BFH

BFHV R 30/717.5.1975

Amtlicher Leitsatz:

Die Bergung von Kies aus dem Meer im Auftrage Dritter kann eine Lieferung oder eine sonstige Leistung sein. Die Beförderung des an Bord genommenen Materials an Land ist in jedem Falle als Nebenleistung zur Bergung nicht steuerfrei. Soweit dem BFH-Urteil vom 20. Mai 1965 V 32/63 U (BFHE 82, 695, BStBl III 1965, 497) etwas anderes zu entnehmen ist, hält der Senat daran nicht mehr fest.

Normen

§ 4 Nr. 9 UStG 1951
§ 35 Abs. 1 Nr. 1 UStDB 1951

 

Tatbestand:

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Fuhrunternehmer. Er führt mittels zweier Frachtkähne auch Frachtfahrten auf dem Wasser aus. Diese Kähne hatte er im Veranlagungszeitraum 1965 nach entsprechender fernmündlicher Auftragserteilung auch dazu eingesetzt, in den seichten Gewässern um die Insel X Seekies zu bergen und am Kai anzulanden. Von dort wurde der Kies entweder von den Auftraggebern abgeholt oder ihnen vom Kläger mit eigenem Kraftfahrzeug (Kfz) zugeführt. Nach den Geschäftsbedingungen des Klägers galten seit März/April 1965 für diese Aufträge die Bestimmungen der §§ 425 ff. HGB für Frachtführer.

Während der Kläger die Umsätze aus der Bergung und Anlandung von Seekies als nach § 4 Nr. 9 UStG 1951 i. V. m. § 35 Abs. 1 Nr. 1 UStDB 1951 steuerfrei ansah, unterwarf der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) diese Umsätze der Steuer zum allgemeinen Steuersatz von 4 v. H. (Bescheid vom 14. Februar 1966). Einspruch und Klage blieben ohne Erfolg. Das FG führte zur Begründung seiner Entscheidung aus:

Der Kläger habe zwar nach seinen den Auftraggebern bekannten Geschäftsbedingungen den Seekies nicht für sich selbst bergen und auf Grund von Kaufvereinbarungen an seine Abnehmer liefern wollen (Aneignung unter gleichzeitiger Begründung von Eigenbesitz der Auftraggeber als Besitzmittler und unmittelbarer Fremdbesitzer -- Frachtführer --: §§ 958, 868 BGB; Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 29. Aufl., Anm. 2 b zu § 958). Soweit der Kläger auf einer Bergungsfahrt Kies für mehrere Auftraggeber zugleich geborgen habe, hätten diese das Eigentum an dem Kies nur erlangen können, wenn sie durch Besitzmittlung des Klägers Mitbesitzer (§ 866 BGB) und durch Aneignung mit Hilfe des Klägers Miteigentümer der Gesamtmenge des Kieses geworden seien. Alsdann habe die Bruchteilsgemeinschaft wieder auseinandergesetzt und der Mitbesitz am ganzen in Alleinbesitz an bestimmten Mengen umgewandelt werden müssen.

Eine umsatzsteuerfreie Beförderung liege indes gleichwohl nicht vor, da die Beförderungsleistung nicht den alleinigen Gegenstand oder -- im Zusammentreffen mit der Bergungsleistung -- eine selbständige Hauptleistung gebildet habe. Die Beförderung des Kieses und seine Bergung -- als die Hauptleistung -- stellten vielmehr einen einheitlichen Vorgang dar, so daß die Beförderungskosten ein Teil des zu versteuernden Lieferungsentgelts seien (Urteil des BFH vom 20. Mai 1965 V 32/63 U, BFHE 82, 695, BStBl III 1965, 497). Dem Kläger könne -- abstellend auf die wirtschaftliche Bedeutung eines jeden der beiden Vorgänge -- nicht darin gefolgt werden, daß die Beförderung des Kieses die Hauptleistung, die Bergung aber die Nebenleistung gewesen sei. Entscheidend sei, worauf es den Auftraggebern in erster Linie angekommen sei. Mit der Bergung von Kies und der damit verbundenen Verschaffung des Mit- oder Alleineigentums sei den Bestellern nicht gedient gewesen. Sie hätten den Kies in der bestellten Menge an Land tatsächlich zur Verfügung gestellt und übergeben erhalten wollen, um ihn wirtschaftlich verarbeiten zu können. Denn die Besteller seien Bauunternehmer, die den Kies benötigt hätten, weil es auf den Inseln X und Y kein Kiesvorkommen gebe. Die Verschaffung des unmittelbaren Besitzes und des Eigentums an einer bestimmten Menge Seekies sei deshalb der Zweck des zu den Geschäftsbedingungen des Klägers abgeschlossenen Bergungsvertrages. Der Fall sei deshalb nicht anders als ein Lieferungsvertrag zu beurteilen; in beiden Fällen diene die Beförderung der Erfüllung des Vertragszwecks und sei deshalb Nebenleistung, dort zur Lieferung, hier zur Kiesbeschaffung durch Bergung.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers mit dem Antrag, unter Aufhebung der Vorentscheidung und Änderung des angefochtenen Bescheides die streitigen Umsätze in Höhe von ... DM von der Umsatzsteuer freizustellen. Zur Begründung trägt er vor:

Die Bergung von Kies und seine für den Transport notwendige Übernahme auf das Schiff seien Nebenleistungen der Beförderungsleistung. Der Kläger befördere überwiegend Schüttgut, das er mit Hilfe der auf seinen Schiffen montierten Seilzugbagger an Bord nehme und auch wieder lösche. Die Bergung von Kies werde genauso gehandhabt wie das Laden und Löschen von Schüttgut oder anderem Ladegut, das vom Festland zu den Inseln verbracht werde. Das Interesse des Klägers an den hier streitigen Aufträgen liege allein in der Beförderungsleistung; er nehme die Bergung von Kies als Aneignung für Dritte vor, gebrauche ihn selbst nicht, handele auch nicht mit Kies und führe ihn auch nicht auf Vorrat. Er sei lediglich Fuhrunternehmer und transportiere den Kies dahin, wohin seinen Auftraggeber es wünschten. Auch seinen Auftraggebern sei mit der Verschaffung von Besitz und Eigentum an dem herrenlosen Kies im Watt allein nicht gedient. Ihnen komme es entscheidend auf die Verbringung des Kieses in den Hafen an.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

1. Steuerfrei sind nach § 4 Nr. 9 UStG 1951 i. V. m. § 35 Nr. 1 UStDB 1951 Beförderungen auf Wasserstraßen. Die Tätigkeit des Klägers ist nicht steuerfrei i. S. dieser Vorschrift, da die Beförderungsleistung nicht den alleinigen Gegenstand des Umsatzgeschäfts oder -- im Zusammentreffen mit der Bergung von Kies -- eine selbständige Hauptleistung darstellt.

Der Senat hat bereits im Beschluß vom 19. August 1971 V S 10/71 (die Aussetzung der Vollziehung des streitigen Umsatzsteuerbescheides 1965 betreffend) ausgeführt, daß die im BFH-Urteil V 32/63 U beiläufig vertretene Rechtsauffassung über die Bedeutung der Beförderungsleistung bei Vorliegen eines Besitzmittlungsverhältnisses im Zusammenhang mit der Bergung herrenlosen Gutes einer Überprüfung bedürfe, zumal sich im Streitfalle am äußeren Geschehensablauf in der Zeit nach Übersendung der seit März/April 1965 geltenden Geschäftsbedingungen des Klägers gegenüber der Zeit davor nichts geändert habe.

a) Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, ist es möglich, das Eigentum an einer herrenlosen Sache dadurch zu erwerben, daß ein anderer als Besitzmittler demjenigen, der das Eigentum erwerben will, den Eigenbesitz und damit das Eigentum verschafft (§§ 868, 958 BGB). Die Besitzmittlung erfordert die Begründung eines bestimmten Rechtsverhältnisses zwischen dem mittelbaren Besitzer (Eigentümer) und dem unmittelbaren Besitzer, wie es im Abschluß eines Frachtvertrages (§§ 425 f. HGB) zu finden ist (vgl. Urteil des BGH vom 21. April 1960 II ZR 21/58, BGHZ 32, 194, 204). Der mittelbare Besitzer (Auftraggeber) wird mit der Begründung seines Eigenbesitzes an der bis dahin herrenlosen Sache durch den Besitzmittler (Frachtführer) Absender des nunmehrigen Ladegutes.

Damit ist jedoch über die Frage, ob in dem Tätigwerden des Klägers eine steuerbare Lieferung oder sonstige Leistung und in der Beförderungsleistung eine gegenüber der Bergung von Kies selbständige Leistung oder eine Nebenleistung zu sehen ist, noch nicht entschieden.

b) Der Kläger ist nach seinen ab März/April 1965 geltenden Geschäftsbedingungen verpflichtet, "im Auftrage und für Rechnung des Auftraggebers" Kies aus der Nordsee zu bergen und anzulanden und dazu die erforderlichen Schiffe mit Gerät bereitzustellen.

Der Senat kann es dahingestellt lassen, ob in einem dementsprechenden Tätigwerden des Klägers (wie in der Zeit vor Inkrafttreten der genannten Geschäftsbedingungen) eine Lieferung zu erblicken ist. Denn auch wenn die Bergung von Kies, d. h. das Aufsuchen der Lagerstätten des für die Auftraggeber geeigneten Materials und seine Übernahme an Bord, eine steuerbare sonstige Leistung i. S. von § 1 Nr. 1 UStG 1951 darstellen würde, ist die Beförderungsleistung des Klägers als eine Nebenleistung zur Bergung anzusehen (vgl. BFH-Urteile vom 14. März 1968 V R 109/66, BFHE 92, 118 für die Beförderung als Nebenleistung zu einer Lieferung, und vom 7. Februar 1974 V R 72/70, BFHE 111, 562, BStBl II 1974, 344, für die Beförderungsleistung als Nebenleistung zu einer sonstigen Leistung). Wie in den Fällen dieser BFH-Urteile ist auch im Streitfalle die Beförderungsleistung nicht Selbstzweck oder Hauptzweck der Betätigung des Klägers. Die Beförderungsleistung trifft mit der Bergung von Kies aus der See zusammen. Die Bergung wiederum ist einem reinen Umschlag nicht vergleichbar, weil sie vor der Übernahme des Materials an Bord dessen Aufsuchen auf dem Meeresboden zur Voraussetzung hat und somit eine den Charakter der gesamten Tätigkeit des Klägers bestimmende Leistung ist.

2. Soweit der Senat im Urteil V 32/63 U (am Ende) eine abweichende Auffassung vertreten hat, hält er an ihr nicht mehr fest.

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