VwGH Ra 2022/01/0006

VwGHRa 2022/01/00064.5.2022

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des mj. F B, vertreten durch R B als gesetzliche Vertreterin, in W, diese vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 15. November 2021, Zl. VGW‑152/090/15483/2021‑2, betreffend Staatsbürgerschaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Wiener Landesregierung), zu Recht erkannt:

Normen

AVG §68 Abs1
StbG 1985 §59
StbG 1985 §59 Abs2
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28 Abs1
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RA2022010006.L00

 

Spruch:

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Angefochtenes Erkenntnis

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde in der Sache die Anzeige des Revisionswerbers nach § 59 Abs. 1 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) vom 13. Februar 2018 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

2 Begründend stellte das Verwaltungsgericht fest, der Revisionswerber habe, vertreten durch seine Mutter, einer nigerianischen Staatsangehörigen, als gesetzliche Vertreterin bereits mit Schreiben vom 9. September 2013 eine Anzeige nach § 59 Abs. 1 StbG erstattet.

3 Mit Erkenntnis vom 18. November 2014 habe das Verwaltungsgericht im Säumniswege festgestellt, dass kein Fall des § 59 Abs. 1 StbG vorliege und der Revisionswerber die österreichische Staatsbürgerschaft nicht rückwirkend gemäß § 7 Abs. 1 StbG erworben habe.

4 Die Behandlung der Beschwerde gegen dieses Erkenntnis sei vom Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit Beschluss vom 11. Juni 2015 [laut Aktenlage: E 38/2015‑16] abgelehnt worden und die Rechtssache an den Verwaltungsgerichtshof abgetreten worden. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof sei nicht erhoben worden.

5 Der Revisionswerber habe in seiner neuerlichen Anzeige nach § 59 Abs. 1 StbG nicht behauptet, dass eine geänderte Sach- und/oder Rechtslage vorliege. Solche Umstände ließen sich auch nach der Aktenlage nicht erkennen. Daher habe die belangte Behörde die Anzeige rechtsrichtig wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Zulässigkeit

7 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, aus § 59 Abs. 1 StbG folge, dass eine Zurückweisung der Anzeige ‑ aus welchen Gründen auch immer ‑ im Gesetz nicht vorgesehen sei. Eine inhaltliche Entscheidung sei wohl auch deshalb geboten, weil der Fremde bis zum bescheidmäßigen Abspruch rechtmäßig in Österreich aufhältig sei. Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Rechtsfrage liege nicht vor, angesichts einer Vielzahl möglicher Fälle bedürfe es auch einer klärenden Rechtsprechung zu dieser Rechtsfrage.

8 Die Revision ist mangels Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 59 StbG zulässig, jedoch nicht berechtigt.

Rechtslage

9 § 59 StbG, BGBl. Nr. 311/1985 idF BGBl. I Nr. 136/2013, lautet auszugsweise:

§ 59. (1) Ein Fremder, der der Behörde unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt, Staatsbürger kraft Abstammung gemäß § 7 oder § 7a nur vermeintlich gewesen zu sein, weil eine Feststellung der Vaterschaft gemäß §§ 145 ff. ABGB nachträglich ergeben hat, dass ein Fall des § 7 oder § 7a nicht vorlag, erwirbt die Staatsbürgerschaft rückwirkend mit dem Tag der Geburt (§ 7) oder dem Tag der Legitimation (§ 7a). Dies hat die Behörde mit Bescheid festzustellen.

(2) Ein Fall des Abs. 1 liegt nicht vor, wenn die Erschleichung der Staatsbürgerschaft beabsichtigt war. Darüber ist bescheidmäßig abzusprechen.

(3) Bis zur Rechtskraft einer Entscheidung gemäß Abs. 1 oder 2 gilt der Aufenthalt des Fremden als rechtmäßige Niederlassung (§ 31 Abs. 1 Z 2 FPG). Liegt ein Fall des Abs. 2 vor, gelten die §§ 41a Abs. 8, 45 Abs. 10 und 48 Abs. 5 NAG.

...“

§ 59 StbG und entschiedene Sache

10 Bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache ist (auch vom Verwaltungsgericht) von der rechtskräftigen Vorentscheidung ‑ dies kann auch eine solche einer Verwaltungsbehörde sein ‑ auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Erst nach Erlassung der rechtskräftigen Erstentscheidung hervorkommende Umstände, die eine Unrichtigkeit dieser Entscheidung dartun, stellen keine Änderung des Sachverhalts dar, sondern können lediglich einen Grund zur Wiederaufnahme eines Verfahrens darstellen. Dieser tragende Grundsatz soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach‑ und Rechtslage) verhindern; die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die entschiedene Sache, also durch die Identität der Rechtssache, über die bereits mit einer formell rechtskräftigen Entscheidung abgesprochen wurde, mit der nunmehr vorliegenden (etwa der in einem neuen Antrag intendierten) bestimmt (vgl. für viele und zur Heranziehung der einschlägigen Rechtsprechung zu § 68 AVG im Verfahren der Verwaltungsgerichte VwGH 19.10.2021, Ro 2019/14/0006, mwN; vgl. zum Prozesshindernis der entschiedenen Sache [res iudicata] auch etwa VwGH 14.12.2018, Ra 2018/01/0334, mwN).

11 Die Revision behauptet nunmehr, im Anwendungsbereich des § 59 StbG sei das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) nicht anzuwenden.

12 § 59 StbG wurde mit dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2009 (FrÄG 2009), BGBl. I Nr. 122, geschaffen. Nach den Erläuterungen (vgl. ErläutRV 330 BlgNR 24. GP  58 f) sollen mit dieser Bestimmung

„jene Fälle geregelt werden in denen nach einer Vaterschaftsfeststellung gemäß § 163 ABGB hervorkommt, dass (oft jahrzehntelang) fälschlicherweise von einer Staatsbürgerschaft kraft Abstammung (§§ 7 und 7a) ausgegangen wurde, diese aber tatsächlich nicht besteht. Diesen ‚vermeintlichen Österreichern‘ soll nun die Möglichkeit gegeben werden, der Behörde diesen Umstand anzuzeigen, wodurch sie die Staatsbürgerschaft rückwirkend mit dem Tag der Geburt (§ 7) oder dem Tag der Legitimation (§ 7a) erwerben. Die Behörde hat dies mit Bescheid festzustellen (Abs. 1).

Gemäß Abs. 2 kommt es zu keinem rückwirkenden Erwerb der Staatsbürgerschaft, wenn deren Erschleichung ‑ vornehmlich wohl durch falsche Angaben zur Vaterschaft ‑ beabsichtigt war. Dies ist wiederum mit Bescheid festzustellen. Der Betroffene wäre in diesem Fall Fremder und unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Da die vorliegende Bestimmung von der Grundannahme ausgeht, dass es sich bei dem Betroffenen um ein schützenswertes ‚Opfer‘ handelt und er die unrichtigen Angaben Desjenigen, von dem seine Staatsbürgerschaft vermeintlich abgeleitet wurde, nicht zu verantworten hat, soll dem Betroffenen auch in diesen Fällen ein gesichertes Aufenthaltsrecht zukommen. Der zweite Satz des Abs. 3 verweist daher auf die entsprechenden Anschlussbestimmungen im NAG, ...“.

13 Weder der vorliegend maßgebliche Wortlaut des § 59 StbG noch die Erläuterungen bieten Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber in diesem Fall die Anwendung des Prozesshindernisses der entschiedenen Sache (res iudicata) ausschließen wollte.

14 Soweit die Revision anführt, eine inhaltliche Entscheidung sei auch im Hinblick auf die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts des Fremden in Österreich geboten, genügt es darauf hinzuweisen, dass dem Fremden auch im Fall des § 59 Abs. 2 StbG ein gesichertes Aufenthaltsrecht zukommen soll.

15 Die Revision bringt in den Revisionsgründen weiter vor, dem Revisionswerber werde das Recht auf Beibehaltung der österreichischen Staatsbürgerschaft und damit der Unionsbürgerschaft genommen und es habe aus diesem Grund eine Verhältnismäßigkeitsprüfung stattzufinden. Zu diesem Vorbringen ist darauf hinzuweisen, dass (wie die oben wiedergegebenen Erläuterungen erkennen lassen) den Betroffenen mit § 59 StbG lediglich die Möglichkeit gegeben wird, die österreichische Staatsbürgerschaft rückwirkend zu erwerben und daher ein Recht auf Beibehaltung nicht besteht.

16 Im Übrigen ist nicht zu erkennen, dass das Verwaltungsgericht in der vorliegenden Rechtssache von den Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes zum Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) abgewichen wäre.

Ergebnis

17 Der Inhalt der vorliegenden Revision lässt somit erkennen, dass die vom Revisionswerber behaupteten Rechtsverletzungen nicht vorliegen. Die Revision war daher gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 4. Mai 2022

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte