Normen
AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z8
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §34 Abs1
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021200043.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 15. Dezember 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Als Fluchtgrund brachte er zusammengefasst vor, aufgrund seiner Tätigkeit als Sicherheitsbeamter beim National Directorate of Security durch die Taliban bedroht worden zu sein. Im Fall der Rückkehr in sein Heimatland fürchte er, getötet zu werden.
2 Mit dem Bescheid vom 28. März 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, welcher mit Beschluss vom 24. November 2020, E 3188/2020‑10, deren Behandlung ablehnte und sie über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 11. Dezember 2020, E 3188/2020‑12, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
5 In der Folge wurde die vorliegende Revision eingebracht.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Das Bundesverwaltungsgericht hat zu den Fluchtgründen des Revisionswerbers festgehalten, dass dieser „aufgrund seiner Arbeitstätigkeit ... [beim] NDS ... sowie seiner Weigerung, mit den Taliban oder anderen regierungsfeindlichen Gruppen zusammenzuarbeiten, keiner persönlichen Bedrohung oder Verfolgung durch die Taliban oder andere regierungsfeindliche Gruppierungen ausgesetzt ... war oder [zukünftig] wäre“. Der Revisionswerber habe „keine exponierte Stellung beim NDS“ innegehabt und sei „nicht als Ermittler gegen terroristische Gruppierungen, insbesondere das Haqqani Netzwerk“ tätig gewesen.
10 Mit dem Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht habe die Richtlinien des UNHCR und die EASO Country Guidance unberücksichtigt gelassen und „Feststellungen zur Gefährdungslage von NDS Mitarbeitern in Afghanistan“ unterlassen, wendet sich die Revision der Sache nach gegen die der Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach der Revisionswerber „zukünftig aufgrund seiner Arbeitstätigkeit [beim] NDS ... keiner persönlichen Bedrohung oder Verfolgung durch die Taliban oder andere regierungsfeindliche Gruppierungen ausgesetzt wäre“, zugrunde liegende Beweiswürdigung. Dasselbe gilt für das Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht enthalte keine „nachvollziehbare Begründung hinsichtlich der Tätigkeit“ des Revisionswerbers beim NDS.
11 Der (in der Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichts ausführlich begründeten) Feststellung, dass der Revisionswerber in der Vergangenheit keiner solchen Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt gewesen sei, tritt die Revision nicht entgegen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Beweiswürdigung zwar (auch) Zweifel an der Glaubwürdigkeit einer Tätigkeit des Revisionswerbers beim NDS geäußert, ist in seiner weiteren Beurteilung jedoch davon ausgegangen, dass eine Tätigkeit des Revisionswerbers für den NDS „nicht ausgeschlossen“ werden könne, und hat (mit näheren Ausführungen) begründet, warum selbst für den Fall einer solchen Tätigkeit jedenfalls eine exponierte Stellung des Revisionswerbers nicht anzunehmen sei. Das Erkenntnis legt seiner Beweiswürdigung unter anderem auch die genannten UNHCR‑Richtlinien sowie das EASO Country Guidance Note zugrunde und enthält zur Einschätzung, wonach dem Revisionswerber zukünftig aufgrund einer Tätigkeit für den NDS keine Verfolgung drohe, nähere beweiswürdigende Überlegungen (wenn auch zum Teil disloziert im Rahmen der rechtlichen Würdigung); demnach sei der Revisionswerber vor seiner Ausreise niemals von den Taliban bedroht oder verfolgt worden und es bestehe derzeit „aufgrund der Beendigung seiner Arbeitstätigkeit ... auch kein Grund mehr für eine Bedrohung oder Verfolgung des [Revisionswerbers], auch nicht durch die Taliban“.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Mit ihrer Kritik an einzelnen Teilen der Beweiswürdigung gelingt es der Revision nicht, aufzuzeigen, dass die Schlussfolgerung des Bundesverwaltungsgerichts, dem Revisionswerber drohe auch in Zukunft keine Verfolgung durch die Taliban oder andere regierungsfeindliche Gruppierungen, unvertretbar wäre. Der zur Rechtskontrolle berufene Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, eine Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. VwGH 7.9.2020, Ra 2020/20/0012, mwN).
13 Soweit die Revision vorbringt, das Bundesverwaltungsgericht habe es verabsäumt, vom Revisionswerber vorgelegte Urkunden übersetzen zu lassen und deren „Echtheit und Richtigkeit einer näheren Überprüfung“ zu unterziehen, macht sie Verfahrensfehler geltend. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes reicht es jedoch nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel darzulegen. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 7.9.2020, Ra 2020/20/0148, mwN). Der Behauptung fehlender Übersetzungen steht zudem der Inhalt der Verwaltungsakten entgegen (AS 141‑165). Die Relevanz einer fehlenden „näheren Überprüfung der Echtheit und Richtigkeit“ vermag die Revision schon deshalb nicht aufzuzeigen, weil das Bundesverwaltungsgericht die Echtheit und Richtigkeit der Urkunden nicht angezweifelt hat.
14 Dem weiteren Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes „zur amtswegigen Ermittlungspflicht“ abgewichen, weil es unterlassen habe, die Richtlinien des UNHCR und von EASO „zu verwerten“ und darüber hinaus (durch Heranziehung eines in der Revision zitierten Berichts) weitere Ermittlungen zur Gefährdung von Personen wie dem Revisionswerber vorzunehmen, ist entgegenzuhalten, dass die angefochtene Entscheidung einschlägige und aktuelle UNHCR‑Richtlinien (vom August 2018) und EASO‑Leitlinien (vom Juni 2019) als Quellen berücksichtigt und sich bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Revisionswerbers auch mit den in diesen Dokumenten enthaltenen Positionen auseinandergesetzt hat. Die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Standes eines Ermittlungsverfahrens ein „ausreichend ermittelter Sachverhalt“ vorliegt oder ob weitere amtswegige Erhebungen erforderlich sind, stellt regelmäßig keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung dar (vgl. VwGH 17.5.2019, Ra 2019/01/0066; 30.7.2020, Ra 2019/20/0383, jeweils mwN). Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B‑VG läge nur dann vor, wenn diese Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden unvertretbaren Ergebnis geführt hätte (vgl. VwGH 20.11.2019, Ra 2019/20/0286; 28.1.2020, Ra 2020/20/0011, jeweils mwN).
15 Im Übrigen lässt sich die (von der Revision im Zusammenhang mit der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat) behauptete Relevanz der unterbliebenen Berücksichtigung des genannten Berichts auch deshalb nicht erkennen, weil das Bundesverwaltungsgericht alternativ sowohl eine Möglichkeit der Rückkehr des Revisionswerbers nach Kabul als auch die Möglichkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Mazar‑e Sharif angenommen hat (vgl. zur Unzulässigkeit der Revision bei einer tragfähigen Alternativbegründung VwGH 5.8.2020, Ra 2020/20/0234, mwN).
16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel (vgl. VwGH 30.6.2020, Ra 2020/20/0207, mwN). Dass sich das Bundesverwaltungsgericht von den Leitlinien der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes entfernt hätte, vermag die Revision mit ihrem Hinweis auf die in Österreich gesetzten Schritte des Revisionswerbers nicht darzulegen. Insbesondere ist das Bundesverwaltungsgericht entgegen dem Zulässigkeitsvorbringen weder von einem „Automatismus“ im Zusammenhang mit der Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers ausgegangen, noch hat es die Verfahrensdauer im Rahmen der Interessenabwägung zu seinen Lasten berücksichtigt, sondern es hat ‑ unter anderem ‑ in zutreffender Weise im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA‑Verfahrensgesetz als maßgeblich relativierend veranschlagt, dass integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (vgl. VwGH 22.1.2021, Ra 2020/20/0438, mwN).
17 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 15. März 2021
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