Normen
AuslBG §18 Abs1 idF 2017/I/066
AuslBG §18 Abs10 idF 2017/I/066
AuslBG §18 Abs11 idF 2017/I/066
AuslBG §18 Abs12 idF 2017/I/066
AuslBG §18 Abs13 idF 2017/I/066
AuslBG §18 Abs2 idF 2017/I/066
AuslBG §18 Abs3 idF 2017/I/066
AuslBG §18 Abs3a idF 2017/I/066
AuslBG §18 Abs4 idF 2017/I/066
AuslBG §18 Abs5 idF 2017/I/066
AuslBG §18 Abs6 idF 2017/I/066
AuslBG §18 Abs7 idF 2017/I/066
AuslBG §18 Abs8 idF 2017/I/066
AuslBG §18 Abs9 idF 2017/I/066
AuslBG §18 idF 2017/I/066
VwGG §42 Abs2 Z1
11992E049 EGV Art49
12010E056 AEUV Art56
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RO2021090001.J00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die revisionswerbende Partei ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit Sitz in Österreich. Seit Jänner 2018 ist sie überdies im Handelsregister der italienischen Handelskammer in Bozen eintragen. Dort verfügt sie über Büroräumlichkeiten.
2 Im August und September 2018 meldete die revisionswerbende Partei mit dem Zusatz „Betriebsstätte Bozen“ der Zentralen Koordinationsstelle des Bundesministeriums für Finanzen für die Kontrolle illegaler Beschäftigung die Überlassung von insgesamt 14 Drittstaatsangehörigen als Bauarbeiter bzw. Bauhilfsarbeiter an drei inländische Beschäftigerbetriebe, darunter auch die revisionswerbende Partei am Sitz in Österreich, gemäß § 19 Abs. 4 Lohn‑ und Sozialdumping‑Bekämpfungsgesetz (LSD‑BG). Als Beschäftigungsdauer wurden unterschiedlich lange Zeiträume zwischen 24. August 2018 und 21. Dezember 2018 angegeben.
3 Die vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörden (die zuständigen regionalen Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice) wiesen die Anträge auf Bestätigung der EU‑Überlassung gemäß § 18 Abs. 12 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) ab und untersagten die Überlassung, weil ‑ so die wesentliche Begründung ‑ sich der Rechtssitz der revisionswerbenden Partei auch nach dem italienischen Handelsregister in Österreich befinde und deshalb nicht von einer Arbeitskräfteüberlassung von einem Unternehmen mit Betriebssitz in einem anderen Mitgliedsstaat des Europäischen Wirtschaftsraums zur Erbringung einer vorübergehenden Arbeitsleistung nach Österreich im Sinn des § 18 Abs. 12 AuslBG ausgegangen werden könne.
4 Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden wies das Bundesverwaltungsgericht zunächst mit Beschluss vom 19. März 2019 wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses zurück, weil der Überlassungszeitraum in allen Fällen bereits verstrichen war.
5 Mit Erkenntnis vom 24. September 2019, E 1588/2019‑8, hob der Verfassungsgerichtshof diesen Beschluss wegen Verletzung der revisionswerbenden Partei im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter auf. Läge ein rechtlich geschütztes Interesse an einer Sachentscheidung nur innerhalb des jeweiligen Überlassungszeitraums vor, so wären Konstellationen wie die vorliegenden dem Rechtsschutz generell entzogen. Da die revisionswerbende Partei das in Rede stehende Verhalten wiederholen wolle, bestehe die Bedeutung der Entscheidung für gleiche oder ähnliche Sachverhalte für sie weiter.
6 Mit dem nunmehr angefochtenen (Ersatz‑)Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerden ohne Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG erklärte es für zulässig.
7 Rechtlich begründete das Bundesverwaltungsgericht dies zusammengefasst damit, dass der Begriff des Betriebssitzes gesetzlich nicht definiert sei. Ob ein Büro ein solcher sein könne, könne dahinstehen, weil nach der Systematik des § 18 AuslBG die Anwendung von dessen Abs. 12 als Ausnahmebestimmung nur für die in Abs. 1 angeführten Ausländer in Frage komme. Sofern kein Fall des § 18 Abs. 1 AuslBG vorliege, könne keine Entsendung oder Überlassung im Sinn des § 18 Abs. 12 AuslBG stattfinden. Sachverhalte, bei denen das Tatbestandselement „ohne einen im Bundesgebiet vorhandenen Betriebssitz“ fehle, könnten damit nicht zu einer Bestätigung führen, sodass in solchen Fällen die Untersagung auszusprechen sei.
8 Die revisionswerbende Partei habe jedenfalls einen Betriebssitz in Österreich. Aus diesem Grund sei nicht mehr zu prüfen, ob sie wegen ihrer Eintragung im italienischen Register und ihrer Büroräumlichkeiten in Bozen als ausländische Arbeitgeberin im Sinn des § 18 Abs. 1 AuslBG anzusehen sei. Da die revisionswerbende Partei somit nicht als Arbeitgeberin ohne einen im Bundesgebiet vorhandenen Betriebssitz im Sinn des § 18 Abs. 1 AuslBG die Meldungen nach § 18 Abs. 12 AuslBG erstattet habe, fehle es an einer der Voraussetzungen für die dort vorgesehene Bestätigung, sodass die Untersagung zu Recht ausgesprochen worden sei.
9 Den Entfall einer mündlichen Verhandlung begründete das Verwaltungsgericht mit vorliegender Entscheidungsreife. Dem stehe auch Art. 6 EMRK nicht entgegen, weil lediglich rechtliche Fragen zu klären gewesen seien.
10 Die Zulässigkeit der Revision begründete es mit dem Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, was unter einem Betriebssitz im Sinn des § 18 AuslBG zu verstehen sei und ob ein‑ und derselbe Rechtsträger, der einen Betriebssitz im Inland aufweise, eine Bestätigung nach § 18 Abs. 12 AuslBG erlangen könne, wenn er auch einen Betriebssitz in einem anderen Mitgliedsstaat des EWR habe.
11 Gegen dieses Erkenntnis erhob die revisionswerbende Partei zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 21. September 2020, E 1196/2020‑5, ablehnte und diese gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
12 In der nach § 26 Abs. 4 VwGG eröffneten Frist erhob die revisionswerbende Partei Revision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
13 Die Revision ist zur Klärung der vom Verwaltungsgericht genannten Frage, ob ein Rechtsträger, der einen Betriebssitz im Inland aufweist, eine Bestätigung nach § 18 Abs. 12 AuslBG erlangen kann, die auch die revisionswerbende Partei releviert, zulässig. Überdies wird unter diesem Gesichtspunkt in der Revision vorgebracht, dass die Auslegung des Bundesverwaltungsgerichts im Kontext der Bestimmungen des § 18 Abs. 12 AuslBG und des § 18 Abs. 1 AuslBG korrekturbedürftig sei und gegen eine solche Auslegung gravierende europa‑ und verfassungsrechtliche Bedenken bestünden. Schließlich wird in diesem Zusammenhang auch das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung gerügt.
14 Die Revision ist auch begründet.
15 § 18 Ausländerbeschäftigungsgesetz, BGBl. Nr. 218/1975, in der hier noch anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 66/2017, lautet samt Überschrift:
„Abschnitt IV
Betriebsentsendung und grenzüberschreitende Arbeitskräfteüberlassung
§ 18. (1) Ausländer, die von einem ausländischen Arbeitgeber ohne einen im Bundesgebiet vorhandenen Betriebssitz im Inland beschäftigt werden, bedürfen, soweit im folgenden nicht anderes bestimmt ist, einer Beschäftigungsbewilligung. Dauern diese Arbeiten nicht länger als sechs Monate, bedürfen Ausländer einer Entsendebewilligung, welche längstens für die Dauer von vier Monaten erteilt werden darf.
(2) Für Ausländer nach Abs. 1, die ausschließlich im Zusammenhang mit kurzfristigen Arbeitsleistungen, für die ihrer Art nach inländische Arbeitskräfte nicht herangezogen werden, wie geschäftliche Besprechungen, Besuche von Messeveranstaltungen und Kongressen und dergleichen, beschäftigt werden, ist eine Beschäftigungsbewilligung oder Entsendebewilligung nicht erforderlich.
(3) Für Ausländer, die
1. von ihrem ausländischen Arbeitgeber im Rahmen eines Joint Venture und auf der Grundlage eines betrieblichen Schulungsprogramms nicht länger als sechs Monate zur betrieblichen Einschulung in einen Betrieb mit Betriebssitz im Bundesgebiet oder
2. im Rahmen eines international tätigen Konzerns auf Basis eines qualifizierten konzerninternen Aus‑ und Weiterbildungsprogramms von einem ausländischen Konzernunternehmen nicht länger als 50 Wochen in das Headquarter im Bundesgebiet oder
3. von ihrem international tätigen Dienstgeber als der Unternehmensleitung zugeteilte qualifizierte Mitarbeiter, die zur innerbetrieblichen Aus- oder Weiterbildung (Führungskräftenachwuchs) und zu Rotationen im Hinblick auf den Dienstort verpflichtet sind, nicht länger als 24 Monate in eine zum gleichen Unternehmen oder zur gleichen Unternehmensgruppe gehörende Niederlassung im Bundesgebiet
entsandt werden, ist keine Entsendebewilligung oder Beschäftigungsbewilligung erforderlich. Die Schulungs‑ bzw. Aus‑ und Weiterbildungsmaßnahme ist spätestens zwei Wochen vor Beginn vom Inhaber des inländischen Schulungsbetriebes (Z 1), vom Headquarter (Z 2) bzw. von der inländischen Niederlassung (Z 3) der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice unter Nachweis des Joint Venture‑Vertrages und des Schulungsprogramms bzw. des Aus‑ und Weiterbildungsprogramms, in dem Zielsetzungen, Maßnahmen und Dauer der Schulung bzw. Ausbildung angegeben sind, anzuzeigen. Die regionale Geschäftsstelle hat binnen zwei Wochen eine Anzeigebestätigung auszustellen. Die Einschulung bzw. Aus‑ und Weiterbildung darf erst nach Vorliegen der Anzeigebestätigung begonnen werden.
(3a) Für Ausländer, die als Vertreter repräsentativer ausländischer Interessenvertretungen im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses in das Bundesgebiet abgestellt werden und deren Arbeitsvertrag Rotationen im Hinblick auf den Dienstort vorsieht, gilt Abs. 3 mit der Maßgabe, dass die aufnehmende Niederlassung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice die Beschäftigung unter Nachweis des Arbeitsvertrags und des Abordnungsschreibens anzuzeigen hat.
(4) Dauert die im Abs. 1 genannte Beschäftigung länger als vier Monate, so ist eine Beschäftigungsbewilligung erforderlich. Der Antrag auf Erteilung der Beschäftigungsbewilligung ist jedenfalls noch vor Ablauf des vierten Monates nach Aufnahme der Arbeitsleistung vom Inhaber des Betriebes, in dem der Ausländer beschäftigt wird, bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice einzubringen. Im Falle der Ablehnung der Beschäftigungsbewilligung ist die Beschäftigung spätestens zwei Wochen nach Zustellung der Entscheidung zu beenden.
(5) Für Ausländer nach Abs. 1, die im Rahmen zwischenstaatlicher Kulturabkommen beschäftigt werden, ist eine Entsendebewilligung nicht erforderlich. Die Beschäftigung ist von der Einrichtung, in der die Arbeitsleistungen erbracht werden, bzw. vom Veranstalter spätestens am Tage der Arbeitsaufnahme der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice anzuzeigen.
(6) Für Ausländer nach Abs. 1, die bei Ensemblegastspielen im Theater beschäftigt werden, ist eine Entsendebewilligung nicht erforderlich, wenn die Beschäftigung nicht länger als eine Woche dauert. Die Beschäftigung ist vom Veranstalter spätestens am Tage der Arbeitsaufnahme der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice anzuzeigen.
(7) Dauert die Beschäftigung nach Abs. 6 länger als eine Woche, so ist der Antrag auf Erteilung der Entsendebewilligung ab Kenntnis dieses Umstandes, jedenfalls jedoch vor Ablauf einer Woche nach Aufnahme der Beschäftigung, vom Veranstalter bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice einzubringen.
(8) Bei Erteilung einer Entsendebewilligung oder einer Beschäftigungsbewilligung für einen betriebsentsandten Ausländer kann für den Fall, daß es sich um Arbeitsleistungen handelt, die von Inländern nicht erbracht werden können, von der Prüfung, ob die Lage und Entwicklung des Arbeitsmarktes die Beschäftigung zuläßt, abgesehen werden.
(9) Die Dauer der Arbeitsleistungen bzw. der Beschäftigung ist unabhängig von der Dauer des Einsatzes des einzelnen Ausländers bei diesen Arbeitsleistungen bzw. Beschäftigungen festzustellen.
(10) Die Lohn‑ und Arbeitsbedingungen gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 und § 8 Abs. 1 sind als erfüllt anzusehen, wenn die Beschäftigung keine Gefährdung der Lohn‑ und Arbeitsbedingungen der inländischen Arbeitnehmer mit sich bringt.
(11) Für Arbeiten, die im Bundesgebiet üblicherweise von Betrieben der Wirtschaftsklassen Hoch‑ und Tiefbau, Bauinstallation, sonstiges Baugewerbe und Vermietung von Baumaschinen und Baugeräten mit Bedienungspersonal gemäß der Systematik der ÖNACE erbracht werden, kann eine Entsendebewilligung nicht erteilt werden.
(12) Für Ausländer, die von einem Unternehmen mit Betriebssitz in einem anderen Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraumes zur Erbringung einer vorübergehenden Arbeitsleistung nach Österreich entsandt oder überlassen werden, ist keine Beschäftigungsbewilligung oder Entsendebewilligung erforderlich, wenn
1. sie ordnungsgemäß zu einer Beschäftigung im Staat des Betriebssitzes über die Dauer der Entsendung oder Überlassung nach Österreich hinaus zugelassen und beim entsendenden Unternehmen rechtmäßig beschäftigt sind,
2. die österreichischen Lohn- und Arbeitsbedingungen gemäß § 3 Abs. 3 bis 6, § 4 Abs. 2 bis 5 und § 5 des Lohn‑ und Sozialdumping‑Bekämpfungsgesetzes (LSD‑BG), BGBl. Nr. 44/2016, im Fall der Überlassung gemäß § 10 AÜG, § 3 Abs. 4, § 4 Abs. 2 und 5 und § 6 LSD‑BG sowie die sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden und
3. im Fall der Überlassung kein Untersagungsgrund gemäß § 18 Abs. 1 AÜG vorliegt.
Die Zentrale Koordinationsstelle für die Kontrolle der illegalen Beschäftigung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz und dem Lohn‑ und Sozialdumping‑Bekämpfungsgesetz des Bundesministeriums für Finanzen (Zentrale Koordinationsstelle) hat die Meldung über die Beschäftigung betriebsentsandter oder überlassener Ausländer gemäß § 19 Abs. 2 bis 4 LSD‑BG unverzüglich der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zu übermitteln. Die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice hat binnen zwei Wochen ab Einlangen der Meldung dem Unternehmen und dem Auftraggeber oder Beschäftiger, der die Arbeitsleistungen in Anspruch nimmt, das Vorliegen der Voraussetzungen zu bestätigen (EU‑Entsendebestätigung bzw. EU‑Überlassungsbestätigung) oder bei Nichtvorliegen die Entsendung oder Überlassung zu untersagen. Unbeschadet der Meldepflicht gemäß § 19 Abs. 2 bis 4 LSD‑BG sowie sonstiger Pflichten nach dem AÜG, darf die Beschäftigung bei Vorliegen der Voraussetzungen auch ohne EU‑Entsendebestätigung bzw. EU‑Überlassungsbestätigung begonnen werden.
(13) Abs. 12 gilt sinngemäß für unternehmensintern transferierte Ausländer (§ 2 Abs. 13), die bereits einen gültigen Aufenthaltstitel für unternehmensintern transferierte Arbeitnehmer mit dem Vermerk ‚ICT‘ eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union innehaben und bis zu 90 Tage innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen in eine oder mehrere Niederlassungen des gleichen Unternehmens oder der gleichen Unternehmensgruppe mit Sitz im Bundesgebiet vorübergehend abgestellt und dort entsprechend tätig werden. Bei Vorliegen der Voraussetzungen ist eine EU‑Entsendebestätigung auszustellen. Bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen ist die Entsendung zu untersagen und die zuständige Behörde des Mitgliedstaats, der einen Aufenthaltstitel für unternehmensintern transferierte Arbeitnehmer mit dem Vermerk ‚ICT‘ ausgestellt hat, von der Untersagung zu verständigen.“
16 Nach den unbestrittenen Feststellungen weist die revisionswerbende Partei neben ihrem Sitz im Inland einen „Zweitsitz“ in Italien auf, der im Handelsregister der italienischen Handelskammer eingetragen ist. Dort verfügt sie jedenfalls auch über Büroräumlichkeiten. Rechtlich leitete das Bundesverwaltungsgericht daraus im Wesentlichen ab, dass bei Nichterfüllung der in § 18 Abs. 1 AuslBG genannten Voraussetzungen eine Entsendung oder Überlassung im Sinn des § 18 Abs. 12 AuslBG nicht mehr in Betracht komme. Hier fehle das Tatbestandsmerkmal „ohne einen im Bundesgebiet vorhandenen Betriebssitz“, sodass keine Bestätigung nach § 18 Abs. 12 AuslBG ausgestellt werden könne und in einem solchen Fall die Untersagung auszusprechen sei.
17 Diese Auslegung des § 18 AuslBG trifft jedoch aus den folgenden Gründen nicht zu:
18 Entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts stellt sich der im Revisionsfall maßgebliche § 18 Abs. 12 AuslBG nicht als Ausnahmefall des § 18 Abs. 1 AuslBG dar und stellt letzterer nicht Bedingungen auf, die erfüllt sein müssen, um zu einer Anwendung des Abs. 12 zu gelangen. Mit anderen Worten: Allein mit dem Umstand, dass das in § 18 Abs. 1 AuslBG vorgesehene Tatbestandsmerkmal eines ausländischen Arbeitgebers „ohne einen im Bundesgebiet vorhandenen Betriebssitz im Inland“ nicht erfüllt ist, kann die Anwendbarkeit des § 18 Abs. 12 AuslBG nicht ausgeschlossen werden.
19 § 18 AuslBG regelt die Beschäftigung von betriebsentsandten Ausländern, wobei die Abs. 1 bis 11 leg. cit. die Entsendung aus Unternehmen, denen das Recht auf Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV (vormals: Art. 49 EGV) nicht zukommt, betreffen, während die Entsendung von Dienstnehmern von Unternehmen, denen nach Art. 56 AEUV das Recht auf Dienstleistungsfreiheit zusteht, in § 18 Abs. 12 AuslBG geregelt wird (VwGH 19.5.2014, Ro 2014/09/0026). Eine Beschäftigung eines ausländischen Arbeitnehmers im Rahmen einer Entsendung zur Erbringung einer vorübergehenden Arbeitsleistung in Österreich durch ein Unternehmen mit Betriebssitz in einem anderen Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums gemäß § 18 Abs. 12 AuslBG ist dann ohne Beschäftigungs- oder Entsendebewilligung zulässig, wenn die dort genannten Kriterien erfüllt sind (VwGH 8.5.2020, Ra 2019/09/0025).
20 Das Bundesverwaltungsgericht zog zur Begründung seiner Ansicht die parlamentarischen Materialien zur Stammfassung des § 18 AuslBG heran, wonach als charakteristisch für die Beschäftigung betriebsentsandter Ausländer festgehalten wurde, dass deren Arbeitgeber im Bundesgebiet keinen Betriebssitz und auch sonst keinen inländischen Anknüpfungspunkt aufzuweisen vermag (ErläutRV 1451 BlgNR 13. GP 31f). Dabei hat es jedoch übersehen, dass die Bestimmungen des § 18 Abs. 12 AuslBG in der damaligen Stammfassung des § 18 AuslBG noch nicht enthalten waren. Eine Aussage zum Verhältnis von Abs. 1 zu Abs. 12 des § 18 AuslBG in der hier zu beachtenden Fassung oder eine Auslegung der letztgenannten Bestimmung ist aus diesen Gesetzesmaterialien daher nicht zu gewinnen.
21 Erst im Zuge der Neuregelung des Anzeigeverfahrens in den (damaligen) Abs. 12 bis 16 des § 18 AuslBG durch BGBl. I Nr. 78/1997 wurde dieses in § 18 AuslBG aufgenommen. In diesem Zusammenhang ist den Erläuterungen (ErläutRV 689 BlgNR 20. GP 16) das Folgende zu entnehmen:
„Die Neuregelung sieht nunmehr für die Beschäftigung von drittstaatsangehörigen Arbeitskräften im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit anstatt der Entsendebewilligung ein bloßes Anzeigeverfahren bei der zuständigen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vor.
In diesem Verfahren ist zu prüfen, ob sich die Tätigkeit des Arbeitgebers tatsächlich im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 59 und 60 des EWG Vertrages bewegt und ob die Voraussetzungen nach Abs. 12 und 13 gegeben sind. Über das Ergebnis dieser Prüfung hat das Arbeitsmarktservice eine Bestätigung, die ‚EU‑Entsendebestätigung‘, auszustellen. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, unterliegt die Beschäftigung den sonstigen Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes.“
22 Die Bestimmungen des § 18 Abs. 12 und 13 AuslBG wurden in der Folge mehrfach novelliert (siehe die Darstellung der Materialien zu den Gesetzesänderungen nach den Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union [EuGH 9.8.1994, Vander Elst, C‑43/93 ; 21.9.2006, Kommission/Österreich, C‑168/04 ; 11.9.2014, Essent, C‑91/13 ] in Deutsch/Nowotny/Seitz, Ausländerbeschäftigungsgesetz2 [2018], § 18 Rz 34; siehe auch VwGH 8.5.2020, Ra 2019/09/0025).
23 Nach der hier anzuwendenden Bestimmung des § 18 Abs. 12 AuslBG ist daher ‑ wie bereits ausgeführt ‑ für Ausländer, die von einem Unternehmen mit Betriebssitz in einem anderen Mitgliedstaat des Europäischen Wirtschaftsraums zur Erbringung einer vorübergehenden Arbeitsleistung nach Österreich entsandt oder überlassen werden, keine Beschäftigungsbewilligung oder Entsendebewilligung erforderlich, wenn die in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Das Vorliegen eines weiteren Betriebssitzes in Österreich stellt hingegen keinen Ausschlussgrund dar.
24 Im Übrigen schließt auch im Bereich der Absätze 1 bis 11 des § 18 AuslBG das Vorliegen eines Betriebssitzes im Bundesgebiet nicht in jedem Fall die Zulässigkeit einer Entsendung aus. Während sich die Bestimmungen der Absätze 2, 5 und 6 ausdrücklich auf „Ausländer nach Abs. 1“, also solche, „die von einem ausländischen Arbeitgeber ohne einen im Bundesgebiet vorhandenen Betriebssitz im Inland beschäftigt werden“, beziehen, ist das bei den Absätzen 3 („zur betrieblichen Einschulung in einen Betrieb mit Betriebssitz im Bundesgebiet“, „in das Headquarter im Bundesgebiet“ oder „in eine zum gleichen Unternehmen oder zur gleichen Unternehmensgruppe gehörende Niederlassung im Bundesgebiet“) und dem darauf verweisenden Abs. 3a ‑ ebenso wie in Absatz 12 (und dem darauf verweisenden Abs. 13) ‑ nicht der Fall.
25 Das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 18 Abs. 12 AuslBG ist daher auch dann zu prüfen, wenn auch im Bundesgebiet ein weiterer Betriebssitz vorliegt.
26 Indem das Verwaltungsgericht jedoch die Prüfung des § 18 Abs. 12 AuslBG mit der Begründung, die revisionswerbende Partei verfüge auch über einen inländischen Betriebssitz, unterlassen hat, belastete es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.
27 Im fortzusetzenden Verfahren wird das Bundesverwaltungsgericht die in den Ziffern 1 bis 3 des § 18 Abs. 12 AuslBG genannten Voraussetzungen zu prüfen haben (vgl. neben der bereits genannten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auch EuGH 10.2.2011, Vicoplus u.a., C‑307/09 , u.a.; 14.11.2018, Danieli & C. Officine Meccaniche SpA; C‑18/17 ). Dazu wird es ‑ schon zur Ermittlung der Frage, ob die entsandten Ausländer bei einem Betriebssitz in Italien beschäftigt sind ‑ auch eine mündliche Verhandlung durchzuführen haben.
28 Das angefochtene Erkenntnis war nach dem Vorgesagten gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
29 Der Anregung der revisionswerbenden Partei, einen Antrag auf Einleitung eines Normprüfungsverfahrens beim Verfassungsgerichtshof hinsichtlich § 18 Abs. 1 iVm Abs. 12 AuslBG wegen Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und Verstoßes gegen das Determinierungsgebot zu stellen, war nicht näher zu treten. Zunächst ist die revisionswerbende Partei dazu auf den in ihrer Sache ergangenen Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 21. September 2020, E 1196/2020‑5, zu verweisen. Zudem ist der in § 18 Abs. 1 AuslBG normierte Ausschluss eines inländischen Betriebssitzes in einem Verfahren nach § 18 Abs. 12 AuslBG nach dem Vorgesagten nicht relevant.
30 Auch der weiteren Anregung, den Gerichtshof der Europäischen Union im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens zu befassen, war vom Verwaltungsgerichtshof nicht nachzukommen. Die in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage einer unionsrechtskonformen Interpretation des Begriffs „ausländischer Arbeitgeber“ als ein solcher, der zwingend keinen Betriebssitz im Inland habe, stellt sich nach dem Dargelegten nicht.
31 Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
32 Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 5 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 28. Februar 2022
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