European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190021.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 18. Dezember 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er im Wesentlichen vor, seine Eltern seien vor langer Zeit auf Grund einer Feindschaft getötet worden, weswegen er bei seinem Onkel aufgewachsen sei. Dieser Onkel sei mit seiner Familie nach Kanada gezogen. Er habe in Afghanistan keine Familie mehr.
2 Mit Bescheid vom 24. Mai 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das BVwG ‑ soweit hier maßgeblich ‑ aus, der Revisionswerber sei in Afghanistan keiner asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt. Er könne in seinen Herkunftsort in der Provinz Parwan zurückkehren. Es stehe ihm aber auch eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar‑e‑Sharif und Herat offen.
5 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
8 Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit geltend, das BVwG habe bei der Beurteilung der innerstaatlichen Fluchtalternative nicht die aktuellen Länderberichte herangezogen. Insbesondere hätte das BVwG einen Themenbericht der Staatendokumentation zur aktuellen sozioökonomischen Lage in Afghanistan vom September 2020 berücksichtigen müssen. Überdies sei das BVwG beweiswürdigend zu Unrecht davon ausgegangen, dass der Revisionswerber Pashtu schreiben und lesen könne und dass er Kontakt zu seinen Geschwistern und einem Onkel in Afghanistan habe und von diesen bei einer Rückkehr unterstützt werden könne. Das BVwG hätte daher nicht davon ausgehen dürfen, dass dem Revisionswerber eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar‑e Sharif und Herat offen stehe.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung bereits mehrfach dargestellt, welche Kriterien erfüllt sein müssen, um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können (vgl. dazu grundlegend VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001; sowie etwa VwGH 25.5.2020, Ra 2019/19/0192). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Frage der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative letztlich eine ‑ von der Asylbehörde bzw. dem Verwaltungsgericht zu treffende ‑ Entscheidung im Einzelfall dar, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit zu treffen ist (vgl. VwGH 5.10.2020, Ra 2020/19/0314, mwN).
10 Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes reicht eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz‑ und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. etwa VwGH 1.10.2020, Ra 2020/19/0196, mwN).
11 Die Asylbehörden haben bei den Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat als Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens von Asylwerbern die zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einzubeziehen. Das gilt ebenso für von einem Verwaltungsgericht geführte Asylverfahren. Auch das Bundesverwaltungsgericht hat daher seinem Erkenntnis die zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichte zugrunde zu legen. Es reicht aber nicht aus, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel aufzuzeigen (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2018/19/0606, mwN).
12 Das BVwG traf Feststellungen zu Sicherheitslage, Grundversorgung, Arbeitsmarkt, Wohnraum und zur Situation von Rückkehrern sowie ihrer Unterstützung durch internationale Organisationen in den als innerstaatliche Fluchtalternativen herangezogenen Städten. Es gründete diese Feststellungen unter anderem auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation sowie auf Auszüge aus verschiedenen Berichten zu Afghanistan von ecoi.net, ACCORD und dem EASO. Die Revision zeigt nicht konkret auf, dass sich die von ihr zitierten Ausschnitte aus dem genannten Themenbericht der Staatendokumentation zur Lage in Afghanistan maßgeblich von diesen Feststellungen unterscheiden würden.
13 Das BVwG prüfte unter Zugrundelegung von Kriterien nach den UNHCR‑Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom August 2018 und der EASO‑Country Guidance vom Juni 2019 konkret auf die persönlichen Umstände des Revisionswerbers bezogen die Sicherheitslage, die Erreichbarkeit, den Zugang zu Unterkunft und die Möglichkeit des Revisionswerbers, in Mazar‑e Sharif und in Herat wirtschaftlich zu überleben. Das BVwG ging davon aus, der junge, gesunde und arbeitsfähige Revisionswerber, der Pashtu und auch Dari spreche, den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan verbracht und mit den dortigen sozialen Normen und Gepflogenheiten vertraut sei, der Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen könne und keinem Personenkreis angehöre, der besonders schutzbedürftig sei, könne sich nach anfänglichen Schwierigkeiten in Mazar‑e Sharif oder Herat niederlassen und sich dort auch ohne soziales Netzwerk eine Existenz ohne unbillige Härten aufbauen. Die Revision zeigt nicht auf, dass diese Beurteilung fallbezogen mit einer vom Verwaltungsgerichtshof wahrzunehmenden Mangelhaftigkeit belastet wäre (vgl. zur Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans auch ohne soziale und familiäre Kontakte etwa VwGH 25.6.2020, Ra 2020/19/0182; 6.10.2020, Ra 2019/19/0332; jeweils mwN).
14 Vor diesem Hintergrund kommt es auf das Zulässigkeitsvorbringen, insoweit es sich gegen die Möglichkeit einer Rückkehr des Revisionswerbers in seinen Herkunftsort wendet, nicht mehr an (zur Unzulässigkeit der Revision im Fall einer tragfähigen Alternativbegründung vgl. allgemein VwGH 13.12.2017, Ra 2017/19/0417, mwN).
15 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 9. Februar 2021
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