Normen
BAO §253
BAO §260
BAO §261 Abs1
UStG 1994 §1 Abs1 Z1
UStG 1994 §12 Abs1
UStG 1994 §21 Abs3
UStG 1994 §21 Abs4
UStG 1994 §3 Abs2
UStG 1994 §3a Abs1a
UStG 1994 §3a Abs1a Z2
UStG 1994 §4 Abs1
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art17
31977L0388 Umsatzsteuer-RL 06te Art6 Abs2
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art168
61995CJ0258 Fillibeck VORAB
62007CJ0371 Danfoss und AstraZeneca VORAB
62012CJ0124 AES-3C Maritza East 1 VORAB
62016CJ0132 Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments VORAB
62019CJ0288 Finanzamt Saarbrücken VORAB
62019CJ0405 Vos Aannemingen VORAB
62019CJ0528 Mitteldeutsche Hartstein-Industrie VORAB
62020CJ0269 Finanzamt T VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RA2022130085.L00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird betreffend Umsatzsteuer 2005 bis 2009 und betreffend Zurückweisung der Beschwerden gegen die Bescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuer für die Zeiträume 12/2011, 12/2016 und 12/2019 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Im Übrigen wird die Revision als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Die Revisionswerberin betreibt ein Linienverkehrsunternehmen. Im Revisionsverfahren sind die Fragen strittig, ob im Hinblick auf die Einräumung von Fahrberechtigungen an Mitarbeiter Umsätze iSd § 3a Abs. 1a UStG 1994 zu berücksichtigen sind; und ob im Hinblick auf eine von einem Drittunternehmer betriebene Kantine, in der Mitarbeitern der Revisionswerberin verbilligtes Essen angeboten wird, ein Vorsteuerabzug zusteht.
2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht u.a. Beschwerden gegen Bescheide des Finanzamts betreffend Umsatzsteuer 2005 bis 2010 und 2019 als unbegründet ab. Betreffend Umsatzsteuer 2011 bis 2018 gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde ‑ aus Gründen, die nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens sind ‑ teilweise Folge und änderte die Bescheide ab. Weiters wies es Beschwerden gegen Bescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuer für die Zeiträume 12/2011, 12/2016 und 12/2019 „als unzulässig geworden“ zurück. Es sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
3 Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht ‑ soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung ‑ aus, der „Gratisbenutzung der Verkehrsmittel“ durch Fahrer, Lenker, Kontrolleure und Werkstättenpersonal in der Freizeit liege unbestritten kein Austauschverhältnis zu Grunde. Es sei nicht erforderlich, diesen Personen uneingeschränkte Fahrberechtigungen auch für Fahrten in der Freizeit und an dienstfreien Wochenenden zu erteilen, damit diese Personen zu Dienstbeginn die Antrittspunkte und Einstiegstellen des Linienverkehrs erreichten und von den Endpunkten bei Dienstende nach Hause zurückkehren könnten. Ein überwiegendes dienstliches Interesse an der Erteilung dieser Fahrberechtigungen bestehe sohin nicht. Der Umstand, dass die Nutzung der in Rede stehenden Fahrberechtigungen für private Zwecke fallweise in nur untergeordnetem Umfang erfolge, stehe deren umsatzsteuerlicher Qualifikation als Eigenverbrauch nicht entgegen. Auch in der Zurverfügungstellung von „Gratis‑Jahreskarten“ ab dem Jahr 2011 könne kein überwiegendes betriebliches Interesse erkannt werden. Die unentgeltliche Nutzungsmöglichkeit sämtlicher Verkehrsmittel der Revisionswerberin durch Fahrer, Lenker, Fahrausweiskontrolleure und Werkstättenpersonal in der Freizeit und an Wochenenden aufgrund des Dienstausweises oder einer Gratis‑Jahreskarte begründe (für die Jahre 2005 bis 2015) den Eigenverbrauchstatbestand iSd § 3a Abs. 1a Z 2 UStG 1994.
4 Die S GmbH betreibe im Direktionsgebäude der Revisionswerberin auf Basis eines Betriebsführungsvertrages ein Selbstbedienungsrestaurant samt Buffet im eigenen Namen, aber auf Rechnung der Revisionswerberin. In diesem könnten die Bediensteten aus dem Speisenangebot frei wählen; sie zahlten mittels Chipkarte einen stark vergünstigten Essenspreis. Den Bediensteten stehe es frei, das Angebot der S GmbH in Anspruch zu nehmen oder sich anderweitig zu verköstigen. Das finanzielle Risiko des Restaurantbetriebes werde von der Revisionswerberin getragen. Die S GmbH treffe eine ganzjährige Betriebsführungspflicht. Sie sei zu näher genannten Leistungen verpflichtet. Die S GmbH habe Anspruch auf ein Betriebsführungsentgelt in Höhe eines prozentualen Anteils des Wareneinsatzes und der Betriebsmittelkosten. Darüber hinaus habe sie Anspruch auf Ersatz u.a. des Wareneinsatzes, der Personalkosten, der tatsächlichen Ausgaben für Betriebsmittel, der tatsächlichen Ausgaben für Instandhaltung und Reparaturen der von der Revisionswerberin zur Verfügung gestellten Einrichtungsgegenstände, Kosten der Entsorgung der Küchenabfälle und Kammerumlage für den Küchenbetrieb. Die Revisionswerberin stelle der S GmbH die Betriebsräumlichkeiten, die Kücheneinrichtung samt Maschinen sowie das erforderliche bewegliche Inventar (wie Geschirr, Besteck, Gläser, Tischwäsche) entgeltfrei zur Verfügung. Auch stelle die Revisionswerberin entgeltfrei elektrische Energie und Wasser zur Verfügung und übernehme die Reinigung der Betriebsräumlichkeiten.
5 Trage der Arbeitgeber ganz oder teilweise die Kosten der Verpflegung, die der Arbeitnehmer selbst bei Dritten bestellen könne, liege hinsichtlich der Essenslieferung ein Leistungsaustausch nur zwischen Arbeitnehmer und Dritten, nicht hingegen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber oder zwischen Arbeitgeber und Dritten vor. Aus der Sicht des Dritten liege bei Zahlung des Arbeitgebers Entgelt von dritter Seite vor. Leistungsempfänger sei der Arbeitnehmer und nicht der Arbeitgeber, dem daher auch kein Vorsteuerabzug zustehe.
6 Leiste der Unternehmer einen Zuschuss zu den Bewirtschaftungskosten seiner von einem Dritten in dessen Namen und für dessen Rechnung betriebenen Betriebskantine, könne der Zuschuss Entgelt für eine vom Unternehmer bezogene Eingangsleistung „Kantinenbewirtschaftung“ sein. Der Unternehmer sei insoweit nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt, wenn diese Leistung ausschließlich dazu dienen solle, als unentgeltliche Wertabgabe bzw. Eigenverbrauch seinen Arbeitnehmern die Möglichkeit zu verschaffen, in der Betriebskantine verbilligt Speisen und Getränke zu beziehen. Stehe bereits bei Leistungsbezug fest, dass die bezogene Leistung nicht für die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens bezogen werde, stehe der Vorsteuerabzug nicht zu. Wirtschaftlich betrachtet habe die Revisionswerberin durch die Leistung des Betriebsführungsentgeltes die Kosten der Personalverpflegung des eigenen Personals teilweise übernommen. Es sei von vornherein festgestanden, dass die an die S GmbH entrichteten Beträge nicht für Zwecke des Unternehmens der Revisionswerberin, sondern zu dem Zweck geleistet worden seien, den Dienstnehmern der Revisionswerberin die Abgabe von verbilligten Mahlzeiten zu ermöglichen. Hinsichtlich der Verköstigung der Dienstnehmer in der betriebseigenen Kantine sei auch kein überwiegend betriebliches Interesse der Revisionswerberin als Dienstgeberin gegeben. Es seien daher näher genannte Vorsteuern der Jahre 2005 bis 2019 nicht zum Abzug zuzulassen.
7 Zur Zurückweisung von Beschwerden führte das Bundesfinanzgericht aus, diese Beschwerden hätten sich gegen Bescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuer für die Zeiträume 12/2011, 12/2016 und 12/2019 gerichtet; gemäß § 253 BAO gälten sie als gegen die zwischenzeitig ergangenen Umsatzsteuerjahresbescheide 2011, 2016 und 2019 gerichtet, da mit diesen Bescheiden dem Beschwerdebegehren nicht Rechnung getragen worden sei. Diese Beschwerden würden „somit als unzulässig geworden zurückgewiesen.“
8 Gegen dieses Erkenntnis, soweit es (nach der Bezeichnung auf der ersten Seite des Schriftsatzes, den Revisionspunkten, die insbesondere die im angefochtenen Erkenntnis ebenfalls behandelte Wiederaufnahme nicht betreffen, und auch nach seinem Vorbringen zu Zulässigkeitsgründen und Revisionsgründen) die Umsatzsteuer 2005 bis 2019 betrifft, wendet sich die vorliegende Revision.
9 Nach Einleitung des Vorverfahrens hat das Finanzamt eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Die Revision ist zulässig, aber nur zum Teil begründet.
1. Zurückweisung von Beschwerden
12 Tritt ein Bescheid an die Stelle eines mit Bescheidbeschwerde angefochtenen Bescheides, so gilt gemäß § 253 BAO die Bescheidbeschwerde auch als gegen den späteren Bescheid gerichtet. Dies gilt auch dann, wenn der frühere Bescheid einen kürzeren Zeitraum als der ihn ersetzende Bescheid umfasst.
13 Diese Bestimmung ist insbesondere auf das Verhältnis von Umsatzsteuerfestsetzungsbescheiden (§ 21 Abs. 3 UStG 1994) zu Umsatzsteuerveranlagungsbescheiden (§ 21 Abs. 4 UStG 1994) anzuwenden (vgl. dazu etwa VwGH 22.10.2015, Ro 2015/15/0035). Die gegen die Festsetzungsbescheide für die Zeiträume 12/2011, 12/2016 und 12/2019 gerichteten Beschwerden gelten sohin ab Erlassung der Veranlagungsbescheide als gegen diese Veranlagungsbescheide gerichtet. Wird gegen die Veranlagungsbescheide eine (weitere) Beschwerde eingereicht, so handelt es sich dabei um einen ergänzenden Schriftsatz zum ursprünglichen Rechtsmittel (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 253 Tz 9).
14 Wird dem Beschwerdebegehren mit dem an die Stelle des angefochtenen Bescheides getretenen Bescheid Rechnung getragen, so ist die Bescheidbeschwerde nach § 261 Abs. 1 BAO als gegenstandslos zu erklären. Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor, da mit den Veranlagungsbescheiden dem Beschwerdebegehren zu den im Revisionsverfahren strittigen Punkten nicht Rechnung getragen worden war.
15 Auf Basis der gegen die Festsetzungsbescheide gerichteten Beschwerden (samt den dazu eingebrachten ergänzenden Schriftsätzen) waren daher nunmehr die Veranlagungsbescheide Gegenstand des Beschwerdeverfahrens. Eine Zurückweisung dieser Beschwerden wegen Unzulässigkeit (vgl. zu Fällen der Unzulässigkeit z.B. Ritz/Koran, aaO, § 260 Tz 5 ff), die überdies in einem unklaren Verhältnis zur tatsächlich vorgenommenen Entscheidung (trotz Zurückweisung) über diese Beschwerden steht, kam somit nicht in Betracht (vgl. VwGH 4.6.2008, 2004/13/0124).
2. Fahrberechtigungen
16 Gemäß § 1 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 unterliegen die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt, der Umsatzsteuer.
17 § 3a Abs. 1a Z 2 UStG 1994 (insoweit in der Fassung BGBl. I Nr. 134/2003) lautet:
„(1a) Einer sonstigen Leistung gegen Entgelt werden gleichgestellt: [...]
2. die unentgeltliche Erbringung von anderen sonstigen Leistungen durch den Unternehmer
- für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen,
- für den Bedarf seines Personals, sofern keine Aufmerksamkeiten vorliegen. [...]“
18 Gemäß § 4 Abs. 1 UStG 1994 wird der Umsatz im Falle des § 1 Abs. 1 Z 1 nach dem Entgelt bemessen. Nach Abs. 2 leg. cit. gehört zum Entgelt u.a. auch, was ein anderer als der Empfänger dem Unternehmer für die Lieferung oder sonstige Leistung gewährt.
19 Im Falle des § 3a Abs. 1a Z 2 UStG 1994 bemisst sich der Umsatz nach den auf die Ausführung dieser Leistungen entfallenden Kosten (§ 4 Abs. 8 lit. a UStG 1994).
20 Ungeachtet des § 4 Abs. 1 UStG 1994 ist für Umsätze, die nach dem 31. Dezember 2012 ausgeführt werden (§ 28 Abs. 39 Z 1 UStG 1994), nach § 4 Abs. 9 lit. a UStG 1994 der Normalwert die Bemessungsgrundlage für Lieferungen und sonstige Leistungen durch den Unternehmer für Zwecke, die außerhalb des Unternehmens liegen oder für den Bedarf seines Personals, sofern das Entgelt niedriger als der Normalwert ist und der Empfänger der Lieferung oder sonstigen Leistung nicht oder nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist.
21 Gemäß § 12 Abs. 1 Z 1 lit. a UStG 1994 kann der Unternehmer u.a. die von anderen Unternehmern in einer Rechnung an ihn gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstigen Leistungen, die im Inland für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, abziehen.
22 Ein Umsatz gegen Entgelt setzt voraus, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Lieferung von Gegenständen oder der Erbringung von Dienstleistungen und einer tatsächlich vom Steuerpflichtigen empfangenen Gegenleistung besteht. Ein solcher unmittelbarer Zusammenhang besteht, wenn zwischen dem Leistenden und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, in dessen Rahmen gegenseitige Leistungen ausgetauscht werden, wobei die vom Leistenden empfangene Vergütung den tatsächlichen Gegenwert für die dem Leistungsempfänger erbrachte Dienstleistung bildet (vgl. VwGH 8.9.2021, Ro 2020/15/0011, mwN). Besteuerungsgrundlage ist die tatsächlich erhaltene Gegenleistung. Die Gegenleistung kann auch unter den Selbstkosten liegen (vgl. VwGH 25.11.2015, 2012/13/0017, mwN).
23 Der unmittelbare Zusammenhang (zwischen Leistung und Gegenleistung) kann sich in den Beziehungen zwischen einem Arbeitgeber und seinem Arbeitnehmer auch durch einen Teil der Barvergütung konkretisieren, auf den Letzterer als Gegenleistung für eine Leistung des Ersteren verzichten muss. Wird hingegen weder eine Zahlung geleistet noch ein Teil der Barvergütung verwendet und auch nicht auf andere Vorteile verzichtet, liegt keine Leistung gegen Entgelt vor (vgl. EuGH 20.1.2021, QM, C‑288/19 , Rn. 30 f).
24 Eine Leistung im Sinn des § 3a Abs. 1a UStG 1994 liegt hingegen vor, wenn eine Leistung an den Arbeitnehmer primär zur Deckung eines privaten Bedarfes des Arbeitnehmers dient, also dem Arbeitnehmer in seiner privaten Sphäre ein bedarfsdeckender Nutzen zukommt. Leistungen, die zwar für Arbeitnehmer bestimmt sind, aber dem überwiegenden Interesse des Arbeitgebers dienen oder bei denen dem Arbeitnehmer kein verbrauchsfähiger Nutzen übertragen wird, fallen nicht unter den Leistungstatbestand (vgl. VwGH 23.2.2010, 2007/15/0073; 24.2.2011, 2010/15/0162).
25 Der EuGH hat im Urteil vom 16. Oktober 1997, C‑258/95 , Fillibeck, zu Artikel 6 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG ausgeführt, normalerweise sei es Sache des Arbeitnehmers, unter Berücksichtigung seiner Arbeitsstätte den Standort seiner Wohnung, nach dem sich die Länge seines Weges zur Arbeit bemesse, und das geeignete Verkehrsmittel zu wählen. Der Arbeitgeber greife in diese Entscheidungen nicht ein, da der Arbeitnehmer seinerseits verpflichtet sei, während der vereinbarten Zeit an der Arbeitsstätte zu sein. Folglich dienten die den Arbeitnehmern erbrachten Beförderungsleistungen unter normalen Umständen dem privaten Bedarf des Arbeitnehmers. Eine solche Auslegung sei in den Fällen geboten, in denen der Arbeitnehmer ‑ wie gewöhnlich ‑ die Möglichkeit habe, die Strecke zwischen seiner Wohnung und seiner festen Arbeitsstätte mit den üblichen Verkehrsmitteln zurückzulegen. Dagegen könnten unter besonderen Umständen die Erfordernisse des Unternehmens es gebieten, dass der Arbeitgeber selbst die Beförderung der Arbeitnehmer von ihrer Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück sicherstelle. So könne die Tatsache, dass nur der Arbeitgeber ein geeignetes Verkehrsmittel bieten könne oder dass es sich nicht um eine feste, sondern um eine wechselnde Arbeitsstätte handle, den Arbeitgeber zwingen, die Beförderung seiner Arbeitnehmer zu übernehmen. Der Umstand, dass die Beförderungsleistungen aufgrund eines Tarifvertrages erbracht würden, stelle ein Indiz dafür dar, dass die Beförderung Zwecken diene, die nicht unternehmensfremd seien (vgl. dazu auch EuGH 18.7.2013, AES‑3C Maritza East 1, C‑124/12 , Rn. 29; vgl. weiters VwGH 23.1.2013, 2010/15/0051).
26 Der Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, ein überwiegendes betriebliches Interesse an der Erteilung von uneingeschränkten Fahrberechtigungen (auch) für Fahrten in der Freizeit sei nicht gegeben, ist vom Verwaltungsgerichtshof nicht entgegenzutreten. Es liegen hier schon keine besonderen Umstände vor, die es gebieten würden, dass der Arbeitgeber die Beförderung zur Arbeitsstätte und zurück sicherstellen müsste, da die Strecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte jeweils mit den üblichen (hier überdies öffentlichen) Verkehrsmitteln zurückgelegt werden kann. Umso weniger ist es betrieblich erforderlich, auch Fahrten in der Freizeit zu ermöglichen. Dass diese Nutzung auf einer Betriebsvereinbarung beruht, könnte zwar ein Indiz dafür sein, dass die Beförderung Zwecken dient, die nicht unternehmensfremd sind. Abweichend von dem zu EuGH Fillibeck zu beurteilenden Sachverhalt wird hier aber ‑ über die Beförderung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte hinaus ‑ auch die Nutzung in der Freizeit ermöglicht. Auch wenn (wie in der Revision geltend gemacht) bei der „privaten“ Nutzung der Verkehrsmittel allenfalls Probleme oder technische Mängel der Verkehrsmittel erkannt werden können (was zu einer rascheren Behebung dieser Probleme führen könne) und überdies die Verkehrsmittel auch in einem wesentlichen (allenfalls auch übergeordneten) Umfang dienstlich genutzt werden, ist hier der persönliche Vorteil des Arbeitnehmers, diese Verkehrsmittel auch außerhalb einer dienstlichen Notwendigkeit nutzen zu können, keineswegs bloß nebensächlich.
27 Dass im vorliegenden Fall der Revisionswerberin durch die Erteilung von Fahrberechtigungen an die Arbeitnehmer ein Vorteil in Form der Aussicht auf eine Steigerung ihres Umsatzes aufgrund größerer Motivation und deshalb gesteigerter Leistung ihrer Mitarbeiter verschafft würde, sodass der persönliche Vorteil der Mitarbeiter gegenüber den Bedürfnissen des Unternehmens als untergeordnet zu beurteilen wäre (vgl. dazu EuGH 17.11.2022, GE Aircraft Engine Services, C‑607/20 , Rn. 32), wird nicht geltend gemacht und ist auch nicht erkennbar.
28 Soweit die Fahrberechtigungen unentgeltlich eingeräumt wurden, liegt sohin eine Leistung iSd § 3a Abs. 1a Z 2 UStG 1994 vor.
29 Wenn in der Revision auf den Grundsatz von Treu und Glauben verwiesen wird, so schützt dieser Grundsatz aber nicht ganz allgemein das Vertrauen des Abgabepflichtigen auf die Rechtsbeständigkeit einer allenfalls auch unrichtigen abgabenrechtlichen Beurteilung für die Vergangenheit. Es müssen besondere Umstände vorliegen, die ein Abgehen von der bisherigen Rechtsauffassung durch die Abgabenbehörde unbillig erscheinen lassen, wie dies z.B. der Fall sein kann, wenn ein Abgabepflichtiger von der (zuständigen) Abgabenbehörde ausdrücklich zu einer bestimmten Vorgangsweise aufgefordert wird und sich nachträglich die Unrichtigkeit derselben herausstellt. Überdies kann der Grundsatz von Treu und Glauben nur insoweit Auswirkungen zeitigen, als das Gesetz der Vollziehung einen Vollzugsspielraum einräumt (vgl. VwGH 15.9.2011, 2011/15/0126; 19.9.2013, 2013/15/0183). Ein derartiger Vollzugsspielraum liegt hier aber nicht vor. Auch wurde die Revisionswerberin von der zuständigen Abgabenbehörde nicht zu einer bestimmten Vorgangsweise aufgefordert. Der Umstand, dass diese Vorgangsweise bei früheren Prüfungen unbeanstandet geblieben ist (oder auch „akzeptiert“ worden ist; vgl. dazu VwGH 24.4.1996, 93/15/0076), hindert die Behörde ‑ entgegen dem Revisionsvorbringen ‑ aber nicht, diese Vorgangsweise für spätere Zeiträume als rechtswidrig zu beurteilen (vgl. VwGH 20.12.2000, 98/13/0236; 27.6.2018, Ra 2016/15/0075, mwN). Eine Ermessensentscheidung, in deren Rahmen ebenfalls der Grundsatz von Treu und Glauben zu berücksichtigen wäre (vgl. dazu betreffend Wiederaufnahme VwGH 11.12.1996, 94/13/0070), ist nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens.
30 Die Revisionswerberin macht aber ‑ auch im Rahmen des Zulässigkeitsvorbringens ‑ geltend, das Bundesfinanzgericht gehe von einem aktenwidrigen Sachverhalt aus. Wie die Revisionswerberin (insbesondere durch Vorlage von Betriebsvereinbarungen) dargelegt habe, habe bis 30. März 2009 nur die Möglichkeit bestanden, für den Preis von monatlich 12,50 € einen Dienstausweis zu erhalten, der es ermöglicht habe, alle Linien an allen Tagen, auch außerhalb der Dienstzeit zu nutzen. Seit 1. April 2009 habe hingegen die Möglichkeit bestanden, unentgeltlich einen Dienstausweis zu erhalten, der es ermöglicht habe, alle Linien an allen Tagen, auch außerhalb der Dienstzeit zu nutzen. Auch das Finanzamt schildert den Sachverhalt in gleicher Weise (insbesondere monatlicher Preis von 12,50 € für die Nutzung bis 31. März 2009).
31 Auf Basis dieses ‑ zwischen den Parteien im Revisionsverfahren unstrittigen ‑ Sachverhalts ist aber davon auszugehen, dass bis einschließlich März 2009 die Linien außerhalb der Dienstzeit nur dann genutzt werden konnten, wenn hiefür ein Entgelt von 12,50 € monatlich geleistet wurde (eine unentgeltliche Nutzung war nur für dienstliche Zwecke möglich). Da die Gegenleistung auch nicht als bloß symbolisch beurteilt werden kann (vgl. dazu z.B. EuGH 20.1.2005, C‑412/03 , Hotel Scandic Gasabäck, Rn. 26), lag somit in jenem Zeitraum keine unentgeltliche Erbringung von Leistungen iSd § 3a Abs. 1a Z 2 UStG 1994 vor. Es handelt sich vielmehr um eine (sonstige) Leistung gegen Entgelt iSd § 1 Abs. 1 Z 1 UStG 1994; eine „Entnahme“ läge hingegen nur bei Fehlen einer Gegenleistung vor (vgl. dazu auch EuGH 11.12.2008, Danfoss und AstraZeneca, C‑371/07 , Rn. 49; 1.12.2022, Finanzamt T [Prestations internes d’un groupement TVA], C‑269/20 , Rn. 62).
32 Damit bestand aber bis einschließlich März 2009 insoweit keine unentgeltliche Nutzung, also keine unentgeltliche Erbringung einer anderen sonstigen Leistung für den Bedarf des Personals. Der verbilligte Preis bildete die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer; ein zusätzlicher Eigenverbrauch war hingegen nicht anzunehmen (vgl. VwGH 25.11.2015, 2012/13/0017). Die Regelung über den „Normalwert“ (§ 4 Abs. 9 UStG 1994) war in jenem Zeitraum noch nicht anwendbar. Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher aus diesem Grund betreffend Umsatzsteuer 2005 bis 2009 als rechtswidrig.
3. Vorsteuerabzug Kantine
33 Zum Vorsteuerabzug für das Betriebsführungsentgelt betreffend die Kantine macht die Revisionswerberin geltend, Voraussetzung für den Vorsteuerabzug sei nach § 12 Abs. 1 Z 1 UStG 1994, dass die Leistungen für das Unternehmen des Leistungsempfängers ausgeführt würden. Würden Leistungen, die dem Bedarf des Personals dienten, nicht unternehmerischen Zwecken dienen, wären solche Leistungen bereits gemäß § 3a Abs. 1a Z 2 Teilsatz 1 UStG 1994 der Besteuerung zu unterwerfen; der zweite Teilsatz dieser Bestimmung wäre dann überflüssig. Daraus sei abzuleiten, dass Leistungen für den Bedarf des Personals iSd § 3a Abs. 1a Z 2 Teilsatz 2 unternehmerischen Zwecken dienten; der Vorsteuerabzug stehe daher zu. Dass Leistungen verbilligt an Arbeitnehmer erbracht würden, schade dem Vorsteuerabzug nicht und führe auch zu keiner „Eigenverbrauchsbesteuerung“; allenfalls wäre der Normalwert nach § 4 Abs. 9 UStG 1994 heranzuziehen.
34 Diesem Vorbringen ist entgegenzuhalten, dass mit § 3a Abs. 1a UStG 1994 der früher anders geregelte Eigenverbrauchstatbestand an die Bestimmungen (damals) u.a. des Artikels 6 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie (Richtlinie Nr. 77/388/EWG ) angepasst werden sollte. Demnach würden der Verwendungs- und der Leistungseigenverbrauch sowie die Besteuerung der unentgeltlichen Leistungen an Arbeitnehmer den sonstigen Leistungen gleichgestellt (vgl. die Erläuterungen zum Ausschussbericht zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes 1994 mit BGBl. I Nr. 134/2003, 325 BlgNR 22. GP 1 f). Nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie Nr. 77/388/EWG wurde „die unentgeltliche Erbringung von Dienstleistungen durch den Steuerpflichtigen für seinen privaten Bedarf, oder für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke“ Dienstleistungen gegen Entgelt gleichgestellt. Der in der Revision behauptete systematische Zusammenhang ist daraus nicht erkennbar.
35 Der Verwaltungsgerichtshof ist in seinem Erkenntnis vom 29. Februar 2012, 2008/13/0068, in einer vergleichbaren Konstellation zum Ergebnis gekommen, dass keine Leistungsbeziehung zwischen dem Kantinenbetreiber und dem Arbeitgeber besteht und daher der Vorsteuerabzug zu Recht verweigert wurde. Selbst dann, wenn im vorliegenden Fall eine derartige Leistungsbeziehung anzunehmen wäre, steht unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des EuGH kein Recht auf Vorsteuerabzug zu.
36 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH muss grundsätzlich ein direkter und unmittelbarer Zusammenhang zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren Ausgangsumsätzen, die das Recht auf Vorsteuerabzug eröffnen, bestehen, damit der Steuerpflichtige zum Vorsteuerabzug berechtigt ist und der Umfang dieses Rechts bestimmt werden kann. Das Recht auf Abzug der für den Erwerb von Gegenständen oder Dienstleistungen entrichteten Mehrwertsteuer ist nur gegeben, wenn die hiefür getätigten Ausgaben zu den Kostenelementen der besteuerten, zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätze gehören. Ein Recht auf Vorsteuerabzug wird jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen dann angenommen, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und ‑ als solche ‑ Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen nämlich direkt und unmittelbar mit der gesamten wirtschaftlichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen. Werden die von einem Steuerpflichtigen erworbenen Gegenstände oder Dienstleistungen dagegen für die Zwecke steuerbefreiter Umsätze oder solcher Umsätze verwendet, die nicht vom Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer erfasst werden, so kann es weder zur Erhebung der Steuer auf der folgenden Stufe noch zum Abzug der Vorsteuer kommen (vgl. z.B. EuGH 14.9.2017, Iberdrola Inmobiliaria Real Estate Investments, C‑132/16 , Rn. 28 ff, mwN).
37 Der Umstand, dass auch ein Dritter von diesen Dienstleistungen profitiert, rechtfertigt es an sich nicht, dem Steuerpflichtigen das Abzugsrecht insoweit zu versagen; dies setzt allerdings voraus, dass der dem Dritten durch diese Dienstleistungen entstehende Vorteil gegenüber dem Bedarf des Steuerpflichtigen nur als nebensächlich anzusehen ist (vgl. EuGH 1.10.2020, Vos Aannemingen, C‑405/19 , Rn. 28). Das Vorsteuerabzugsrecht beschränkt sich insoweit auf jene Eingangsleistungen, die für den Betrieb des Steuerpflichtigen erforderlich sind (vgl. EuGH 16.9.2020, Mitteldeutsche Hartstein‑Industrie, C‑528/19 , Rn. 38).
38 Es ist normalerweise Sache des Arbeitnehmers, die Art, die genaue Uhrzeit und selbst den Ort für seine Mahlzeiten zu wählen. Der Arbeitgeber greift in diese Entscheidungen nicht ein, da die Verpflichtung des Arbeitnehmers nur darin besteht, sich zu den vereinbarten Uhrzeiten wieder an seinem Arbeitsplatz einzufinden und dort seiner üblichen Arbeit nachzugehen. Daher zielt die Lieferung von Mahlzeiten an Arbeitnehmer grundsätzlich auf die Befriedigung eines privaten Bedarfs und hängt von der persönlichen Entscheidung der Arbeitnehmer ab, in die der Arbeitgeber nicht eingreift. Dienstleistungen, die in der (dort: unentgeltlichen) Abgabe von Mahlzeiten an Arbeitnehmer bestehen, befriedigen sohin unter normalen Umständen den privaten Bedarf der Arbeitnehmer. Dagegen können unter besonderen Umständen die Erfordernisse des Unternehmens es gebieten, dass der Arbeitgeber selbst die Bewirtung sicherstellt (vgl. EuGH 11.12.2008, Danfoss und AstraZeneca, C‑371/07 , Rn. 57 f).
39 Dass im vorliegenden Fall besondere Umstände vorlägen, die es geböten, dass der Arbeitgeber selbst die Bewirtung sicherstelle, wird nicht behauptet. Auch das Beziehen von Leistungen zum Betrieb einer Kantine dient der Abgabe von Mahlzeiten an Arbeitnehmer und somit zur Befriedung des privaten Bedarfes der Arbeitnehmer. Für den Betrieb der Revisionswerberin, also für die Erbringung der der Steuer unterliegenden Tätigkeit der Revisionswerberin (vgl. neuerlich EuGH Iberdrola, Rn. 31) ist diese Leistung hingegen nicht erforderlich. Der Vorteil des Dritten (hier der Arbeitnehmer der Revisionswerberin) kann nicht als nur nebensächlich beurteilt werden.
40 Damit steht der Revisionswerberin aus diesen von der S GmbH erbrachten Leistungen kein Vorsteuerabzug zu.
41 Das angefochtene Erkenntnis war daher betreffend Umsatzsteuer 2005 bis 2009 und betreffend Zurückweisung der Beschwerden gegen die Bescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuer für die Zeiträume 12/2011, 12/2016 und 12/2019 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Im Übrigen war die Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
42 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 19. April 2023
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