Normen
AVG §8
B-VG Art133 Abs4
EisbEG 1954 §17
EisbEG 1954 §2
EisenbahnG 1957 §19 Abs2
StGG Art5
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RO2020030022.J00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Revisionswerberin hat der belangten Behörde Aufwendungen in der Höhe von EUR 553,20 und der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die belangte Behörde hatte mit Bescheid vom 2. April 2019 gemäß §§ 2 und 17 EisbEG zu Gunsten der Mitbeteiligten die Enteignung der Revisionswerberin als Mit- und Wohnungseigentümerin des Grundstücks Nr. 6, inneliegend in EZ 217 der KG J, durch Einräumung näher genannter Dienstbarkeiten (im Wesentlichen: Duldung von Errichtung, Bestand und Betrieb einer Verkehrstunnelanlage samt damit in Zusammenhang stehenden Maßnahmen, teils auf Dauer, teils auf Baudauer, zur Ermöglichung der Errichtung des Neubaus einer U‑Bahn‑Anlage im betreffenden Bauabschnitt) verfügt (Spruchpunkt I), gemäß § 17 Abs. 2 EisbEG die Höhe der Enteignungsentschädigung festgesetzt (Spruchpunkt II) und gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde ausgeschlossen (Spruchpunkt III); weitere Spruchpunkte betreffen Entscheidungen über Verfahrenskosten bzw. Verwaltungsabgaben, wobei mit Spruchpunkt VII. die Mitbeteiligte zum Ersatz der mit insgesamt Euro 500,‑ ‑ bestimmten Kosten der beiden gemeinsam anwaltlich vertretenen Enteignungsgegnerinnen (darunter die nunmehrige Revisionswerberin) verpflichtet wurde.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht über die Beschwerde der Revisionswerberin gegen die Spruchpunkte I und VII. des behördlichen Bescheids entschieden und die Beschwerde als unbegründet abgewiesen; die ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt.
3 Begründend führte das Verwaltungsgericht (soweit für das nunmehrige Revisionsverfahren relevant) Folgendes aus:
4 Zur ‑ strittigen ‑ Frage, ob vor Einbringung des Enteignungsantrags seitens der Mitbeteiligten ausreichend ernsthafte Bemühungen um eine Einigung erfolgt seien, habe die Revisionswerberin geltend gemacht, dass der seitens der Mitbeteiligten vorgelegte Vertragsentwurf insofern mangelhaft gewesen sei, als er eine Regelung des Ersatzes für verschuldensunabhängige Schäden am Grundstück durch Bau und Betrieb der U‑Bahn nicht enthalten habe; eine solche vertragliche Regelung sei aber wegen des Außerkrafttretens des § 19 Abs. 2 zweiter Satz EisbG, der eine verschuldensunabhängige Haftung des Eisenbahnunternehmens für Schäden an benachbarten Liegenschaften durch Bau oder Bestand der Eisenbahn angeordnet habe, geboten gewesen, um den Enteignungsgegner nicht mit einem Sonderopfer zu belasten.
5 Dem habe die Mitbeteiligte damit entgegnet, dass sie der Revisionswerberin ‑ auf Basis eines Sachverständigengutachtens ‑ ein ausreichendes Entschädigungsangebot gemacht habe. Ein Ersatz für von der Revisionswerberin befürchtete Schäden sei schon durch gesetzliche Regelungen normiert. Zudem seien nur jene Schäden Gegenstand des Enteignungsverfahrens, die sich unmittelbar aus der Enteignung ergäben, nicht aber allfällige Folgeschäden durch Bau und Betrieb der Eisenbahn.
6 Das Verwaltungsgericht führte dazu aus, das ‑ auf Basis eines Sachverständigengutachtens nach Verhandlungen mit der Revisionswerberin erstellte ‑ Entschädigungsangebot der Mitbeteiligten sei nicht etwa unangemessen niedrig gewesen. Das Ablehnen der Haftung für künftige Folgeschäden aus dem Betrieb der U‑Bahn stelle die Ernsthaftigkeit der Vergleichsbemühungen nicht in Frage, zumal eine entsprechende Regelung vom Gesetzgeber aufgehoben worden sei.
7 Zum Zulässigkeitsausspruch führte das Verwaltungsgericht aus, die ordentliche Revision sei „für die Frage der Ernsthaftigkeit der Bemühungen um eine vertragliche Einigung zulässig, da grundsätzlich Rechtsprechung zwar besteht (vgl. u.a. VwGH zur Zahl 2014/03/0008), aber zu dieser Frage, ob Teil einer vertraglichen Einigung die Aufnahme von Folgeschäden sein müsste, diese fehlt.“ „Im Übrigen“ sei sie ‑ mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung ‑ unzulässig.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich, nachdem der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der zunächst an ihn gerichteten Beschwerde abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hat (VfGH 8.6.2020, E 1020/2020‑5), die vorliegende ‑ ordentliche ‑ Revision.
9 Die belangte Behörde und die Mitbeteiligte haben jeweils Revisionsbeantwortungen mit dem Antrag auf Zurück‑ in eventu Abweisung der Revision erstattet.
10 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
12 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden.
13 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofes zur Kontrolle der Entscheidungen der Verwaltungsgerichte nicht nur für den Fall einer außerordentlichen Revision, sondern auch bei ordentlichen Revisionen auf die Wahrnehmung von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne dieser Bestimmung begrenzt (vgl. VwGH vom 30. Juni 2015, Ro 2015/03/0021, mwN).
14 Ein Revisionswerber hat auch bei Erhebung einer ordentlichen Revision von sich aus die Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht, oder er eine andere Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet. In einem solchen Fall ist vom Revisionswerber auf die vorliegende Rechtssache bezogen für jede von ihm ‑ hinausgehend über die Zulässigkeitsbegründung des Verwaltungsgerichtes ‑ als von grundsätzlicher Bedeutung qualifizierte Rechtsfrage konkret (unter Berücksichtigung auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) aufzuzeigen, warum der Verwaltungsgerichtshof diese Rechtsfrage in einer Entscheidung über die Revision als solche von grundsätzlicher Bedeutung zu behandeln hätte, von der die Lösung der Revision abhängt (vgl. etwa VwGH 20.12.2017, Ro 2016/03/0005; 17.10. 2016, Ro 2015/03/0035, je mwN).
15 Die Zulässigkeitsbegründung der Revision verweist auf den Zulässigkeitsausspruch des Verwaltungsgerichts und macht ergänzend geltend, es stelle sich auch die Rechtsfrage, ob die Ernsthaftigkeit von Vergleichsbemühungen auch dann zu verneinen sei, wenn sich der Enteignungswerber weigere, bloß jene ergänzenden Regelungen in den Vertrag aufzunehmen, die ohnehin seiner eigenen Rechtsansicht entsprechen würden.
16 Mit diesem Vorbringen wird ‑ ebenso wie mit der Zulässigkeitsbegründung des Verwaltungsgerichts ‑ nicht aufgezeigt, dass der Verwaltungsgerichtshof bei Entscheidung über die vorliegende Revision eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu beantworten hätte, von der die Lösung der Revision abhängt.
17 Ernsthafte Bemühungen des Enteignungswerbers, das für einen öffentlichen Zweck benötigte Grundstück oder Nutzungsrecht zu angemessenen Bedingungen zu erwerben, stellen eine von der Enteignungsbehörde zu prüfende Bedingung der Zulässigkeit einer Enteignung dar (vgl. VwGH 18.2.2015, Ro 2014/03/0008, mwN auch aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs).
Die Entscheidung über den erforderlichen Inhalteinzelner Bedingungen im Vertragsanbot des Enteignungswerbers, um dieses insgesamt als angemessen bewerten zu können, begründet als notwendigerweise einzelfallbezogene Beurteilung im Allgemeinen, sofern sie auf verfahrensrechtlich einwandfreier Grundlage in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgt, keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (vgl. in diesem Sinn etwa VwGH 20.12.2017, Ro 2016/03/005; 23.9.2014, Ro 2014/01/0033).
18 Die Revisionswerberin vermisst eine dem § 19 Abs. 2 zweiter Satz EisbG idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 125/2006 entsprechende Regelung über eine verschuldensunabhängige Haftung der Mitbeteiligten für Schäden an ihrem Grundstück durch Bau und Betrieb der U‑Bahnlinie im vor Einbringung des Enteignungsantrags erstatteten Vertragsanbot der Mitbeteiligten und beurteilt dieses deshalb als unangemessen, weshalb die Enteignung unzulässig gewesen sei.
19 Dieses Vorbringen ist nicht zielführend.
20 § 19 Abs. 2 EisbG idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 125/2006, hatte gelautet:
„(2) Das Eisenbahnunternehmen hat Vorkehrungen zu treffen, dass durch den Bau, Bestand oder Betrieb der Eisenbahn keine Schäden an öffentlichem und privatem Gut entstehen. Es haftet, unbeschadet der Haftung nach anderen gesetzlichen Vorschriften, für Schäden, die durch den Bau oder Bestand der Eisenbahn an den benachbarten Liegenschaften verursacht werden.“
21 Mit der genannten Novelle entfiel der vormals zweite Satz des § 19 Abs. 2 EisbG. Die Materialien führen dazu Folgendes aus:
„§ 19 Abs. 2: Dieser entspricht dem bisherigen § 19 Abs. 2 erster Satz, wobei klargestellt wird, dass Normadressat dieser Bestimmung nunmehr das zum Bau und Betrieb einer Eisenbahn berechtigte Eisenbahnunternehmen, insbesondere das Eisenbahninfrastrukturunternehmen, ist. Die bisher in dieser Bestimmung vorgesehene Sonderhaftungsregelung wird als nicht erforderlich gestrichen; der Ersatz für Schäden soll sich auch für den Eisenbahnbereich nach den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen für den Schadenersatz richten.“
22 Es kann im Revisionsfall dahingestellt bleiben, welche Konsequenzen diese Novellierung ‑ auch vor dem Hintergrund des § 364a ABGB ‑ für die Haftung des Eisenbahnunternehmens für Schäden durch Bau und Betrieb der Eisenbahn (vgl. nur etwa OGH 24.9.2019, 8 Ob 61/19g) hat.
23 Zu betonen ist zunächst, dass die Revisionswerberin der Mitbeteiligten nicht etwa vorwirft, dass die von ihr vor Einleitung des Enteignungsverfahrens angebotenen Vertragsbedingungen von der gesetzlichen Rechtslage abgewichen wären, die Rechte des Enteigneten insofern also eingeschränkt werden hätten sollen.
Besteht die angesprochene Haftung des Eisenbahnunternehmens ausgehend von den maßgeblichen Rechtsvorschriften nicht, läuft das Verlangen der Revisionswerberin nach einer vertraglich normierten Haftung darauf hinaus, vom Eisenbahnunternehmen die Übernahme einer über die gesetzliche Grundlage hinausgehenden Haftung zu begehren. Wenn das Eisenbahnunternehmen eine derartige Erweiterung der sie gesetzlich treffenden Haftung ablehnt, kann das nicht als unangemessene, die Enteignung hindernde Bedingung angesehen werden.
Besteht eine solche Haftung aber schon kraft Gesetzes, bleibt die Rechtsposition des Enteigneten durch die Nichtaufnahme einer entsprechenden (die gesetzliche Regelung damit bloß wiederholenden) Bestimmung in den Vertrag unberührt. Auch in diesem Fall ist die Ablehnung durch das Eisenbahnunternehmen nicht als „unangemessen“ zu erkennen.
Damit kommt es, abgesehen davon, dass das Verwaltungsgericht zu dieser Frage keine Feststellungen getroffen hat, auf welche die rechtliche Beurteilung gestützt werden könnte, auch nicht auf die von der Revision angesprochene „eigene Rechtsansicht des Enteignungswerbers“ an.
24 Soweit sich die Revision (in den Revisionspunkten und den Revisionsgründen) gegen den den Verfahrenskostenersatz betreffenden Teil der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung (Spruchpunkt VII des behördlichen Bescheids) wendet, ist die Revision schon deshalb unzulässig, weil das Verwaltungsgericht in seiner Zulässigkeitsbegründung keine diesbezüglichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung angesprochen hat und die Revision dazu keine dem entgegen stehende Zulässigkeitsbegründung enthält.
25 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH‑Aufwandersatzverordnung.
Wien, am 27. Oktober 2020
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