VwGH Ra 2022/15/0087

VwGHRa 2022/15/008721.6.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser, die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des Finanzamts Österreich, Dienststelle Graz‑Stadt in 8010 Graz, Conrad von Hötzendorfstraße 14‑18, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 23. August 2022, Zl. RV/2100079/2022, betreffend u.a. Umsatzsteuer 2010 und 2011 (mitbeteiligte Partei: N Inc in O [Vereinigte Staaten von Amerika]), zu Recht erkannt:

Normen

BAO §198 Abs2
ErstattungsV abziehbare Vorsteuern ausländischer Unternehmer 1995
ErstattungsV abziehbare Vorsteuern ausländischer Unternehmer 1995 §4 Abs1
UStG 1994 Art1
UStG 1994 §1 Abs1 Z1
UStG 1994 §1 Abs1 Z2
UStG 1994 §21 Abs4
UStG 1994 §21 Abs9

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022150087.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit es die Umsatzsteuer 2010 und 2011 betrifft, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die mitbeteiligte Partei, ein Telekommunikationsunternehmen, das in einem Drittland ansässig ist und in Österreich weder über einen Sitz noch über eine Betriebsstätte verfügt, reichte für die Jahre 2010 und 2011 Anträge auf Vorsteuererstattung gemäß § 21 Abs. 9 UStG 1994 iVm der Verordnung BGBl. Nr. 279/1995 ein.

2 Das Finanzamt erließ entsprechende Bescheide und erstattete die geltend gemachten Vorsteuern.

3 Nach einer Außenprüfung verfügte das Finanzamt die Wiederaufnahme der Erstattungsverfahren und setzte die zu erstattende Vorsteuer jeweils mit Null fest, weil die mitbeteiligte Partei in den Jahren 2010 und 2011 steuerpflichtige Umsätze in Österreich ausgeführt habe. Vorsteuern könnten daher nicht im Vorsteuererstattungsverfahren, sondern allenfalls im Veranlagungsverfahren geltend gemacht werden.

4 In weiterer Folge erließ das Finanzamt Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2010 und 2011, in welchen es die im Wege der Schätzung ermittelten Bemessungsgrundlagen für Lieferungen und sonstigen Leistungen sowie die von der mitbeteiligten Partei im Erstattungsverfahren geltend gemachten Vorsteuern in Ansatz brachte.

5 Die mitbeteiligte Partei erhob gegen die Bescheide hinsichtlich Wiederaufnahme der Erstattungsverfahren 2010 und 2011 sowie gegen die im Veranlagungsverfahren ergangenen Umsatzsteuerbescheide 2010 und 2011 Beschwerde.

6 Der Beschwerde gegen die Wiederaufnahme der Erstattungsverfahren 2010 und 2011 gab das Bundesfinanzgericht (BFG) mit Erkenntnis vom 5. April 2022, RV/2101381/2019, statt. Es hob die Wiederaufnahmebescheide des Finanzamts ersatzlos auf und führte zur Begründung aus, der Tatsachenkomplex der zur Wiederaufnahme geführt habe, sei dem Finanzamt bereits vor Ergehen der Erstattungsbescheide bekannt gewesen.

7 Das Erkenntnis vom 5. April 2022 erwuchs in Rechtskraft.

8 Mit dem hier angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision für nicht zulässig erklärt wurde, gab das BFG auch der Beschwerde gegen die im Veranlagungsverfahren ergangenen Umsatzsteuerbescheide 2010 und 2011 mit der Begründung Folge, im Beschwerdefall seien „Bescheide über die Erstattung von Vorsteuern“ für 01‑12/2010 und 01‑12/2011 erlassen worden, die in weiterer Folge rechtskräftig geworden seien. Im Spruch heiße es: „Die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern gemäß Verordnung des Bundesministers für Finanzen, BGBl. Nr. 279/1995 für den Zeitraum [...] erfolgt mit: [...].“

9 Die so umschriebene Sache betreffe die gesamten umsatzsteuerlichen Aktivitäten der mitbeteiligten Partei in den Jahren 2010 und 2011. Durch die Subsumtion des Falles unter das Erstattungsverfahren treffe das Finanzamt auch Feststellungen zu Umsätzen im Inland: Nur ausländische Unternehmer, die keine Umsätze im Inland erzielten, könnten das Erstattungsverfahren nach der VO 279/1995 anwenden, das nur eine verfahrensrechtliche Besonderheit (Vereinfachung) zum Veranlagungsverfahren gemäß § 21 UStG 1994 darstelle.

10 Komme es ‑ wie im Revisionsfall ‑ dazu, dass das Finanzamt die Umsätze eines Unternehmers falsch beurteile (statt richtigerweise von Umsätzen der mitbeteiligten Partei im Inland auszugehen, habe das Finanzamt fälschlich angenommen, die mitbeteiligte Partei habe keine Umsätze im Inland erzielt), so könne diese falsche Beurteilung nur durch eine in der Verfahrensordnung vorgesehene Änderung des Bescheides (z.B. durch Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO oder durch Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO) korrigiert werden.

11 Die im Erstattungsverfahren ergangenen Bescheide seien rechtskräftig geworden, weshalb den im Veranlagungsverfahren ergangenen Umsatzsteuerbescheiden für die Jahre 2010 und 2011 der Grundsatz ne bis in idem entgegenstehe.

12 Die außerordentliche Revision des Finanzamtes bekämpft das angefochtene Erkenntnis nur insoweit, als es die Umsatzsteuer für die Jahre 2010 und 2011 betrifft, und führt zu ihrer Zulässigkeit aus, soweit ersichtlich liege noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vor, was Spruchinhalt eines Bescheides über die Erstattung der Vorsteuern für einen bestimmten Zeitraum sei. Eine Revision erachtet das Finanzamt auch für zulässig, weil die angefochtene Entscheidung im Widerspruch zum Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 31. März 2005, 2001/15/0175, stehe.

13 Die mitbeteiligte Partei hat ‑ trotz Aufforderung hierzu ‑ keine Revisionsbeantwortung erstattet.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

15 Die Revision ist zulässig und begründet.

16 Nach § 21 Abs. 4 UStG 1994 wird der Unternehmer nach Ablauf des Kalenderjahres zur Steuer veranlagt.

17 Gemäß § 20 Abs. 1 UStG 1994 ist bei der Berechnung der Steuer in den Fällen des § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 UStG 1994 von der Summe der Umsätze auszugehen, für welche die Steuerschuld im Laufe des Veranlagungszeitraumes entstanden ist. Gemäß § 20 Abs. 2 UStG 1994 sind von dem nach Abs. 1 errechneten Betrag die in den Veranlagungszeitraum fallenden, nach § 12 UStG 1994 abziehbaren Vorsteuerbeträge abzusetzen.

18 Auf Grund des § 21 Abs. 9 UStG 1994 hat der Bundesminister für Finanzen mit Verordnung BGBl. Nr. 279/1995 (im Folgenden nur: VO), „mit der ein eigenes Verfahren für die Erstattung der abziehbaren Vorsteuern an ausländische Unternehmen geschaffen wird“, die Erstattung der abziehbaren Vorsteuerbeträge an solche Unternehmer abweichend von den §§ 20 und 21 Abs. 1 bis 5 UStG 1994 einem eigenen Verfahren vorbehalten, wenn näher bestimmte Bedingungen erfüllt sind (§ 1 der VO). Nach § 3a dieser VO (in der für die Jahre 2010 und 2011 geltenden Fassung) hat der nicht im Unionsgebiet ansässige Unternehmer die Erstattung mittels amtlich vorgeschriebenen Vordrucks beim Finanzamt Graz‑Stadt zu beantragen. In dem mit sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Erstattungsanspruch entstanden ist, befristeten Antrag hat der Unternehmer den zu erstattenden Betrag selbst zu berechnen. Ist bei den in § 1 Abs. 1 genannten Unternehmen die Besteuerung nach §§ 20 und 21 Abs. 1 bis 5 UStG 1994 durchzuführen, so sind nach § 4 Abs. 1 dieser VO hiebei die Vorsteuerbeträge nicht zu berücksichtigen, die nach § 1 Abs. 1 erstattet worden sind.

19 Gemäß § 198 Abs. 2 BAO haben Abgabenbescheide im Spruch u.a. die Art und Höhe der Abgaben und die Grundlagen der Abgabenfestsetzung (Bemessungsgrundlagen) zu enthalten.

20 Strittig ist, ob die im Erstattungsverfahren ergangenen, in weiterer Folge rechtskräftig gewordenen Bescheide der Festsetzung der Umsatzsteuer für die Jahre 2010 und 2011 im Veranlagungsverfahren entgegenstehen (ne bis in idem).

21 Die mitbeteiligte Partei hat für die Jahre 2010 und 2011 Anträge auf Vorsteuererstattung gemäß § 21 Abs. 9 UStG 1994 eingereicht. Das Finanzamt hat diesen Anträgen mit Bescheiden vom 18. August 2011 (für den Zeitraum 01‑12/2010) und vom 19. Juli 2012 (für den Zeitraum 01‑12/2011) Folge gegeben. Der Spruch dieser Bescheide lautet dahingehend, dass für den jeweils betroffenen Zeitraum Vorsteuern in konkret benannter Höhe erstattet werden.

22 Die auf § 21 Abs. 9 UStG 1994 gestützten Bescheide vom 18. August 2011 und 19. Juli 2012 stellen keine Umsatzsteuer‑Veranlagungsbescheide iSd § 21 Abs. 4 UStG 1994 dar. Ein Bescheid betreffend Vorsteuerrückerstattung gemäß § 21 Abs. 9 UStG 1994 hat zwar u.a. das Fehlen von Umsätzen iSd § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 und Art. 1 UStG 1994 zur verfahrensrechtlichen Voraussetzung, spricht selbst aber nicht über Art und Höhe der vom Unternehmer erzielten Umsätze ab. Veranlagungsbescheide hingegen müssen zusätzlich zur Höhe der Umsatzsteuer auch die Umsatzsteuerbemessungsgrundlage (insbesondere die Summe der Umsätze des Veranlagungszeitraumes und die in den Veranlagungszeitraum fallenden Vorsteuern) enthalten.

23 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis vom 31. März 2005, 2001/15/0175, ausgesprochen, das es sich beim Vorsteuererstattungsverfahren nach der VO und der in § 21 Abs. 4 UStG 1994 vorgesehenen Veranlagung der Jahresumsatzsteuer um gesonderte Verfahren handelt.

24 Das Vorliegen eines auf § 21 Abs. 9 UStG 1994 gestützten Abspruchs über die Erstattung von Vorsteuern steht der Erlassung eines Umsatzsteuerveranlagungsbescheides nach § 21 Abs. 4 UStG 1994 nicht entgegen. Das ergibt sich aus der Regelung des § 4 Abs. 1 der VO, die ausdrücklich den Fall anspricht, in dem nach der Entscheidung über die Vorsteuererstattung „die Besteuerung nach §§ 20 und 21 Abs. 1 bis 5 UStG 1994 durchzuführen“ ist.

25 § 4 Abs. 1 der VO regelt, dass bereits erstattete Vorsteuerbeträge bei der Veranlagung nicht (nochmals) zu berücksichtigen sind. Die Bestimmung stellt zwar grundsätzlich auf einen Fall ab, in dem ein kürzerer Rückerstattungszeitraum als das Kalenderjahr gewählt wurde und dafür Vorsteuerbeträge erstattet worden sind, sodann aber etwa wegen geänderter Voraussetzungen in späteren Kalendermonaten desselben Kalenderjahres (inländische Umsätze) eine Veranlagung nach § 21 Abs. 4 UStG 1994 zum Tragen kommt, wobei hinsichtlich eines Teiles des Veranlagungszeitraumes bereits über eine Vorsteuerrückerstattung abgesprochen worden ist. Insofern erteilt also die auf § 21 Abs. 9 UStG 1994 gestützte VO die Ermächtigung, dass ‑ unter den Voraussetzungen der VO ‑ abweichend von § 198 Abs. 2 BAO über einen Teil der im Veranlagungsbescheid zu erfassenden Bemessungsgrundlage (und damit Abgabenhöhe) in einem gesonderten Bescheid abgesprochen werden kann.

26 Im gegenständlichen Fall sind ‑ wie dies der angefochtenen Entscheidung zu entnehmen ist ‑ die nach § 21 Abs. 9 UStG 1994 ergangenen Bescheide rechtswidrig, weil davon auszugehen ist, dass der im Ausland ansässige Unternehmer in den betreffenden Zeiträumen Umsätze im Inland getätigt hat. Die Bescheide sind allerdings in Rechtskraft erwachsen. Im Hinblick auf diese rechtskräftigen Bescheide nach § 21 Abs. 9 UStG 1994 ergibt sich aus § 4 Abs. 1 der VO das Zusammenwirken zwischen ihnen und den nachfolgenden Umsatzsteuer‑Veranlagungsbescheiden der beiden Streitjahre.

27 Die auf § 21 Abs. 9 UStG 1994 gestützten Bescheide stehen somit der Erlassung von Umsatzsteuer‑Veranlagungsbescheiden iSd § 21 Abs. 4 UStG 1994 nicht entgegen.

28 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher, soweit es die Umsatzsteuer der Jahre 2010 und 2011 betrifft, mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am 21. Juni 2023

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