VwGH Ro 2015/11/0015

VwGHRo 2015/11/00159.11.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Soyer, über die Revision des R G in M (Italien), vertreten durch Mag. Ferdinand Kalchschmid, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Andreas-Hofer-Straße 2-4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 18. Mai 2015, Zl. LVwG- 2014/41/2287-8 und 2288-7, betreffend Übertretungen des AVRAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Innsbruck), zu Recht erkannt:

Normen

31996L0071 Entsende-RL Art3 Abs1;
31996L0071 Entsende-RL Art3 Abs7;
31996L0071 Entsende-RL;
62002CJ0341 Kommission / Deutschland;
62012CJ0522 Isbir VORAB;
62013CJ0396 Sähköalojen ammattiliitto VORAB;
AVRAG 1993 §7b Abs1 Z1;
AVRAG 1993 §7e Abs4;
AVRAG 1993 §7i Abs3;
B-VG Art133 Abs4;
EURallg;
VwGG §25a Abs1;
VwGG §34 Abs1a;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RO2015110015.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Revisionswerber (durch Bestätigung der Schuldsprüche zweier Straferkenntnisse der belangten Behörde) schuldig erkannt, er habe es (teils als vertretungsbefugtes und damit gemäß § 9 VStG verwaltungsstrafrechtlich verantwortliches Organ der X. Bau SRL, teils in seiner Funktion als Inhaber eines Einzelunternehmens, jeweils mit Sitz in Italien) als Arbeitgeber zu verantworten, dass die von ihm auf eine näher genannte Baustelle in Tirol entsandten und dort beschäftigten (namentlich genannten) Arbeitnehmer mit italienischer Staatsangehörigkeit im Zeitraum von 26. August bis 31. Oktober 2013 unterentlohnt worden seien, weil ihnen nicht der nach dem Kollektivvertrag für das Baugewerbe und die Bauindustrie jeweils zustehende Bruttostundenlohn (der im Schuldspruch hinsichtlich der einzelnen Arbeitnehmer jeweils angeführt ist) gewährt worden sei.

Wegen jeweiliger Übertretung des § 7i Abs. 3 iVm § 7b Abs. 1 Z. 1 AVRAG wurden über den Revisionswerber Geldstrafen von EUR 1.000,-- bzw. EUR 2.000,-- pro Arbeitnehmer verhängt.

Gemäß § 25a VwGG wurde ausgesprochen, dass die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

1.2. In der Begründung führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, der Revisionswerber habe im Beschwerdeverfahren den Tatvorwurf der Unterentlohnung bestritten, weil den Arbeitnehmern, wie aus den Lohnzetteln ersichtlich, neben dem Lohn noch weitere Zahlungen (u.a. "Außendienstzulage Ausland" und "Maggiorazione edili" sowie "Mensazulage") geleistet worden seien und es sich dabei um Komponenten des Grundlohnes handle, die ebenfalls berücksichtigt werden müssten.

Anders als in Österreich, wo der Kollektivvertrag für den Bausektor einheitliche Mindestlöhne für das gesamte Bundesgebiet festlege und der Grundlohn aus einer einzigen Komponente, nämlich dem Stundenlohn, bestehe, fänden in der italienischen Bauwirtschaft, so der Revisionswerber, zusätzliche Kollektivvertragsverhandlungen auf lokaler Ebene statt. Den dabei ausgehandelten Lohnkomponenten, die auf dem Lohnzettel gesondert ausgewiesen werden müssten, komme große Bedeutung zu; sie seien als Elemente des Stundenlohns bei der rechtmäßigen Entlohnung zu berücksichtigen. Zur genannten "Außendienstzulage Ausland" habe der Revisionswerber ergänzt, dass es sich dabei um keine bloße Rückvergütung von Spesen handelte, sondern um ein Zusatz(lohn)element für Arbeiten im Ausland.

In der mündlichen Verhandlung habe der "Zeuge Dr. R" angegeben, dass die auf den gegenständlichen Lohnzetteln ausgewiesenen Positionen "Freistellung Bauarbeiter 4,95 %", "Mensazulage Bauarbeiter", "Außendienstzulage" und "Maggiorazione edili" als reines Lohnelement und nicht als Aufwandsentschädigung anzusehen seien.

Das Verwaltungsgericht nahm sodann Bezug auf die Art. 7 und 8 des "Länderergänzungsvertrags vom 20.12.2006 für die Arbeitnehmer der Unternehmen im Baugewerbe und verwandten Gewerbebereichen, tätig in der Provinz Bozen", betreffend den Außendienst und stellte danach fest, dass der Revisionswerber sowohl die Kosten für den Hin- und Rücktransport der Arbeitnehmer (offenbar gemeint: zum bzw. vom Arbeitsplatz in Tirol) als auch für deren Unterkunft und Verpflegung bezahlt habe. Obwohl vom Revisionswerber damit bereits 100 % der Verpflegungskosten bezahlt worden seien, habe er den Arbeitnehmern "darüber hinaus" die genannte "Mensazulage" ausbezahlt. Würde man die genannten, vom Revisionswerber gewährten Zulagen "zum Grundlohn dazurechnen", so das Verwaltungsgericht weiter, läge die angelastete Unterentlohnung nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof habe den Begriff "Grundlohn" in seiner bisherigen Judikatur zu § 7i Abs. 3 AVRAG nicht definiert, sondern als vorgegeben zugrunde gelegt. Im Beschluss vom 26. Februar 2015, Zl. Ra 2015/11/0008, habe der Verwaltungsgerichtshof auf die Erläuterungen zur letztgenannten Bestimmung verwiesen, nach denen vom Grundlohn die allenfalls gewährten Zulagen und Zuschläge oder Sonderzahlungen nicht erfasst seien.

Im gegenständlichen Fall seien daher "derartige Aufwandersätze" (das Verwaltungsgericht nannte die gegenständliche "Freistellung Bauarbeiter 4,95 %", "Mensazulage Bauarbeiter", "Außendienstzulage" und "Maggiorazione edili") nicht vom Begriff Grundlohn erfasst und daher bei dessen Berechnung von vornherein nicht zu berücksichtigen.

Nach der Begründung der Strafhöhe führte das Verwaltungsgericht (trotz des genannten Ausspruchs über die - Zulässigkeit - der ordentlichen Revision), Gründe an, aus denen gegenständlich die ordentliche Revision unzulässig sei.

2. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, zu der die belangte Behörde und die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse jeweils eine Revisionsbeantwortung erstattet haben.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

2.1. Das Verwaltungsgericht erklärte im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig, erachtete die Revision in seiner Begründung jedoch für unzulässig. In einem solchen Fall ist bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die Zulässigkeit der Revision (gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof an den diesbezüglichen Ausspruch des Verwaltungsgerichts nicht gebunden) vom Vorliegen einer ordentlichen Revision auszugehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Juni 2014, Ro 2014/03/0063).

2.2. In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorgebracht, die entscheidungsrelevante Frage, ob der Revisionswerber den nach dem Kollektivvertrag zustehenden Grundlohn geleistet habe (§ 7i Abs. 3 AVRAG), setze aufgrund des grenzüberschreitenden Bezuges des vorliegenden Falles die bislang durch Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch nicht erfolgte Klärung des Begriffs "Grundlohn" unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten voraus. Insbesondere sei die Frage zu lösen, ob der enge Begriff des Grundlohns, den der österreichische Gesetzgeber verwende (nach den Gesetzesmaterialien haben beim Grundlohn vom Arbeitgeber allenfalls gewährte Zulagen und Zuschläge außer Betracht zu bleiben) zu einer unionsrechtswidrigen Diskriminierung bzw. zu einer unzulässigen Beschränkung der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs gemäß Art. 56ff AEUV führe. Damit stelle sich die Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob eine unionsrechtskonforme Interpretation des Begriffes "Grundlohn" - materielle Betrachtung der Lohnbestandteile anstelle ihrer bloßen Bezeichnung im Lohnzettel - geboten sei.

2.3. In den Revisionsgründen wird auf das Wesentliche zusammengefasst vorgebracht, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes sei der Begriff "Grundlohn" nicht in formaler Hinsicht zu verstehen. Vielmehr sei darauf abzustellen, ob der im Inland von einem Arbeitgeber ohne Sitz in Österreich beschäftigte Arbeitnehmer in materieller Hinsicht einen Lohn erhalte, der dem im Inland nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehenden Grundlohn unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien entspreche. Um eine unionsrechtswidrige Diskriminierung von Arbeitgebern aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu vermeiden, sei auf das unterschiedliche Begriffsverständnis des österreichischen und des italienischen Rechts Rücksicht zu nehmen. Das bloße Abstellen auf den vom österreichischen Gesetzgeber in § 7i Abs. 3 AVRAG verwendeten Begriff "Grundlohn" ohne Kontrastierung dieses Begriffes mit den nach italienischem Recht gültigen Begriffen, wie sie in den gegenständlichen Lohnzetteln zu finden seien, sei rechtswidrig. Bei richtiger Anwendung des § 7i AVRAG hätte das Gericht erkennen müssen, dass die nach italienischem Recht erstellten Lohnzettel eine andere Zusammensetzung des Grundlohns aufweisen, ohne dass dadurch eine Verletzung der österreichischen Rechtsvorschriften bewirkt werde, da jedenfalls der geforderte Grundlohn sichergestellt sei.

Vor dem Hintergrund der Dienstleistungsfreiheit sei zu hinterfragen, ob § 7i Abs. 3 AVRAG eine beschränkende Wirkung entfalte, gegebenenfalls ob die Beschränkung im Allgemeininteresse gelegen und verhältnismäßig sei. Die mittelbar beschränkende Wirkung der Regelung liege darin, dass Unternehmer aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union abgehalten werden können, Dienstnehmer in das Inland zu entsenden. Die Beschränkung diene vornehmlich wirtschaftlichen Interessen, da es um die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit inländischer Arbeitgeber bzw. Dienstleister gehe. Rein wirtschaftliche Interessen könnten nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes aber eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit nicht rechtfertigen. Selbst wenn die Regelung im Allgemeininteresse gelegen sein sollte, sei sie unverhältnismäßig. Der Zweck des § 7i Abs. 3 AVRAG liege nicht darin, eine formale Gleichstellung der Arbeitnehmer herbeizuführen, sondern eine materielle Schlechterstellung zu verhindern. Es müsse daher genügen, wenn der entsendete Dienstnehmer - unabhängig von der Bezeichnung der Lohnbestandteile im Lohnzettel - in materieller Hinsicht nicht schlechter gestellt sei als der inländische Dienstnehmer.

Der italienische Kollektivvertrag für das Baugewerbe sehe vor, dass der Arbeitgeber in jedem Fall Unterkunft und Verpflegung zu bezahlen habe. Darüber hinaus stehe dem Mitarbeiter die Außendienstzulage zu, sofern er außerhalb seines Arbeitsplatzes beschäftigt sei. Diese Zulage decke jedoch nicht die erhöhten Kosten für Unterkunft und Verpflegung ab, da diese ohnedies vom Arbeitgeber zwingend zu übernehmen seien, sie stelle vielmehr einen Bestandteil des Grundlohns des italienischen Arbeitnehmers dar. Der Revisionswerber habe unstrittig für alle seine Arbeiter Hin- und Rücktransport auf eigene Kosten organisiert und bezahlt. Ebenso habe er die Kosten für Unterkunft und Verpflegung zur Gänze übernommen. Unabhängig davon sei den Arbeitnehmern sowohl eine "Außendienstzulage" als auch eine "Mensazulage" ausbezahlt worden, obwohl ihnen weder aus der auswärtigen Tätigkeit noch aus der Verpflegung ein tatsächlicher Aufwand entstanden sei. Die in den Lohnzetteln aufscheinenden Posten "Außendienstzulage" und "Mensazulage" seien daher kein Aufwandersatz, sondern Lohnelemente und zum Grundlohn hinzuzurechnen. Auch die Zulagen "Freistellung Bauarbeiter 4,95 %" und "Maggiorazione edili" seien Lohnelemente und Teil des Grundlohns.

Der italienische Lohnzettel sei so gegliedert, dass im oberen Bereich der Grundlohn angegeben sei, der laut Kollektivvertrag für ganz Italien gültig sei. Die restlichen, nicht im oberen Bereich verfassten Teile werden im unteren Bereich hinzugefügt. Hätte das Verwaltungsgericht Feststellungen zu den nach italienischem Recht erstellten Lohnzettel vorgenommen, wäre es zu dem Ergebnis gekommen, dass die Positionen "Freistellung Bauarbeiter 4,95 %", "Mensa-Zulage Bauarbeiter", "Außendienstzulage" und "Maggiorazione edili" klassische Lohnelemente darstellen, die nach italienischem Kollektivvertrag Bestandteile des Grundlohns bilden. Eine Unterentlohnung liege daher nicht vor. Der Revisionswerber habe sämtlichen Arbeitnehmern einen höheren Lohn ausbezahlt, als ihnen nach österreichischem Recht als "Grundlohn" unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien zugestanden wäre. Die Bestrafung nach § 7i Abs. 3 AVRAG sei daher zu Unrecht erfolgt.

3.1. Die vorliegende Revision ist aus den von ihr aufgezeigten Überlegungen zulässig, da sich der Verwaltungsgerichtshof mit der Frage, ob und welche Zulagen, die dem Arbeitnehmer im Heimatstaat ausgezahlt wurden, bei der Beurteilung, ob er den ihm nach österreichischen Vorschriften zustehenden Mindestlohn (hier: "Grundlohn" im Sinne des § 7i Abs. 3 AVRAG) erhalten hat, bislang - speziell unter den vom Revisionswerber ins Treffen geführten unionsrechtlichen Gesichtspunkten - nicht auseinander gesetzt hat (aus den hg. Beschlüssen vom 26. Februar 2015, Zl. Ra 2015/11/0008, und vom 28. Jänner 2016, Zl. Ra 2015/11/0112, ist für diese Frage mangels spezifischen unionsrechtlichen Vorbringens der damaligen Revisionen nichts zu gewinnen).

3.2. Die für den gegenständlichen Tatzeitraum maßgebenden Bestimmungen des Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetzes, BGBl. Nr. 459/1993 idF BGBl. I Nr. 107/2013 (AVRAG), lauten auszugsweise:

"Ansprüche gegen ausländische Arbeitgeber mit Sitz in einem EU- oder EWR-Mitgliedstaat

§ 7b. (1) Ein Arbeitnehmer, der von einem Arbeitgeber mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraumes als Österreich zur Erbringung einer fortgesetzten Arbeitsleistung nach Österreich entsandt wird, hat unbeschadet des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Rechts für die Dauer der Entsendung zwingend Anspruch auf

1. zumindest jenes gesetzliche, durch Verordnung

festgelegte oder kollektivvertragliche Entgelt, das am Arbeitsort vergleichbaren Arbeitnehmern von vergleichbaren Arbeitgebern gebührt

...

Verpflichtung zur Bereithaltung von Lohnunterlagen

§ 7d. (1) Arbeitgeber/innen im Sinne der §§ 7, 7a Abs. 1 oder 7b Abs. 1 haben jene Unterlagen, die zur Überprüfung des dem/der Arbeitnehmer/in nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelts erforderlich sind (Lohnunterlagen), in deutscher Sprache für die Dauer der Beschäftigung der Arbeitnehmer/innen am Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten.

...

Kompetenzzentrum LSDB

§ 7e. (1) Für die Kontrolle des dem/der nicht dem ASVG unterliegenden Arbeitnehmer/in nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag in Österreich zustehenden Grundlohns unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien wird die Wiener Gebietskrankenkasse als Kompetenzzentrum Lohn- und Sozialdumping Bekämpfung (Kompetenzzentrum LSDB) eingerichtet, die folgende Aufgaben im übertragenen Wirkungsbereich nach den Weisungen des Bundesministers/der Bundesministerin für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz hat:

...

3. Erstattung der Strafanzeige nach Abs. 3

...

(3) Stellt das Kompetenzzentrum LSDB fest, dass der/die Arbeitgeber/in dem/der Arbeitnehmer/in im Sinne des Abs. 1 nicht zumindest den nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehenden Grundlohn unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien leistet, hat es Anzeige an die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde zu erstatten. ...

(4) Das Kompetenzzentrum LSDB kann die Kollektivvertragspartner, die den für den/die Arbeitnehmer/in maßgeblichen Kollektivvertrag abgeschlossen haben, zur Ermittlung des dem/der Arbeitnehmer/in unter Beachtung der Einstufungskriterien zustehenden Grundlohns anhören. Erhebt ein/e Arbeitgeber/in begründete Einwendungen gegen die vom Kompetenzzentrum LSDB angenommene Einstufung, hat das Kompetenzzentrum LSDB die Kollektivvertragspartner anzuhören. (...) Aufwandersätze und Sachbezüge dürfen, soweit der Kollektivvertrag nicht anderes bestimmt, für die Zwecke der Bestimmung des kollektivvertraglichen Grundlohns nicht aufgerechnet werden.

...

Feststellung von Übertretungen durch die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse

§ 7h. Stellt die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse im Rahmen ihrer Tätigkeit fest, dass der/die Arbeitgeber/in dem/der Arbeitnehmer/in im Sinne des Abschnitts I BUAG oder im Sinne des § 33d BUAG nicht zumindest den nach Gesetz, Kollektivvertrag oder Verordnung zustehenden Grundlohn unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien leistet, gilt § 7e Abs. 3, Abs. 4 letzter Satz und 5 mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Kompetenzzentrums LSDB die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse tritt.

Strafbestimmungen

§ 7i.

...

(3) Wer als Arbeitgeber/in ein/en Arbeitnehmer/in beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm/ihr zumindest den nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehenden Grundlohn unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet. Sind von der Unterentlohnung höchstens drei Arbeitnehmer/innen betroffen, beträgt die Geldstrafe für jede/n Arbeitnehmer/in 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer/innen betroffen, für jede/n Arbeitnehmer/in 2 000 Euro bis 20 000 Euro, im Wiederholungsfall 4 000 Euro bis 50 000 Euro.

...

(8) Im Fall des Abs. 3 in Verbindung mit § 7h kommt der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse Parteistellung und die Berechtigung zu, gegen Entscheidungen Rechtsmittel und Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zu erheben.

..."

3.3. Die §§ 7d bis 7m gehen auf die Einfügung durch die Novelle BGBl. I Nr. 24/2011 zurück, deren Erläuterungen (1076 BlgNR XXIV. GP ) auszugsweise wie folgt lauten (Hervorhebungen nicht im Original):

"Allgemeiner Teil

...

Das Regierungsprogramm der Bundesregierung für die XXIV. Gesetzgebungsperiode sieht vor dem Hintergrund zusammen wachsender Arbeitsmärkte in Europa eine Verbesserung und Systematisierung der Maßnahmen gegen Lohn - und Sozialdumping vor. Derartige Maßnahmen sollen nach dem Regierungsprogramm und dem NAP für Integration vor dem Auslaufen der bestehenden Übergangsfristen für neue EU-Mitgliedstaaten wirksam werden und ein Unterlaufen kollektivvertraglich festgesetzter Löhne verhindern.

...

Entsprechend den Vorgaben des Regierungsprogramms und der Sozialpartnereinigung soll die im AVRAG neu vorgesehene Kontrolle des Grundlohns nicht nur auf Entsendungen aus dem EWR-Raum beschränkt werden, sondern auch auf Entsendungen aus Drittstaaten und auf alle Fälle der grenzüberschreitenden Arbeitskräfteüberlassung zur Anwendung kommen.

...

Die Normierung einer Verwaltungsstrafbestimmung bei einer Unterschreitung des Grundlohns hat nicht die Verhängung von Geldstrafen zum Ziel, sondern soll den in Österreich beschäftigten Arbeitnehmer/innen jenes Mindestentgelt sicherstellen, das ihnen nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zusteht.

...

Besonderer Teil

Die §§ 7d bis 7m enthalten eine Reihe von Maßnahmen, um Lohn- und Sozialdumping hintanzuhalten.

...

Durch die §§ 7e und 7f soll die Kontrolle des den nach Österreich entsandten oder überlassenen Arbeitnehmer/innen, für die keine Sozialversicherungspflicht in Österreich besteht, zustehenden Grundlohns eingeführt werden. ...

Stellt das Kompetenzzentrum LSDB auf Grund der Erhebungen der Organe der Abgabenbehörden fest, dass nicht zumindest der nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag zustehende Grundlohn unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien geleistet wird, hat es Anzeige an die zuständige Verwaltungsstrafbehörde zu erstatten (§ 7e Abs. 3). Unter ‚Grundlohn' ist im Gegensatz zum Begriff ‚Entgelt' der für die erbrachte Arbeitszeit zustehende Grundbezug (Grundlohn bzw. Grundgehalt) zu verstehen; dies schließt auch das Überstundengrundentgelt mit ein. Nicht erfasst sind jedoch die sonstigen allenfalls gewährten Zulagen und Zuschläge oder Sonderzahlungen. ...

...

Die vorgesehene Kontrolle ausländischer Arbeitgeber/innen stellt zwar eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs nach Art. 49 EGV dar. Eine solche Beschränkung ist dann zulässig, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH gehört der soziale Schutz der Arbeitnehmer/innen zu solchen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses (vgl. etwa RS C-369/96 , Arblade, Randnr. 80), worunter auch Maßnahmen zu verstehen sind, die den Schutz der Arbeitnehmer/innen des Empfangsstaates gegen etwaiges Lohn- und Sozialdumping zum Ziel haben (vgl. etwa RS C-438/05 , Viking Line , Randnr. 78 und 79; RS C-341/05 , Laval, Randnr. 103 bis 105). Zu den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses zählt nach der Rechtsprechung des EuGH weiters das Bemühen, Störungen auf dem Arbeitsmarkt des Empfangsstaates zu verhindern und der Schutz der im Empfangsstaat ansässigen Unternehmen gegen unlauteren Wettbewerb (vgl. RS C-60/03 , Wolff/Müller, Randnr. 35 und 41; RS C- 490/04 , Kommission/Deutschland, Randnr. 70). Der EuGH stellt somit in der Folge fest, dass die Gemeinschaft nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine soziale Zielsetzung hat. Im Mittelpunkt der Kontrolle steht der Schutz der in- und ausländischen Arbeitnehmer/innen. Weitere Voraussetzung ist, dass die Beschränkung die Erreichung des verfolgten Ziels gewährleistet und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entspricht.

Beide Voraussetzungen sind gegeben. ..."

3.4. Die Richtlinie 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 1996 über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsenderichtlinie; im Folgenden kurz: Richtlinie) lautet auszugsweise (Hervorhebungen nicht im Original):

"Artikel 1

Anwendungsbereich

(1) Diese Richtlinie gilt für Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat, die im Rahmen der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen Arbeitnehmer gemäß Absatz 3 in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entsenden.

...

(3) Diese Richtlinie findet Anwendung, soweit die in Absatz 1 genannten Unternehmen eine der folgenden länderübergreifenden Maßnahmen treffen:

a) einen Arbeitnehmer in ihrem Namen und unter ihrer

Leitung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats im Rahmen eines Vertrags entsenden, der zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem in diesem Mitgliedstaat tätigen Dienstleistungsempfänger geschlossen wurde, sofern für die Dauer der Entsendung ein Arbeitsverhältnis zwischen dem entsendenden Unternehmen und dem Arbeitnehmer besteht, oder

...

Artikel 2

Begriffsbestimmung

(1) Im Sinne dieser Richtlinie gilt als entsandter Arbeitnehmer jeder Arbeitnehmer, der während eines begrenzten Zeitraums seine Arbeitsleistung im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als demjenigen erbringt, in dessen Hoheitsgebiet er normalerweise arbeitet.

(2) Für die Zwecke dieser Richtlinie wird der Begriff des Arbeitnehmers in dem Sinne verwendet, in dem er im Recht des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird, gebraucht wird.

Artikel 3

Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen

(1) Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, daß unabhängig von dem auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Recht die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Unternehmen den in ihr Hoheitsgebiet entsandten Arbeitnehmern bezüglich der nachstehenden Aspekte die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen garantieren, die in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Arbeitsleistung erbracht wird,

b) bezahlter Mindestjahresurlaub

c) Mindestlohnsätze einschließlich der

Überstundensätze; dies gilt nicht für die zusätzlichen betrieblichen Altersversorgungssysteme;

...

Zum Zweck dieser Richtlinie wird der in Unterabsatz 1 Buchstabe c) genannte Begriff der Mindestlohnsätze durch die Rechtsvorschriften und/oder Praktiken des Mitgliedstaats bestimmt, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird.

...

(7) Die Absätze 1 bis 6 stehen der Anwendung von für die Arbeitnehmer günstigeren Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen nicht entgegen.

Die Entsendungszulagen gelten als Bestandteil des Mindestlohns, soweit sie nicht als Erstattung für infolge der Entsendung tatsächlich entstandene Kosten wie z.B. Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungskosten gezahlt werden.

Artikel 5

Maßnahmen

Die Mitgliedstaaten sehen geeignete Maßnahmen für den Fall

der Nichteinhaltung dieser Richtlinie vor.

...

ANHANG

Die in Artikel 3 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich genannten Tätigkeiten umfassen alle Bauarbeiten, die der Errichtung, der Instandsetzung, der Instandhaltung, dem Umbau oder dem Abriß von Bauwerken dienen, insbesondere

..."

4. Die Revision ist aus folgenden Überlegungen begründet:

4.1. Die dem Revisionswerber mit dem angefochtenen Erkenntnis zur Last gelegte Tat (Übertretung des § 7i Abs. 3 AVRAG) besteht im Wesentlichen darin, dass er von ihm nach Österreich zur Arbeitsleistung entsendeten Arbeitnehmern nicht den nach österreichischen Rechtsvorschriften "zustehenden Grundlohn" geleistet habe.

Die Frage, ob der Tatbestand verwirklicht wurde, erfordert sohin eine Gegenüberstellung des "zustehenden Grundlohnes" einerseits mit dem vom Revisionswerber tatsächlich bezahlten Lohn andererseits.

Was bei dieser Gegenüberstellung zunächst den nach österreichischen Rechtsvorschriften (Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag) "zustehenden Grundlohn", sohin das (im Sinne der zitierten Erläuterungen) zustehende Mindestentgelt, anlangt, so sind bei dessen Ermittlung einerseits Aufwandersätze und Sachbezüge nicht aufzurechnen (sofern der Kollektivvertrag nicht anderes bestimmt; § 7e Abs. 4 letzter Satz AVRAG) und andererseits (entsprechend dem in den Erläuterungen dargelegten Verständnis des Begriffes Grundlohn) das Überstundengrundentgelt einzurechnen, nicht jedoch die sonstigen allenfalls gewährten Zulagen und Zuschläge oder Sonderzahlungen (anders die - im vorliegenden Fall noch nicht anzuwendende - Rechtslage seit der Novelle BGBl. I Nr. 94/2014, der zufolge in § 7i Abs. 5 AVRAG eine Ausweitung der Lohnkontrolle auf das Nichtleisten des "zustehenden Entgelts" erfolgte; vgl. dazu die Erläuterungen zu dieser Novelle, RV 319 BlgNR XXV. GP , Seiten 1 und 11, sowie die Ausführungen zur wirkungsorientierten Folgekostenabschätzung dieser Regierungsvorlage).

4.2. Im vorliegenden Fall bestreitet der Revisionswerber gar nicht, dass den Arbeitnehmern der in der Tatumschreibung des angefochtenen Erkenntnisses in Form des Bruttostundenlohnes je Arbeitnehmer ziffernmäßig genannte Grundlohn zugestanden sei.

Vielmehr macht der Revisionswerber geltend, dass er, wie aus den Lohnzetteln ersichtlich sei (diese sind im angefochtenen Erkenntnis abgebildet), den Arbeitnehmern sogar mehr als den zustehenden Grundlohn bezahlt habe, sofern man neben dem dort ausgewiesenen Lohn auch die in den Lohnzetteln aufgelisteten weiteren Zahlungen an die Arbeitnehmer ("Freistellung Bauarbeiter 4,95%", "Mensazulage Bauarbeiter", "Außendienstzulage" und "Maggiorazione edili"), die nach Ansicht des Revisionswerbers als Bestandteile des Lohnes anzusehen seien, berücksichtigt.

Auch das Verwaltungsgericht ist, wie dargelegt, davon ausgegangen, dass im Falle der Einbeziehung dieser vom Revisionswerber gezahlten Zulagen der Tatvorwurf der Unterentlohnung nicht zuträfe.

Somit ist im vorliegenden Revisionsfalle entscheidungsrelevant, ob bei der vorzunehmenden Gegenüberstellung (zustehender Grundlohn einerseits und tatsächlich ausbezahlter Lohn andererseits) die in Rede stehenden vier Zulagen als Lohnbestandteile bei der Ermittlung des tatsächlich ausbezahlten Lohnes zu berücksichtigen sind.

Zu dieser Frage vertritt der Revisionswerber zusammengefasst den Standpunkt, bei unionsrechtskonformer Auslegung der Vorschriften des AVRAG (Vermeidung einer unionsrechtswidrigen Diskriminierung von Arbeitgebern mit Sitz in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union) dürften bei der Frage, ob diese ihren Arbeitnehmern den Mindestlohn (Grundlohn) bezahlt haben, bestimmte tatsächlich bezahlte Zulagen nicht schon deshalb außer Betracht bleiben, weil diese nach österreichischen Vorschriften bzw. der österreichischen Lohnstruktur nicht zum Grundlohn zählten.

Abgesehen davon zieht der Revisionswerber auch grundsätzlich in Zweifel, ob die aus § 7i Abs. 3 AVRAG resultierende Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit (Beschäftigung von nach Österreich entsendeten Arbeitnehmern nur zu den in Österreich geltenden Entlohnungsbedingungen) überhaupt einem unionsrechtlich anerkannten Allgemeininteresse dient und als verhältnismäßig anzusehen ist. Der Revisionswerber beantragt, ein entsprechendes Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten.

4.3. Mit dem letztgenannten Revisionsvorbringen ist der Revisionswerber auf das Urteil des EuGH vom 14. April 2005, C- 341/02 (Kommission/Deutschland), zu verweisen, in dem der Gerichtshof ausgesprochen hat, dass es das Gemeinschaftsrecht einem Mitgliedstaat grundsätzlich nicht verwehrt, einem Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat, das Dienstleistungen im erstgenannten Mitgliedstaat erbringt, die Verpflichtung aufzuerlegen, seinen Arbeitnehmern die durch die nationalen Vorschriften dieses Staates festgelegten Mindestlöhne zu zahlen. Die Anwendung dieser Vorschriften müsse aber geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, nämlich den Schutz der entsandten Arbeitnehmer, und dürfe nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich sei (Rn 24).

4.4. Zielführend ist jedoch das Revisionsvorbringen, das unionsrechtliche Diskriminierungsverbot verbiete es, die vom Arbeitgeber bezahlten Zulagen bei der Frage, ob dieser den Grundlohn (Mindestlohn) tatsächlich bezahlt habe, von vornherein unberücksichtigt zu lassen:

4.4.1. Im bereits zitierten Urteil C-341/02 ging es, insoweit vergleichbar mit dem vorliegenden Revisionsfall, um die Methode für den Vergleich zwischen dem aufgrund der Bestimmungen jenes Mitgliedstaates, in dem die Arbeitsleistung erbracht wurde, geschuldeten Mindestlohnsatz und dem Lohn, den die Arbeitgeber mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten ihren entsandten Arbeitnehmern tatsächlich zahlen. Es stellte sich die Frage, welche Zulagen und Zuschläge ein Mitgliedstaat als Bestandteile des Mindestlohns berücksichtigen muss, wenn er prüft, ob dieser ordnungsgemäß gezahlt worden ist (Rn 27 dieses Urteils).

Die wesentlichen Aussagen des EuGH im soeben erwähnten Urteils C-341/02 (Kommission/Deutschland) hat der EuGH im Urteil vom 7. November 2013, C-522/12 (Tevfik Isbir) wie folgt zusammengefasst bzw. wiederholt:

"37 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Richtlinie 96/71 selbst keinen Anhaltspunkt für eine inhaltliche Definition des Mindestlohns liefert. Aus welchen Bestandteilen er sich für die Anwendung dieser Richtlinie zusammensetzt, ist daher im Recht des betreffenden Mitgliedstaats festzulegen, wobei diese Definition, wie sie sich aus den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften oder Tarifverträgen oder ihrer Auslegung durch die innerstaatlichen Gerichte ergibt, allerdings nicht zu einer Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten führen darf.

38 Hierzu hat der Gerichtshof bereits ausgeführt, dass die Zulagen und Zuschläge, die durch die nationalen Rechtsvorschriften oder Praktiken des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird, nicht als Bestandteile des Mindestlohns definiert werden und die das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers auf der einen und der ihm erbrachten Gegenleistung auf der anderen Seite verändern, nicht aufgrund der Bestimmungen der Richtlinie 96/71 als derartige Bestandteile betrachtet werden können (Urteil Kommission/Deutschland, Randnr. 39).

39 Nach Ansicht des Gerichtshofs ist es nämlich normal, dass der Arbeitnehmer, der auf Verlangen des Arbeitgebers Mehrarbeit oder Arbeitsstunden unter besonderen Bedingungen leistet, einen Ausgleich für die zusätzliche Leistung erhält, ohne dass dieser bei der Berechnung des Mindestlohns berücksichtigt wird (Urteil Kommission/Deutschland, Randnr. 40).

40 Daher können nur Bestandteile der Vergütung, die das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers auf der einen und der ihm hierfür erbrachten Gegenleistung auf der anderen Seite nicht verändern, bei der Bestimmung des Mindestlohns im Sinne der Richtlinie 96/71 berücksichtigt werden."

4.4.2. Aus den beiden zitierten Urteilen des EuGH ergibt sich somit die grundsätzliche Aussage, dass die dem Arbeitnehmer bezahlten Zulagen und Zuschläge aufgrund der Richtlinie dann nicht als Bestandteile des bezahlten Mindestlohnes betrachtet werden können, wenn diese Zulagen und Zuschläge (erstens) durch die nationalen Rechtsvorschriften oder Praktiken des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer entsandt wird (Aufnahmemitgliedstaat), nicht als Bestandteile des Mindestlohns definiert werden und wenn sie (zweitens) das Verhältnis zwischen der Leistung des Arbeitnehmers auf der einen und der ihm erbrachten Gegenleistung auf der anderen Seite verändern.

4.4.3. Daher können nach dem Urteil C-341/02 (Kommission/Deutschland) dem Arbeitnehmer bezahlte Qualitätsprämien, sowie Schmutz-, Erschwernis- oder Gefahrenzulagen nicht bei der Berechnung des Mindestlohnes berücksichtigt werden, weil diese einen Ausgleich für dessen zusätzliche Leistungen (ein Mehr an Arbeit oder Arbeitsstunden unter besonderen Bedingungen) darstellen (Rn 38-40 des Urteils).

Sehr wohl zu berücksichtigen waren (in einem Fall, in dem Deutschland Aufnahmemitgliedstaat war) jedoch der 13. und 14. Monatsgehalt (Rn 41 iVm Rn 30 bis 33 des Urteils).

Außerdem hat der EuGH im letztzitierten Urteil (Rn 29) ausgeführt, dass gemäß Art. 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 Buchstabe c und Absatz 7 Unterabsatz 2 der Richtlinie das Entgelt für Überstunden, die Beiträge für zusätzliche betriebliche Altersversorgungssysteme sowie die als Erstattung für infolge der Entsendung tatsächlich entstandene Kosten gezahlten Beträge und Pauschalbeträge, die nicht auf Stundenbasis berechnet werden, nicht als Bestandteile des Mindestlohns berücksichtigt werden dürfen. Abzustellen sei auf den Bruttolohn.

4.4.4. Im bereits zitierten Urteil C-522/12 (Tevfik Isbir) hat der EuGH weiters "vermögenswirksame Leistungen" des Arbeitgebers (über die Arbeitnehmer erst nach einer mehr oder weniger langen Frist verfügen kann, um ein sozialpolitisches Ziel zu erreichen), auch wenn diese von der Arbeitsleistung nicht trennbar sind, als vom eigentlichen Lohn unterschiedliche Leistungen bezeichnet, die nicht als Komponente des üblichen Verhältnisses zwischen der Arbeitsleistung und der hierfür vom Arbeitgeber zu erbringenden finanziellen Gegenleistung angesehen werden können.

4.4.5. Im Urteil vom 12. Februar 2015, C-396/13 (Sähköalojen ammattiliitto ry) hat der EuGH, ausgehend von den bereits wiedergegebenen Grundsätzen, nicht nur darauf hingewiesen, dass sich die Art und Weise der Berechnung des Mindestlohnes (fallbezogen auf Stunden- oder Akkordbasis) nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates, in den der Arbeitnehmer entsandt wurde (Aufnahmemitgliedstaat), bestimme, sofern diese Rechtsvorschriften zwingend und transparent sind (Rn 39ff).

Vielmehr hat der Gerichtshof in diesem Urteil der Art nach umschriebene Zahlungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer anhand der bereits genannten Kriterien dahin qualifiziert, ob sie als Bestandteil des Mindestlohnes anzusehen sind (Zusammenfassung in Rn 70):

Konkret betroffen waren das Tagegeld zum Ausgleich für Nachteile, die durch die Entsendung aufgrund der Entfernung vom gewohnten Umfeld entstehen und das nicht als Erstattung für infolge der Entsendung tatsächlich entstandene Kosten gezahlt wird (Rn 46 ff), eine Wegzeitentschädigung zum Ausgleich für die tägliche Pendelzeit zwischen den Orten der Unterbringung und der Arbeit (Rn 53 ff), die Übernahme der Kosten für die Unterbringung (Rn 58 ff) und für die Verpflegung (fallbezogen die Ausgabe von Essensgutscheinen; Rn 61 ff) sowie die Mindestvergütung für die Dauer des bezahlten Mindestjahresurlaubs (Rn 69).

4.5. Diese ins Detail gehende Rechtsprechung des EuGH zur Qualifizierung als Bestandteile des Mindestlohns iSd Entsenderichtlinie 96/71/EG ist für die unionsrechtskonforme Auslegung der gegenständlich relevanten Bestimmungen des AVRAG, die der Umsetzung dieser Richtlinie dienen (vgl. bereits die Gesetzesmaterialien zur Novelle BGBl. I Nr. 120/1999, GP XX IA 1103/A, Seite 10), maßgebend. Das vom Revisionswerber angeregte Ersuchen um Vorabentscheidung erübrigt sich insoweit.

4.5.1. Vor diesem Hintergrund ist für den vorliegenden Revisionsfall zunächst festzuhalten, dass es sich bei den strittigen Zulagen, die der Revisionswerber den Arbeitnehmern bezahlt hat, anders als vom Verwaltungsgericht u.a. tituliert wurde, offensichtlich nicht (zumindest nicht ausschließlich) um einen "Aufwandersatz" handelt (das Verwaltungsgericht stellte nämlich selbst fest, dass, obwohl der Revisionswerber bereits die Kosten für den Hin- und Rücktransport sowie für Unterkunft und Verpflegung der entsendeten Arbeitnehmer bezahlt habe, die strittigen Zulagen "darüber hinaus" gewährt wurden), sodass diese Zahlungen nicht von vornherein als (bloße) "Erstattung" von durch die Entsendung tatsächlich entstandenen Kosten iSd Art. 3 Abs. 7 zweiter Satz der Richtlinie und der dazu ergangenen Judikatur des EuGH qualifiziert werden können.

4.5.2. Im Übrigen jedoch erfordert die hier entscheidungsrelevante Frage, ob die vom Revisionswerber den Arbeitnehmern gezahlten vier Zulagen ("Freistellung Bauarbeiter 4,95 %", "Mensa-Zulage Bauarbeiter", "Außendienstzulage" und "Maggiorazione edili") anhand der oben dargestellten Rechtslage als Lohnbestandteile zu berücksichtigen sind, einwandfreie (erforderlichenfalls mithilfe eines Sachverständigen zu treffende) Feststellungen über den Zweck und allfällige sonstige Besonderheiten der jeweiligen Zulage.

5. Das angefochtene Erkenntnis, das demgegenüber auf der Rechtsansicht beruht, die genannten (aber nach Zweck und eigentümlichen Merkmalen nicht näher umschriebenen) Zulagen könnten von vornherein nicht als Lohnbestandteile anerkannt werden, war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Wien, am 9. November 2016

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte