VwGH Ro 2017/21/0012

VwGHRo 2017/21/001231.8.2017

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, über die Revision der O K, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 19. Jänner 2017, W119 2100015-1/21E, betreffend (u.a.) Erlassung einer Rückkehrentscheidung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9;
FrPolG 2005 §52 Abs2 Z2;
MRK Art8 impl;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin reiste am 17. November 2009 (u.a.) gemeinsam mit ihrer Tochter E, geboren am 5. Mai 2004, nach Österreich ein; beide sind mongolische Staatsangehörige.

2 Die in der Folge gestellten Anträge der Revisionswerberin und ihrer Tochter auf Gewährung von internationalem Schutz wurden vom Bundesasylamt mit Bescheiden vom 1. April 2010 abgewiesen und ihre Ausweisung in die Mongolei verfügt. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG mit Erkenntnis vom 27. November 2014, Asyl und subsidiären Schutz betreffend, als unbegründet ab. Im Übrigen verwies es die Verfahren gemäß § 75 Abs. 20 AsylG 2005 zur Prüfung der Zulässigkeit einer Rückkehrentscheidung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zurück.

3 Mit Bescheiden vom 15. Jänner 2015 sprach das BFA sodann aus, dass der Revisionswerberin und ihrer Tochter Aufenthaltstitel gemäß § 57 und § 55 AsylG 2005 nicht erteilt würden. Unter einem wurden gegen die Revisionswerberin und ihre Tochter gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Mongolei zulässig sei. Schließlich setzte das BFA die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

4 Dagegen erhoben die Revisionswerberin und ihre Tochter eine gemeinsame Beschwerde.

5 Mit Erkenntnis vom 13. Jänner 2017 stellte das BVwG - in Stattgebung der von der Tochter der Revisionswerberin erhobenen Beschwerde - gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG fest, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen sie auf Dauer unzulässig sei und die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung plus" nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 vorlägen. Dabei ging das BVwG davon aus, es bestehe - anders als bei Erlassung des Bescheides des BFA - kein Grund mehr zur Annahme, dass die minderjährige Tochter der Revisionswerberin in Begleitung ihrer Mutter in die Mongolei zurückkehren könnte. Der leibliche Vater und der ebenfalls in der Mongolei lebende Bruder verbüßten dort langjährige Haftstrafen. Somit müsste die Tochter der Revisionswerberin bei einer erzwungenen Rückkehr in die Mongolei dort entweder auf sich alleine gestellt leben, sich in eine staatliche Einrichtung für Waisenkinder begeben oder mit ihrer Mutter - der die Obsorge entzogen worden sei, weil sie das Kindeswohl in mehrfacher Hinsicht gefährde - zusammenleben. Alle drei Varianten seien mit dem Kindeswohl der Minderjährigen unvereinbar. Zusammenfassend kam das BVwG sodann zum Ergebnis, das die Erlassung einer Rückkehrentscheidung rechtfertigende öffentliche Interesse an einer geordneten Zuwanderung wiege bei einer auf alle Umstände Bedacht nehmenden Gesamtabwägung weniger schwer als das dargestellte Kindeswohl in Verbindung mit der mittlerweile von der Tochter der Revisionswerberin erlangten, vom BVwG noch näher dargestellten Inlandsbindung.

6 Die Beschwerde der Revisionswerberin gegen den gegen sie ergangenen Bescheid des BFA vom 15. Jänner 2015 wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 19. Jänner 2017 sodann als unbegründet ab. Im Rahmen der in Bezug auf die Erlassung der Rückkehrentscheidung gemäß § 9 BFA-VG vorgenommenen Interessenabwägung ging das BVwG davon aus, das "familiäre Band" zwischen der Revisionswerberin und ihrer Tochter sei, jedenfalls aus deren Perspektive, "gerissen", weil sie nunmehr jeglichen Kontakt zur Revisionswerberin ablehne und bei einer Pflegefamilie untergebracht sei. Ein im Sinne des Kindeswohls grundsätzlich zu berücksichtigendes Interesse des Kindes, mit seinen leiblichen Eltern aufzuwachsen, könne im vorliegenden Fall somit nicht angenommen werden. Davon ausgehend kam das BVwG bei der Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände unter Bezugnahme auf seine Feststellungen zu wiederholten strafgerichtlichen Verurteilungen der Revisionswerberin (v.a.) wegen der Begehung gewerbsmäßigen Diebstahls zum Ergebnis, dass die privaten und familiären Interessen der Revisionswerberin an einem Weiterverbleib in Österreich die durch ihr strafrechtswidriges Verhalten erhöhten öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen und an der Verhinderung weiterer Straftaten "nicht aufwiegen" könnten. In dem gemäß § 25a Abs. 1 VwGG vorgenommenen Ausspruch erklärte das BVwG die (ordentliche) Revision für zulässig, weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehle, ob in die Gesamtabwägung der Interessen bei einer Rückkehrentscheidung gegen die Eltern oder einen Elternteil einzufließen habe, dass sich das Verhältnis zwischen einem Kind und seinen Eltern bzw. einem Elternteil wieder verbessern könnte.

7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, die sich entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als nicht zulässig erweist.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat nämlich bereits wiederholt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer Rückkehrentscheidung auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA-VG vorzunehmenden Interessenabwägung zum Ausdruck gebracht (vgl. aus der letzten Zeit etwa den hg. Beschluss vom 23. Februar 2017, Ra 2016/21/0235, Rz 11, mwN). Demnach kann es aber auch keinem Zweifel unterliegen, dass bei der Beurteilung der Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung auf die wechselseitigen Beziehungen eines Elternteiles und seines Kindes auch auf im Entscheidungszeitpunkt konkret absehbare zukünftige Entwicklungen Bedacht zu nehmen ist.

9 Eine solche schon damals konkret absehbare Möglichkeit der Änderung der maßgeblichen Verhältnisse lag in Bezug auf das Kindeswohl aber in der gegenständlichen Konstellation nicht vor.

10 Das BVwG ging nämlich davon aus, dass "das familiäre Band" zwischen der Revisionswerberin und ihrer Tochter aus deren Perspektive "gerissen" und eine Verbesserung der Beziehung lediglich "nicht auszuschließen" sei (vgl. Seite 29 und 30 des angefochtenen Erkenntnisses). Das gründete das BVwG nur generell auf die Lebenserfahrung und in concreto auf eine Äußerung der Tochter der Revisionswerberin, die auf die Frage der vom Pflegschaftsgericht im Obsorgeverfahren beauftragten familienpsychologischen Sachverständigen, ob sie ihre Mama in Hinkunft sehen möchte, antwortete: "Ich weiß es noch nicht."

Demgegenüber lehnte sie in einer anderen Passage dieses Gesprächs vom 13. September 2016 auf mehrmaliges Nachfragen der Sachverständigen Wiedersehen mit der Mutter und zukünftige Treffen dezidiert ab. Das steht auch im Einklang mit dem Inhalt entsprechender Berichte des Jugendwohlfahrtsträgers vom

7. und 17. Oktober 2016. Dem entsprechend ist die Tochter der Revisionswerberin auch der Beschwerdeverhandlung am 24. Oktober 2016 ferngeblieben, um mit ihrer Mutter nicht zusammenzutreffen. Im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt war daher nicht konkret absehbar, dass eine Wiederherstellung des Kontaktes zwischen der Revisionswerberin und ihrer Tochter dem Kindeswohl entsprechen würde. Das BVwG hat daher unter den fallbezogenen Gegebenheiten diesen Gesichtspunkt zutreffend bei der Interessenabwägung nicht entscheidend zugunsten der Revisionswerberin berücksichtigt.

Bei dieser Ausgangslage war es im Ergebnis aber zumindest vertretbar, dass das BVwG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unter Einbeziehung der wiederholten Straffälligkeit der Revisionswerberin für dringend geboten iSd § 9 Abs. 1 BFA-VG erachtete. Die Revisionswerberin wurde nämlich zunächst am 14. August 2013 wegen (teilweise) versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von fünf Monaten und am 15. Oktober 2013 wegen desselben Delikts sowie wegen schweren Diebstahls und qualifizierter Hehlerei zu einer teilbedingten Zusatz-Freiheitsstrafe von sieben Monaten (davon fünf Monate bedingt) rechtskräftig verurteilt. Ungeachtet dessen musste die Revisionswerberin bereits am 31. März 2014 neuerlich wegen gewerbsmäßigen Diebstahls - nunmehr zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von acht Monaten samt Widerruf der bedingten Nachsicht im ersten Urteil - verurteilt werden. Die Revisionswerberin wurde am 28. November 2014 aus dieser Strafhaft bedingt entlassen, allerdings in der Folge neuerlich wegen eines - wenn auch nicht besonders gravierenden - versuchten Vermögensdeliktes einschlägig rückfällig und deshalb am 11. November 2016 zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von vier Monaten und einer Geldstrafe verurteilt. Die Begehung dieser - in der Begründung der Revision ausgeblendeten - Straftaten durfte das BVwG aber durchaus dahin werten, dass sie das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts der Revisionswerberin in entscheidender Weise "erhöhte" und die Revisionswerberin deswegen die durch die Rückkehrentscheidung bewirkte Beeinträchtigung ihrer familiären Rechte hinzunehmen habe. Davon ausgehend stellen sich aber im vorliegenden Fall in Bezug auf die bekämpfte Interessenabwägung keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG (vgl. dazu zuletzt den hg. Beschluss vom 29. Juni 2017, Ra 2017/21/0090, 0091, Rz 11, mwN).

11 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen.

Wien, am 31. August 2017

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