Schätzung von Telekom-Umsätzen
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2023:RV.2100394.2023
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache
***Bf1***, ***Bf1-Adr***,
über die Beschwerde vom 3. Oktober 2019 gegen die Bescheide des Finanzamtes Graz-Stadt vom 16. Juli 2019 betreffend Umsatzsteuer 2010 und 2011 zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Fortgesetztes Verfahren nach VwGH 21. Juni 2023, Ra 2022/15/0087
Im ursprünglichen Verfahren des BFG (Erkenntnis vom 23. August 2023, RV/2100079/2022) wurden die hier strittigen Bescheide betr. Veranlagung zur Umsatzsteuer 2010 und 2011 aufgehoben, weil das Finanzamt zuvor Bescheide betr. Erstattung von Vorsteuern 1-12/2010 und 1-12/2011 erlassen hat (ne bis in idem).
Der VwGH hat mit o.a. Erkenntnis die Entscheidung des BFG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben. Die auf § 21 Abs 9 UStG 1994 gestützten Bescheide stehen der Erlassung von Umsatzsteuer-Veranlagungsbescheiden iSd § 21 Abs 4 UStG 1994 nicht entgegen (VwGH 21. Juni 2023, Ra 2022/15/0087, Rn 27).
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt und Beweiswürdigung
Im fortgesetzten Verfahren ist daher nur mehr folgender Sachverhalt strittig (Genaueres zum Verfahrensablauf und zur Beweiswürdigung vgl BFG 23. August 2023, RV/2100079/2022):
Die Beschwerdeführerin ist ein Telekommunikationsunternehmen aus den USA. Wollten die US-Kunden der Bf. in Österreich mit ihrem Mobiltelefon telefonieren, musste die Bf. dafür Leistungen österreichischer Telekommunikationsunternehmen in Anspruch nehmen. Diese erbrachten sogenannte "Roamingleistungen" und verrechneten der Bf. die entsprechenden Roaminggebühren mit Ausweis österreichischer Umsatzsteuer.
Für die Streitjahre 2010 und 2011 reichet die Bf. keine Umsatzsteuererklärungen ein.
Das Finanzamt veranlagte die Bf. zur Umsatzsteuer, wobei es die Höhe der Umsätze im Inland schätzte: Die Schätzung erfolgte mittels Gewinnaufschlagmethode, indem auf die Eingangsleistungen (= die verrechneten Roaminggebühren) ein Gewinnaufschlag von 30% angewendet wurde. Diese Schätzung wurde anhand von Vergleichen mit (veröffentlichten) Roaminggebühren anderer Unternehmer verprobt. Von der so ermittelten Umsatzsteuer wurden die verrechneten Vorsteuern in Abzug gebracht. Weiters wurden Berichtigungen der Eingangsrechnungen (Änderung der Bemessungsgrundlage der Vorsteuern gem. § 16 UStG 1994) berücksichtigt.
Im Vorlageantrag vom 13. März 2020 wurde (nur) bestritten, dass die Bf. überhaupt Telekommunikationsdienstleistungen in Österreich ausführt, da eine Nutzung bzw. Auswertung nur dann im Inland erfolge, wenn der Leistungsempfänger im Inland ansässig sei.
Per Mail vom 16.2.2022 wurden von der (nunmehr ehemaligen) steuerlichen Vertretung ergänzende Schriftsätze angekündigt, die allerdings niemals einlangten. Zur mündlichen Verhandlung in der Sache RV/2101381/2019 ist kein Vertreter der Bf. erschienen.
Auch nach Zustellung des Erkenntnisses vom 5. April 2022, RV/2101381/2019 betr. Vorsteuererstattung, in dem die grundsätzliche Verpflichtung zur Versteuerung von Umsätzen in Österreich festgestellt wurde, wurden seitens der Bf. keine weiteren Einwendungen gemacht.
2. Rechtliche Beurteilung
§ 1 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über die Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung bei Telekommunikationsdiensten sowie Rundfunk- und Fernsehdienstleistungen, BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009, bestimmt:
"Liegt bei einer in § 3a Abs. 14 Z 12 und 13 des Umsatzsteuergesetzes 1994, BGBl. Nr. 663, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 52/2009, bezeichneten Leistung der Ort der Leistung gemäß § 3a des Umsatzsteuergesetzes 1994 außerhalb des Gemeinschaftsgebietes, so wird die Leistung im Inland ausgeführt, wenn sie dort genutzt oder ausgewertet wird."
Der EuGH hat mit Urteil vom 15.4.2021, Rs C-593/19 , "SK Telecom Co. Ltd" entschieden, dass in Sachverhaltskonstellationen wie sie im Beschwerdefall gegeben sind, die Leistung im Inland erbracht wird. Im Tenor heißt es dazu:
"Art. 59a Abs. 1 Buchst, b der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2008/8/EG des Rates vom 12. Februar 2008 mit Wirkung vom 1. Januar 2010 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Roamingleistungen, die von einem in einem Drittland ansässigen Mobilfunkbetreiber an seine Kunden, die ebenfalls in diesem Drittland ansässig sind bzw. dort ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben, erbracht werden und die es diesen Kunden ermöglichen, das nationale Mobilfunknetz des Mitgliedstaats, in dem sie sich vorübergehend aufhalten, zu nutzen, als Dienstleistungen anzusehen sind, deren "tatsächliche Nutzung oder Auswertung" im Sinne dieser Bestimmung im Gebiet dieses Mitgliedstaats erfolgt, so dass dieser den Ort der Roamingleistungen so behandeln kann, als läge er in seinem Gebiet, wenn dadurch eine Nichtbesteuerung der Roamingleistungen in der Union vermieden wird und ohne dass es hierbei darauf ankommt, welcher steuerlichen Behandlung die Roamingleistungen nach dem nationalen Steuerrecht des Drittlands unterliegen."
Damit ist höchstgerichtlich klargestellt, dass sich die entsprechenden Umsätze der Bf. nach der mit dem Unionsrecht in Einklang stehenden Verordnung BGBl. II Nr. 383/2003 idF BGBl. II Nr. 221/2009 in das Inland verlagern.
Soweit die Abgabenbehörde die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie diese zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind (§ 184 Abs 1 BAO).
Im Beschwerdefall hat die Bf. keine Umsätze bekannt gegeben. Das Finanzamt musste daher eine Schätzung vornehmen.
Ziel der Schätzung ist, den wahren Besteuerungsgrundlagen möglichst nahe zu kommen. Jeder Schätzung ist eine gewisse Ungenauigkeit immanent. Wer zur Schätzung Anlass gibt und bei der Ermittlung der materiellen Wahrheit nicht entsprechend mitwirkt, muss die mit jeder Schätzung verbundene Ungewissheit hinnehmen.
Die Wahl der Schätzungsmethode steht der Abgabenbehörde grundsätzlich frei. Es ist jene Methode (allenfalls mehrere Methoden kombiniert) zu wählen, die im Einzelfall zur Erreichung des Zieles, den tatsächlichen Gegebenheiten (der tatsächlichen Besteuerungsgrundlage) möglichst nahe zu kommen, am geeignetsten erscheint (VwGH 30.09.2021, Ra 2019/13/0118 unter Verweis auf Ritz, BAO3, § 184 Tz 3 und 12).
Im Beschwerdefall erscheint die gewählte Gewinnaufschlag-Methode geeignet zu sein, den tatsächlichen Gegebenheiten nahe zu kommen, da die Bf. außer den Roaminggebühren keine Kosten im Inland hat und die Roaminggebühren unstrittig an ihre Kunden weiterverrechnet. Dass Unternehmer Kosten mit Aufschlag weiterverrechnen liegt in der Natur des Unternehmers, der ja bestrebt ist, Gewinne (Überschüsse) zu erzielen.
Nachdem das Finanzamt die Höhe des Aufschlages auch mit veröffentlichten Kosten anderer Unternehmer verglichen hat, ist es wahrscheinlich, dass es damit den wahren Besteuerungsgrundlagen nahekommt zumal auch die im Erstattungsverfahren beantragten Vorsteuern in Abzug gebracht wurden und tatsächlich stattgefundene Vorsteuerberichtigungen erfasst wurden.
Substantiiert vorgetragenen Behauptungen der Bf. (vgl dazu beispielsweise VwGH 19.10.2016, Ra 2016/15/0058) konnte das Finanzamt nicht entgegentreten, weil die Bf. trotz Ankündigung keine Einwendungen gemacht hat.
Die Schätzung der Umsätze ist für die Jahre 2010 und 2011 geboten und die Schätzung wurde so vorgenommen, dass sie den wahren Besteuerungsgrundlagen möglichst nahekommt.
Die Beschwerde war daher - wie im Spruch ersichtlich - abzuweisen.
3. Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im Beschwerdefall folgt das BFG dem zit. Erkenntnis des VwGH weshalb keine unbeantwortete Rechtsfrage vorliegt.
Graz, am 4. September 2023
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | § 184 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise: |