VwGH Ra 2021/21/0086

VwGHRa 2021/21/00866.4.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant und den Hofrat Dr. Sulzbacher als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des A Z, vertreten durch Mag. Zoheir Al‑Zaher, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Neustiftgasse 3/7, gegen das am 19. November 2020 mündlich verkündete und mit 2. Dezember 2020 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W282 2235092‑1/19E, betreffend Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und Einreiseverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

BFA-VG 2014 §9
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z6
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
MRK Art8 Abs2
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210086.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, reiste Ende 2011 ‑ damals neunjährig ‑ zusammen mit seinen Eltern nach Österreich ein.

2 Im Hinblick auf mehrere strafgerichtliche Verurteilungen erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen ihn mit Bescheid vom 7. August 2020 gemäß § 52 Abs. 5 FPG eine Rückkehrentscheidung, wobei es gemäß § 52 Abs. 9 FPG feststellte, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig sei. Unter einem erließ es gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot, erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA‑VG die aufschiebende Wirkung ab und gewährte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (nachdem mit Teilerkenntnis vom 17. September 2020 die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war) die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Dauer des Einreiseverbots auf fünf Jahre herabgesetzt werde.

4 Es stellte fest, dass der Revisionswerber im September 2017 wegen Körperverletzung, schwerer Körperverletzung, Gefährdung der körperlichen Sicherheit, teils versuchten, teils vollendeten Raubes „bzw.“ schweren Raubes und wegen Diebstahls zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt worden sei. Im Juni 2019 sei der Revisionswerber wegen ‑ während aufrechter Bewährungshilfe begangenen ‑ Diebstahls „bzw.“ Einbruchsdiebstahls zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt worden. Im Juli 2019 sei er wegen teils versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls „bzw.“ Einbruchsdiebstahls zu einer fünfmonatigen Freiheitsstrafe als Zusatzstrafe verurteilt worden. Schließlich sei er im September 2020 wegen Raubs und schweren Raubs, gewerbsmäßigen Diebstahls „bzw.“ Einbruchsdiebstahls, Entfremdung unbarer Zahlungsmittel und betrügerischen Datenverarbeitungsmissbrauchs zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden, die er derzeit verbüße.

5 Der Revisionswerber habe in Österreich eine Freundin, mit der er jedoch keinen gemeinsamen Haushalt teile. Er spreche Deutsch auf „ungefährem“ C1 Niveau und sei wirtschaftlich nur rudimentär integriert. In der Haft habe er eine Lehre begonnen. In Serbien lebe noch seine Großmutter, bei der er Unterkunft nehmen könne.

6 Das Bundesverwaltungsgericht bejahte eine Gefährdung im Sinn des § 53 Abs. 3 FPG (und damit auch den Rückkehrentscheidungstatbestand des § 52 Abs. 5 FPG) und begründete dies mit der massiven Häufung der (näher dargestellten) schweren Raub- und Gewaltdelikte des Revisionswerbers, der gegenüber seinen zahlreichen Opfern keinerlei Empathie gezeigt habe. Sämtliche Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen, die man ihm bisher habe angedeihen lassen, seien wirkungslos geblieben. Die Delikte seien in einem „bandenartigen Umfeld“, zuletzt aber auch vom Revisionswerber allein begangen worden. Auch das bereits eingeleitete Aufenthaltsbeendigungsverfahren habe zu keiner Verhaltensänderung geführt.

7 Bei der Interessenabwägung nach § 9 BFA‑VG kam das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis, dass trotz des Eingriffs in das Privat‑ und Familienleben des Revisionswerbers die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung deutlich überwögen. Dabei bezog das Bundesverwaltungsgericht auch die Überlegung mit ein, dass die Aufenthaltsbeendigung ‑ so hart sie für den Revisionswerber auch sein möge ‑ ihn zuverlässig aus jenem sozialen Umfeld entferne, das seinen Rückfall in die Straffälligkeit bisher erheblich begünstigt habe.

8 Es seien daher sowohl eine Rückehrentscheidung als auch ein Einreiseverbot zu erlassen gewesen, wobei aber die vom BFA festgesetzte Dauer von zehn Jahren im Hinblick auf das jugendliche Alter des Revisionswerbers zu lang bemessen und auf fünf Jahre herabzusetzen gewesen sei.

9 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

10 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich (u.a.) wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG „nicht zur Behandlung eignen“, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

12 Der Revisionswerber erblickt in der nach Ablehnung und Abtretung seiner Verfassungsgerichtshofbeschwerde (VfGH 18.1.2021, E 142/2021‑5) ausgeführte Revision eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darin, dass das Bundesverwaltungsgericht die Verurteilungen des Revisionswerbers nicht nur bei der Gefährdungsprognose berücksichtigt, sondern dadurch auch das Gewicht seiner Integration als gemindert angesehen habe, indem es ausgeführt habe, dass die soziale und gesellschaftliche Integration des Revisionswerbers de facto nicht vorhanden sei, weil seine massive Straffälligkeit eine erhebliche Störung ebendieser darstelle. „In Ermangelung einer rechtmäßigen Durchführung“ sei die Interessenabwägung daher revisibel. Die Interessenabwägung habe außerdem insofern nicht auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage beruht, als das Bundesverwaltungsgericht festgestellt habe, der Revisionswerber hätte in den Jahren 2018 und 2019 Arbeitslosenggeld bezogen, obwohl er in diesem Zeitraum eine „Produktionsschule“ besucht habe. Bei Vermeidung dieses Verfahrensfehlers wäre dem Faktor „wirtschaftliche Integration“ in der Gesamtabwägung ein größeres Gewicht beizumessen gewesen.

13 Dass Straftaten nicht nur das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung erhöhen, sondern auch bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens zu berücksichtigen sind, kann schon deswegen keinem Zweifel unterliegen, weil in § 9 Abs. 2 Z 6 BFA‑VG die „strafgerichtliche Unbescholtenheit“ ausdrücklich als einer der dafür maßgeblichen Aspekte genannt wird. Die für den Revisionswerber sprechenden Umstände, insbesondere seinen relativ langen Aufenthalt in Österreich und die Bindungen zu seinen Eltern und seiner Freundin, hat das Bundesverwaltungsgericht bei der Interessenabwägung ohnedies entsprechend gewichtet und ausgehend davon die Dauer des Einreiseverbots herabgesetzt.

14 Was die „Produktionsschule“ (nach der aktuellen Terminologie: „AusbildungsFit“) betrifft, so handelt es sich dabei um eine Fördermaßnahme für Jugendliche, die mit einer vom Arbeitsmarktservice (AMS) ausgezahlten „Beihilfe zur Deckung des Lebensunterhalts“ unterstützt wird. Dass der Revisionswerber somit nicht Arbeitslosengeld, sondern eine andere Leistung des AMS bezogen hat, bedeutet keinen maßgeblichen Unterschied für den Grad seiner wirtschaftlichen Integration.

15 Insgesamt erweist sich die vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vorgenommene und ausführlich begründete Interessenabwägung, ebenso wie die Gefährdungsprognose, jedenfalls als vertretbar (vgl. zu diesem Prüfmaßstab für die Zulässigkeit der Revision im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG etwa VwGH 28.5.2020, Ra 2020/21/0073, Rn. 20, mwN).

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 6. April 2021

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