Normen
31971R1182 FristenV Art3;
32003R1560 Dublin-II DV Art9;
32013R0604 Dublin-III Art22 Abs1;
32013R0604 Dublin-III Art22 Abs6;
32013R0604 Dublin-III Art22 Abs7;
32013R0604 Dublin-III Art27 Abs3 litb;
32013R0604 Dublin-III Art27 Abs3;
32013R0604 Dublin-III Art29 Abs1;
32013R0604 Dublin-III Art42;
62003CJ0171 Toeters und Verberk VORAB;
BFA-VG 2014 §16 Abs1 Z2;
BFA-VG 2014 §16 Abs4;
BFA-VG 2014 §17 Abs4;
EURallg;
VwRallg;
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2017:RO2017190001.J00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 15. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005.
2 Aufgrund der Angaben des Mitbeteiligten zu seinem Reiseweg teilte ihm das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Schreiben vom 17. Dezember 2015 (dem Mitbeteiligten überreicht am selben Tag) mit, dass Konsultationen mit Slowenien und Kroatien geführt würden.
3 Am 14. März 2016 übersendete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl per E-Mail an die zuständige kroatische Behörde - unter Hinweis auf Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 der Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), Dublin III-Verordnung - das Ersuchen, den Mitbeteiligten aufzunehmen, weil er unrechtmäßig über Kroatien in die Europäische Union eingereist sei. Das Einlangen dieses Ersuchens bei der kroatischen Behörde wurde von dieser am selben Tag bestätigt.
4 Mit Schreiben vom 25. Mai 2016 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der kroatischen Behörde mit, es gehe - weil seitens Kroatien keine Antwort erfolgt sei - davon aus, dass beginnend mit 15. Mai 2016 die Verantwortung zur Prüfung des vom Mitbeteiligten gestellten Antrages gemäß Art. 22 Abs. 7 und Art. 25 Abs. 2 Dublin III-Verordnung bei Kroatien liege.
5 Mit Bescheid vom 7. Juli 2016 wies die Verwaltungsbehörde - ohne zuvor das Asylverfahren zugelassen zu haben - den Antrag des Mitbeteiligten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz gemäß Art. 13 Abs. 1 iVm Art. 22 Abs. 7 Dublin III-Verordnung Kroatien zuständig sei. Unter einem erließ sie gestützt auf § 61 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) eine Anordnung zur Außerlandesbringung und stellte fest, dass "demzufolge" gemäß § 61 Abs. 2 FPG die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Kroatien zulässig sei.
6 Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. In dieser brachte er zusammengefasst vor, entgegen der Ansicht der Behörde sei Österreich für die Behandlung seines Antrages auf internationalen Schutz zuständig. Er sei im Zuge seiner Reise über Griechenland gereist und habe dort erstmals das Territorium der Europäischen Union betreten. Das Kriterium der unrechtmäßigen Einreise dürfe daher nicht nochmals herangezogen werden. In Griechenland bestünden aber systemische Mängel im Asylwesen, sodass Asylwerber dorthin nicht überstellt werden dürften. Einer Überstellung nach Kroatien stehe zudem entgegen, dass dort zuletzt eine große Zahl an Flüchtlingen angekommen sei, sodass seine Versorgung nicht gewährleistet sei und die Überstellung nach Kroatien gegen Art. 3 EMRK verstoßen würde. Außerdem sei er seit acht Monaten im Bundesgebiet und habe sich "bereits einiges an Deutschkenntnissen angeeignet". In Kroatien sei er nur zwei Stunden gewesen, weshalb es ihm unmöglich sei, im Fall der Rücküberstellung dort Fuß zu fassen und sich ein Leben aufzubauen. Weiters beantragte der Mitbeteiligte, seiner Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
7 Einen Beschluss über die Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung fasste das Bundesverwaltungsgericht - während des gesamten Beschwerdeverfahrens - nicht.
8 Im Verwaltungsakt erliegt der Ausdruck einer an den Mitbeteiligten gerichteten mit 18. Oktober 2016 datierten Ladung (festgesetzter Termin: 31. Oktober 2016), die als Gegenstand der Amtshandlung "Wohnsitzüberprüfung zwecks bevorstehender Rückführung" enthält. Eine Genehmigung dieser Erledigung (die im Akt befindliche Urschrift enthält weder eine Unterschrift noch einen Hinweis auf eine andere nach § 18 Abs. 3 AVG zulässige Art der Genehmigung) ist dem Verwaltungsakt ebensowenig zu entnehmen wie eine Zustellung an den Mitbeteiligten. Auch eine Vorsprache des Mitbeteiligten bei der Behörde ist nicht aktenkundig.
Am 9. November 2016 ordnete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Festnahme des Mitbeteiligten an. Im schriftlichen Festnahmeauftrag wurde ua. festgehalten, dass die Überstellung des Mitbeteiligten für den 15. November 2016 geplant sei und die Festnahme am 13. November 2016 erfolgen möge. Zudem erließ die Verwaltungsbehörde einen Abschiebeauftrag, aus dem hervorgeht, dass der Charterflug für den 15. November 2016 bereits organisiert sowie eine Begleitung des Mitbeteiligten durch besonders geschulte Einsatzbeamte veranlasst worden sei.
Am 15. November 2016 übermittelte die Landespolizeidirektion Niederösterreich, Polizeiinspektion Geras, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einen Bericht, demzufolge am 13. November 2016 zu unterschiedlichen Uhrzeiten sowie zusätzlich noch am 14. November 2016, 7.00 Uhr, die Unterkunft des Mitbeteiligten in H aufgesucht worden sei. Er sei dort aber zu keiner Zeit angetroffen worden. Seine Mitbewohner hätten angegeben, dass der Mitbeteiligte gegen 9.00 Uhr des 12. November 2016 "nach Wien gefahren" wäre. Im von ihm benutzten Kasten seien lediglich "fünf kurze L(e)ibchen aufgehängt und (...) ein Glas mit Zahnputzzeug darin abgestellt" gewesen.
9 Am 21. November 2016 langte beim Bundesverwaltungsgericht - kommentarlos vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl per E-Mail übersendet - ein pdf-Dokument ein. Den vom Bundesverwaltungsgericht hergestellten Ausdrucken ist zu entnehmen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - an einen nicht angeführten Empfänger - ein mit 15. November 2016 datiertes Schreiben richtete, in dem ausgeführt wird, dass dem Empfänger per "Telefax" ein "Standard-Formular" betreffend das "Überstellungsprozedere" übermittelt werde. Dieses als zweite Seite des Telefax übermittelte "Standard-Formular" enthält die Personaldaten des Mitbeteiligten sowie die Mitteilung, dass die Überstellung gegenwärtig verschoben worden sei, weil der Mitbeteiligte flüchtig sei. Daher erhöhe sich die Frist für die Überstellung gemäß Art. "19.4/20.2" Dublin III-Verordnung um 18 Monate. Den vorgelegten Akten ist zu entnehmen, dass diese Schriftstücke noch am 15. November 2016 per E-Mail an die zuständige kroatische Behörde übermittelt wurden und ihr an diesem Tag auch zugegangen sind.
Mit Schreiben vom 22. November 2016 erstattete der Mitbeteiligte ein ergänzendes Vorbringen im Beschwerdeverfahren an das Bundesverwaltungsgericht, mit dem er geltend machte, dass die Entscheidungsfrist für das Aufnahmegesuch am 14. Mai 2016 geendet habe. Da Kroatien nicht auf das Gesuch des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl reagiert habe, sei "Kroatien bereits mit Ende der Entscheidungsfrist für das Aufnahmegesuch am 14.05.2016 zuständig". Wenn die Überstellung nicht innerhalb von sechs Monaten durchgeführt werde, gehe die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Die Frist für die Überstellung sei "mit 14.11.2016" abgelaufen. Es sei auch zu keiner Verlängerung der Überstellungsfrist gekommen, weil der Mitbeteiligte nie flüchtig oder inhaftiert gewesen sei. Am 12. November 2016 habe er sein Quartier verlassen, um einen Bekannten in Wien zu besuchen. Davon habe er auch die Unterkunftgeberin informiert. Er sei berechtigt gewesen, sein Quartier für bis zu 48 Stunden zu verlassen. Am 14. November 2016 sei er wieder an seine Unterkunft zurückgekehrt. Er sei daher zu keiner Zeit flüchtig gewesen.
In einer weiteren Beschwerdeergänzung machte der Mitbeteiligte geltend, er sei im Zuge einer "Massenfluchtbewegung" staatlich organisiert ua. durch Kroatien und Slowenien bis nach Österreich gereist. Seine Einreise in das Gebiet der Europäischen Union sei daher keinesfalls illegal erfolgt. Diesbezüglich sei ein Vorabentscheidungsersuchen beim Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) anhängig. Daher sei das gegenständliche Verfahren bis zum Ergehen einer Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen auszusetzen. Zudem beantragte der Mitbeteiligte, das Bundesverwaltungsgericht möge eine einstweilige Anordnung nach dem Unionsrecht dergestalt erlassen, dass seine Überstellung nach Kroatien bis zur Entscheidung des EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen als unzulässig erklärt werde.
10 Der Mitbeteiligte wurde am 28. November 2016 nach Kroatien überstellt.
11 Mit Erkenntnis vom 21. Dezember 2016 gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten statt und hob den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 7. Juli 2016 gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) auf und sprach aus, dass das Asylverfahren des Mitbeteiligten zugelassen werde. Die Revision wurde vom Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt.
12 In seiner Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht - auf das Wesentliche zusammengefasst - aus, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sei bei der Berechnung der Fristen ein Fehler unterlaufen. Die Behörde habe am 14. März 2016 ein Aufnahmegesuch an die kroatische Behörde gerichtet. Die Frist für eine Entscheidung über dieses Gesuch habe zwei Monate betragen. Erfolge innerhalb dieser Frist keine Antwort so sei nach Art. 22 Abs. 7 Dublin III-Verordnung davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben worden sei. Diese Frist habe demnach mit Ablauf des 14. Mai 2016 geendet. Die kroatische Behörde habe nicht geantwortet. Der erste Tag der Überstellungsfrist sei somit der 15. Mai 2016 gewesen. Die Überstellungsfrist habe nach sechs Monaten geendet. In Anwendung des Art. 42 lit. b Dublin III-Verordnung ergebe sich als Ende dieser Frist der 14. November 2016. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl habe die kroatische Behörde aber erst am 15. November 2016 von - ihrer Ansicht nach bestehenden - Umständen, die die Verlängerung der Frist herbeiführten, verständigt. Da eine solche Mitteilung nach "Art. 9 Abs. 2 der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission" konstitutiv sei und vor Ablauf der Frist zu erfolgen habe, führe die verspätete Mitteilung gemäß Art. 29 Abs. 2 Dublin III-Verordnung zum "(Rück-)Übergang der Zuständigkeit" auf Österreich. Es müsse daher weder geklärt werden, ob der Mitbeteiligte im fraglichen Zeitraum der Abwesenheit von der Unterkunft als flüchtig anzusehen gewesen sei, noch auf das übrige Beschwerdevorbringen eingegangen werden.
Die Revision sei zuzulassen gewesen, weil sich das Bundesverwaltungsgericht "hinsichtlich der Einordnung des Sachverhaltes bezüglich des Ablaufes der Überstellungsfrist" weder auf Rechtsprechung der Höchstgerichte noch des EuGH habe stützen können. Es werde auch auf das derzeit infolge eines Vorabentscheidungsersuchens des Verwaltungsgerichtshofes beim EuGH anhängige Verfahren hingewiesen, in dem die Frage aufgeworfen wurde, ob ein Asylwerber den Zuständigkeitsübergang wegen Ablaufes der Entscheidungsfrist überhaupt geltend machen kann.
Gegen dieses Erkenntnis erhob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Revision. Das Bundesverwaltungsgericht führte gemäß § 30a VwGG das Vorverfahren durch und legte im Anschluss die Revision samt Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vor. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:
Die Revision ist zulässig. Rechtsprechung zur Frage der Fristberechnung nach Art. 42 Dublin III-Verordnung liegt nicht vor. Die Äußerung des Verwaltungsgerichtshofes zur Klarstellung der Rechtslage zwecks Wahrung der Rechtssicherheit und der Einheitlichkeit der Rechtsprechung für Fälle wie den vorliegenden ist vor dem Hintergrund der in Art. 42 lit. a und lit. b Dublin-Verordnung enthaltenen Bestimmungen geboten.
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl macht in ihrer Amtsrevision (ua.) geltend, es treffe nicht zu, dass die nach der Dublin III-Verordnung vorgesehene Fiktion der Zustimmung Kroatiens bereits am 14. Mai 2016 eingetreten sei. Das Bundesverwaltungsgericht gehe selbst davon aus, dass die Frist für die Antwort erst mit Ablauf des 14. Mai 2016 geendet habe. Da die Antwort bis dahin nicht eingelangt sei, sei die Zustimmungsfiktion erst nach Ablauf des 14. Mai 2016, demnach mit 15. Mai 2016, eingetreten.
Der Mitbeteiligte verweist in seiner Revisionsbeantwortung auf Art. 42 lit. b Dublin III-Verordnung und geht (auf das Wesentliche zusammengefasst) - wie das Bundesverwaltungsgericht - davon aus, dass das Ereignis im Sinn dieser Bestimmung am 14. Mai 2016 eingetreten sei, weil an diesem Tag die Antwortfrist abgelaufen sei.
Der Revision kommt Berechtigung zu.
14 Art. 22 Abs. 1 und 7, Art. 29 und Art. 42 Dublin III-Verordnung (jeweils samt Überschrift) lauten:
"Artikel 22
Antwort auf ein Aufnahmegesuch
(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten, nach Erhalt des Gesuchs.
(2) ...
(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen."
"Artikel 29
Modalitäten und Fristen
(1) Die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.
Wenn Überstellungen in den zuständigen Mitgliedstaat in Form einer kontrollierten Ausreise oder in Begleitung erfolgen, stellt der Mitgliedstaat sicher, dass sie in humaner Weise und unter uneingeschränkter Wahrung der Grundrechte und der Menschenwürde durchgeführt werden.
Erforderlichenfalls stellt der ersuchende Mitgliedstaat dem Antragsteller ein Laissez-passer aus. Die Kommission gestaltet im Wege von Durchführungsrechtsakten das Muster des Laissez-passer. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.
Der zuständige Mitgliedstaat teilt dem ersuchenden Mitgliedstaat gegebenenfalls mit, dass die betreffende Person eingetroffen ist oder dass sie nicht innerhalb der vorgegebenen Frist erschienen ist.
(2) Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist.
(3) Wurde eine Person irrtümlich überstellt oder wird einem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung oder der Überprüfung einer Überstellungentscheidung nach Vollzug der Überstellung stattgegeben, nimmt der Mitgliedstaat, der die Überstellung durchgeführt hat, die Person unverzüglich wieder auf.
(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten, insbesondere für den Fall, dass Überstellungen verschoben werden oder nicht fristgerecht erfolgen, für Überstellungen nach stillschweigender Annahme, für Überstellungen Minderjähriger oder abhängiger Personen und für kontrollierte Überstellungen fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.
"Artikel 42
Berechnung der Fristen
Die in dieser Verordnung vorgesehenen Fristen werden wie
folgt berechnet:
a) Ist für den Anfang einer nach Tagen, Wochen oder Monaten
bemessenen Frist der Zeitpunkt maßgebend, zu dem ein Ereignis eintritt oder eine Handlung vorgenommen wird, so wird bei der Berechnung dieser Frist der Tag, auf den das Ereignis oder die Handlung fällt, nicht mitgerechnet.
b) Eine nach Wochen oder Monaten bemessene Frist endet mit
Ablauf des Tages, der in der letzten Woche oder im letzten Monat dieselbe Bezeichnung oder dieselbe Zahl wie der Tag trägt, an dem das Ereignis eingetreten oder die Handlung vorgenommen worden ist, von denen an die Frist zu berechnen ist. Fehlt bei einer nach Monaten bemessenen Frist im letzten Monat der für ihren Ablauf maßgebende Tag, so endet die Frist mit Ablauf des letzten Tages dieses Monats.
c) Eine Frist umfasst die Samstage, die Sonntage und alle
gesetzlichen Feiertage in jedem der betroffenen Mitgliedstaaten."
Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 der Kommission vom 2. September 2003 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (in der Fassung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 118/2014 der Kommission vom 30. Januar 2014) sieht vor:
"Artikel 9
Verschieben der Überstellung und nicht fristgerechte
Überstellungen
(1) Der zuständige Mitgliedstaat wird unverzüglich unterrichtet, wenn sich die Überstellung wegen eines Rechtsbehelfsverfahrens mit aufschiebender Wirkung oder wegen materieller Umstände wie der Gesundheitszustand des Antragstellers, die Nichtverfügbarkeit des Beförderungsmittels oder der Umstand, dass der Antragsteller sich der Überstellung entzogen hat, verzögert.
(1a) Wurde eine Überstellung auf Ersuchen des überstellenden Mitgliedstaats verschoben, so nehmen der überstellende und der zuständige Mitgliedstaat wieder Kontakt auf, um möglichst bald und nicht später als zwei Wochen ab dem Zeitpunkt, zu dem die Behörden erfahren, dass die Umstände, die die Verzögerung oder Verschiebung verursacht haben, nicht mehr vorliegen, eine neue Überstellung gemäß Artikel 8 zu organisieren. In diesem Fall wird vor der Überstellung ein aktualisiertes Standardformblatt für die Übermittlung von Daten vor einer Überstellung gemäß Anhang VI übermittelt.
(2) Ein Mitgliedstaat, der aus einem der in Artikel 29 Absatz 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 genannten Gründe die Überstellung nicht innerhalb der üblichen Frist von sechs Monaten ab dem Zeitpunkt der Annahme des Gesuchs um Aufnahme oder Wiederaufnahme der betroffenen Person oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese aufschiebende Wirkung hat, vornehmen kann, unterrichtet den zuständigen Mitgliedstaat darüber vor Ablauf dieser Frist. Ansonsten fallen die Zuständigkeit für die Behandlung des Antrags auf internationalen Schutz bzw. die sonstigen Verpflichtungen aus der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der genannten Verordnung dem ersuchenden Mitgliedstaat zu.
(3) Erfolgt die Überstellung durch einen Mitgliedstaat aus einem der in Artikel 19 Absatz 4 und Artikel 20 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 genannten Gründe nach der regulären Sechsmonats-Frist, muss der Mitgliedstaat zuvor die notwendigen Absprachen mit dem zuständigen Mitgliedstaat treffen."
15 Voranzustellen ist zunächst, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 21. Februar 2017, Fr 2016/18/0024, wie folgt ausgeführt hat:
"Das (zuvor beschriebene) in den §§ 16 Abs. 1 Z 2, Abs. 4 und 17 Abs. 1 BFA-VG vorgesehene Modell entspricht dem Art. 27 Abs. 3 lit. b Dublin III-Verordnung. Demnach hat die Beschwerde im Dublin-Verfahren (automatisch) aufschiebende Wirkung für einen Zeitraum von einer Woche ab Beschwerdevorlage an das BVwG. Nach Ablauf der Frist endet die aufschiebende Wirkung, es sei denn, das BVwG hat innerhalb der Frist mit Beschluss die aufschiebende Wirkung bis zum Ende des Verfahrens in der Hauptsache gewährt. Eine solche Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung kommt im Übrigen gemäß § 17 Abs. 4 BFA-VG auch nach Ablauf der Frist in Betracht, allerdings ändert dies nichts daran, dass bis dahin - für den Zeitraum zwischen dem Ablauf der gesetzlichen Frist von einer Woche und der Entscheidung des BVwG über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung - keine aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegeben war."
16 Der in diesen Ausführungen angesprochene Art. 27 Abs. 3 lit. b Dublin III-Verordnung sieht vor, dass zum Zweck eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung oder einer Überprüfung einer Überstellungsentscheidung die Mitgliedstaaten in ihrem innerstaatlichen Recht (als eine von drei möglichen Varianten der Ausgestaltung) vorsehen können, dass die Überstellung automatisch ausgesetzt wird und diese Aussetzung innerhalb einer angemessenen Frist endet, innerhalb der ein Gericht, nach eingehender und gründlicher Prüfung, darüber entschieden hat, ob eine aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs oder der Überprüfung gewährt wird.
Obgleich der Verwaltungsgerichtshof im oben genannten Beschluss vom 21. Februar 2017 zur besseren Verdeutlichung des aus der gesetzlichen Anordnung des § 16 Abs. 4 BFA-VG resultierenden Verbotes der Durchführung einer mit den dort genannten Entscheidungen verbundenen aufenthaltsbeendenden Maßnahme davon gesprochen hat, dass die "Beschwerde im Dublin-Verfahren (automatisch) aufschiebende Wirkung für einen Zeitraum von einer Woche ab Beschwerdevorlage" habe, ist dies nicht so zu verstehen, dass diesfalls alle sonst mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung einhergehenden Rechtsfolgen verbunden wären. Gemäß § 16 Abs. 4 BFA-VG bleibt nämlich trotz des Verbotes der Durchführung formell die Durchsetzbarkeit - gerade in Bezug auf die aufenthaltsbeendende Maßnahme - samt den daraus resultierenden Konsequenzen erhalten (vgl. zur gleichgelagerten Vorgängerregelung des AsylG 2005 das hg. Erkenntnis vom 9. September 2010, 2007/20/1040). In diesem Sinn spricht auch der erwähnte Art. 27 Abs. 3 lit. b Dublin III-Verordnung einerseits davon, dass die "Überstellung automatisch ausgesetzt wird und diese Aussetzung innerhalb einer angemessenen Frist endet". Andererseits geht diese Bestimmung davon aus, dass diese Zeit dazu dienen soll, dass das Gericht nach eingehender und gründlicher Prüfung darüber entscheiden kann, ob dem Rechtsbehelf oder der Überprüfung "aufschiebende Wirkung" gewährt wird. Demnach liegt auch dieser Vorschrift das Verständnis zugrunde, dass es sich bei jener Zeit, während der die Überstellung ausgesetzt ist, noch nicht um die eigentlich dem Rechtsbehelf beizulegende (oder letztlich nicht zuzuerkennende) aufschiebende Wirkung (im Sinn der Dublin III-Verordnung) handelt.
17 Dann aber kann nicht davon ausgegangen werden, im vorliegenden Fall hätte das vom Mitbeteiligten ergriffene Rechtsmittel aufschiebende Wirkung im Sinn des Art. 29 Abs. 1 iVm Art. 27 Abs. 3 Dublin III-Verordnung gehabt, sodass die Frist von sechs Monaten erst ab "der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf" geendet hätte (vgl. in Bezug auf den insoweit vergleichbaren Art. 20 Abs. 1 lit. d Dublin II-Verordnung nochmals das bereits erwähnte Erkenntnis vom 9. September 2010).
18 Damit rückt die Frage in den Vordergrund, ob die Verwaltungsbehörde die in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-Verordnung festgelegte Frist von sechs Monaten nach der (hier: infolge der in Art. 27 Abs. 7 leg.cit. festgelegten Zustimmungsfiktion eingetretene) Annahme des Aufnahmegesuchs versäumt hat.
19 Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts liegt eine derartige Versäumung nicht vor.
20 Im gegenständlichen Fall ist zunächst im Hinblick auf Art. 42 Dublin III-Verordnung festzuhalten, dass eine die Frist auslösende Handlung nicht vorliegt. Die kroatische Behörde hat auf das Aufnahmegesuch des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nämlich nicht geantwortet.
Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten des Art. 22 Abs. 1 Dublin III-Verordnung (bzw. der Frist von einem Monat gemäß des Art. 22 Abs. 6 leg.cit.) keine Antwort erteilt, ist gemäß Art. 22 Abs. 7 leg.cit. davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird.
Unterbleibt die Antwort auf das Aufnahmegesuch, ist im Sinn des Art. 42 Dublin III-Verordnung vom Eintritt eines Ereignisses auszugehen.
21 Das Bundesverwaltungsgericht hat richtig erkannt, dass - ausgehend vom Einlangen des Aufnahmegesuches am 14. März 2016 - die Frist für die kroatische Behörde, eine Antwort erstatten zu können, mit Ablauf des 14. Mai 2016 geendet hatte. Demnach ist das Ereignis, wonach diese Frist zur Antwort ungenutzt verstrichen ist, mit Beginn des 15. Mai 2016 eingetreten. Die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, dieses Ereignis wäre bereits am 14. März 2016 - zu einem vom Bundesverwaltungsgericht im Übrigen nicht näher bestimmten Zeitpunkt dieses Tages (sollte es den Beginn des 14. März 2016 vor Augen gehabt haben, hätte es die der kroatischen Behörde zur Verfügung stehende Antwortfrist in unzulässiger Weise verkürzt) - eingetreten, steht somit mit den unionsrechtlichen Vorgaben nicht im Einklang (vgl. zu den im Unionsrecht geltenden Grundsätzen der Fristberechnung auch das zu Art. 3 der Verordnung (EWG, Euratom) Nr. 1182/71 des Rates vom 3. Juni 1971 zur Festlegung der Regeln für die Fristen, Daten und Termine ergangene Urteil des EuGH vom 11. November 2004, C-171/03 , Toeters und Verberk).
22 Am Boden dieser Rechtslage hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die nach Art. 9 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1560/2003 vorgesehene Mitteilung, die am 15. November 2016 bei der zuständigen kroatischen Behörde eingelangt ist, fristgerecht erstattet.
23 Vor diesem Hintergrund kommt dem vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 31. März 2016, Ra 2016/20/0231 (EU 2016/0001) dem EuGH vorgelegten Vorabentscheidungsersuchen (dort protokolliert zu C-201/16 ) zur Klärung der Frage, ob ein Asylwerber den Übergang der Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat wegen Ablaufs der sechsmonatigen Überstellungsfrist geltend machen kann, im gegenständlichen Revisionsverfahren (noch) keine Bedeutung zu.
Ausgehend von einer unzutreffenden Rechtsansicht hat nämlich das Verwaltungsgericht nicht mehr geprüft, ob die Voraussetzungen für die Verlängerung der Überstellungsfrist - wie die Behörde behauptet - vorliegen oder dies - wie der Mitbeteiligte mit seinem Vorbringen, das darauf abzielt, er sei nicht im Sinn des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-Verordnung flüchtig gewesen - nicht der Fall ist.
Sollte diese Prüfung letztlich zum Ergebnis führen, dass von einer Versäumung der Überstellungsfrist auszugehen wäre, wird das Verwaltungsgericht zudem darauf Bedacht zu nehmen haben, ob - und bejahendenfalls mit welchem Ergebnis - im Zeitpunkt seiner Entscheidung das beim EuGH anhängig gemachte (oben erwähnte) Verfahren C-201/16 bereits abgeschlossen ist.
Ist aber zum Ergebnis zu kommen, dass eine Versäumung der Überstellungsfrist nicht vorliegt, wird sich das Verwaltungsgericht auch mit dem übrigen Beschwerdevorbringen in der gesetzlich gebotenen Weise auseinanderzusetzen haben.
24 Nach dem Gesagten hat das Bundesverwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb es aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am 30. Mai 2017
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