Normen
ABGB §138
AsylG 2005 §6 Abs1 Z4
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
BFA-VG 2014 §9
FlKonv Art33 Abs2
MRK Art8
StGB §130
StGB §17
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RO2021010013.J00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) wurde der Revisionswerberin, einer Staatsangehörigen der Republik Kosovo und Angehörigen der albanischen Volksgruppe, in der Sache nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) der Status der Asylberechtigten aberkannt, gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme, der Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Kosovo zulässig sei, ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen und eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab der Enthaftung der Revisionswerberin festgelegt (Spruchpunkt A).
2 Weiter wurde ausgesprochen, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG zulässig sei (Spruchpunkt B).
3 Begründend stützte das BVwG die Asylaberkennung auf den Tatbestand des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 (besonders schweres Verbrechen) und verwies dabei auf die näher bezeichneten strafgerichtlichen Verurteilungen der Revisionswerberin. So sei die Revisionswerberin in Österreich viermal rechtkräftig verurteilt worden, zuletzt sei die Revisionswerberin mit Urteil vom 17. Juni 2019 wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges (§§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 erster Fall und § 147 Abs. 3, § 148 zweiter Fall StGB) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden. Ausgehend von dem sich ergebenden Gesamtbild könne keine positive Zukunftsprognose getroffen werden.
4 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Mit Beschluss vom 23. Februar 2021, E 4200/2020‑9, lehnte der VfGH die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Begründend führte der VfGH unter anderem aus, dem BVwG
„kann unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht entgegengetreten werden, wenn es auf Grund der Umstände des vorliegenden Falles davon ausgeht, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts von Fremden ohne Aufenthaltstitel das Interesse am Verbleib im Bundesgebiet aus Gründen des Art. 8 EMRK überwiegt (vgl. VfSlg. 19.086/2010)“.
Sodann erhob die Revisionswerberin die vorliegende ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.
8 Zweck der Begründungspflicht nach § 25a Abs. 1 zweiter Satz VwGG ist bei einer ordentlichen Revision die vom Verwaltungsgericht vorzunehmende Fokussierung auf die vom Verwaltungsgerichtshof zu lösende grundsätzliche Rechtsfrage (vgl. etwa VwGH 29.1.2021, Ro 2020/01/0016, mwN).
9 Den Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision begründete das BVwG damit, der Verwaltungsgerichtshof habe die gegenständliche Fallkonstellation nicht behandelt, in welcher einer Person, deren Asylstatus gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aufgrund mehrerer strafgerichtlicher Verurteilungen, insbesondere der Verwirklichung des Straftatbestandes des schweren Betruges, aberkannt worden sei. Demnach liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Qualifizierung eines Vermögensdeliktes als besonders schweres Verbrechen im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 vor.
10 Mit dem bloßen Hinweis auf fehlende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu einer näher bezeichneten Verwaltungsvorschrift wird nicht dargelegt, welche konkret auf die vorliegende Revisionssache bezogene grundsätzliche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof erstmals zu lösen habe (vgl. etwa VwGH 21.9.2020, Ra 2020/10/0037, mwN). Im Übrigen ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Voraussetzung für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005, dass ein Verbrechen im Sinne des § 17 StGB begangen wurde und dass es sich dabei ‑ oder gegebenenfalls in einer Zusammenschau mehrerer begangener Delikte ‑ um ein besonders schweres Verbrechen handelt (vgl. VwGH 25.5.2020, Ra 2019/19/0116). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fallen unter den Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen. Dabei handelt es sich aber um eine demonstrative und keineswegs abschließende Aufzählung von Delikten in Zusammenhang mit Art. 33 Abs. 2 GFK (vgl. VwGH 29.8.2019, Ra 2018/19/0522, mwN).
11 Der Revisionswerber hat auch in der ordentlichen Revision von sich aus die im Lichte des Art. 133 Abs. 4 B‑VG maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Auffassung ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichts für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. zu allem etwa VwGH 29.1.2021, Ro 2020/01/0016, mwN).
12 Die Revision wendet sich in dieser Hinsicht nicht gegen die Aberkennung des Status der Asylberechtigten an sich, sondern bringt zu ihrer Zulässigkeit (alleine) vor, das BVwG sei von (näher zitierter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Interessenabwägung nach § 9 BFA‑VG bzw. Art. 8 EMRK abgewichen, weil es das Kindeswohl der in Österreich lebenden Kinder der Revisionswerberin nicht ausreichend berücksichtigt habe.
13 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG (vgl. für viele VwGH 18.3.2019, Ra 2019/01/0068, mwN).
14 Im Rahmen der nach § 9 BFA‑VG vorzunehmenden Interessenabwägung kommt den Kriterien des § 138 ABGB nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes lediglich die Funktion eines „Orientierungsmaßstabs“ für die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht zu. Die Berücksichtigung des Kindeswohls stellt im Kontext aufenthaltsbeendender Maßnahmen lediglich einen Aspekt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung dar; das Kindeswohl ist daher bei der Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen von Fremden nicht das einzig ausschlaggebende Kriterium. Die konkrete Gewichtung des Kindeswohls im Rahmen der nach § 9 BFA‑VG vorzunehmenden Gesamtbetrachtung bzw. Interessenabwägung hängt vielmehr von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (vgl. zu allem VwGH 17.5.2021, Ra 2021/01/0150‑0152, mwN).
15 Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Judikatur (selbst) eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, im Ergebnis dann für gerechtfertigt erachtet, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie dies insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug der Fall ist. Insbesondere schwerwiegende kriminelle Handlungen, aus denen sich eine vom Fremden ausgehende Gefährdung ergibt, können die Erlassung einer Rückkehrentscheidung daher auch dann tragen, wenn diese zu einer Trennung von Familienangehörigen führt (vgl. VwGH 11.1.2021, Ra 2020/01/0295, mwN; vgl. zur Beurteilung von Art. 8 EMRK im Übrigen VfGH 23.2.2021, E 4200/2020‑9).
16 In der Revision werden vor diesem Hintergrund keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 16. Juni 2021
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