VwGH Ro 2014/21/0010

VwGHRo 2014/21/001026.6.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Dr. Pelant und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Revision des A B in W, vertreten durch Mag. Oliver Ertl, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hahngasse 25/5, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 25. November 2013, Zl. UVS-FRG/60/12312/2013-3, betreffend Rückkehrentscheidung, Einreiseverbot und Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §52 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §55 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs2 Z8 idF 2011/I/038;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §52 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §53 Abs2 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §55 Abs1 idF 2011/I/038;
FrPolG 2005 §61 Abs2 Z8 idF 2011/I/038;
MRK Art8 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der 1982 geborene Revisionswerber ist algerischer Staatsangehöriger.

Mit Bescheid vom 20. September 2013 erließ die Landespolizeidirektion Wien gegen ihn gemäß § 52 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG eine Rückkehrentscheidung, verhängte gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein dreijähriges Einreiseverbot und setzte gemäß § 55 Abs. 1 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Erlassung des Bescheides fest. Der dagegen erhobenen Berufung gab der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) mit dem nunmehr bekämpften Bescheid vom 25. November 2013 mit der Maßgabe keine Folge, dass die Dauer des Einreiseverbotes auf zwei Jahre herabgesetzt werde.

Die belangte Behörde stellte fest, dass der Revisionswerber gemäß seinen eigenen Angaben 2008 nach Österreich eingereist sei. Seither sei er - nur unterbrochen durch einen einjährigen Aufenthalt in Belgien im Jahr 2010 - "durchgängig" in Österreich aufhältig; eine Meldung nach dem Meldegesetz sei aber erst gegen Ende 2012 erfolgt. Seinen Lebensunterhalt habe der Revisionswerber bis vor kurzem durch finanzielle Unterstützung seines Vaters sowie durch Gelegenheitsarbeiten finanziert. Er besitze gute Deutschkenntnisse und es bestehe ein Vorvertrag für ein Dienstverhältnis.

Am 8. April 2013 habe der Revisionswerber eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet, die ein Kind mit errechnetem Geburtstermin Dezember 2013 erwarte. (Demgegenüber) lebten in Algerien, wo der Revisionswerber auch die Schule besucht habe, seine Mutter und Geschwister, wobei zu diesen Personen auch telefonischer Kontakt bestehe.

Ungeachtet eines darauf gerichteten Antrags verfüge der Revisionswerber über keinen Aufenthaltstitel.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass der Revisionswerber über keinen Aufenthaltstitel verfüge und (daher) nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig sei. Somit komme § 52 Abs. 1 FPG zur Anwendung. Bei der Bemessung des gemäß § 53 Abs. 1 FPG mit einer Rückkehrentscheidung unter einem zu erlassenden Einreiseverbotes sei zu berücksichtigen, dass der jahrelange unrechtmäßige Aufenthalt des Revisionswerbers keinen unbedeutenden Verstoß gegen die öffentliche Ordnung darstelle. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch die Normadressaten komme (nämlich) aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) besondere Bedeutung zu. Die öffentliche Ordnung werde aber beeinträchtigt, wenn einwanderungswillige Fremde ohne Aufenthaltstitel unerlaubt nach Österreich einreisten und hier verblieben, um damit die Behörden vor vollendete Tatsachen zu stellen. Allein unter Betrachtung der mit dem nicht bloß kurzfristigen unrechtmäßigen Aufenthalt verbundenen Störung der öffentlichen Ordnung durch den Revisionswerber erscheine die Verhängung eines Einreiseverbots in der Dauer von zwei Jahren als gerechtfertigt.

Gemäß § 61 Abs. 1 FPG - so die belangte Behörde weiter - sei auch bei der Verhängung einer Rückkehrentscheidung der Schutz des Privat- und Familienlebens zu prüfen. Dabei sei zunächst festzuhalten, dass der Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich noch nie rechtmäßig gewesen sei und insofern einen "geringen Schutz" genieße. Das gelte auch für die Eheschließung und Familiengründung, weil dem Revisionswerber hätte klar sein müssen, dass er bei Bekanntwerden seines langjährigen unrechtmäßigen Aufenthalts eine aufenthaltsbeendende Maßnahme zu gewärtigen habe. Angesichts des durch den unrechtmäßigen Aufenthalt geringer geschützten Familienlebens sei die Dauer des ohnehin im unteren Bereich angesiedelten Einreiseverbots als angemessen anzusehen. Da der Ehefrau des Revisionswerbers gegebenenfalls ein Anspruch auf Mindestsicherung als Sozialleistung zukomme, seien die Unterhaltsleistungen des Revisionswerbers keine notwendige Voraussetzung zur Deckung des Lebensbedarfs.

Über die gegen diesen Bescheid nach § 4 Abs. 1 erster Satz Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz (VwGbk-ÜG) erhobene Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:

Die gegenständliche Revision wäre gemäß § 4 Abs. 5 zweiter Satz VwGbk-ÜG unzulässig, falls die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vorlägen. Nach dem vierten Satz des § 4 Abs. 5 VwGbk-ÜG ist vom Verwaltungsgerichtshof zu beurteilen, ob diese Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben sind. Das ist (nur) dann der Fall, wenn die Entscheidung über die Revision von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das angefochtene Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Gemäß § 4 Abs. 5 fünfter Satz VwGbk-ÜG gelten für die Behandlung einer "Übergangsrevision", wie sie hier vorliegt, die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung sinngemäß mit der Maßgabe, dass statt der Ablehnung der Beschwerde gemäß § 33a VwGG (in der genannten Fassung) die Revision bei Fehlen der erwähnten Voraussetzungen als unzulässig zurückgewiesen werden kann.

Die vorliegende Revision erweist sich jedoch als zulässig; sie ist auch berechtigt.

Bei der Erlassung der gegenständlichen Rückkehrentscheidung (iVm einem Einreiseverbot) war auf § 61 FPG (idF des FrÄG 2011) Bedacht zu nehmen. Das hat die belangte Behörde zwar erkannt, sie hat die nach der genannten Bestimmung vorzunehmende Abwägung (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 16. Mai 2012, Zl. 2011/21/0277) aber nur unzulänglich vorgenommen.

Der Revisionswerber ist unstrittig mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet, die von ihm - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheiderlassung - in wenigen Wochen ein Kind erwartete. (Mittlerweile wurde das Kind, ein österreichischer Staatsbürger, am 21. Dezember 2013 geboren.)

Auf die Konsequenzen ihrer Entscheidung für das genannte Kind ist die belangte Behörde überhaupt nicht eingegangen. Auch die Situation der Ehefrau des Revisionswerbers hat sie nur rudimentär berücksichtigt, und zwar insoweit, als sie darauf verwies, dieser komme im Falle eines zu geringen Einkommens ein Anspruch auf Mindestsicherung zu, sodass sie auf die Unterhaltsleistungen des Revisionswerbers zur Deckung ihres Lebensbedarfs nicht notwendig angewiesen sei. Dieser letzten Überlegung ist aber immerhin zu entnehmen, dass die belangte Behörde selbst nicht davon ausgeht, der Ehefrau des Revisionswerbers sei ein Verlassen des Bundesgebietes mit dem Revisionswerber (als potenzielles Zielland käme mangels anderer Anhaltspunkte nur das Herkunftsland desselben, Algerien, in Betracht) zuzumuten. Wenn sie damit der Sache nach zugrunde legte, der Revisionswerber bzw. seine österreichische Ehefrau und das gemeinsame österreichische Kind müssten eine Trennung hinnehmen, so verkannte sie die Rechtslage. Zwar trifft es zu, dass der langjährige unrechtmäßige Aufenthalt des Revisionswerbers - in den Worten der belangten Behörde - "keinen unbedeutenden Verstoß gegen die öffentliche Ordnung" darstellt. Das reicht aber, auch angesichts des Umstands, dass die Eheschließung des Revisionswerbers in Kenntnis seines unrechtmäßigen Aufenthalts erfolgte (vgl. § 61 Abs. 2 Z 8 FPG), noch nicht aus, die angesprochene Trennung zu rechtfertigen (in diesem Sinn etwa das, wenngleich noch zur Rechtslage vor dem FrÄG 2011 ergangene, hg. Erkenntnis vom 9. November 2010, Zl. 2009/21/0031; der Sache nach ebenso das schon genannte Erkenntnis vom 16. Mai 2012, Zl. 2011/21/0277; ähnlich auch die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 3. September 2009, U 354/09, und vom 14. Juni 2010, B 326/08).

Der bekämpfte Bescheid war daher wegen - vorrangig wahrzunehmender - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat, aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der (auf "Übergangsfälle" gemäß § 4 iVm § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 weiter anzuwendenden) VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am 26. Juni 2014

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