VwGH Ro 2015/21/0002

VwGHRo 2015/21/000219.2.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin und die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, in der Revisionssache des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 7. Oktober 2014, Zl. G305 2012553- 1/3E, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: M M), den Beschluss gefasst:

Normen

32003R0343 Dublin-II;
32013R0604 Dublin-III Art2 litn;
32013R0604 Dublin-III Art28 Abs1;
32013R0604 Dublin-III Art28 Abs2;
32013R0604 Dublin-III Art28;
32013R0604 Dublin-III;
B-VG Art133 Abs4;
EURallg;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2 idF 2012/I/087;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4 idF 2012/I/087;
VwGG §25a Abs1;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §34 Abs1a;
VwRallg;
32003R0343 Dublin-II;
32013R0604 Dublin-III Art2 litn;
32013R0604 Dublin-III Art28 Abs1;
32013R0604 Dublin-III Art28 Abs2;
32013R0604 Dublin-III Art28;
32013R0604 Dublin-III;
B-VG Art133 Abs4;
EURallg;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z2 idF 2012/I/087;
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z4 idF 2012/I/087;
VwGG §25a Abs1;
VwGG §28 Abs3;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §34 Abs1a;
VwRallg;

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein tunesischer Staatsangehöriger, reiste am 21. September 2014 von Italien kommend mit einem Reisezug in das österreichische Bundesgebiet ein. Am nächsten Tag wurde er in Innsbruck festgenommen, weil er weder über ein Reisedokument noch über einen Aufenthaltstitel verfügte.

Im Zuge seiner fremdenpolizeilichen Einvernahme stellte der Mitbeteiligte sodann einen Antrag auf internationalen Schutz. Hierauf wurde im Rahmen eines Verfahrens nach der Dublin III-VO (Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung)) am 26. September 2014 an Italien ein Wiederaufnahmegesuch mit einer Frist für die Zustimmung der italienischen Behörden bis 11. Oktober 2014 gestellt. Die Einleitung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme erfolgte gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 iVm § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 am 29. September 2014.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol (BFA), hatte über den Mitbeteiligten mit Bescheid vom 22. September 2014 die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung und zur Sicherung der Abschiebung verhängt. Als maßgebliche Rechtsgrundlage war Art. 28 Dublin III-VO iVm § 76 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG genannt worden.

In der Begründung dieses Bescheides vertrat das BFA nach Wiedergabe der erstgenannten Bestimmung die Auffassung, dem Erfordernis des Art. 2 lit. n Dublin III-VO, die maßgeblichen Kriterien für die Annahme von Fluchtgefahr gesetzlich festzulegen, sei durch § 76 Abs. 2 FPG entsprochen. In den weiteren Ausführungen bezog sich das BFA dann auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach bei der Prüfung des Sicherungsbedürfnisses auf alle Umstände des konkreten Falles, insbesondere auch auf das bisherige Verhalten des Fremden, Bedacht zu nehmen sei. Daran anschließend meinte das BFA, die Verhängung von Schubhaft gegen den Mitbeteiligten sei aufgrund seines bisherigen Verhaltens vor allem deshalb notwendig, weil er sich nicht an die Einreisebestimmungen gehalten und davor schon in zwei Ländern (Italien, Schweden) Asylanträge gestellt habe. In Verbindung mit der fehlenden sozialen Verankerung in Österreich könne daher darauf geschlossen werden, dass "bezüglich" des Mitbeteiligten ein beträchtliches Risiko des Untertauchens vorliege. Das BFA ging demzufolge davon aus, dass sich der Mitbeteiligte, wenn er nicht in Haft genommen werde, dem Verfahren entziehen und eine Abschiebung in den "zuständigen Dublin-Staat" verhindern werde.

Der gegen die Verhängung der Schubhaft mit dem genannten Bescheid und gegen die darauf gegründete Anhaltung erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 7. Oktober 2014 gemäß § 22a Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) iVm Art. 28 Dublin III-VO und § 76 Abs. 2 Z 4 FPG statt und erklärte den Schubhaftbescheid und die Anhaltung des Mitbeteiligten vom 22. September 2014 bis 7. Oktober 2014 für rechtswidrig (Spruchpunkt A.I.). Unter einem wurde gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorlägen (Spruchpunkt A.II.). Weiters verpflichtete das BVwG den Bund gemäß § 35 VwGVG - unter Abweisung eines Mehrbegehrens - zum Aufwandersatz an den Mitbeteiligten (Spruchpunkt A.III.) und wies demzufolge das Kostenersatzbegehren des BFA ab (Spruchpunkt A.IV.). Schließlich erklärte es die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig (Spruchpunkt B.).

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA, die sich aus nachstehenden Gründen als unzulässig erweist:

Auszugehen ist davon, dass die seit 1. Jänner 2014 anzuwendende Dublin III-VO - anders als die bis dahin geltende Dublin II-Verordnung (EU) Nr. 343/2003 - nunmehr selbst Vorschriften für die Inhaftnahme von Fremden zum Zweck der Überstellung in den nach der genannten Verordnung zuständigen Mitgliedstaat enthält. Danach dürfen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 28 Abs. 1 Dublin III-VO eine Person nicht allein deshalb in Haft nehmen, weil sie dem durch diese Verordnung festgelegten Verfahren unterliegen. Allerdings dürfen sie nach Abs. 2 im Einklang mit dieser Verordnung "die entsprechende Person" zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren nach einer Einzelfallprüfung in Haft nehmen, wenn eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich weniger einschneidende Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Unter dem Begriff der "Fluchtgefahr" ist nach Art. 2 lit. n Dublin III-VO "das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte", zu verstehen.

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision in dieser Hinsicht ist der Verwaltungsgerichtshof nach § 34 Abs. 1a VwGG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG (vgl. Spruchpunkt B. des angefochtenen Erkenntnisses) nicht gebunden. Auch in der ordentlichen Revision hat der Revisionswerber von sich aus die unter dem erwähnten Gesichtspunkt maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision (gesondert) darzulegen, sofern er der Ansicht ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. den hg. Beschluss vom 28. November 2014, Ro 2014/06/0077; siehe idS auch die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum vergleichbaren Revisionsmodell nach der ZPO unter RIS-Justiz RS0102059).

Letzteres ist hier der Fall, denn in der vorliegenden Amtsrevision wird auf die Gründe, aus denen das BVwG die (ordentliche) Revision für zulässig erklärt hatte, nicht Bezug genommen. Vielmehr erblickt die Revisionswerberin die grundsätzliche Rechtsfrage lediglich darin, dass ausgehend von der - zutreffenden - Annahme der vorrangigen Anwendbarkeit des Art. 28 Dublin III-VO zu klären sei, welche Anforderungen erfüllt sein müssten, um ein "erhebliches Risiko des Untertauchens" iSd des Abs. 2 der genannten Bestimmung und damit einen hinreichenden Sicherungsbedarf für die Anordnung der Schubhaft annehmen zu können. Diese über den Einzelfall hinausgehende Frage sei in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes "nicht abschließend" entschieden. Im vorliegenden Fall wäre an Hand der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens ein solches erhebliches Risiko anzunehmen gewesen. Diesbezüglich wird in der Revision vor allem bemängelt, das BVwG habe die Aussage des Mitbeteiligten in seiner Befragung am 22. September 2014 unberücksichtigt gelassen, wonach er in erster Linie nach Deutschland habe reisen wollen, um dort einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom heutigen Tag, Ro 2014/21/0075, mit dem Verhältnis der einleitend genannten Bestimmungen der Dublin III-VO zum FPG befasst. Er ist dabei mit näherer Begründung, auf die gemäß § 43 Abs. 2 und 9 VwGG verwiesen werden kann, zu dem Ergebnis gekommen, dass die - auch im vorliegenden Fall maßgeblichen - Bestimmungen der Z 2 und der Z 4 des § 76 Abs. 2 FPG keine objektiven Kriterien für die Annahme von (erheblicher) Fluchtgefahr iSd Dublin III-VO enthalten. Art. 2 lit. n Dublin III-VO verlange jedoch unmissverständlich gesetzlich festgelegte Kriterien zur Konkretisierung der im Unionsrecht für die Verhängung von Schubhaft (u.a.) normierten Voraussetzung des Vorliegens von "Fluchtgefahr". Ein Rückgriff auf Kriterien, die der Verwaltungsgerichtshof in seiner bisherigen Judikatur vor allem zum Tatbestand der Z 4 des § 76 Abs. 2 FPG für die Annahme von "Fluchtgefahr" (Gefahr des "Untertauchens") als maßgeblich angesehen habe, reiche daher nicht, um den Vorgaben der Dublin III-VO zu entsprechen. Solche Umstände hätten gesetzlich determiniert werden müssen. Solange dies nicht der Fall sei, komme Schubhaft gegen Fremde, die sich in einem Verfahren nach der Dublin III-VO befinden, zwecks Sicherstellung dieses Überstellungsverfahrens nach Art. 28 der Verordnung nicht in Betracht.

Vor diesem Hintergrund stellen sich die in der Revision als grundsätzlich angesehenen Fragen nicht. Vielmehr waren auch im vorliegenden Fall die Verhängung der Schubhaft gegen den Mitbeteiligten und die darauf gegründete Anhaltung jedenfalls rechtswidrig und das BVwG hat inhaltlich auch zu Recht festgestellt, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft gegen den Mitbeteiligten maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorlagen.

Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG "nicht zur Behandlung eignen", ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. Die Amtsrevision des BFA, die nach dem Gesagten keine für die Lösung des vorliegenden Falles relevanten Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung geltend macht, war daher in Anwendung dieser Bestimmung zurückzuweisen.

Wien, am 19. Februar 2015

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