags und der Kennzeichnung der Ware als "verkauft" auf den jeweiligen Käufer übergegangen ist. Zu Recht betont die Revision, daß die von der Klägerin für den Verkauf von Furnieren verwendeten Auftragsformulare widersprüchlich oder doch zumindest nicht eindeutig sind. In diesen Formularen heißt es zwar, daß "Holz und Furniere ... auf Gefahr des Auftraggebers und ohne jede Versicherung des Lagerhalters" lagerten und für "durch Diebstahl abhanden gekommene und durch Streik, Aufruhr, Unruhen usw. beschädigte Waren" keine Haftpflicht entstehe. Andererseits hat sich die Klägerin aber in den "umseitigen" vom Käufer anerkannten "Verkaufs- und Lieferbedingungen" das Recht zum Rücktritt vom Vertrag bei "Ereignissen höherer Gewalt" sowie "Transport- und Betriebsstörungen" vorbehalten. Diese Bestimmung wäre unverständlich, wenn davon auszugehen wäre, daß die sog. Preisgefahr zweifelsfrei bereits auf den Käufer übergegangen ist und die Klägerin daher ihren Kaufpreisanspruch nur noch bei einem Untergang oder einer Verschlechterung der Ware verlieren könnte, den sie selbst zu vertreten hat.

Einer abschließenden Prüfung und Entscheidung, wie die von der Klägerin abgeschlossenen Kaufverträge auszulegen sind, bedarf es jedoch in diesem Verfahren nicht. Für die Verneinung einer Gewinnrealisierung im Streitjahr reicht es bereits aus, daß die Kaufpreisforderungen der Klägerin aus den fraglichen Kaufverträgen mangels Eindeutigkeit der vertraglichen Regelung mit gewissen Streitrisiken belastet waren, die über das bloße Gewährleistungs- und Forderungsausfallrisiko hinausgehen. Nach den Besonderheiten des Streitfalls ist ein solches zusätzliches, die Gewinnrealisierung ausschließendes Risiko auch darin zu sehen, daß die Klägerin ihre Kaufpreisansprüche jedenfalls dann verloren hätte, wenn die verkaufte Ware vor ihrem Abruf durch die Käufer durch Ereignisse vernichtet oder beschädigt worden wäre, die von der Klägerin zu vertreten sind. Dies entspricht zwar der allgemeinen Regel des § 446 BGB und steht daher einer Gewinnrealisierung grundsätzlich nicht entgegen. Anders ist dies jedoch ausnahmsweise, wenn, wie im Streitfall, die verkaufte Ware ausschließlich im tatsächlichen Herrschaftsbereich des Verkäufers verbleibt, weil in diesem Falle das Risiko, daß der Käufer bei einem Untergang oder einer Beschädigung der Ware die Zahlung des Kaufpreises mit der Begründung zu verweigern versucht, der Verkäufer habe diese Ereignisse zu vertreten, naturgemäß weit höher als im Regelfalle ist.

Danach sind die Vorentscheidung sowie die Einspruchsentscheidung und der Gewinnfeststellungsbescheid, soweit sie mit der vorstehenden rechtlichen Beurteilung nicht vereinbar sind, aufzuheben; die neue Gewinnfeststellung nach Maßgabe der Entscheidungsgründe des Senats obliegt dem FA (Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit).

Stichworte