BFH

BFHI R 153/7721.1.1981

Amtlicher Leitsatz:

1. Art. 5 DBA-Frankreich, der im Falle eines über die Grenze reichenden Verbundes rechtlich selbständiger Unternehmen eine Korrektur der steuerpflichtigen Gewinne zugunsten des einen oder anderen Vertragsstaates erlaubt, begründet unmittelbar keine Steuerpflicht. Er enthält lediglich eine Ermächtigung an den Gesetzgeber jedes Vertragsstaates, in den anderen Staat verlagerte Gewinne durch innerstaatliches Gesetz zu besteuern.

2. Auch nach Inkrafttreten der Vereinfachungsnovelle (1. Juli 1977) muß der Tatbestand eines finanzgerichtlichen Urteils ein wenn auch knapp gehaltenes klares, vollständiges und in sich abgeschlossenes Bild des Streitstoffes unter Hervorhebung der Anträge der Beteiligten enthalten. Bei der Verweisung auf Schriftsätze und andere Unterlagen müssen diese und der Gegenstand des in Bezug Genommenen hinreichend genau bezeichnet werden. Allgemeine Bezugnahmen auf Akten und Beiakten sind nicht zulässig.

Normen

Art. 5 DBA-Frankreich
§ 105 Abs. 2 Nr. 4 Abs. 3 FGO

FG Saarbrücken

 

Tatbestand:

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) - eine KG - hatte 1964 der B S. A. in Frankreich, an der sie mit 88 v. H. beteiligt war, Forderungen im Gesamtbetrag von ... DM erlassen. Bei der einheitlichen und gesonderten Feststellung des Gewinns der Klägerin für 1964 sah der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) in dem Forderungserlaß keinen betrieblichen Vorgang; in Höhe des erlassenen Betrages liege eine gesellschaftsrechtliche Einlage vor, die zu zusätzlichen Anschaffungskosten für die Beteiligung führe. Eine Teilwertabschreibung auf die Beteiligung selbst komme nicht in Betracht. Der Einspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) hat nach Beiladung der Gesellschafter die Klage abgewiesen. Nach Art. 5 des hier anzuwendenden Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung vom 21. Juli 1959 - DBA -Frankreich - (BGBl II 1961, 398, BStBl I 1961, 343) könnten die begehrten Gewinnminderungen bei der Besteuerung in der Bundesrepublik Deutschland nicht berücksichtigt werden.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Revision, mit der Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

Entscheidungsgründe

1. Das FG hat, obwohl sich aus mehreren Stellen der Urteilsgründe ergibt, daß es dazu neigt, einen betrieblichen Anlaß für den Forderungsverzicht gegenüber der B S. A. zu bejahen, die steuerliche Berücksichtigung unter Hinweis auf Art. 5 DBA-Frankreich abgelehnt. Diese Vorschrift bietet aber keine selbständige Rechtsgrundlage für die Erhöhung der Einkünfte der Klägerin. Sie erlaubt lediglich im Falle, daß ein über die Grenzen reichender Verbund rechtlich selbständiger Unternehmen vorliegt, eine Gewinnkorrektur: Es "können Gewinne, die ohne diese Bedingungen (den Unternehmensverbund) einem der Unternehmen zugeflossen wären, aber infolge dieser Bedingungen nicht zugeflossen sind, den Gewinnen dieses Unternehmens zugerechnet und entsprechend besteuert werden". Mit dem Wort "können" ist zunächst klargestellt, daß es Sache der nationalen Besteuerung ist, auf welche Weise und inwieweit sie solche Gewinnverlagerungen erfassen will. Eine derartige Ermächtigung in einem DBA wendet sich nicht an die Verwaltung, sondern an den Gesetzgeber jedes der Vertragsstaaten. In der zu einer vergleichbaren Gewinnkorrekturvorschrift (Art. 6 DBA-Niederlande) ergangenen Entscheidung vom 12. März 1980 I R 186/76 (BFHE 130, 296, BStBl II 1980, 531) hat dies der erkennende Senat unter Hinweis auf schon bestehende Rechtsprechung ausdrücklich hervorgehoben. Es liegt nicht im Ermessen der Verwaltung, welche Sachverhalte sie der innerstaatlichen Besteuerung unterwerfen will. Es können jeweils nur solche Vorgänge und Gegenstände besteuert werden, die unter den Tatbestand eines innerstaatlichen Steuergesetzes zu subsumieren sind. Fehlt eine solche innerstaatliche Vorschrift, so liefe die direkte Anwendung der Gewinnkorrekturvorschrift eines DBA auf eine unzulässige Erweiterung der Steuerpflicht hinaus.

2. Die Feststellungen des FG erlauben dem Senat keine Beurteilung, ob sich die Vorentscheidung aus anderen Gründen halten läßt (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung - FGO -). Das FG hat verschiedene Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten für die Begründung und den späteren Erlaß der Forderungen gegen die B S. A. in Erwägung gezogen, diese aber nicht in tatsächlichen Feststellungen konkretisiert, die das Revisionsgericht binden und Grundlage für dessen Entscheidung sein könnten. Im Tatbestand des Urteils wird nur Prozeßgeschichte gebracht und auf die Einspruchsentscheidung des FA Bezug genommen, die aber ebenfalls nichts Näheres zum Sachverhalt enthält. Dort wird lediglich auf einen Betriebsprüfungsbericht verwiesen. Auf die ausführliche Darstellung der Klägerin in ihrer Klagebegründung ist das FG nicht eingegangen. Seine Schlußfolgerung, die Klägerin hätte einem von ihr unabhängigen Unternehmen keinen Forderungserlaß gewährt, was übrigens den Ausführungen an anderer Stelle des Urteils widerspricht, ist somit durch tatsächliche Feststellungen nicht belegt.

Die Entscheidung des FG entspricht somit nicht den Mindestanforderungen, die an den Inhalt eines Urteils gestellt werden müssen. Es fehlt an der hinreichenden Darstellung des Tatbestandes (§ 105 Abs. 2 Nr. 4 FGO). Das mit Wirkung vom 1. Juli 1977 eingefügte § 105 Abs. 3 FGO (vgl. Art. 5 Nr. 3, Art. 10 Nr. 4, Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren - Vereinfachungsnovelle - vom 3. Dezember 1976, BGBl I 1976, 3281) schreibt für den Tatbestand eines finanzgerichtlichen Urteils vor, daß der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen ist; wegen Einzelheiten soll auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt, verwiesen werden. Im Gegensatz zum früheren Rechtszustand ist im Tatbestand zwar keine ins einzelne gehende Darstellung des gesamten Sach- und Streitstandes mehr geboten, und es reicht aus, daß die erforderlichen Mindestangaben enthalten sind. Der Tatbestand des Urteils muß aber in sich verständlich sein. Die Darstellung muß ein knapp gehaltenes, klares, vollständiges und in sich abgeschlossenes Bild des Streitstoffes in logischer Folge und unter Hervorhebung der Anträge der Beteiligten enthalten. Das Gesetz will den Richter nur von Schreibarbeit, aber nicht von der gewissenhaften Erfassung und gedanklichen Ordnung des Sachverhaltes entlasten (vgl. Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 39. Aufl., § 313 Anm. 6; Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung, 11. Aufl., § 313 Anm. IV A; Ziemer/Birkholz, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 105 RdNr. 12; hinsichtlich des früheren Rechtszustandes vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 1. April 1977 VI R 83/74, BFHE 122, 227, BStBl II 1977, 642). Bei der Verweisung auf Schriftsätze oder andere Unterlagen müssen diese und der Gegenstand des in Bezug Genommenen hinreichend genau bezeichnet werden. Nur auf diese Weise kann vermittels Bezugnahme wegen Einzelheiten ein ausreichendes Bild des Sach- und Streitstandes gewonnen werden. Fehlende tatsächliche Feststellungen können nicht, wie in der Vorentscheidung ebenfalls geschehen, durch allgemeine Bezugnahmen auf die Prozeßakten und Beiakten ersetzt werden (BFH-Urteil vom 5. März 1968 II R36/67, BFHE 92, 416, BStBl II 1968, 610). Gibt der Tatbestand eines angefochtenen Urteils einschließlich der in Bezug genommenen Schriftstücke den zum Verständnis seines Inhalts erforderlichen Sach- und Streitstand nicht hinreichend wieder, bildet die Entscheidung keine Grundlage für deren sachliche Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Dieser Mangel ist ohne ausdrückliche Verfahrensrüge von Amts wegen zu berücksichtigen (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 11.NJuni 1970 V AZR 460/69, Neue Juristische Wochenschrift 1970 S. 1812).

3. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FG wird anhand der Grundsätze des innerstaatlichen Einkommensteuerrechts prüfen, inwieweit die in Rede stehenden Forderungen der Klägerin gegen die B S. A. in Frankreich aus betrieblichem Anlaß begründet worden sind, ob ggf. durch den Forderungserlaß oder die Abschreibung der Tatbestand der verdeckten Einlage erfüllt ist und ob weiterhin dem Begehren der Klägerin auf eine Teilwertabschreibung ihrer Beteiligung Rechnung getragen werden kann. Da das FG hierzu noch keine hinreichenden Feststellungen getroffen hat, ist der Senat aus revisionsrechtlichen Gründen zu einer Stellungnahme nicht in der Lage.

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