Der erstmalige (Neu)Festsetzungsbescheid gem. § 201 BAO nach erklärungsgemäßer Gutschrift der Forschungsprämie hat den Aufhebungs- oder Wiederaufnahmegrund zu enthalten.
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2017:RV.3100714.2015
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. B in der Beschwerdesache A Unternehmensberatung C GmbH, D Straße 10, PlZl E, gegen den Bescheid des Finanzamtes F betreffend die Festsetzung der Forschungsprämie gemäß § 108c EStG 1988 für das Jahr 2012 mit Ausfertigungsdatum 13.11.2014
zu Recht erkannt:
1. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
2. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
1. Die Beschwerdeführerin (kurz: Bf.) machte mit der am 27.12.2014 eingereichten Beilage (E 108c) zur Körperschaftsteuererklärung für das Jahr 2012 eine Forschungsprämie in Höhe von € 4.857,80 geltend.
2. Die Forschungsprämie für 2012 wurde der Bf. in der beantragten Höhe am Abgabenkonto am 20.1.2014 gutgeschrieben.
3. Das Finanzamt forderte die Bf. mit Vorhalt vom 1.7.2014 - unter Hinweis auf die erfolgte antragsgemäße Gutschrift - auf, zum Gutachten der Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft mbH (kurz: FFG), wonach sich eine verminderte Forschungsprämie von € 1.366,25 ergebe, Stellung zu nehmen.
4. In ihrem Antwortschreiben vom 21.7.2014 brachte die Bf. vor, aufgrund der identen Lagerung der nicht anerkannten EU-Projekte e2p und Insemot mit den anerkannten Projekten Motives und Massip bei der FFG interveniert zu haben. Die Teamleitung der FFG habe auf die nicht an das Gutachten gebundene Entscheidung des Finanzamtes verwiesen, wonach im gegenteiligen Fall das Verfahren von der FFG nochmals aufgenommen werden würde.
Man habe sich bereits mit Schreiben vom 1.10.2013, gefaxt am 2.10.2013, an das Finanzamt gewandt und auf den Punkt 4. des per FinanzOnline übermittelten Gutachtens der FFG hingewiesen, nach dem das Gutachten der freien Beweiswürdigung des Finanzamtes unterliege. Da eine Besprechung mit dem Gutachter der FFG nicht möglich gewesen sei, habe man um einen Termin zur persönlichen Vorsprache ersucht. Da das Finanzamt mit der Veranlagung 2012 die Gutschrift am 20.1.2014 gebucht habe, sei man von einer positiven Erledigung seitens des Finanzamtes ausgegangen.
4. Mit Bescheid vom 13.11.2014 setzte die Abgabenbehörde die Forschungsprämie für eigenbetriebliche Forschung und experimentelle Entwicklung (§ 108c Abs. 2 Z 1 EStG 1988) für das Kalenderjahr 2012 mit € 1.366,25 fest.
Begründend wurde ausgeführt:
"Die rechtliche Grundlage der steuerlichen Forschungsförderung wurde mit dem neuen § 108c Abs. 7 EStG und der dazu erlassenen Forschungsprämienverordnung für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31.12.2011 beginnen, grundlegend verändert.
Das Vorliegen der inhaltlichen Voraussetzungen von eigenbetrieblicher Forschung und experimenteller Entwicklung ist mit einem Gutachten der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) nachzuweisen, wobei das Gutachten der FFG der freien Beweiswürdigung durch das Finanzamt unterliegt.
Die beabsichtigte Abweisungen (FFG Jahresgutachten vom 09.09.2013) wurde Ihnen mittels Vorhalt vom 01.07.2014 zur Wahrung des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht.
Im Rahmen der Stellungnahme zum Fragenvorhalt vom 01.07.2014 (Eingabe vom 21.07.2014) wurde das mittels Fax vom 02.10.2013 eingebrachte Ergänzungsschreiben zum ursprünglichen Gutachten zur Vorlage gebracht, welches vom Finanzamt an die Forschungsförderungsgesellschaft für eine abschließende Beurteilung weitergeleitet wurde.
Da nun unter Einbeziehung Ihrer Ergänzungen vom 01.07.2014/02.10.2013 wiederum eine abschlägige Beurteilung durch die Forschungsförderungsgesellschaft (Stellungnahme vom 06.11.2014) hinsichtlich der Schwerpunkte "e2-p — Electronic Entrepreneur Portfolios" und " INSEMOT SME — Information Security Modular Training für SME" erfolgte — diese Schwerpunkte/diese Projekte erfüllen weiterhin nicht die inhaltlichen Voraussetzungen des § 108c Abs. 2 Z 1 EStG 1988 — konnte die Forschungsprämie nur im Ausmaß von € 1.366,25 anerkannt werden."
5. In der gegen diesen Bescheid am 15.12.2014 erhobenen Beschwerde brachte die Bf. vor, dass wie am 21.7.2014 gegenüber dem Finanzamt dargelegt, die von der Forschungsförderungsgesellschaft als nicht förderungswürdig bezeichneten Forschungsarbeiten in den EU-Projekten e2p und Insemot ident mit den Forschungsarbeiten der als förderungswürdig anerkannten EU-Projekten seien. Man habe daher bei der Forschungsförderungsgesellschaft den Antrag gestellt, das gegenständliche Verfahren wieder aufzunehmen. Bis heute habe man keinen Bescheid dazu erhalten. Eine Stellungnahme an das Finanzamt vom 6.11.2014 sei nicht bekannt. Die Aufhebung des Bescheides werde begehrt.
6. Mit Schreiben vom 30.12.2014 übermittelte die Abgabenbehörde die Stellungnahme der FFG vom 6.11.2014 der Bf. mit dem Ersuchen um Beschwerdeergänzung mittels beigelegter Beschreibung der F&E-Aktivitäten.
7. Das Antwortschreiben der Bf. vom 24.3.2015 mit einer ausführlicheren Kurzbeschreibung der beiden nicht anerkannten Forschungsprojekte wurde an die FFG weitergeleitet. Die FFG fertigte am 6.5.2015 eine zweite Stellungnahme zu den bisher nicht anerkannten beiden Forschungsprojekten an die Abgabenbehörde aus. In dieser kam die FFG wiederum zum Schluss, dass trotz umfangreicher Nachreichungen die zusätzlichen Informationen keine Bewertungsänderung gegenüber der ursprünglichen Ablehnungsbegründung zuließen.
8. Die Beschwerde wurde mit der am 19.6.2015 ausgefertigten Beschwerdevorentscheidung mit der Begründung abgewiesen, dass die Projekte auch nach der weiteren Stellungnahme der FFG zum Gutachten die inhaltlichen Voraussetzungen des § 108c Abs. 2 Z 1 EStG 1988 nicht erfüllten.
9. Mit Eingabe vom 24.7.2015 wurde die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht zur Entscheidung gestellt. Vorgebracht wurde, dass die inhaltlichen Voraussetzungen des § 108c Abs. 2 Z 1 EStG 1988 nach wissenschaftlicher Meinung dritter Seite gegeben sei. Das Problem der Förderungswerber liege bei Abweisungen in der Anonymität der Prüfer, die nicht zur wissenschaftlichen Diskussion zur Verfügung stünden. Darüber hinaus sei der Vorhalt der Abgabenbehörde vom 1.7.2014 fast zehn Monate nach dem Jahresgutachten vom 9.9.2013 und erst fünf Monate nach der entsprechenden Veranlagung ergangen. Die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 BAO sei somit nicht berechtigt.
10. Die Beschwerde wurde dem Bundesfinanzgericht mit Vorlagebericht am 13.8.2015 zur Entscheidung vorgelegt.
II. Sachverhalt
Das Bundesfinanzgericht geht von folgendem aktenkundigen und unstrittigen Sachverhalt aus:
1. Die Bf. hat mittels des am 27.12.2013 beim Finanzamt eingelangten Formulars E 108c die Forschungsprämie für eigenbetriebliche Forschung und experimentelle Entwicklung gemäß § 108c EStG 1988 in Höhe von € 4.857,80 beantragt.
2. Mit elektronischem Antrag vom 14.8.2013 forderte die Bf. bei der Forschungsförderungsgesellschaft mbH (FFG) ein Gutachten an, welches die Beurteilung zum Gegenstand hatte, inwieweit die von der Bf. bekanntgegebenen Informationen die Voraussetzungen einer eigenbetrieblichen Forschung und experimentellen Entwicklung iSd § 108c Abs. 2 Z 1 EStG 1988 für das Jahr 2012 erfüllen.
3. Der Rückfrage der FFG am 14.8.2013, den in englischer Sprache formulierten Schwerpunkt/Projekt MASIPP - Mathematical Simulation of pulsed BVD (Punkt 1.5. F&E-Aktivitäten - Details) in der für im Steuerverfahren vorgesehen Amtssprache Deutsch vorzubringen, kam die Bf. am 16.8.2013 nach.
4. In dem am 9.9.2013 erstellten - und gleichzeitig der Abgabenbehörde und der Bf. per FinanzOnline übermittelten - Jahresgutachten J13A000312 betreffend das Wirtschaftsjahr 01.01.2012 - 31.12.2012 führte die FFG zu den vier zu beurteilenden Projekten aus, dass die Projekte "MASIPP - Mathematical Simulation of pulsed PVD Processes" (12 % der Bemessungsgrundlage) und "MOTIVES - Measuring Organisational Training - Illustrating Value, Economic and So" (15 % der Bemessungsgrundlage) den Vorgaben für F&E gemäß § 108c Abs. 2 Z 1 EStG 1988 entsprechen, nicht hingegen die Projekte "e2-p - Electronic Entrepreneur Portfolios" und "INSEMOT SME - Information Security Modular Training for SME" (35 % der Bemessungsgrundlage), weil weder in Ziel und Inhalt, noch Methode bzw. Vorgangsweise, noch in Neuheit konkrete F&E-Aktivitäten ausreichend erkennbar seien.
5. Die Forschungsprämie für 2012 wurde der Bf. in der beantragten Höhe von € 4.857,80, somit alle vier Projekte umfassend, am Abgabenkonto am 20.1.2014 gutgeschrieben.
6. Die Abgabenbehörde hat mit dem am 13.11.2014 ausgefertigten Bescheid die Forschungsprämie - abweichend vom gutgeschriebenen Betrag - mit einem niedrigeren Betrag (€ 1.366,25) festgesetzt. Sie hat im angefochtenen Bescheid nicht dargelegt, welche Voraussetzungen genau (Aufhebungsgrund bzw. neu hervorgekommene Tatsache) des § 201 BAO als erfüllt betrachtet wurden, die eine erstmalige (Neu)Festsetzung der Forschungsprämie als zulässig rechtfertigen konnten. Gründe für die Ermessensübung wurden nicht dargestellt.
III. Rechtslage
1. Gemäß § 108c Abs. 1 EStG 1988 in der Fassung 1. Stabilitätsgesetzes 2012, BGBl. I Nr. 22/2012 (gem. § 224b Z 223 leg. cit. erstmalig auf Prämien anzuwenden, die Wirtschaftsjahre betreffen, die nach dem 31. Dezember 2011 beginnen) können Steuerpflichtige, soweit sie nicht Mitunternehmer sind, und Gesellschaften, bei denen die Gesellschafter als Mitunternehmer anzusehen sind, Prämien für eigenbetriebliche Forschung und Auftragsforschung im Sinne des Abs. 2 von jeweils 10% der Aufwendungen (Ausgaben) geltend machen.
Prämienbegünstigt sind eigenbetriebliche Forschung und experimentelle Entwicklung, die systematisch und unter Einsatz wissenschaftlicher Methoden durchgeführt wird. Zielsetzung muss sein, den Stand des Wissens zu vermehren sowie neue Anwendungen dieses Wissens zu erarbeiten. Die Forschung muss in einem inländischen Betrieb oder einer inländischen Betriebsstätte erfolgen. Der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, die Kriterien zur Festlegung der prämienbegünstigten Forschungsaufwendungen (-ausgaben) mittels Verordnung festzulegen (§ 108c Abs. 2 Z 1 EStG 1988).
Die sich aus dem Verzeichnis ergebenden Prämien sind auf dem Abgabenkonto gut zu schreiben, es sei denn, es ist ein Bescheid gemäß § 201 BAO zu erlassen (§ 108c Abs. 4 Z 1 EStG 1988).
Gemäß Abs. 7 ist Voraussetzung für die Gewährung einer Forschungsprämie für eigenbetriebliche Forschung und experimentelle Entwicklung ein vom Steuerpflichtigen bei der FFG anzuforderndes Gutachten (Abs. 8), welches die Beurteilung zum Gegenstand hat, inwieweit eine Forschung und experimentelle Entwicklung unter Zugrundelegung der vom Steuerpflichtigen bekanntgegebenen Informationen die Voraussetzungen des Abs. 2 Z 1 erfüllt. Liegt bereits eine diesbezügliche bescheidmäßige Bestätigung nach § 118a der Bundesabgabenordnung vor, genügt die Glaubhaftmachung, dass die durchgeführte Forschung und experimentelle Entwicklung der der Bestätigung zu Grunde gelegten entspricht oder davon nicht wesentlich abweicht.
Für die Erstellung von Gutachten durch die FFG gilt gemäß § 108c Abs. 8 EStG 1988 Folgendes:
1. Die FFG hat Gutachten ausschließlich auf Grundlage der vom Steuerpflichtigen zur Verfügung gestellten Informationen zu erstellen und – vorbehaltlich der Z 4 – deren Richtigkeit und Vollständigkeit nicht zu beurteilen.
2. Die FFG hat in ihrem Gutachten nicht zu beurteilen, ob und in welchem Umfang Aufwendungen oder Ausgaben für Forschung und experimentelle Entwicklung Bestandteil der Bemessungsgrundlage für die Forschungsprämie sind.
3. Die FFG hat ein von ihr erstelltes Gutachten bis zu einer Löschungsanordnung durch das Finanzamt aufzubewahren.
4. Mit Zustimmung des Steuerpflichtigen kann die FFG, die von ihm übermittelten Informationen mit den über den jeweiligen Steuerpflichtigen bei ihr vorhandenen personenbezogenen Daten aus bereits erledigten oder anhängigen Förderungsfällen vergleichen. Ansonsten ist die FFG nur bei begründetem Verdacht auf Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der ihr vom Steuerpflichtigen zur Verfügung gestellten Informationen ermächtigt, diesen Datenvergleich vorzunehmen. Auf das Ergebnis dieses Vergleichs ist im Gutachten ergänzend hinzuweisen.
5. Mit Zustimmung des Steuerpflichtigen hat das Finanzamt der FFG den Zugriff auf Informationen aus einer Anforderung eines Gutachtens zur Vornahme eines Vergleichs mit den über denselben Steuerpflichtigen bei ihr vorhandenen personenbezogenen Daten aus bereits erledigten oder anhängigen Förderungsfällen einzuräumen. Ansonsten darf das Finanzamt nur bei begründetem Verdacht auf Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der denselben Steuerpflichtigen betreffenden Informationen aus erledigten oder anhängigen Förderungsfällen einen Datenvergleich zulassen.
6. Der Steuerpflichtige hat Gutachten der FFG elektronisch anzufordern, wobei FinanzOnline als Authentifizierungsprovider zu fungieren hat. Die FFG hat Gutachten unter Bezugnahme auf die Anforderung durch den Steuerpflichtigen im Wege von FinanzOnline der Abgabenbehörde zu übermitteln und dem Steuerpflichtigen zur Einsichtnahme zur Verfügung zu stellen.
7. Die Bundesministerin für Finanzen wird ermächtigt, die Durchführung der Gutachtenserstellung sowie den Inhalt und das Verfahren der elektronischen Anforderung und Übermittlung von Gutachten mit Verordnung festzulegen.
2. § 201 BAO ist im Beschwerdefall bereits in der Fassung nach dem FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013, (§ 323 Abs. 37 BAO) und nach dem VwG-AnpG-BMF, BGBl. I Nr. 70/2013, (§ 323 Abs. 40 BAO) anzuwenden.
§ 201 Abs. 1 BAO bestimmt:
Ordnen die Abgabenvorschriften die Selbstberechnung einer Abgabe durch den Abgabepflichtigen an oder gestatten sie dies, so kann nach Maßgabe des Abs. 2 und muss nach Maßgabe des Abs. 3 auf Antrag des Abgabepflichtigen oder von Amts wegen eine erstmalige Festsetzung der Abgabe mit Abgabenbescheid erfolgen, wenn der Abgabepflichtige, obwohl er dazu verpflichtet ist, keinen selbst berechneten Betrag der Abgabenbehörde bekannt gibt oder wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung als nicht richtig erweist.
Gemäß Abs. 2 kann die Festsetzung erfolgen,
1. von Amts wegen innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages,
2. wenn der Antrag auf Festsetzung spätestens ein Jahr ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages eingebracht ist,
3. wenn kein selbstberechneter Betrag bekannt gegeben wird oder wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden,
(Anm.: Z 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 20/2009)
5. wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 293b oder des § 295a die Voraussetzungen für eine Abänderung vorliegen würden.
Gemäß Abs. 3 hat die Festsetzung zu erfolgen,
1. wenn der Antrag auf Festsetzung binnen einer Frist von einem Monat ab Bekanntgabe des selbst berechneten Betrages eingebracht ist,
(Anm.: Z 2 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 70/2013)
3. wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 295 die Voraussetzungen für eine Änderung vorliegen würden.
Innerhalb derselben Abgabenart kann die Festsetzung mehrerer Abgaben desselben Kalenderjahres (Wirtschaftsjahres) in einem Bescheid zusammengefasst erfolgen (Abs. 4).
2.1. Die Festsetzung gemäß § 201 BAO kann demnach dann, wenn sich die bekanntgegebene Selbstberechnung im Sinne des Abs. 1 der Bestimmung als "nicht richtig" erweist, gemäß Abs. 2 Z 1 "von Amts wegen innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages" und nach Abs. 2 Z 3 erfolgen, "wenn bei sinngemäßer Anwendung des § 303 die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens vorliegen würden". Die Vorschrift hat insoweit den Zweck, einen "Gleichklang mit der bei einem durch Bescheid abgeschlossenen Verfahren geltenden Rechtslage" herbeizuführen (vgl. VwGH 30.1.2014, 2011/15/0156).
Die sprachlichen Anpassungen durch das FVwGG 2012, BGBl. I Nr. 14/2013, und das VwG-AnpG-BMF, BGBl. I Nr. 70/2013, sollten dabei ausweislich der Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage der "Neuregelung des Wiederaufnahmsrechts in der BAO" Rechnung tragen (vgl. zum FVwGG 2012 2007 BlgNR 24. GP 16 sowie zum VwG-AnpG-BMF 2196 BlgNR 24. GP 8). Damit wurde der schon vom Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz betonte "Gleichklang mit der bei einem durch Bescheid abgeschlossenen Verfahren geltenden Rechtslage" weiter verfolgt.
Aus diesem vom Gesetzgeber statuierten Gleichklang ergibt sich auch eine Übertragbarkeit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Wiederaufnahme auf Festsetzungen gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO (vgl. VwGH 19.10.2016, Ra 2014/15/0058).
3. Erstmalige Festsetzungen von Selbstberechnungsabgaben (zB von Dienstgeberbeiträgen) sollen somit grundsätzlich nur innerhalb jener Fristen (und bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen) zulässig sein, in denen bei Veranlagungsabgaben die Abgabenbescheide gemäß § 299 BAO aufhebbar sind bzw Wiederaufnahmen der betreffenden Verfahren in Betracht kommen (vgl. Ellinger/Iro/Kramer/Sutter/Urtz, BAO3 § 201 (Stand 1.6.2013, rdb.at).
4. § 201 BAO erfordert nicht, dass im Spruch des Bescheides zum Ausdruck gebracht wird, auf welchen Tatbestand des § 201 BAO der Bescheid gestützt ist (vgl. VwGH 24.1.2017, Ro 2016/16/0004; VwGH 29.3.2017, Ro 2015/15/0030).
5. Die Aufhebung eines Bescheides gemäß § 299 BAO hat die Gründe, auf die sich die behauptete Unrichtigkeit stützt zu enthalten. Die Aufhebung setzt die Gewissheit der Rechtswidrigkeit voraus, die bloße Möglichkeit reicht nicht aus. Die Aufhebung setzt die vorherige Klärung des entscheidungsrelevanten Sachverhaltes voraus (vgl. Ritz, BAO5, § 299 Tz 13 und die dort zitierte Rechtsprechung).
6. Zweck der Wiederaufnahme wegen Neuerungen ist - wie schon nach der Regelung vor dem FVwGG 2012 - die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen (vgl. Ritz, BAO5 § 303 Tz 24). Gemeint sind also Tatsachen, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (vgl. VwGH 26.11.2015, Ro 2014/15/0035).
7. Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die für die Entscheidung über die Wiederaufnahme zuständige Behörde (vgl. VwGH 14.5.1991, 90/14/0262).
8. Aufgabe des Bundesfinanzgerichts bei Entscheidungen über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch ein Finanzamt ist es daher, zu prüfen, ob dieses Verfahren aus den vom Finanzamt gebrauchten Gründen wieder aufgenommen werden durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmegründen zulässig gewesen wäre. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmegrund nicht vor oder hat das Finanzamt die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt, muss das Bundesfinanzgericht den vor ihm bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben (vgl. VwGH 29.1.2015, 2012/15/0030).
Aus den Überlegungen dieses Erkenntnisses lässt sich für die Aufhebung nach § 299 BAO idF idF FVwGG 2012 BGBl. I 2013/14 Folgendes ableiten:
§ 299 Abs. 1 BAO idF idF FVwGG 2012 BGBl. I 2013/14 räumt dem Steuerpflichtigen ein Antragsrecht auf Bescheidaufhebung ein. Den Aufhebungsgrund bestimmt bei der Aufhebung auf Antrag die betreffende Partei. Sie gibt im Aufhebungsantrag an, aus welchen Gründen sie den Bescheid für inhaltlich rechtswidrig erachtet. Korrespondierend dazu legt bei der Bescheidaufhebung von Amts wegen die Abgabenbehörde im Zusammenhang mit der Erlassung des Aufhebungsbescheides fest, aus welchen Gründen sie den Bescheid als inhaltlich rechtswidrig ansieht. Daraus folgt, dass die Sache, über die in der Beschwerde gegen einen Aufhebungsbescheid oder einen Bescheid, mit welchem der Aufhebungsantrag abgewiesen wird, zu entscheiden ist, bei der beantragten Aufhebung durch die Partei im Aufhebungsantrag und bei der amtswegigen Aufhebung durch das Finanzamt im Rahmen der Erlassung des Aufhebungsbescheides, festgelegt wird (vgl. VwGH 26.4.2012, 2009/15/0119; VwGH 28.10.2014, 2012/13/0116).
IV. Erwägungen
1. Im gegenständlichen Beschwerdefall wurde die erstmalige von der bekannt gegebenen Selbstberechnung abweichende Festsetzung der Forschungsprämie 2012 am 13.11.2014 damit begründet, dass die Projekte "e2-p - Electronic Entrepreneur Portfolios" und "INSEMOT SME - Information Security Modular Training für SME" auch nach der Stellungnahme der FFG vom 6.11.2014 die inhaltlichen Voraussetzungen des § 108c Abs. 2 Z 1 EStG 1988 nicht erfüllen.
Aus der Begründung des Festsetzungsbescheides ist für das Bundesfinanzgericht nicht erkennbar, ob die Abgabenbehörde die erstmalige von der Selbstberechnung abweichende Festsetzung der Forschungsprämie nach § 201 Abs. 2 Z 1 BAO unter Berücksichtigung der Bestimmungen des § 299 Abs. 1 BAO oder gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO mit Blick auf § 303 BAO veranlasste. Ebenso wurde eine für eine Aufhebung eines Bescheides als auch für eine Wiederaufnahme des Verfahrens erforderliche Begründung der Ermessensübung nicht dargelegt.
2. Bei der Bescheidaufhebung von Amts wegen legt die Abgabenbehörde im Zusammenhang mit der Erlassung des Aufhebungsbescheides fest, aus welchen Gründen sie den Bescheid als inhaltlich rechtswidrig ansieht. Die Sache, über die in der Beschwerde gegen einen Aufhebungsbescheid zu entscheiden ist, wird sohin durch das Finanzamt im Rahmen der Erlassung des Aufhebungsbescheides festgelegt (vgl. VwGH 26. April 2012, 2009/15/0119 ). Im Beschwerdeverfahren kann ein mangelhaft begründeter Aufhebungsbescheid (etwa hinsichtlich der Begründung der Ermessensübung) ergänzt bzw. richtig gestellt werden, es darf aber kein anderer (neuer) Aufhebungsgrund herangezogen werden (vgl. VwGH 22.5.2014, 2011/15/0190; VwGH 28.10.2014, 2012/13/0116).
3. Voraussetzung für die Festsetzung gemäß § 201 Abs. 2 Z 3 BAO ist, dass entscheidungserhebliche Tatsachen oder Beweismittel der Abgabenbehörde im Zeitpunkt der Bekanntgabe des selbstberechneten Betrages noch nicht bekannt waren und dass diese Umstände nachträglich neu hervorkommen (etwa im Zuge einer Außenprüfung).
Die Begründung (§ 93 Abs. 3 lit. a BAO) des Festsetzungsbescheides hat das Vorliegen der Voraussetzungen für seine Erlassung darzulegen. Stützt sich die Behörde auf neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel (iSd § 303), so hat sie diese Tatsachen (Beweismittel) und ihr "Neuhervorkommen" in der Bescheidbegründung darzulegen (vgl. Ritz, BAO5, § 201 Tz 37 und Tz 39).
Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände, also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis geführt hätten. Maßgebend ist, ob der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können (vgl. VwGH 29.9.2004, 2001/13/0135).
4. Maßnahmen nach § 299 BAO und nach § 303 Abs. 1 BAO liegen im Ermessen. In gleicher Weise sollen Festsetzungen gemäß § 201 BAO im Ermessen (§ 20 BAO) liegen. Bei der Ermessensübung sind jene Kriterien heranzuziehen, die für Aufhebungen nach § 299 BAO und für die Verfügung der Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO maßgebend sind.
5. Mit der Begründung im Festsetzungsbescheid, die sich lediglich darauf beschränkt , dass die Projekte "e2-p - Electronic Entrepreneur Portfolios" und "INSEMOT SME - Information Security Modular Training für SME" die Projekte nach der Stellungnahme der FFG vom 6.11.2014 weiterhin nicht die Voraussetzungen des § 108c Abs. 2 Z 1 EStG 1988 erfüllten, zeigte die Abgabenbehörde nicht auf welcher Aufhebungsgrund vorgelegen hat beziehungsweise welche Tatsachen neu hervorgekommen sind, das ein Abgehen von der Gutschrift mit Festsetzungsbescheid rechtfertigen hätte können.
Das Jahresgutachten der FFG stellt ein Beweismittel dar, das der freien Beweiswürdigung unterliegt und vom zuständigen Finanzamt vor der Entscheidung über den Prämienantrag zu würdigen ist. Im Beschwerdefall hat sich die Abgabenbehörde bislang nicht mit dem Gutachten vom 9.9.2013 und der Stellungnahme vom 6.11.2014 der FFG sowie mit den ergänzenden und zulässigen Sachverhaltsvorbringen der Bf. inhaltlich auseinandergesetzt und demzufolge keinerlei sachverhaltsbezogene Feststellungen in einer ihr obliegenden eingehenden Beweiswürdigung getroffen.
6. Da die Abgabenbehörde den Festsetzungsbescheid vom 13.11.2014 weder auf einen Aufhebungsgrund noch auf einen Wiederaufnahmegrund gestützt hat, musste das Bundesfinanzgericht den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben.
V. Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Dass eine amtswegige (Neu)Festsetzung seit der Selbstbemessung neu hervorgekommener Umstände bedarf, die seitens der Abgabenbehörde darzutun sind und dass bei der amtswegigen Aufhebung der Aufhebungsgrund durch das Finanzamt im Rahmen der Erlassung des Aufhebungsbescheides festzulegen ist, ist gesicherte Rechtsprechung des VwGH (vgl. VwGH 19.10.2016, Ra 2014/15/0058; VwGH 26.4.2012, 2009/15/0119; VwGH 28.10.2014, 2012/13/0116).
Innsbruck, am 17. Juli 2017
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | § 108c Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise: | VwGH 30.01.2014, 2011/15/0156 |