BFG RV/7100347/2021

BFGRV/7100347/202118.3.2021

Progressionsvorbehalt (DBA Türkei)

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2021:RV.7100347.2021

 

Beachte:
Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2021/13/0067. Mit Erk. v. 7.9.2022 als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri1*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Deloitte Tax Wirtschaftsprüfungs GmbH, 1010 Wien, über die Beschwerde vom 3. Februar 2020 gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich (Dienststelle Baden Mödling / FA16) vom 3. Dezember 2019 betreffend Einkommensteuer 2018 (Steuernummer ***Bf1StNr1***), zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben. Die Einkommensteuer 2018 wird mit € -4.062,00 (wie Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom 01.10.2020) festgesetzt.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit dem von der belangten Behörde am 03.12.2019 gegenüber der Beschwerdeführerin (Bf.) erlassenen Einkommensteuerbescheid 2018 wurde die Einkommensteuer mit € -1.586,00 (Gutschrift) festgesetzt. Der Berechnung der Einkommensteuer wurden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit iHv € 18.279,80 laut dem von der bezugsauszahlenden Stelle ***XY1*** übermittelten Lohnzettel sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung iHv € 8.871,44 zugrunde gelegt.

Die Bf. erhob mit Anbringen vom 03.02.2020 (Fristverlängerung wurde bewilligt) Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2018 und beantragte die Festsetzung der Einkommensteuer 2018 mit € 346,62 und folglich eine Einkommensteuergutschrift iHv € 5.850,00. Der Bescheid werde hinsichtlich der Nichtberücksichtigung des beantragten Lohnzettelsplits in einen Inlandslohnzettel (L1) und einen Auslandslohnzettel (L8) angefochten. Die Bf. habe per 1. Oktober 2018 einen Dienstvertrag mit der ***XY1*** abgeschlossen. Der Familienwohnsitz der Bf. befinde sich in der Türkei. Der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen sei im Jahr 2018 demnach in der Türkei gewesen und sie sehe sich im betreffenden Jahr gemäß DBA Österreich-Türkei als in der Türkei ansässig. Die auf österreichische Arbeitstage entfallenden Einkünfte unterlägen der Steuerpflicht in Österreich. Alle Einkünfte, die auf Arbeitstage in der Türkei oder in Drittstaaten entfielen, seien aufgrund der steuerlichen Ansässigkeit in der Türkei der Besteuerung in der Türkei zu unterwerfen. Im Zeitraum Oktober bis Dezember 2018 habe die Bf. von insgesamt 62 Arbeitstagen 18 Arbeitstage in Österreich und 44 Arbeitstage in der Türkei und Drittstaaten verbracht. Während des betreffenden Zeitraumes seien die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit über die österreichische Lohnverrechnung abgerechnet und in weiterer Folge in einem Jahreslohnzettel L16 ausgewiesen worden. In der Lohnverrechnung sei keine Aufteilung der Bezüge gemäß Arbeitstagen vorgenommen worden. Im Zuge der Veranlagung zur Einkommensteuer 2018 müsse daher eine Berichtigung des Jahreslohnzettels L16 in einen Inlandslohnzettel (L1) und einen Auslandslohnzettel (L8) vorgenommen werden. Die Korrektur des Jahreslohnzettels L16 in einen Inlandslohnzettel (L1) und einen Auslandslohnzettel (L8) sei von der steuerlichen Vertretung der Bf. nach elektronischer Einbringung der Steuererklärung über Finanz-Online am 27.11.2019 (Anlage 3) sowohl an das Finanzamt Baden Mödling als auch an das Betriebsstätten-Finanzamt Wien 1/23 (Anlage 4) gefaxt worden. Jedoch sei die Berichtigung des Jahreslohnzettels in einen Inlandslohnzettel (L1) und einen Auslandslohnzettel (L8) bei der Veranlagung meiner Einkommensteuererklärung 2018 vom Finanzamt Baden Mödling nicht berücksichtigt worden. Im Anhang würden die Beilagen zur Einkommensteuererklärung 2018 (Anlage 1) inklusive einem Vorschlag zur Berichtigung des Jahreslohnzettels L16 der ***XY1*** für den Zeitraum Jänner bis Dezember 2018 samt Arbeitstageaufzeichnung (Anlage 2) übermittelt. Die Bf. ersuche um Berichtigung des ursprünglichen Lohnzettels L16 in einen Inlandslohnzettel (L1) und einen Auslandslohnzettel (L8). Der Vollständigkeit halber werde darauf hingewiesen, dass die Einkünfte, welche im L8 erfasst seien, mangels Ansässigkeit in Österreich nicht der Besteuerung in Österreich unterliegen und somit auch nicht unter Progressionsvorbehalt von der Besteuerung auszunehmen seien.

Mit Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom 01.10.2020 wurde der Beschwerde teilweise Folge gegeben und die Einkommensteuer 2018 mit € -4.062,00 (Gutschrift) festgesetzt. Die Begründung lautet: "Das Betriebsfinanzamt hat die von Ihnen angeregte Lohnzettelberichtigung durchgeführt. Der in der Türkei zu versteuernde Anteil an Ihren Einkünften wurde im Sinne der jüngsten Judikatur des Bundesfinanzgerichtes (BFG 14.05.2020, RV/7100310/2020) zum Progressionsvorbehalt herangezogen."
Die von der belangten Behörde im Wege eines Progressionsvorbehaltes berücksichtigten ausländischen Einkünfte betragen € 12.972,76.

Die Bf. stellte mit Anbringen vom 03.02.2021 (Fristverlängerung wurde bewilligt) einen Antrag auf Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht und brachte das Folgende vor:
I. Sachverhalt und Verfahrensgang
Die Bf. sei aufgrund eines Zweitwohnsitzes gemäß § 1 Abs 2 EStG in Österreich unbeschränkt steuerpflichtig. Seit dem Jahr 2011 lebe sie jedoch mit ihrer Familie in der Türkei. Der Mittelpunkt der Lebensinteressen liege somit in der Türkei, weshalb die Bf. gemäß dem Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) Österreich-Türkei in der Türkei ansässig sei. Im Rahmen der Veranlagung der Einkommensteuer 2018 sei der in der Türkei zu versteuernde Anteil der Einkünfte in Österreich zum Progressionsvorbehalt herangezogen worden.
II. Begründung der Rechtswidrigkeit der Beschwerdevorentscheidung
Das Finanzamt vertrete unter Bezugnahme auf die jüngste Judikatur des Bundesfinanzgerichtes (BFG 14.05.2020, RV/7100310/2020) die Ansicht, dass die ausländischen Einkünfte im Wege des Progressionsvorbehaltes auch dann zu berücksichtigen seien, wenn Österreich nicht der Ansässigkeitsstaat nach Maßgabe des einschlägigen DBA sei, sondern lediglich der Quellenstaat. Die in der erwähnten Entscheidung des BFG angeführte Ansicht zur Anwendung des Progressionsvorbehaltes im Quellenstaat sei jedoch gesetzeswidrig: Nach der bisherigen Auslegungspraxis in Österreich und der damit einhergehenden ständigen Verwaltungspraxis und Rechtsprechung (VwGH 29.07.2010, 2010/15/0021) seien ausländische Einkünfte im Rahmen des Progressionsvorbehaltes nur dann zu berücksichtigen, wenn Österreich gleichzeitig auch Ansässigkeitsstaat iSd Art 4 OECD-Musterabkommens sei, nicht jedoch, wenn sich zwar aufgrund eines Zweitwohnsitzes eine unbeschränkte Steuerpflicht in Österreich ergäbe, Österreich mangels Ansässigkeit aber nur Quellenstaat sei (vgl. BMF 24.9.2013, BMF-010221/0616-VI/8/2013 (EAS 3337) mit weiteren Verweisen). Das BFG stütze sich nun bei seiner Argumentation für die Anwendung des Progressionsvorbehaltes bei in Österreich bestehender unbeschränkter Steuerpflicht ohne abkommensrechtlicher Ansässigkeit im Wesentlichen auf den Wortlaut der Kommentierung des OECD-Musterabkommens, in welcher es in Rz 56 zu Art 23 A heiße: "Paragraph 3 of Article 23 A relates only to the State of residence. The form of the Article does not prejudice the application by the State of source of the provisions of its domestic laws concerning the progression." Aus der Kommentierung ergäbe sich daher zunächst eindeutig, dass nach dem DBA-Musterabkommen ausdrücklich dem Ansässigkeitsstaat und nicht auch dem Quellenstaat der Progressionsvorbehalt eingeräumt werde. Zwar heiße es in Rz 56 weiter, dass ein Abkommensverstoß nicht vorläge, wenn auch der Quellenstaat vom im Abkommen vorgesehenen Progressionsvorbehalt Gebrauch mache. Daraus sei jedoch abzuleiten, dass das Abkommensrecht keineswegs ein Besteuerungsrecht nach Maßgabe eines Progressionsvorbehaltes für den Quellenstaat festlege, sondern einer derartigen Regelung im nationalen Einkommensteuerrecht (sofern eine solche bestehe) lediglich nicht entgegenstehe.
Für die vom BFG aus der Kommentierung des OECD-Musterabkommens abgeleitete Auslegung zur Anwendbarkeit des Progressionsvorbehaltes auch im Quellenstaat würde es somit einer expliziten innerstaatlichen Regelung hinsichtlich des Progressionsvorbehaltes bedürfen. Eine solche explizite Regelung fehle aber im österreichischen Steuerrecht. Aus einer allgemeinen Befreiungsbestimmung könne nach hA kein allgemeiner Progressionsvorbehalt abgeleitet werden (vgl. Günther/Willvonseder in SWI 7/2011, 303, Dommes in Pensionen im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen1, IX.2.2.2 Rechtsgrundlage des Progressionsvorbehalts, 239). Wenn daher das einschlägige DBA eine Befreiung durch den Quellenstaat vorsehe, sei daraus alleine noch kein Progressionsvorbehalt für den Quellenstaat abzuleiten. Ein solcher könne sich nur aus dem nationalen Einkommensteuerrecht ergeben. Anders als in Österreich gäbe es in Deutschland mit § 32b dEStG eine explizite Regelung hinsichtlich des Progressionsvorbehaltes. Im Lichte dieser Regelung erscheine daher auch die nach der ständigen Rechtsprechung des BFH (vgl. BFH vom 07.03.2007, 1 R 17/16 mit weiteren Nennungen) bestehende Auslegung zu Art 23 OECD-MA, wonach auch im Quellenstaat Einkünfte unbeschränkt Steuerpflichtiger im Rahmen des Progressionsvorbehaltes berücksichtigt werden dürften, sofern das jeweils anwendbare DBA die Anwendung des Progressionsvorbehaltes dem Quellenstaat nicht verbiete, konsequent. Mangels einer expliziten österreichischen innerstaatlichen Regelung zum Progressionsvorbehalt könne diese Auslegung jedoch nicht auf Österreich umgelegt werden. Gerade weil der österreichische Gesetzgeber, anders als in Deutschland, keine explizite Regelung zum Progressionsvorbehalt getroffen habe, sei die Anwendung des Progressionsvorbehaltes in Fällen, in denen Österreich lediglich die Rolle als Quellenstaat zukomme, nicht zulässig.

Die Beschwerde wurde von der belangten Behörde am 19.02.2021 dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.

ÜBER DIE BESCHWERDE WURDE ERWOGEN

Betreffend den Verfahrensgang und den Sachverhalt wird auf obige Darstellung verwiesen. Demnach sind die Ansässigkeit der Bf. und die Höhe der im Inland zu besteuernden Einkünfte unstrittig. Die gem. Art. 4 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Republik Türkei zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen, BGBl. III Nr. 96/2009 (im Folgenden "DBA Türkei"), in der Türkei ansässige Bf. wendet sich gegen die Anwendung des Progressionsvorbehaltes auf die 2018 erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, für die der Republik Österreich als Quellenstaat das Besteuerungsrecht zukommt.
Die belangte Behörde stützt die Anwendung des Progressionsvorbehaltes auf die gemäß dem DBA Türkei im Inland der Einkommensteuer unterzogenen Einkünfte auf die in einem Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts (BFG 14.05.2020, RV/7100310/2020) getroffene rechtliche Beurteilung zu einem analogen Sachverhalt bei einer in der Slowakei ansässigen Beschwerdeführerin.
Die vom Bundesfinanzgericht zur beschwerdegegenständlichen Thematik vertretene Rechtsansicht ist in einem Stammrechtssatz in komprimierter Form festgehalten wie folgt: "Ist eine natürliche Person gemäß § 1 Abs. 2 EStG 1988 im Inland unbeschränkt steuerpflichtig, erstreckt sich die unbeschränkte Steuerpflicht auf alle in- und ausländischen Einkünfte. Der Steuersatz bemisst sich nach dem (Gesamt-)Einkommen, worin innerstaatlich der Progressionsvorbehalt seine Rechtsgrundlage findet (vgl. VwGH 29.7.2010, 2010/15/0021, sowie 20.12.2016, Ro 2015/15/0010). Ist eine im Inland unbeschränkt steuerpflichtige Person nach Art. 4 Abs. 2 des anzuwendenden DBA-Slowakei in der Slowakei ansässig, stellt sich die Frage, ob bei der Besteuerung der inländischen Einkünfte dieser Person in Österreich deren ausländische Einkünfte zwecks Anwendung eines Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen sind. Weder äußert sich das DBA-Slowakei zu dieser Frage noch geht dies aus den Materialien zum Abkommen (ErläutRV 848 Blg 16. GP) hervor. Für die Auslegung ist nach Art. 31 Abs. 3 lit. b der Wiener Vertragsrechtskonvention jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht, zu berücksichtigen. Diese findet in den Kommentaren zum OECD-Musterabkommen ihren Niederschlag. Die Kommentare des OECD-Musterabkommens besagen ausdrücklich, dass die Anwendung des Progressionsvorbehalts durch den Staat, aus dem die Einkünfte stammen, nicht ausgeschlossen ist (etwa Rn. 56 des Kommentars zu Art. 23A/23B OECD-Musterabkommen 1977 sowie zu Art. 23A/23B OECD-Musterabkommen 2017; siehe auch Wassermeyer/Kaeser/Lang/Schuch, Doppelbesteuerung3 Art. 23A MA Rz 122). Daher sind die ausländischen Einkünfte einer im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen und in der Slowakei ansässigen Person im Inland zwecks Anwendung eines Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen" (BFG 14.05.2020, RV/7100310/2020).
Das im konkreten Fall relevante DBA Türkei enthält in Art. 22 die Vereinbarungen der Abkommensstaaten zur Vermeidung der Doppelbesteuerung:
"Artikel 22
VERMEIDUNG DER DOPPELBESTEUERUNG
Die Doppelbesteuerung wird wie folgt vermieden:
(1) In Österreich:
a) Bezieht eine in Österreich ansässige Person Einkünfte und dürfen diese Einkünfte nach diesem Abkommen in der Türkei besteuert werden, so nimmt Österreich vorbehaltlich der lit. b bis e diese Einkünfte von der Besteuerung aus.
b) Bezieht eine in Österreich ansässige Person Einkünfte, die nach Artikel 10 Absatz 2, Artikel 11 Absätze 2 und 4, Artikel 12 Absatz 2, Artikel 13 Absatz 4 zweiter Satz und Artikel 21 Absatz 1 in der Türkei besteuert werden dürfen, so rechnet Österreich auf die vom Einkommen dieser Person zu erhebende Steuer den Betrag an, der der in der Türkei gezahlten Steuer entspricht. Der anzurechnende Betrag darf jedoch den Teil der vor der Anrechnung ermittelten Steuer nicht übersteigen, der auf die aus der Türkei bezogenen Einkünfte entfällt.
c) Dividenden im Sinne des Artikels 10 Absatz 2 lit. b sublit. i, die von einer in der Türkei ansässigen Gesellschaft an eine in Österreich ansässige Gesellschaft gezahlt werden, sind, vorbehaltlich der entsprechenden Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts Österreichs, in der Fassung allfälliger künftiger, ihren allgemeinen Charakter wahrender Änderungen, aber ungeachtet allfälliger nach diesem Recht abweichender Mindestbeteiligungserfordernisse, in Österreich von der Besteuerung ausgenommen.
d) Einkünfte einer in Österreich ansässigen Person, die nach dem Abkommen von der Besteuerung in Österreich auszunehmen sind, dürfen gleichwohl in Österreich bei der Festsetzung der Steuer für das übrige Einkommen der Person einbezogen werden.
e) Bezieht eine in Österreich ansässige Person Zinsen oder Lizenzgebühren aus der Türkei und werden diese Zinsen oder Lizenzgebühren in der Türkei mit einem Steuersatz besteuert, der bei Zinsen niedriger ist als die in Artikel 11 Absatz 2 lit. a bis c vorgesehenen Sätze, und bei Lizenzgebühren weniger als 10 vom Hundert beträgt, so wird auf die von den Zinsen beziehungsweise Lizenzgebühren zu erhebende österreichische Steuer der Betrag angerechnet, der bei Zinsen je nach Lage des Falles 5, 10 beziehungsweise 15 vom Hundert und bei Lizenzgebühren 10 vom Hundert des Bruttobetrags dieser Zinsen oder Lizenzgebühren entspricht.
(2) In der Türkei:
a) Vorbehaltlich der gesetzlichen Bestimmungen der Türkei in Bezug auf die Anrechnung der in einem Gebiet außerhalb der Türkei zu zahlenden Steuer auf die türkische Steuer wird die nach österreichischem Recht und nach diesem Abkommen zu zahlende österreichische Steuer für Einkünfte (einschließlich Gewinne und steuerpflichtige Gewinne aus Veräußerungsgeschäften), die eine in der Türkei ansässige Person aus österreichischen Quellen bezieht, auf die vom Einkommen zu erhebende türkische Steuer angerechnet. Der anzurechnende Betrag darf jedoch den Betrag der vor der Anrechnung ermittelten türkischen Steuer nicht übersteigen, der auf diese Einkünfte entfällt.
b) Einkünfte einer in der Türkei ansässigen Person, die nach dem Abkommen von der Besteuerung in der Türkei auszunehmen sind, dürfen gleichwohl in der Türkei bei der Festsetzung der Steuer für das übrige Einkommen der Person einbezogen werden.
Den Erläuterungen zur Regierungsvorlage ist zu Art. 22 DBA Türkei das Folgende zu entnehmen:
"In diesem Artikel werden die Methoden festgelegt, nach denen die Doppelbesteuerung vermieden wird:
Österreich wendet hiebei auf OECD-Grundlage die Befreiungsmethode unter Progressionsvorbehalt an. Nur im Falle von Quellenbesteuerungsrechten für Dividenden, Zinsen, Lizenzgebühren und für Einkünfte, die unter Art. 13 Abs. 4 zweiter Satz und Art. 21 Abs. 1 fallen, wird die Doppelbesteuerung nach der Anrechnungsmethode vermieden. Abs. 1 lit. c sieht im Fall von Schachteldividenden unabhängig vom Beteiligungsausmaß, jedoch entsprechend den Grundsätzen des internationalen Schachtelprivilegs, die Anwendung der Befreiungsmethode vor.
Darüber hinaus gewährt Abs. 1 lit. e die Anrechnung einer fiktiven türkischen Steuer bei Zinsen und Lizenzgebühren, wenn der Quellensteuersatz unter 5%, 10%, bzw. 15% (im Fall von Zinsen) bzw. 10% (bei Lizenzgebühren) liegt ("matching credit").
Die Türkei wendet das Anrechnungsverfahren an" (ErläutRV 526 Blg. XXIII. GP).
Tatsache ist, dass das DBA Türkei keine Aussage darüber enthält, ob die Besteuerung von Einkünften durch den Staat, aus dem sie stammen, mit oder ohne Anwendung des Progressionsvorbehaltes vorgenommen werden soll.
Folglich findet sich im DBA Türkei keine Vereinbarung, die eine Anwendung des Progressionsvorbehaltes auf die in Österreich zu versteuernden Einkünfte einer in der Türkei ansässigen Person (und vice versa) unzulässig erscheinen lassen könnte.
Wie das Bundesfinanzgericht im Erkenntnis vom 14.05.2020, RV/7100310/2020, ausgeführt hat, besagen auch die Kommentare zum OECD-Musterabkommen ausdrücklich, dass die Anwendung des Progressionsvorbehaltes durch den Staat, aus dem die Einkünfte stammen, nicht ausgeschlossen ist.
Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung entfalten Doppelbesteuerungsabkommen bloß eine Schrankenwirkung insofern, als sie eine sich aus originär innerstaatlichem Steuerrecht ergebende Steuerpflicht begrenzen. Sie führen keineswegs zu einer Erweiterung der Steuerpflicht. Ob ein Steueranspruch besteht, ist zunächst stets nach innerstaatlichem Steuerrecht zu beurteilen. Ergibt sich aus dem innerstaatlichen Steuerrecht eine Steuerpflicht, ist in einem zweiten Schritt zu beurteilen, ob das Besteuerungsrecht durch ein Doppelbesteuerungsabkommen eingeschränkt wird. Ein Doppelbesteuerungsabkommen vermag also den sich aus dem innerstaatlichen Steuerrecht ergebenden Besteuerungsanspruch einzuschränken, nicht aber einen im innerstaatlichen Steuerrecht nicht bestehenden Besteuerungsanspruch zu begründen (vgl. VwGH 20.12.2016, Ro 2015/15/0010; VwGH 25.09.2001, 99/14/0217, VwGH 26.02.2015, 2012/15/0035).
Auch mit dem DBA Türkei wurde nicht ein im innerstaatlichen Steuerrecht nicht bestehender Besteuerungsanspruch begründet, sondern der sich aus dem innerstaatlichen Steuerrecht der Abkommensstaaten ergebende Besteuerungsanspruch eingeschränkt.
Die Präambel/Promulgationsklausel des DBA lautet: "Die Republik Österreich und die Republik Türkei, von dem Wunsche geleitet, ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen abzuschließen, haben Folgendes vereinbart:"
Der Telos des DBA Türkei ist somit ausschließlich die Vermeidung einer Doppelbesteuerung. Daher sind die im DBA Türkei normierten Einschränkungen des sich aus dem innerstaatlichen Steuerrecht ergebenden Besteuerungsanspruchs als auf die Erreichung dieses Zieles ausgerichtet zu betrachten.
Die Anwendung eines nach dem gesamten Einkommen einer unbeschränkt steuerpflichtigen Person bemessenen Steuersatzes bei der Besteuerung durch den Staat, aus dem die Einkünfte stammen, läuft dem erklärten Ziel des DBA Türkei, welches in der Vermeidung der Doppelbesteuerung besteht, jedenfalls nicht zuwider.
Gemäß § 1 Abs. 2 EStG 1988 sind jene natürlichen Personen, die im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt steuerpflichtig. Die unbeschränkte Steuerpflicht erstreckt sich auf alle in- und ausländischen Einkünfte. Der Steuersatz bemisst sich nach dem (Gesamt-)Einkommen, worin innerstaatlich der Progressionsvorbehalt seine Rechtsgrundlage findet (vgl. ebenfalls VwGH 29.7.2010, 2010/15/0021, sowie 20.12.2016,Ro 2015/15/0010).
Da die Abkommensstaaten des DBA Türkei keine Unzulässigkeit der Anwendung des Progressionsvorbehalts durch den Staat, aus dem die Einkünfte stammen, vereinbart haben, eine solche auch nicht aus dem Telos des DBA Türkei oder aus dem OECD-Musterabkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung hergleitet werden kann, hat die belangte Behörde bei der Ermittlung der Steuer auf das inländische Einkommen der in der Türkei ansässigen und im Inland unbeschränkt steuerpflichtigen Bf. zu Recht (gem. § 1 Abs. 2 EStG 1988) deren ausländische Einkünfte zwecks Anwendung eines Progressionsvorbehaltes berücksichtigt.
Mit der Argumentation der Bf., dass die Anwendung des Progressionsvorbehaltes deshalb unzulässig wäre, weil der österreichische Gesetzgeber (anders als in der Bundesrepublik Deutschland), keine explizite Regelung zum Progressionsvorbehalt getroffen habe, wird keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt, da die für unbeschränkt Steuerpflichtige geltende Bestimmung des § 1 Abs. 2 EStG 1988 die Rechtsgrundlage für den Progressionsvorbehalt bildet. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die gemäß Art. 22 Abs. 2 DBA Türkei vorgesehene Anrechnung der österreichischen Steuer auf die in der Türkei zu erhebende Steuer unabhängig davon zu erfolgen hat, ob die Einkünfte in Österreich mit oder ohne Anwendung eines Progressionsvorbehaltes besteuert wurden.
Die rechtliche Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes ergibt somit, dass der Beschwerde nur im Umfang der Beschwerdevorentscheidung Folge gegeben werden kann.
Daher war spruchgemäß zu entscheiden.

Zur Zulässigkeit einer Revision:
Gegen diese Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG eine Revision nicht zulässig, da sie nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

 

Wien, am 18. März 2021

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

§ 1 Abs. 2 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
DBA TR (E), Doppelbesteuerungsabkommen Türkei (Einkommensteuern), BGBl. III Nr. 96/2009

Verweise:

VwGH 29.07.2010, 2010/15/0021
VwGH 20.12.2016, Ro 2015/15/0010
VwGH 25.09.2001, 99/14/0217
VwGH 26.02.2015, 2012/15/0035
BFG 14.05.2020, RV/7100310/2020

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